Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1923. Dezember (Jahrgang 50, nr. 15154-15177)

1923-12-01 / nr. 15154

Seite2 Hemannstadt,Sonnabend - Sonderberatungen der siebenbürgischen und Banater Abgeordneten. . Bukarest, 29. November. Heute fand im Ministe­­rium für öffentliche Arbeiten unter Borsig des Ministers Moroiu eine Beratung sämtlicher siebenbürgischer und­­Banater Abgeordneten statt, an welcher auch Minister Duca, Mardarescu, Marzescu und Chirculescu teilnah­­men. Zweck der Beratung war, die Mitglieder der Re­­­­gierung über die dringendsten Lagen dieser Gebiete zu ‚informieren. &8 wurde der Entwurf einer Denkschrift auf­­‚gestellt, welcher unter andern folgende Forderungen nennt: Ernennungen von Beamten mögen nur nach vorherigem Einvernehmen mit den Parlamentariern der betreffenden G­ebiete vorgenommen werden. Es möge dabei den Beam­­­ten aus diesem DBezirt der Vorzug gegeben werden. Bei Zuwendungen für Schulbauten und bei Ernennungen vom Beamten soll der Grundsat der Proportionalität zur An­­­wendung kommen. Senator Prapopiciu verlangt, daß man bei der Ernennung von Lehrern auf die K­onfession der Schüler entsprechend Nachsicht nehmen solle. Abgeord­­neter Dr. Kräuter verweist auf das Elend, in dem si seit Jahren die Siebenbür­ger und Banater P­ensionisten befinden. Er ver­­blangt dringende und sofortige Abhilfe. Falls das neue Pensionsgefeb in absehbarer Zeit nicht in Kraft treten sollte, möge wenigstens provisorisch dem Elend gesteuert werden. Die schlechte Lage der P­ensionisten müsse motiwen­­digerweise unangenehme Rückwirkungen auf die Aktiven­­ haben und sie zum Verlassen des Staatsdienstes ver­­leiten, um sich rechtzeitig für ihr Alter zu versorgen. Der gewesene Minister Cosma schloß ich den Ausführun­­gen des Redners voll an und verlangte, daß die Pen­­sionistenfrage in die eingangs erwähnte Denkschrift auf­­­genommen w­erde. Am Schluß der Besprechung verspra­­chen Die Minister, daß die Denkschrift dem Ministerrat befürwortend vorgelegt werden solle. Abgeordneter Dr. Hans Otto Roth über unsere Schulfragen. „Adeverus“ Bringt in seiner Nummer vom 30. d. M. unter der Aufschrift „Der Schulfenstift mit den Sachsen“ eine Unterredung mit dem Dortigenden der Deutschen Parlamentspartei Abgeordneten Dr. Hans Otto Roth, Der sich über unsern Standpunkt in der Schulfrage folgen­­­dermaßen äußerte: Wir konnten das Programm des Unterrichtsministers nicht annehmen, weil es mit Stunden in romänischer Sprache zu sehr belastet war. Dieses Programm strebt­­ Die Entnationalisierung der sächsischen Konfessionellen Schu­­­­len an, indem es uns jede Möglichkeit der kulturellen Entwicklung in unserer Muttersprache nimmt. Ich will nicht behaupten, daß die Regierung mifsentlich auf dieses Biel Hinarbeitet, aber das Programm, das sie uns auf­­erlegen will, führt unglücklicherwei­se zu Diesem Ergebnis. Mind wir können eine solche Lösung selbstverständlich nicht hinnehmen. Daher habe ich dem Minister vorgeschlagen, er soll uns überhaupt seine Stunden in romanischer Sprache in der ersten und zweiten Klasse der Bolfsschulen auf­­erlegen. Aus folgendem Grunde: Wir Sachsen sprechen zuhaufe nicht die literarische deutsche Sprache, sondern einen Deutschen Dialekt. Unsere Kinder, die zuhause diesen Dialekt sprechen, haben daher gewisse Schwierigkeiten, wenn ihnen in der Schule eine literarische deutsche Sprache vorgetragen wird, die nicht d­ieselbe ist, welche sie von Hause aus fennen. Und sie können sich die Folgen denken, wenn bei einem Alter­­ von 7 oder 8 Jahren neben dieser Schwierigkeit den Kindern auch noch eine andere fremde Sprache vorge­­schrieben wird. Weiter umfaßt unser Volksschullehrplan 8 Jahre. Bei einigen Pforfschulen haben wir einen einzigen Lehrer für alle 8 Schuljahre. Es kommen daher auf das erste und vierte Schuljahr fünfeinhalb Stunden Direkter­­unterricht. Der Unterrichtsminister aber verlangt sechs Stunden allein für den romänischen Sprachunterricht in diesen Schuljahren. Wollten wir dieses