Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1929. August (Jahrgang 56, nr. 16822-16848)

1929-08-01 / nr. 16822

MYUMJ«M2 Meine Herren Abgeordneten! Innerhalb aber der der Grenzen, wie sie durch die allgemeinen Bedingun­­gen für die landwirtschaftlie Produktion gezogen­ sind, hängt die landwirtscchaftliche Erzeu­gung in ersster Linie von dem W­issen und Können und dem Willen der Landwirte ab. Das Wilfen allein führt noch nicht zum Fortschritt, besonders nicht bei der großen Masse der Bauern, bei denen das Beharrungsvermögen außerordentlich stark entwickelt is. Demnach ist es notwendig, daß Der Bauer nicht nur die entsprechende fachliche Ausbildung erfahre, sondern auch die nötige Erziehung. Damit ruf; der Wille zum Fortschritt gemacht werde. Zu dem Unterricht mus­s demnach die Erziehung kom­­men! Wir wollen uns aber, meine Herren, seinen allzu artigen Slusionen hingeben. Wir müssen in Betracht ziehen, daß Die Entwicklung der Landwirtschaft eines Landes nur von einzelnen Marichmen abhängt, son­dern von der allgemein kulturellen Entwicklung des ganzen Volles. Eine moderne Landwirtschaft ist nur möglich unter ent­wickelten kulturellen und wirtschaft­­sgen Verhältnissen. Wir finden deshalb in jenen Län­­dern, wo Die allgemeine Kultur des Volkes am höch­­sten steht, auch Die Landwirtschaft am höchsten ent­­wickelt. (Beifall) Eine Entwicklung it nur langsam möglich, Sprünge sind ausgejäloffen. Der vorliegende Geiesentwurf befaßt si mit dem landwirtscaftligen Unterricht. € 3 sei mir gestattet, in diesem Zus­ammenhange die Ansicht zu vertreten, hat Das Ergebnis des landwirtschaf­tlichen Unterrigtes in erster Linie von dem Rolls­chulunterrigt abhängt Die Rollschule bildet die Grundlage für den Unterricht in den Fahsdud­en. Noch wichtiger ist aber der Umstand, daß der weitaus größte Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung nur den V­ollsihulunterricht genießt. Demnach muß mal der landwirtschaftliche Wanderunterricht auf Die Bollzschule aufgebaut werden. Der Bollschulunterrit muß deshalb möglichst gut sein. Mit einem Bolls­­chulunterricht von vier Klassen allein werden wir nit zu einem Sortischritt in unserer Landwirtschaft gelan­­gen. E35 müssten mindestens sieben Rollschulkleisen gefordert werden. (Eine Stimme: „So ist && au im Bejet vorgesehen.‘‘) Abgeordneter Farid Connert: Ja auf dem Papier. Ferner, meine Herren, ist es notwendig, Daß die Kinder in Der Loffschule nicht Fachgegenstände lernen, Ge­­genstände, Die sie ne­nnt versliehen, sondern Daß sie anständig Schreiben, Lesen und Wohnen lernen. Nur auf­­diese Art werden sie entsprechend für das Reden vorbereitet werden. Die Rollschule kann seine Bachschule sein. Ganz sicher ist das von Heren Xige­­lescu eingeführte Shfiem nit richtig. Es müßte Da­­her venidiert werden. Wir müsfen, meine Herren, Die landwirtschaftliche Ausbildung auf eine mindestens siebenjährige schulmäßige Vorbildung aufbauen. Meine Herren Abgeordneten! Wir mu­sfen weiter dor Augen Halten, daß der größte Teil Der späteren Bauern seine landwirtschaftliche F­achschule besuchen kann und es muß Demnach eine andere Möglichkeit, die Mafffen fachlich, zu unterrichten, gesucht werden. Diese Möglichkeit besteht in der Errichtung der Bortbildungssgule, im Anschlusse an die Bolle- Schule. In Preußen, wo , wie Ihnen bekannt is, das Bolischulmesen auf einer hervorragenden Stufe steht, ist im Jahre 1923 das Gejeg über den obligato­­rischen Berufsunterricht in Kraft getreten. Heute exi­­stieren in Breugen über 13.000 landwirtschaftlige Fort­­bildungsschulen mit über 273.000 Schülern. Abgeordneter &. ©. Popescu: Auch wir Haben den obligatorischen Fortbildungsunterricht. Abgeordneter Frig Connert: Sie Haben nich nicht berstanden. Wir haben vier Rolfsschulklaffen und im Anschluffe daran drei Klaffen Ergänzungsunterricht, der aber in den meisten