Bukarester Gemeindeblatt, 1928 (Jahrgang 20, nr. 1-53)

1928-10-14 / nr. 42

232 BUKARESTER GEMEINDEBLATT Nr. 42 sie uns gelehrt haben, mit Hilfe des Mikroskops und des Fernrohrs das unendliche kleinste Leben zu erschauein und den Blick in ungeahnte Fernen zu richten, hat sie auch unsere Ehrfurcht erhöht vor dem Gott, dessen unbegreiflich hohe Werke herr­lich sind wie am ersten Tag. Ja selbst die huma­nitäre Betätigung und die Arbeit der inneni und läusseren Mission hat durch sie reichsten Segen empfangen. Mit Recht konnte man sagen, dass; der Erfinder der Dampfmaschine für die Ausarbeitung des Christentums mehr getan, als Jahrhunderte vor ihm. Aber freilich, vor einem Irrtum müssen wir uns doch hüten. Die Wissenschaft allein vermag doch1 nicht alle Rätsel zu lösen. UnSere Sinne sind trotz aller HilfsWerkzeuge beschränkt, der Verstand um­fasst trotz aller Schulung nur einen Teil des Da­seins. Mit dem Rechnen, Wägen und Messen allein ist’s nicht getan. Jener Arzt, der erklärte: „30 Jahre seziere idh schon, und doch habe ich noch nie die Seele gefunden”, und jener Astronom, der Gott mit dem Fernrohr in allen Himmelsweiten ge­sucht und weil er ihn auf diese Weise nicht ge­funden. nun nicht an ihn glauben wollte, sie be­fanden sich in schwerem Irrtum. Es gibt eben noch vieles zwischen Himmel und Erde, an das unsere Menschenwieisheit nicht heranzureichen vermag. Unser Wissen ist Stückwerk. Wir wissen vieles nicht, und werden’s nicht wissen. Die Wissenschaft wird nie fertig. Ein letztes Geheimnis bleibt im­mer bestehen. — Nicht um die Freude am Forschen zu stören, ist dies gesagt, sondern vielmehr um auf eine Gefahr hinzuweisen und sie zu beseitigen. Gewiss, auch den Naturforschern gilt der Zuruf: „LasS'et Euer Licht leuchten.” Aber es muss, doch auch ge­sagt werden, dass die sogenannte exakte Erkennt­nis nicht das einzige Licht ist, das Gott uns gege­ben. Wäre dem anders, so wären wir gar bald am Ende unserer Weisheit angelangt. Nun aber gab er uns auch andere Erkenntnisquellen, vor al­lem die Himmelskraft der Phantasie. Sie ist es, die über das Nächstliegende bildend, gestaltend hinausgreift, dadurch in die Einzelerkenntnisse Ordnung und Zusammenhang bringt und aus dem Bekannten auf das Unbekannte schlies'sen lässt. Und vielleicht hat jener Gelehrte Recht, der über­haupt der Phantasie, dieser innern Inspiration, wie man' sie auch nennen könnte, die grössten Erkennt­­inlisfortschritte zuschreibt. Wie viele Fragen blie­ben ohne sie überhaupt unbeantwortet, wie viele Rätsel ohne jede Aussicht, je gelöst zu werden. — Das Rätsel aller Rätsiel aber ist Gott. Welch .wunderbare Gabe, dass wir ihn, über den alle Wissenschaft schweigen muss, in Herz und Ge­wissen erfahren und erleben dürfen. Wie verkehrt ‘wäre es, dies Licht unter den Scheffel zu stellen, es nicht leuchten zu lassen. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Wollen wir wirklich Sinn und Ordnung bringen in dies Dasein, wollen wir lösen das Rätsel des eigenen Lebens mit all seinen wunderbaren und wunderlichen Führungen, wir werden es nicht vermögen ohne den Glauben an Gott. Erst durch ihn gewinnt unsere Lebensan­­schauung ihren befriedigenden Abschluss, erst durch ihn auch unser sittliches Leben seinen rechten, si­chern Halt. Niemand verachte darum das Licht des Glaubens. Der Fromme, der Gläubige Schaut tiefer in die Welt, als der Ungläubige. Und er allein wird auch die rechte Stellung zur Welt und zur Menschheit gewinnen. Denn erst im Lichte des Göttlichen gewinnt das Irdische den richtigen Masstab, erscheint klein das Kleine und gross das* Grosse. Was1 uns so oft erbittert, unmutig macht, uns alle Freude raubt, es wird uns1 innerlich nicht mehr berühren. Friede, Geduld, Liebe wird in uns herrschend; wir lernen rechte Lebensweisheit. — In alledem aber machen wir nur eine eigentüm­liche Erfahrung, eine Erfahrung7 die Jesus in die Worte zusammenfasst: „Wer da hat, dem wird ge­geben werden, und wer nicht hat ,von dem wird man nehmen, auch das er hat”. Ein Wort, das zunächst befremdend wirkt und zudem mit dem vorher gesagten in gar keinem Zusammenhänge zu stehen scheint. Und doch hat es tiefen Sinn. Wir wissen es ja aus der alltäglichen Praxis, dass es eine unleugbare Wahrheit enthält. Schon im ge­schäftlichen Leben bestätigt es sich. Wer ein Ka­pital hat, der bekommt Zinsen; es ist, als ob alle Welt besonders für ihn arbeite, von überallher fliesst ihm neuer Gewinn zu. So aber ist’s auch im Erkennen. Tiefere Weisheit kann nur der er­fassen, der selbst schon einige Kenntnisse besitzt, und auch im religiös-sittlichen Leben wird nur der vVirklich vorwärts kommein, der irgend einmal einen Anfang darin gemacht hat. Darum üben wir uns in allem Guten, jeder strebe, reicher zu werden an Friede, Geduld, Gehorsam und Liebe, und wir wer­den es an uns selbst erfahren: Wer da hat, dem wird gegeben werden, der wird Liebe, Freundlich­keit, Geduld, Verzeihung finden, ein voll gerüttelt und geschüttelt Mass'; wer aber davon nichts hat, der wird auch nichts empfangen, ja es wird von ihm genommen, das er hat, er wird schliesslich1 in Erbitterung und Lebensüberdruss1 verfallen. — Sor­gen wir darum, dass wir reich werden an innerm Besitz; dann werden wir auch jene herrlichste Er­fahrung machen, dass das Samenkorn, das wir aus­streuen, nun auch ohne unser Zutun aufgehen und weiter fortwirken wird. Denn eine ewige Gesetz­mässigkeit beherrscht diese Welt; wie aus dem Samen das Gras, dann die Aehre, dann der köstli­che Weizen erwächst, so wohnt auch dem Guten, Wahren und Schönen eine ewige Lebenskraft inne. Und dies ist’s eben, was aller unserer Arbeit, der alltäglichen ebenso wie der geistigen und der sitt­lich-religiösen, die rechte Freudigkeit gibt. Das Gute kann nicht sterben. Der edle Same, der ins Herz gepflanzt wurde, er wirkt fort und bringt im­mer herrlichere Frucht, etlicher 30, etlicher 60,

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