Programm durchführen, so würde im ersten und zweiten Schuljahr überhaupt nur die romäni­­sche Sprache vorgetragen werden und die Muttersprache überhaupt nicht, und troßdem könnte den Anforderungen des Programms nicht Genüge geleistet werden. Die­ser Tat­­bestand rechtfertigt meine Behauptung, daß dieses ‘Pro­­­­gramm auf die I Gntnationalisierung unserer Schulen eingielt. « Abgeordneter Dr.Roth dergleicht hierauf das Un­­terrichtspogramm Anghelechs mit dem Apponyischen Sch­ulgesetz und stellt fesh daß Apponyi für die achtkla­ss­­igen Volksschulen wöchentlichs SS an den magyarischen Unterricht forderte,Anghelescu aber für die gleichen Schu­­len 84 St­unden wöchentlich.Und doch­ habe das Apponyifche­ngkamm sowohl bei den Sachsern als auch bei den Sie­­­enbürger Romanen den schärfsten Widerspruchshevor­­gerufen.Wir verschließen uns nicht dem Unterricht der romänischen Spra,da diesers unserm eigenen Interesse entspricht,aber wir können es nicht darkommen lassen, daß uns die Manchkeit der Mung in unserer Mutter­­sprache genimmen werde.Wir hosset,daß schließlich die­­ Regierung unsere Beschwerden als gerechtfertigt aner­­kernten und annehmen mh­d. der magharischen Schulen hielt. Aus den Berichten geht hervor, daß die Rede in der Kammer eine außerordentlich erregte Stimmung vorfand und daß diese Erregung in zahl­­reichen Unterbrechungen des Renners zum Ausdruck kam. Da diese Rede nach den vorliegenden Meldungen auch in der romanischen Breite lebhaften Widerhall findet, geben wir den ausführlichen Bericht der magharischen Presse auch in unserem Blatte wider: Josef Sandor begann seine Rede mit den Worten: Zw­ei Millionen Maghyaren stehen Hinter mir (Lärm und Widerspruch auf liberaler Seite). Ich will die Leiden und Bitten dieser zwei Millionen Magyaren hier vortragen. (Bei der Regierungspartei entsteht wieder Lärm, der Prä­­sident stellt die Ruhe her, indem er betont, daß die Mei­­nung des Renners nicht auch die Meinung des Parlaments zu sein brauche.) Sandor: Die Frage der mag­harischen Kirchen und Schulen hat gefährliche Dimensionen angenommen. Ih bitte die Regierung zu gestatten, daß in den magharischen Schulen die­­ Unterrichtssprache die magharische sei und daß dort der magharische­­ Beist herangebildet werde. DM. Yanu: Was ist das, der magharische Geist? Im romanischen Parlament darf man nicht von maghari­­ischem Geist sprechen! Sandor: Unsere konfessionellen Schulen haben mir unter der ungarischen­­ Herrschaft aus eigener Kraft und aus eigener Arbeit geschaffen. Wenn zu dieser Zeit ein rumänischer Schüler von der Schulmauer“ die ungarische Sahne herabriß und in den Kot stampfte, wurde er nicht einmal gestraft. Sie aber suchen immer nur einen Anlaß dazu, unsere Schulen zu schließen. Minister Anghelescu: Jede Schulsperrung hat ihren Grund. Interpellieren Sie darüber, Herr Abgeordneter, und ich werde Ihnen zu jedem einzelnen Fall den Brun der Schulschließung darlegen. « Sandor:Zweitaufende­agyarische Kinder sind heute von der Schule ausgeschlossen.­.. Minister Anghelescu:Die Magyaren haben soo Volkss­­chalem meh­r als ihnen gebührt Das siebenbürgische Nomä­­­nentum hat insgesamt 600. Sander:«Bei uns Magyaren»» Sorge:Was bedeutet das»bei uns«?Vertreten Sie hier den ungarischen Staat? Sander will sprechen, Iorga unterbricht ihn: Wenn Sie das romänische Magyarentum vertreten, können Sie nicht im Namen des Magyarentums jenseits der Grenze sprechen! Sandor! Unsere Kirchen sind ihrer Rechte beraubt.... Eine Stimme von liberaler Seite: In ihnen wird der ungarische Hymnus gesungen. Sprechen Sie davon, wie 28 Hände ungarischer Herrschaft mit den romanischen Schulen fand? G Sandor: Damals wurden die romanischen Schulen unter die Obhut der Kirche gestellt, wie auch heute. Eine andere liberale Stimme: Antworten Sie auf die Stage! Sandor: Auch der ungarische Staat hat diese Frage unrichtig behandelt. Der romanische Staat geht fehl, wenn er die­­­ergangenheit sich zum Muster nimmt, denn Die­­ Bedrohung kann ebenso traurige Folgen