Gegenden, wie ich informiert worden bin, nicht em­itiert und auch dort, wo er ein­ Be wird nichts gelernt, denn der Lehrplan für Die­ Ergänzungsunterricht it vollständig verfehlt. (Schuß folgt.) urn De SEITEN SCOTT Sugedrurt Vorsteräten T. Witm­it 1929 die kommunstischen Vorbereitungen für den 1. Wugufk Die Gegenmaßhnahmen Bukarest, 31. Juli. „Viitorul” nimmt von der Erklärung des Regierungsblattes „Dreptaten“, daß nie­­mandem Agitationen gestattet sein werden, Kenntnis und eriwartet von der Regierung Maßnahmen, Die verhindern sollen, daß am 1. August Ereignisse, wie in Temescwar und Petrojani sich wiederholen. Es gelte dies insbesonders für Bessarabien. Kowno, 31. Juli. Im Petersburg sind die heuten Kommunisten Beermann und Neumann einge­­troffen. In einer Arbeiterversammlung, die von der Arbeiterhheft zahlreich besucht war, sprachen sie über die kommunistische Bewegung in Deutsch­­land, weile trot heftiger Bekämpfung durch die sei­­tens Der Sozialdemokraten gedungene Polizei Fort­­schritte mache. Der Widerstand, den die Kommun­isten in Deutschland den Polizeibehörden entgegenstellen, be­­weise, daßs die Kommunistenbewegung die Maßnahmen der Polizei zu hemmen imstande sei. Der 1. August werde in Deutschland wie der 1. Mai verlaufen. Die Arbeiter und tatsächlichen­ Proletarier Deutschlands würden trot des Verbotes der Polizei auf die Straße gehen, um für ihr Neht zu demonstrieren. Baris, 31. Juli. Für den ersten August sind in Baris alle Maßnahmen getroffen worden, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Von Mittwoch­abend ar werden die Polizei und Angehörige der republikani­­schen Garde die Hauptpunkte der französischen Haupt­­stadt, in erster Linie die Bahnhöfe, belegen. Diese werden in Marmfällen dur eh­ Kavallerieregiment aus dem Osten des Landes und Abteilungen der republi­­kanischen Garde aus der Provinz verstärkt werden. Um die Wiederaufnahme der englisch­­russischen Beziehungen Qruffische Forderungen Kowno, 31. Juli. Wie aus Moskau gemeldet wird, verlautet in rufsischen Streifen, daß der ruffis­che Botschafter in Paris Hinsichtlich der ruffisch-­­englischen B Verhandlungen in %orden stren­­gen Auftrag erhalten hat, irgendwelchen englischen Forderungen sofort ruffiige Ansprüche gegenüberzu­­stellen. Die russische Regierung besteht auf Einstel­­lung der gegen die sowjetruffiige Union gerichteten Bestrebungen, die darauf hinausgehen, Rußland ein­­zusteilen. Die englische Politik im nahen Osten und den Baltischen Ländern, dann aber auch in China sei ausgesprochen sowjetfeindlich. Die Gemiet­­regierung könne nur eine bedingungslose An­erkennung seitens der englischen Regierung anneh­­men und die Verhandlungen weiterführen. In Briti­­schen Seiten wird betont, daß die Entsendung des uffiigen Botsdeasters nach London sein Nachgeben der Sowjetregierung gegenüber den englischen Forde­rungen bedeutet. Boincares Glük und Ende Vom Berfaffer der Schweizer Briefe. Bien, 27. Juli. (8. ©.) Gestern­abend wurde in Paris offiziell verlautbart, Boincare habe seine Enthebung vom Bosten des französischen Ministerpräsidenten auf Die Dauer von Drei bis vier Monaten verlangt. V­orgestern > man von Darmbvergiftung, gestern von Urämtie, immt man dazu, daß Der im Jahre 1860 geborene Raymond Boincare also im 70. Lebensjahre steht und has er stets mehr zäh als stark war, fan man an eine körperliche Erschöpfung umso mehr glauben, als Boincare seit Drei Jahren ununterbrochen an der Eplge der französischen Negierung steht und in den legten Monaten unerhörtes an politischer Arbeit ge­leistet hat. Aber zur fürperlicher Erschöpfung tritt die seelische, trifft das Bewußtsein des Nichtver­­tandenwerdens und damit das Bewußtsein der igenen Unzulänglichkeit, verbunden mit oder red­­­iger verursacht von der Unzulänglicheit der franzo­­ichen Nation für die von ihrem noch immer aner­­kanntesten