Bukarester Gemeindeblatt, 1936 (Jahrgang 28, nr. 1-52)

1936-01-05 / nr. 1

2 Nr. 1 BUKARESTER GEMEINDEBLATT Aber —­ so schnell die Zeit dahinfliegt — ein wirklicher Trost liegt darin doch nicht. Denn so flüchtig und vergänglich die Zeit auch ist, so geht sie an uns doch nicht wirkungslos vorüber. Sie hinterlässt bei jedem ihre Spuren ! Wir sind am Ende eines Jahres bei weitem nicht mehr diesel­ben, wie am Anfang; Erfahrungen, Enttäuschungen aller Art bleiben nicht ohne Wirkung auf uns, selbst unser körperliches Leben und unser geistiges Sein erfährt durch sie mancherlei Veränderungen. Was wir tun und lassen wirkt fort über den Augen­blick des Geschehens hinaus. „Ewig süh­ steht nur die Vergangenheit!­ Es lässt sich nichts an ihr ändern. Wir haben eine Schuld auf uns geladen und dadurch Menschen erbittert, vielleicht haben wir ein böses Wort gesprochen und dadurch einem Menschen das Vertrauen geraubt; oder wir haben unterlassen zu helfen, wo wir es hätten tun können, und dadurch jemanden zum Bösen verleitet! Wis­send, unwissend haben wir gesündigt. Jedes Wort, jede Tat ist ein Samenkorn, das nun seine Früchte trägt, zum Guten aber auch zum Bösen. Wir kön­nen daran nichts mehr ändern ! Und nun steht un­sere Schuld plötzlich riesengross vor uns und mit dieser Last beladen sollen wir einst — wer weiss wie bald — vor Gottes Gericht stehen ! Ein furcht­barer Gedanke! Da aber klingt es trostreich an unser Ohr: „Die Gnade aber des Herrn währet ewiglich über die, so ihn fürchten!“ Gerade, wenn wir uns im Gefühl unserer Unzulänglichkeit dem Allmächtigen nahen, offenbart er sich als der Gnädige. Die Hei­lige Schrift alten und neuen Testaments wird nicht müde, uns diese Erfahrungen zu bezeugen. Vor allem haben wir aber eine grosse Tatsache vor uns, die uns im Tiefsten beruhigen muss. Der Gott, der uns an Weihnachten seine Gnade offenbart, hat in Jesu Opfertod und Auferstehung uns das feste Pfand in die Hand gegeben : „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich be­kehre und lebe“. Wohl dem, der das glaubt, er hat den einzi­gen, sichern Trost, mit dem er ins neue Jahr gehen mag. Was wird dies neue Jahr für ein Jahr sein? Mag es bringen, was es will, es wird doch ein Jahr Gottes sein! Das heisst aber, es wird ein Jahr des Heiles sein ! In diesem Glauben, im Glau­ben daran, dass Jesus Christus auch unsere Sün­den auf sich genommen hat, werden wir hinschrei­ten in das neue Jahr! Auch in ihm soll Jesus die Losung sein: Alle Sorgen, alles Leid soll der Name uns verlassen ; so wird alle Bitterkeit uns ein Segen werden müssen. Jesu Nam sei sei Sonn und Schild, welcher allen Kummer stillt! Amen. R. H. Der Jahreskreis. Eine Neujahrsbetrachtung von Wilhelm Schäfer. Der im Ecka­r - Verlag erschienenen Sammlung von Geschichten und Weis­heiten aus alten deutschen Volkskalendern hat der bekannte Dichter und Schrift­steller Wilhelm Schäfer die nachstehende Betrachtung über den Kalender vorange­­stellt, die gerade am Jahreswechsel uns an die Verbindung unserer irdischen Zeit­rechnung mit dem grossen Geschehen des Alls erinnert. Der Kalender des modernen Menschen hängt mit einer dicken Zahl an der Wand oder er liegt handlicher auf dem Schreibtisch, jedenfalls aber besteht er aus einzelnen Blättern, von denen Tag um Tag abgerissen und in den Papierkorb gewor­fen wird. Er ist gleichsam ein Verbrauchsanzeiger des Lebens und als solcher die Sachlichkeit selber. Freilich scheint das nur so, denn ausser der Zahl trägt er ja auch den Namen des Monats, in dem er gezählt wird. Und so gedankenlos der mo­derne Mensch diesen Namen hinnehmen mag : Dass das Jahr nach Monaten, also nach dem Mond ge­zählt, und dass es sich in zwölf Monden vollendet, durchaus nicht nur als ein Ablauf der Mondphasen vom Neumond zum Vollmond, sondern zugleich in den vier Jahreszeiten als Erdenjahr im Stand der Erde zur Sonne : diese Verbindung mit dem Kos­mos, der Schöpfung im Kalender wird auch dem modernen Menschen durch den Schnee des Win­ters und die Blumen des Sommers zu anschaulich gemacht, als dass er sich ihr völlig entschlagen könnte. Er hat den Jahreslauf nicht erfunden, sondern er ist ihm gesetzt; er kann keinen Stolz auf ihn haben wie auf die Eisenbahn und das Fernsehen, sondern er musste ihn demütig anerkennen, wes­halb er ihn denn auch, zur Demut am wenigsten von allen Tugenden geneigt, lieber gedankenlos hinnimmt. Die Römer, von denen wir das Wort Kalen­der haben, so sehr sie sonst Vernüchterer des Lebens sind, standen bewusst in dieser Verbindung mit dem All, wie eben das Wort zeigt: Es stammt von calare, rufen, und Calandae hiess der erste Tag des Monats, weil er nach der Sichtung der neuen Mondsichel auf dem Kapitol feierlich ausge­rufen wurde. Dieser Ausruf war eine priesterliche Angelegenheit, und die astronomische Ordnung der Zeit wurde sogar dem Kaufmann deutlich gemacht, wenn er an diesem ausgerufenen Tag seinen Zins und seine sonstigen Fälligkeiten zahlen musste. Es ist auch heute noch jedem bekannt, dass Tag, Mo­nat und Jahr nicht so glatt aufgehen, wie es der Kalender angibt; der alle vier Jahre erscheinende 29. Februar macht es deutlich. Alle vier Jahre muss ein Tag mehr ins Jahr eingeschaltet werden, das darum Schaltjahr heisst. Es is ein Versuch

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