Bukarester Gemeindeblatt, 1923 (Jahrgang 15, nr. 1-52)

1923-01-28 / nr. 4

Jahrgang XV. Sonntag, den 28. Januar 1923. Bukarester Gemeindeblatt. SchriftleitungR. Honigberger. Geschäftsstelle: Gemeindelianzlei, Str. Lutherana 10. No. 4, Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen. (Fortsetzung.) II. Aus welchen Teilen Deutschlands wohl die Sie­benbürger Sachsen eingewandert sein mögen? Urkunden, die uns über diese Frage genaue Auskunft geben könnten, sind nicht vorhanden. So ist es erklärlich, dass seit jeher mancherlei willkürliche Kombinationen über dies Thema an­gestellt wurden. Bekannt ist die Sage vom Rattenfänger von Hameln. Einen brauchbaren Fingerzeig bezüglich der Urheimat der Sachsen enthält sie aber nicht. Dass jene Kinder, die dem Rattenfänger folgend angeblich in einer Bergöffnung verschwunden waren und nach monatelangem Wandern in Sie­benbürgen aufgetaucht seien, die Vorfahren der Deutschen in Siebenbürgen sein sollten, ist von vornherein ins Gebiet des Märchens zu verweisen- Wohl hat man im Mittelalter unschuldige Kind­lein das heilige Land erobern lassen wollen, aber man weiss ja, mit welch kläglichem Erfolg. Kinder hätten die Kolonisierung Siebenbürgens gewiss nicht durchführen können. Zu dieser Arbeit be­durfte es ganzer Männer. Dafür hat man auch in Deutschland eine Empfindung, was schon aus der schlesischen Redensart hervorgeht, die man ungeschickten Menschen gegenüber anzuwenden pflegt: «Du würdest dich in Siebenbürgen nicht zurechtfincten». Die älteren sächsischen Schriftsteller (aber auch Melanchthon) vertraten die Meinung, dass die Sachsen die Ueberbleibsel der alten gotischen Einwohner Siebenbürgens seien, die sich dann später niit den neu hinzugezogenen deutschen Pflanzvölkern vermischt hätten, so z. B. Czirner, Frank von Frankenstein, Haner, Kelp, Mássá, Top­péit u. a. Diese Pflanzvölker sollten entweder unter Karl dem Grossen, nach andern unter Herzog Geisa, dem Vater Stephans des -Heiligen, ins Land gezogen sein; nach den dritten sollten sie die Nachkommen der deutschen Hilfsvölker sein, die Stephan der Heilige im Kampfe gegen den heidnischen Herzog Gyula herangezogen. Da jedoch Siebenbürgen nachweislich erst später zu einem bleibenden Besitztum der unga­rischen Krone geworden ist, so wird es wohl bei der Angabe des Andreanischen Freibriefes sein Bewenden haben, wonach die Sachsen — wie be­reits erwähnt wurde — unter König Geisa dem Zweiten ins Land gerufen wurden. In zwei alten Urkunden werden die Sachsen «Flandrer» genannt. Demnach müssten sie aus der Gegend südwestlich von der Rheinmündung stammen, aus jenen heute noch vorzugsweise von Vlamen bewohnten Gebieten, die teils zu Holland, teils zu Belgien gehören. Lange Zeit hindurch galt tatsächlich dies Gebiet als die Urheimat der Sachsen, und manches schien für die Richtigkeit dieser Annahme zu sprechen. Haben doch von liier aus gerade im zwölften und dreizehnten Jahrhundert zahlreiche Auswanderungen nach Holstein, Mecklenburg und Brandenburg stattge­funden, ja bis hin nach den Ostseeprovinzen. Eben dieser Umstand mochte jenen päpstlichen Legaten Gregorius, der die in Rede stehenden Urkunden - v,erfasst hat, dazu verleitet haben, die gleichfalls vom Rhein stammenden Sachsen «Flandrer»! zu nennen. Uebrigens wurde noch in späteren Jahren das alte vlämische Auswandererlied gesungen: Ins O-stland wollen wir ziehen, hingehen ins östliche Land, eil über die grüne Heide, da ist ein besserer Ştand. . Als wir ins Ostland kamen,' all unter das hohä Haus, da wurden wir eingeladen, friseh über die Heide, sie hiessen uns willkommen sein. Zu beachten ist auch jene alte siebenbürgisclie Sage, wonach die Sachsen ursprünglich am Meere wohnten, wo vier Flüsse einmünden, die aber alle aus einem kommen. Sie würde auch auf die Rhein­mündung als Urheimat der Sachsen hinweisen. Auffallend ist ferner, dass' das alte Siegel des Hermannstädter Gaues, das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt, drei Seeblumenblätter führt. Endlich darf hier eine Redensart erwähnt werden, die ich gelegentlich in Kronstadt gehört habe, wonach Menschen, die sich sehr verdutzt zeigen, gesagt wird: «Du machst ein Gesicht, als wärest du gestern aus Holland gekommen». Doch ist diese Redensart vielleicht erst später entstanden und hat ihren Ursprung eben erst der Theorie von der holländischen Abstammung der Sachsen zu verdanken. Der offizielle Namen der Einwanderer lautet jedoch nicht «Flandrer», sondern «Teutonici» und «Saxones». Auch diese Benennungen besagen allerdings nichts über die Herkunft, da sie allge­meine Kolonistennamen in Ungarn waren. Genauere Auskünfte über die Urheimat der Sachsen geben uns jedoch die Dialektforschungen.

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