Führer vertretenen Speare. Bas wollte Boincare? Er selbst bezeichnet #8 Den größten in seinem Leben empfundenen Ein­­wud das Gefühl, das er als zehnjähriger Knabe in eeiner lothringischen Heimat eıbfand, als Frankreich 1870 vor Deutsc­hland unterlag und Elsaß-Lothringen (ohne die engere Heimat Poincarés in Lothringen selbst) verlor. Die Wiedereroberung des V­erlorenen ward so sein Lebensziel und als Grundbedingung für den dauernden Rest Der beiden Provinzen erfahnte er die endgültige Zerstörung und Zerreißung Deutschlands,. „Kaltes Herz, Fühler Kopf und harte Hand” waren die Elemente, die ihn vorwärts trieben. Er war stets ein offener, ehrlicher Feind; niemals ichillerte er pazifistisch wie Briand, nie Deutschfreund­­ih wie Caillang, nie international wie Boncour. Er war nie ein rehmerischer Blender wie Herriot, nie ein Gewaltmensch wie Elemenceau. Er war vor allem und überall Adpofat, was ja au­f ein privater Lebens­beruf war; als Adpok­at legte er das Recht aus zugunsten seiner Bartei, bog es aber nie mehr als sonst gebräuchlich und brach es nit. Im Ge­genzug zu seinen Landsleuten änderte er seine Bartei­­einstellung nitdt; er blieb nationalistischer, laizistischer Republitaner strengbürgerlicher Richtung, Anhänger der Revolutionen von 1789, 1880, 1848, 1870, Feind der bourbonischen, orleanistischen und bonapartischen Res­­taurationen von 1815, 1830, 1852, Feind aber auch der Anarchie von 1793 und der Kommune von 1871. Er war auch Feind des berüchtigten Systems von Guizot, das in den Worten fulminiert: „Bereichert Eu!” und das nach dem Weltkriege von Klo besonders draftisch vertreten ward. Stets waren seine Hände rein. Er wurde in seinem Lande, nie geliebt, umso mehr aber geachtet. Selbst die in Frankreich­ so mächtige Kronique scandaleuse wußte von ihm nichts Üühleres zu sagen als daß seine heutige Gattin einst in der Jugend seinen guten Ruf genos, daß er seiner Schwager in Dessen Stellung als Chef der Geheimpolizei in der Affaire Der Ermordung des kleinen Daudet ungebührlich hielt, und ähnliches mehr. So stellt er den idealen Typus­ des Franzosen dar, wie er von seinem seiner Reitge­­nossen auch nur halbwegs erreicht wurde. Daher fügte sich das so gerne revoltierende Frankreich bewußt und bereitwillig an seiner fak­ischen Diktatur Der große Erfolg blieb Boincare schließlich d­och derjagt. Strahlend ging sein Meteor auf. Mit 33 Jahren war er Unterrichtsminister und blieb e8 zwei Jahre. 1894 und 1906 war er Finanze­minister, von 1911 bis 1913 Deinisterpräsident. Dem Kriege gegen Deutschland galt sein Höchstes Stre­ben; er lieh Milliarden nach Rußland und forderte Die Bestechung der französischen Presse durch die Agen­­ten des Zarismus. Stets war er bestrebt, die gegen Defterrei-I Ungarn gerichtete Kriegsluft des Zarismus auch gegen Deutschland zu wehren; er half eifrigst an der Gewinnung von England und Italien, dann des Bal­­kans, für das gleiche Ziel. Ms er 1913 Staatspräsi­­dent wurde, was er bis 1%0 blieb, ward der Welt­krieg in der Form, in der er stattfand, entschieden. Den schwachen Ministerpräsidenten Viiviani mußte er 1914 mitzureißen. In die französische Sache 1917 ehr schlecht stand und eine härtere Hand als selbst die ewige Boincares nötig schien, zauderte Poincare nicht, seinen persönlichen Feind Elemenceau zum Mini­­sterpräsidenten und Kriegsminister zu machen. So be­endete Elemenceau den Krieg und flog den Frieden, oder das, was man fest Frieden nennt. Von 1922 bis 1924 war Poincare abermals Ministerpräsident und Außenminister. Das Lintskartell stürzte ihn, der 1993 auf Befehl des Staatspräsidenten Millerand den Ruhreinbruch begangen. Den Miterfolg dieses internationalen Verbrechens erkannte an Boincare; er selbst stimmte kurz vor seinem Sturz dem Dawes­­plane zu, der Sranfrei die Wahrung des Gesichtes bei der N­uhrräumung ermöglichte. Als das