Bukarester Gemeindeblatt, 1932 (Jahrgang 24, nr. 1-52)

1932-01-03 / nr. 1

Jahrgang XXIV. Sonntag, den 3. 3anuar 1932 Buharester Gemeindeblatt Schriftleitung: R. Honigberger jj Geschäftsstelle: Gemeindekanziei, Str. Lutherana 12 Do. 1 Zum Dahreswechsel. Die letzte Stunde des Jahres stellt den besinn­lichen Menschen alle Male in gewissem Sinne auf eine Bergeshöhe, ihn zur Rückschau und Ausschau einladend. Und es ist gut, wenn wir dieser Einla­dung Folge leisten, denn vieles, vieles zeigt sich uns nun mit einem Male in völlig anderm Lichte, als wir es inmitten des Alltages zu sehen gewohnt sind. Da wird vieles klein, was uns sonst so wichtig erschien, und vieles gross, an dem wir sonst achtlos vorüber­gingen. Ja, manches, was wir sonst überhaupt nicht gesehen, wird uns jetzt erst klar. Wer von uns hätte noch niemals auf irgend einem hohen Berge gestanden, etwa auf der hohen Zinne in Kronstadt ? Wie winzig erscheint da alles, was wir drunten im Tale sehen. Die Strassen, der Marktplatz, die Häuser, selbst der gewaltige Bau der „Schwarzen Kirche“ — wie ein Puppenspielzeug stellen sie sich dar. Und dort die Wagen und Pferde, wie Nussschalen mit vorge­spannten kleinen Käfern erscheinen sie. Und gar die Menschen, die dort hin und her gehen, wie kleine bewegliche Punkte dünken sie uns. Da mag einem wohl die Frage kommen : „Was ist der Mensch ?“ Wir, die wir uns so wichtig zu nehmeu pflegen 1 Schon angesichts der uns umgebenden Naturn zeigt sich unsere ganze Nichtigkeit; und nun gar im Ver­gleich zum Weltall, in dem unsere Erde wie ein Staubkörnlein dahinwirbelt — „wie gar nichts sind doch alle Menschen!" Irgend eine Unregelmässigkeit im Dahinkreisen der Gestirne — und unsere Erde und wir alle, — sind gewesen ! Nein, wir sind nicht der Mittelpunkt der Welt, wie wir uns das so gerne ein­bilden. Denken wir zurück an die vergangenen Ge­schlechter. Auch sie dünkten sich einst das Zentrum des Weltalls zu sein. Und heute kennen wir kaum noch ihre Namen ! Und wie wird es in einigen Jahr­zehnten mit uns stehen ? Vielleicht werden uns dann Enkelkinder nach unseren Erlebnissen fragen. Wir haben den Weltkrieg und alle seine Umwälzungen in seinem Gefolge mitgemacht, aber wa< werden unsere Nachkommen davon noch wissen ? Uns selbst wird es vielleicht nur noch wie ein Traum sein. Ja, wir fühlen es: Wie gar nichts sind doch alle Men­schen ! Wie gar nichts auch all das, was uns er­freut oder bedrückt hat! Wenn wir am Neujahrstage daran denken, so fällt es uns fast schwer, auch nur das herauszuheben aus den Erlebnissen des letzten Jahres, was uns das Wichtigste war. Gewiss, man­ches Herzweh und manche Aufregung hat es uns gebracht. Aber war es wirklich der Mühe wert, all diese Dinge gar so ernst zu nehmen ? Nebelwolken waren es, die bald vergehen, Steine, über die wir ruhig hätten hinwegschreiten sollen. Ach, wir schä­men uns jetzt fast unserer Verzagtheit und unseres Zornes, unserer Mutlosigkeit und Glaubenslosigkeit! Aber dennoch! so klein die Menschen sind, was geht noch alles in ihnen vor! Jeder einzelne Mensch stellt ein Kraftzentrum voll unbegrenzten Möglichkeiten dar. Dort drüben beobachten wir einige spielende Kinder. Vielleicht lebt ein künftiger Entdecker in dem einen von ihnen. Auch die Grossen der Geschichte sind letzten Endes im Vergleich zum All nur ver­schwindende Sandkörner. Dennoch haben sie die Welt umgestaltet, wir leben noch heute von dem, was sie geschaffen. Wie war das möglich? Der Mensch ist eben nicht nur Staub, sondern zugleich Träger des göttlichen Geistes, der sich auch in ihm auswirken will. Nicht in jedem in gleichem Ausmasse. Aber jeder kann trösten, helfen, Barmherzigkeit üben, Gutes schaffen, wenn er sich für das Göttliche in ihm entscheidet. Was hatte einst den Grossen der Geschichte die Kraft gegeben, weltbewegende Taten zu verrichten ? Dies, dass sie sich für ihren Gott entschieden, dass sie der innern Stimme gehorchten, dass sie allein Gott ihrem Herrn dienen wollten. Und dies ist die grosse Frage, vor die jeder unter uns gestellt ist: willst du dir selbst, deinem kleinen Ich und deinem Behagen, oder willst du deinem Gott, dem Guten und Heiligen leben? Wohl dem. der sich für das letztere entscheidet, denn er besitzt nun eine Aufgabe im Leben. Eine grosse, ernste Aufgabe; aber er empfindet sie nicht als Last, sondern als die eigentliche Lust seines Lebens! Er darf Gott dienen, darf Gottes Freundlichkeit und Güte weiter strahlen lassen, seine Barmherzigkeit weiter tragen, er darf ein Licht sein am nächtlichen Himmel und Segen um sich ausbreiten. Welch schöner Inhalt ist da mit einem Male dem Leben gegeben. Wie froh und getrost kann er nun in die Welt hineinschauen. Hell und klar liegt die Zu­kunft vor ihm, und er geht ihr entgegen, wie in ein Land schönster Verheissungen. Es ist ja Gottes Land, das sich vor seinen Augen ausbreitet; wovor sollte ihn grauen? Es ist wirklich so: Nur darauf kommt es an, ob wir uns auf Gottes Seite stellen. Tun wir es, dann dürfen wir getrost dem neuen Jahre entge­gensehen. Es mag bringen, was es will, in allem wird ein Segensein, und wir werden unsern Mitmenschen selbst zum Segen werden ! R. H. Aus der Gemeinde. Die Weihnachtstage sind vorüber, und Pflicht des Chronisten ist es, die Eindrücke der verschiede­nen Feiern festzuhalten, die innerhalb unserer Ge­

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