Bukarester Gemeindeblatt, 1923 (Jahrgang 15, nr. 1-52)

1923-06-10 / nr. 23

128 und ihre Zustimmung zu dem betreffenden Antrag des Herrn Baron Bedeus gegeben, der bei dieser Gelegenheit gemeinsam mit Herrn Senator Draghici auch bei dem Metropoliten Miron Cristea und beim rumänischen Kul­tusministerium mehrfach interveniert hatte. Wie wir nunmehr erfahren, hat die Konferenz der orthodoxen Kirche in Konstantinopol am 23. d. Ms. beschlossen, das ökumeniche Patriarchat zu ersuchen, beim Völkerbund die Einberufung eines Weltkongresses zu beantragen, welcher die Frage des Reformkalenders regeln soll. Es handelt sich dabei u. a. darum, die Wochentage auf die einzelnen Kalendertage festzulegen, so dass jedes Jahr mit Montag beginnt. Bis zur Einführung dieses neuen Kalenders beschloss die Konferenz den gregorianischen Kalender insoweit anzunehmen, dass auch in den orthodoxen Kirchen der neue Stil eingeführt werde. Nur hinsichtlich der Be­rechnung des Osterdatums hat die Konferenz gewisse Ausnahmebestimmungen getroffen, die aus dogmatischen Gründen notwendig erscheinen. Angeblich soll diese Neuerung bereits am 14. Oktober 1. .Ts. in Kraft treten. Dieser Beschluss müsste, falls er wirklich ge as st worden sein sollte, auf das wärmste begiüsst werden. Dann es ist sicher vongösstem moralischen und religiösem Werte, wenn die christlichen Hauptkirchen hinfort ihre Feiertage gemeinsam feiern. Auch die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, die sich durch die Ver­schiedenheit der Feiertage in konfessionell gemischten Gemeinden immer wieder ergaben, wären hierdurch in der- Hauptsache aus der Welt geschafft. Für unsere Gemeinde insbesondere würde auf diese V oise das lang­jährige und oft peinlich empfundene Problem, ob wir «alten» oder «neuen» Stils unsere Feiertage begehen sollen, damit seine Erledigung finden. R. H. Aus dem Dekanat Bukarest. Der neue Reiseprediger für die Evangelischen Ge­meinden Altrumäniens, Herr Walter Hächler aus Aarau (Schweiz), ist am 20. Mai 1923 in Bukarest eingetroffen und hat am 24. Mai 1923 seinen Dienst in Buzeu an­getreten. In den Tagen vom 29. u. 30. Mai 1- Js. wurde er von dem geistlichen Vorsitzenden des Dekanates Bukarest den Evangelischen Gemeinden in Piatra-Neamţ, Buhuşi und Bacău vorgestellt. Seine offizielle Amtsein­führung wird an einem noch festzustellenden Termin in Buzeu stattfinden. Wir freuen uns herzlich, nach so langen Bemühungen dank dem Entgegenkommen des Schweizerischen Kir­chenbundes für dieses so wichtige Amt einen tüchtigen Vertreter gefunden zu haben. Wir wünschen Herrn Pfarrer Hächler für seine Tätigkeit Gottes reichen Segen. Man könnt’ erzogene Kinder gebären, wenn die Eltern erzogen wären. Goethe. No. 33 Bukarester Gemeindeblatt Erinnerungen einer deutschen Frau aus Piteşti. Es war im Jahre 1858, als ich von Siebenbürgen nach Rumänien reiste, um meinen Bruder zu besuchen, der bereits 2 Jahre dort weilte. Es war mein Geschick, für immer dort zu bleiben. Etwa 30 deutsche Familien waren anwesend, Evangelische, Reformierte und Katho­liken. Anfangs hielten alle 3 Konfessionen zusammen ihre Gottesdienste ab. Aber bald darauf teilten sich die Katholiken von unş und hielten sich selbst einen Lehrer und eine Betstube. Die Evangelischen und Reformierten hielten noch zusammen. Für Gottesdienste stand uns eine kleine Hütte zur Verfügung, die mit Stroh gedeckt war und ganz kleine Fensterchen hatte. Ein verstorbener Schneider hatte sie zu diesem Zweck hinterlassen. M ein Bruder führte mich dahin zum Gottesdienst. Im Inneren befand sich ein Tisch, worauf eine alte Bibel lag. Etliche religiöse Bilder hingen an der Wand und etliche Bänke standen umher. Auf einer Seite war ein kleiner Strick angebracht, auf dem die_ Lehrerin ihre Kindswäsche trocknete. Im Winter war sie auch während des Got­tesdienstes dort aufgehängt. Der Lehrer trat vor, aber nicht im geistlichen Kleid. Er war ein Kronstädter, namens Jekel. Er predigte und verrichtete ein Gebet. Dann stimmten die anwesenden Männer das schöne Kirchenlied an: «Mein Glaub’ ist meines Lebens Ruh’, er führt mich meinem Himmel zu . . . ». In der Mitte des Verses wechselt die Melodie, sie sangen aber gerade fort und kamen nicht aus und mussten aufhören. Nächsten Sonntag wurde ein Kind getauft von einem Zimmermann. Der Lehrer verlas die Taufformel, nannte aber dabei keinen Namen. Der Knabe sollte Gustav Adolf heissen. Zum ersten Male war ein Opferbecken aufgestellt. Das Scherflein sollte für den Gustav Adolf- Verein sein. Während der Taufe zupfte der Pate etliche Male den Lehrer am Rock, indem er ihm ganz leise zuflüsterte «Gustav Adolf». Ich ärgerte mich im stillen und dachte mir, was hat denn dieser mit dem Mann. Die Taufe war vollendet, man ging hinaus. Draussen sagte der Pate: «Gut, das Kind ist getauft, aber Namen hat es keinen erhalten». Da empörte sich der Vater des Kindes und rief: «Wie kann das sein? Ein jedes Kind hat einen Namen, und mein Kind soll keinen haben?» Darauf gingen sie alle noch einmal zurück und tauften es noch einmal ganz feierlich ^Gustav Adolf». Der Lehrer ging bald darauf fort, denn er konnte mit seinem ge­ringen Gehalt nicht auskoinmen. Da fing eine traurige Zeit an. Selbst die Katholiken hielten keinen Lehrer mehr. Und so blieben alle deutschen Kinder ohne Schule. Etliche, die begüterter waren, schickten ihre Kinder, zu einem israelitischen Lehrer, namens Ehrcnwald, damit sie lesen und schreiben lernten, denn damals war die rumänische Schule noch sehr weit zurück; es ging sehr wild zu. Rührend war es, wenn man einen unserer Toten beerdigte. Keine Glocke läutete, keine Witwe, keine Waise fand Trost am Grabe des Angehörigen an einer ergreifenden Leichenrede. Selten traf es sich, dass einer von den Versammelten vortrat, ein Vaterunser betete. Sie wurden eingescharrt gleich einem Tier. Nun nahm sich ein deut­scher Bäcker namens Helmuth der Toten an. Er führte sie hinaus auf den Berg hinter der Stadt. Dort war ein

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