Links­­tartell die französishen Finanzen ruiniert hatte, rief es selbst Boincare im Juli 1926 zur Yacht als Minister­­präsidenten u. FSinanzminister. Die Wahlniederlage des Linksstartells 1928 veranlagte Poincare, sich auf Die Nehte zu flngen, mit der er jedoch innerpolitisch als konstitu­tioneller Republikaner und gemäßigter Anti­klerntaler nicht harmonierte. Schwer fand er si mit dieser Konzession an die eigen­e Heberzeugung ab, er noc M weitere Konzessionen mußte Poincare machen, um das ermattende französische Vort bei den Hauptlinien seiner Politik festhalten zu können. Krampfhaft hielt er subjektiv an der objektiv unhalt­­baren Fiktion vom „angegriffenen und siegreichen” Frankreich fest. Ihm schien es an der Unschuld Fran­reichs und am Siege zu sündigen, wenn er den Frans­­en nicht wiederherstellte und wenn er zugab, daß Stanfreid Schulden für den Krieg gemacht und zu zahlen habe. Mit allen Mitteln widerlegte er sich Daher der Stabilisierung des Franken, den er re­valorisieren wollte Mit allen Mitteln bekämpfte er die Anerkennung der franzöisischen Schul­­den bei England und Amerika. Mit allen Mitteln hielt er an der Fiktion eines franzoissigen und (non Sranfrei) zu befreienden, beziehungs­weis­e befreiten Elsaß fest. Auf allen drei Fronten unter­­lag er und angesichts der Ermüdung Franfreisis einerseits, der geänderten Einstellung der ge­wesenen Bundesgenossen andererseits mußte er schließlich, um den totalen materiellen Zusammenbruch und die völlige­ politische Isch­erung des Landes zu ver­­meiden, seinen ganzen Einfluß für die Stabilisierung des Franken auf 20 Gentimes sowie für die Anerk­­ennung der Schldenabkommen einlegen. Mitten in Diese für ihn so sämerzlichen Notwendigkeiten fiel die Erkenntnis von dem jaltisch so gar nn­ franzö­­sischen Elsaß, was den jäwersten Zusammenbruch seines Lebensnwertes bildet, bbzwar er noch vor wenigen Monaten in zehnstündiger Rede seine Fiktion ver­­teidigte.­­Bild hart an Die Durchfegung der Schulderabkom­­men hielt Poincaré selbst stand. Stundenlang fand er od. vor wenigen Tagen auf der Rednerbühne. Als die Annahme sicher war, erlag die zähe Natur, und Briand erzielte schließlich die Mehrheit von at Stimmen in der Kammer, in die auch wo die Ministens eingerechnet sind. Diesen problematischen Sieg seiner Politif, der fast ein Sieg seiner Heberzeu­­gung bei Niederlage seiner Politif geiwesen wäre, sah Boincare bereits im Krankenbett. Sehr aber stehen die größten Aufgaben vor dem Brief der französischen Politik. Nicht die Annahme des Youngplanes macht Proincare Sorgen; er iweih, das unter den heutigen Verhältnissen der Youngplanı die materiell beste Lösung der französischen finanziellen Probleme darstellt, wobei ihn freili­che moralische Einbuße wie bei der Stabilisation tiefst schmerzt. Aber Hinter dem Youngplan naht die sogenannte „Liquidation des Krieges“. Keine wirkliche Liqui­­dation, denn von deutscher Gleich­bereu­gung ist noch nirgends die Rede. Aber es wird von der Räumung des Rheingebietes gesprochen werden müssen! Hiezu zwingt Scanfresh der Stimmungswechsel in England, das nicht nur die baldigste Räumung, sondern auch noch finanzielle Berbefferungen am Youngplan, jedoch ausdrücklich — siche Snomdens ge­­strige Unterhauserklärung — nur auf K­äften von Deutschland verlangt. Von Amerika und­­ Italien ist Frankreich längst verlassen worden. Rußland ist seit 1917 ver­­loren geblieben. Japan ist unflar inte immer. Nun trennt sich England definitiv von Frankreich und Mac­Donald-Henderson gegen bloß fort, was bereits der konservative Burzon begann und wofür der Liberale Lloyd George eintritt. Unter diesen Verhältnissen ist es selbst für einen Fanatiker wie Poincare far, aß die Zeit für Deutschland arbeitet und daß Deutsch­­land .mir Geduld an haben brauch, um schlicklich

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