ACTA LINGUISTICA TOM. 15 (A MTA NYELVTUDOMÁNYI KÖZLEMÉNYEI, 1965)

1965 / 1-2. sz. - SCHIRMUNSKI, V.: Über die altgermanischen Stammesdialekte

2 V. SCHIRMUNSKI einzelnen altgermanischen Dialekten, aber ..aus praktischen Gründen" hält er sicli ebenfalls an das traditionelle Schema.4 Nach diesem Schema wurde das Germanische in die drei Hauptgruppen des Ost-, Nord- und Westgermanischen zergliedert. Zum ersten gehören Gotisch, Wandalisch, Burgundisch; zum zweiten hingegen die Untergruppen des Ostnordischen (Schwedisch, Dänisch) und des Westnordischen (Norwegisch, Isländisch). Hierbei bleibt aber unerwähnt, daß diese ..Zweige" im Hinblick auf ihre Geschichte keineswegs gleichberechtigt sind, da das Isländische ledig­lich eine Kolonialmundart des Norwegischen darstellt, die Dänen aber in älterer Zeit auf dem Gebiete Schwedens beheimatet waren. Ähnlicherweise wird die westgermanische Gruppe in verschiedene Untergruppen eingeteilt, und zwar in Anglofriesisch (Angelsächsisch, später Englisch und Friesisch) und Deutsch, dieses wiederum in Niederdeutsch und Hochdeutsch. Vom Niederdeutschen spalten sich Niederfränkisch (die Vorstufe des Niederlän­dischen) und Niedersächsisch (auf seiner ältesten Stufe: Altsächsisch) ab. Auch das Hochdeutsche zerfällt in zwei Untergruppen : die erste bildet das Mitteldeutsche, das in Westmitteldeutsch (mit seinen Dialekten: Mittel­fränkisch, Rheinfränkisch und Ostfränkisch) und Ostmitteldeutsch (mit den Dialekten: Thüringisch, Obersächsisch, Schlesisch) gegliedert wird, obgleich zu bemerken ist, daß die beiden letzten spät — im 12. —13. Jahrhundert entstandene Kolonialdialekte sind. Die zweite Untergruppe des Hochdeutschen ist das Oberdeutsche mit Bairisch und Alemannisch als Dialekten. Diese, nach dem ,,Stammbaum"-Prinzip aufgebaute Klassifikation schil­dert die verwickelte sprachliche Entwicklung von den altgermanischen Schrift­dialekten zu den modernen Nationalsprachen nach dem mechanischen Grund­satz der aufeinanderfolgenden Differenzierung auf verschiedene ,,Zweige" und „Äste", und sie stellt somit ein abstraktes Schema dar, das weder den Tatsachen der Geschichte noch den Erkenntnissen der modernen Sprach­wissenschaft gerecht wird. Der historische Verlauf dieses Prozesses, wie ihn sich der marxistische Historiker heute vorstellen kann, scheint keineswegs so einfach und grad­linig gewesen zu sein. Im Gegenteil, der Weg, der von den Stammessprachen zu den Sprachen der einzelnen Völkerschaften, bzw. von diesen zu den National­sprachen führen konnte, muß äußerst verwickelt und reich an Krümmungen gewesen sein. Es ist bekannt, daß die Germanen zu Beginn unserer Zeit­rechnung in dem ziemlich begrenzten Bereich ihres Siedlungsraumes eine noch eng verbundene Gruppe nah verwandter Stämme bildeten, welche die ebenfalls eng verwandten Dialekte ein und derselben Sprache sprachen, so daß der gegenseitigen Verständigung unter den Sprechern dieser Dialekte 4 H. Krähe: Germanische Sprachwissenschaft. Bd. 1. Berlin 1956 (Sammlung Göschen), S. 25—26. Acta Linguistica lïung. XV. 1965

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