Bukarester Gemeindeblatt, 1935 (Jahrgang 27, nr. 1-53)

1935-01-01 / nr. 1

2 BUKARESTER GEMEINDEBLATT Nr. 1 Davon zeugen alle Grossen der Religions­­geschichfe : Paulus ebenso wie Luther, Petrus Wal­­dus ebenso wie Augustin und viele andere. Oft ist es ein einziges Wort, das sie gerettet hat. Aber sie hörten auf dies Wort und taten danach ohne Zögern, und das war ihre Rettung. Es gibt eine sinnige Geschichte von den bösen Höllengeistern, die eines Tages zusammenkamen, um darüber zu beraten, wie die Menschheit am besten ins Verderben gelockt werden möchte. Der eine von ihnen riet dazu, die Menschen zu über­zeugen, dass die Bibel eine Fabel sei, die keinen Glauben verdiene; der andere schlug vor, ihnen zu sagen, dass es weder Gott noch Erlöser, weder Himmel noch Hölle gebe; aber die Geister entschie­den sich schliesslich für denjenigen, der vorge­schlagen hatte, den Menschen zu sagen: Es gebe sowohl einen Gott als auch einen Erlöser und auch Himmel und Hölle, aber das alles habe Zeit, man brauche sich mit der Bekehrung nicht all­zusehr zu beeilen. Sie hatten wirklich erfasst, wo die eigentliche Gefahr für die Menschen liegt. Es ist die Meinung, dass alles noch Zeit habe. Nein, heute noch, wo ihr seine Stimme hört, verstocket eure Herzen nicht. Nicht morgen: jetzt ist die an­genehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils; wehe uns, wenn es einst heissen muss : zu spät! Auch zu uns tritt der Heiland heule und ruft uns zu : Lasset uns hinüberfahren. Mit ihm wollen wir unseren Weg ins Neue Jahr antreten. Dann legt sich der Sturm, das Dunkel weicht, und von ferne winkt uns der Hafen, in den wir einst alle einfahren möchten. Mit ihm können wir des Ziels nicht verfehlen. Wir gehen durch Jesu Leiten bis in die Ewigkeiten, dahin, da Gott ist alles in allem. Weihnachtsfeiern. Weihnachten, das Fest der Freude für die Kinder, das Fest der Wehmut für die Alten, ist wieder einmal vorbei. Was dazwischen sieht zwischen Kindheit und Alter, schwankt in seinen Empfindungen zwischen Freude und Wehmut, je nach den äusseren Umständen und der seelischen Widerstandsfähigkeit. Denn die Wehmut des Alters bei diesem Fest ist nicht die der Selbstsucht, nicht mehr teilzuhaben an der Freude der Jugend, sondern die des Unvermögens, nicht mehr Freude, nicht überall Freude schaffen zu können, machtlos zu sein gegenüber der grossen Menge von Leid, Armut, Entbehrung, Freudlosigkeit, die’s auf der Welt gibt. In unserer Gemeinde ist auch dies Jahr wieder gefeiert und beschert worden, wo und wie es die Überlieferung gebietet: in den Schulen, in der Kirche, im Hötsch-Asyl, tm Altenheim, auf dem Friedhof, im Waisenhaus. Nach der Feier am Sonntag Nach­mittag um 3 Uhr in der Kirche kam die grosse Masse der Bedürftigen in die Aula des Knaben­lyzeums, um ihre Gaben in Empfang zu nehmen: etwa 200 Erwachsene, viele mit ihren Kindern, dazu noch 40 Schulkinder. Geld, Kleidungsstücke, Schuh­werk, Spielzeug, Seife, Brot, Kuchen, Aepfel usw. trugen sie auf dem Leibe oder in der grossen Papier­tüte davon. Und meist weit davon, in irgend eine elende Behausung der Vorstadt. Manchen sieht man noch an einem oder dem andern Kleidungs­stück an, dass sie einst Tage gesehen haben, da die 100 oder 150Lei, die sie hier erhalten, das Gebäck und sonstiges, was heute einen Feiertagswert für sie darstellt, um den sie weit herlaufen und lange herumstchen, zu den selbstverständlichen Vorhanden­­heiten des täglichen Lebens gehörten. Solchen Be­scherungen beiwohnen kann fromm machen, lehrt, was Frömmigkeit sein sollte: Bescheidenheit dem Höheren gegenüber, das mit dem Menschenergehen waltet nach seinem Willen, Gefühl der Verbun­denheit mit den andern, die, mag es auch unge­pflegter sein, doch auch Menschenantlitz tragen. Die bewährten Freunde der Gemeinde, die auch diesmal halfen, dass jeder, der sich gemeldet, etwas bekam, werden ja aus den Listen, die hier im Ge­­meindeblalt erscheinen, ersichtlich sein. Zu wünschen aber wäre, dass ihre Zahl und ihre Gaben, der Not der Zeit entsprechend, wüchsen; dass sie sich be­wusst würden, wie schwer die Aufgabe der Armen­pflege auch zwischen Weihnachten und Weihnachten, im Laufe des Jahres, ist; dass sie sich nicht wun­dern, wenn die Armenpflege auch zwischendurch an sie herantritt. Zum erstenmal in diesem Jahr fand auch eine kleine Weihnachtsfeier in dem vom Frauenverein seit einigen Wochen eröffneten Kinderhort, d. h. der Suppenküche für unbemitt lté, weif von der Schule entfernt wohnende Schulkinder, statt. Hier wurden den 50 Teilnehmern, von denen nur wenige ein kleines Entgelt für ein gutes warmes Mittagessen zu leisten imstande sind, in dem Zimmer neben dem Turnsaal der Mädchenschule, wo sie täglich ge­speist werden, um nachher zusammen unter Auf­sicht ihre Schularbeiten zu machen, auch ein Son­derpäckchen mit Geschenken und Esswaren auf den Tisch gelegt, und ein Bäumchen leuchtete ihnen, während sie von der fröhlichen, seligen, gnaden­bringenden Weihnachtszeit sangen und eifrig, eins oder das andere, sein Weihnachtsgedicht aufsagfe. Und eine Gabenverlosung, die sich anschloss und nur Gewinne brachte, war erst gar ein Erlebnis. Und zeigte, wie Kinder sich zu freuen imstande sind, wenn den Älteren, die dabeistehen, das Herz vor Wehmut schwer wird, dass sie nicht für mehr, für dauernde Freude in all dieser und anderer Kin­der täglichen Tag hinein zu sorgen imstande sind. Der in .der Kleinkinderschule am 22. Dezember abgehaltenen Feier beiwohnen zu können, hat viel Freude gemacht. Hier trat Knecht Ruprecht auf mit mancherlei Mahnung zu gutem Benehmen und Ver­träglichkeit ; doch spendete er jedem Kinde ein Päckchen mit süssigkeit und Obst. Frisch und munter klangen die Kinderlieder, die von einzelnen

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