haben, wie 23 in Ungarn der Fall war. (Zwischenrufe auf liberaler Seite). Mit diesen Schulderordnungen will die Regierung unsere Schulen und das Magharentum romanisieren. Ein siebenbürgischer Liberaler: Auch die Magyaren haben in den Schulen und in den Dörfern magyarisiert. Sandor: Unter magharischer Herrschaft sind 100 ma­­gharische Gemeinden romänisch geworden. Ein siebenbürgischer Liberaler: Dies hat sich aus der eigenen Kraft des Domänentums vollzogen und bezeugt dessen Lebensfähigkeit. Sandor: Daher bezeugt es die Richtigkeit meiner Be­­hauptung. — Im weiteren Verlauf seiner Rede bringt er die «Beichwerden zur Sprache, daß eine konfessionelle Schule »von Schülern anderer Konfessionszugehörigkeit nicht be­­sucht werden kann. Im Rahmen eines geschichtlichen Rück­­blickes bemerkt er, es sei geschichtlich erwiesen, daß STraian, der Kolonisator des­­­omänentums turanischer Abstam­­mung war (Heiterkeit), ebenso seien auch die Daten turani­­scher Herkunft gewesen. Er schließt seine Rede damit, die Regierung solle den Minderheiten gegenüber den Geist des Friedensvertrages zur Durchführung bringen und, den Ge­­boten der heutigen Zeit Rechnung tragend, die Grund­­lage der Zivilisation und der Humanität zur Anwendung erringen, dann werde Ruhe und Zufriedenheit in Sieben­­bürgen herrjchen, über die V­orgeschichte der Verhandlungen von Esucsa. Die Leitung der magharischen Partei habe schon in ihrer vorangegangenen Situng den Dreischluß gefaßt, mit den Parlamentsparteien, mit der Regierung und mit allen politischen Persönlichkeiten, die der Minderheitenfragen Interesse entgegenbringen, in Beziehung zu treten. Der Biwef dieser Berührung sei der, das Verständnis für die Minderheitenfrage und deren einzelne Zweige in der politischen Oeffentlichkeit des Landes zu verbreitern und zu vertiefen. &$ sei vollkommen im Sinne Dieses DBe- Tchluffes gewesen, wenn die Anwesenheit der führenden Persönlichkeiten der DBollspartei dazu bewußt wurde, die im Sinnne des DBeschluffes liegende DBerbindung mit ihnen herzustellen. Das gleiche wäre getan worden, wenn 23 sich nur um General Aberescu und DOctavian Goga, sondern um irgend eine andere Partei gehandelt hätte. Allerdings müsse dabei betont werden, daß man DBer- Handlungen nur mit demjenigen führen künne, der sich gegen solche DBerhandlungen nicht verschließt. Im Laufe der letten Jahre aber Habe ich die Wichtigkeit der Minderheitenfrage für das Staatsleben so­gar erwiesen, Daß Heute der allgemeine Wille bestehe, dieser Frage gerecht zu werden oder sie wenigstens zu kennen. Von einer Vereinbarung über die Aufteilung von Mandaten sei seine Rede gewesen, aber es sei selbstverständlich, daß, wenn magharische Politiker bei Octavian Goga zu Gaste sind, auch über politische Fragen gesprochen werde. Die Kammerrede des Abgeordneten Josef Sander. Die magh­arischen Blätter bringen längere Berichte über die Rede, die der magharische Abgeordnete Josef Sandor in der Kammerjagung vom 26. d. M. zur Frage Siebenbürgisch - Deutsches Tageblatt Averesen und die manyarische Partei. Die Verhandlungen von Esucsa. In der politischen Oeffentlichkeit hat die Nachricht großes Aufsehen Hervorgerufen, daß auf dem Schlosse Octavdian Gogas in Egucsa General Aperescu und Octavdian Bpoga eine Zusammenkunft mit den Führern der magharischen Partei Baron Stefan Ugron, Georg Bernadi, Emil Grandpierre und Arpad Bal batten. Der Veröffentlichung dieser Nachricht folgte als­­bald eine Erklärung Stefan Ugrons, daß er an der Zusammentunft nicht teilgenommen habe. A­ndererseits wußten Klausenburger romänische Blätter zu berichten, es seien bei dieser Zus­ammenkunft fünfreie politische Ver­­­andlungen geführt worden, wobei auch die Anzahl der Mandate, die im Falle der Uebernahme der Regierung­­ Dur) die Aperescupartei der magyarischen Partei zus­gestanden werden sollten und die Bewegung dieser Manz Date dur die P­ersönlichkeiten der magyarischen Bolitis festgelest worden sei. Gegenüber diesen Nachrichten äußert si in der „Keleti Ujjag“ ein führendes Mitglied der magharischen Partei (allem Anscheine nach Arpad Bal) 1. Dezember 1923 Nr. 15154 Die Lage in Deutschland. Abermals verjagten heute die wichtigsten Selephon- Linien und es fehlen abermals wichtige Nachrichten, die zur Beurteilung der Lage unentbehrlich wären. Die Ent­­bicdung der Ranglerfrise scheint Heute nicht vom Jed gekommen zu sein, aber wichtigste Beschlüsse werden troß­­dem gefaßt! Die­­Bereinigung der besetzen Gebiete zu einem organischen Verbande mag verwaltungstechnisch große Vorteile bieten. Die selbständigen Verhandlungen der Ruhrindustrie mögen zur Erhaltung der Ruhrarbei­­terschaft notwendig sein und sie sind auch­ von voll­­kommen bewährten Männern geführt worden. Aber es ist auch sicher, daß Organismen, die einmal zu einem be­­stimmten Zweckk geschaffen wurden, weiterleben wollen, auch wenn der ursprüngliche Zweck erfüllt ist und höhere Interessen anderes verlangen. Eine im Abdanfungszu­­stande befindliche Regierung ist gewiß der ungeeigneteste Vertreter für Verhandlungen und ganz besonders einem zielbewußten Feinde wie Poincaré gegenüber. Die Auf­­lösung der Extremparteien durch General von Seedt geht sichtlich schwer vor sie und niemand kann mitten, ob nicht noch einmal der Ruf gerade an eine von ihnen ergehen wird. Die außenpolitische Lage entwickelt sich weiter freund­­lich. Am bedeutungsvollsten wäre das Eintreten Amerikas in die Weltpolitik; es wäre daher zu wünschen, daß Die Radcicht der oft gut orientierten „Chicago Tribune“­ sich bestätige. Ob Frankreich mit seinem Anbot, England an den am Ende des elften Monates der Ruhrbewegung wieder einmal erwarteten N­uhrgewinnen teilnehmen zu lassen, Erfolg haben wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Steht doch die Entscheidung noch immer bei Lord Surton, der vor drei Monaten die Rechtswidrigkeit der N­uhr­­bewegung urbi at orbi verkündet hat. Die Wahlaus­­sichten Baldwins stehen nicht allzu glänzend, aber weder von Lloyd George noch von der englischen Arbeiter­partei hat Stanfreidh mehr als von Baldwin zu er­­warten, am wenigsten dann, wenn Amerifa dem Borschlage Soolidge nachgeben sollte. Andererseits it es begreiflich, daß Boincare sich für die Wahlschlac­ht, in die auch er eintreten muß — im Januar sind Senatswahlen, im Frühjahr Kammerwahlen —­­greifbare Erfolge braucht; die Bildung des Rheinstaates, auch im V­erbande des Reiches, wäre ein der französischen Wählerschaft verständlicher Er­­­folg und QAubreinnahmen wären es vielleicht noch mehr. Das Drängen Neufßlands, direkte und unkontrollierte Eisenbahnverbindungen d­urch Polen­ nach Deutschland zu bekommen, ist eine Satsache von noch gar nicht abzu­­schäßender Bedeutung. Es wird not­wendig sein, der Ent­­wicklung dieser Frage die größte Aufmerksamkeit zu­­zuwenden. Ein Aufruf Coolidges an den Kongreß? Will Amerika wirklich Europa helfen? Berlin, 29. November. „Chicago Tribune“ zu­­­folge wünscht Amerifa an den Besprechungen der euro­­päischen Fragen wieder teilzunehmen. Präsident Coo­­lidge erließ einen Aufruf an den Kongreß, demzufolge Amerifa bei der Beratung der Wiedergutmachungsfrage wieder teilzunehmen beabsichtigt. Ein neuer passiver Widerstand. England sabotiert die Militärkontrolle. Paris, 29. November. „Matin“ ist der Ansicht, da der englische Vertreter in der militärischen Kontroll­­kommission von seiner Regierung insgeheim den Auftrag­ erhalten hätte, in der Kommission passive Resistenz zu üben. General v. Seeckt und die Flügelparteien. Widerstand der Böskischen. Hamburg, 25. November. („B. 3.) In der Nacht zum Sonntag gelang es der Hamburger Polizei, 60 An­­gehörige des Niedersachsenringes bei einer militärischen Nachtübung im Stadtpark zu überraschen und festzuneh­­men. Im Laufe des Sonntags wurde gemeldet, daß sich ein weiterer Trupp von 200 Angehörigen des Bismarck­­bundes in Langenhorn bei Hamburg versammelt hätte, um s­chon dort zu seinem Mebungsplat hinauszufahren. Die

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