Bukarester Gemeindeblatt, 1939 (Jahrgang 31, nr. 1-53)

1939-06-11 / nr. 25

120 Bukarester Gemeindeblatt Nr. 25 kommen dieser wie durch ein Wunder bewahrten und immer wieder angewachsenen Gemeinde haben wir es hier zu tun. Wirklich deutet ihr Wappen etwas von dem wesentlichen Inhalt ihrer wechselvollen Geschichte. Wie eine einsame Kerze auf einfachstem Leuchter brannte das Licht des Evangeliums in den Herzen dieser schlichten Bauern und Hirten, welche die Täler nord­­westlich Turins als ihre Heimat, die Höhlen und Schlupfwinkel der Alpen als ihre Zuflucht in äußerster Not betrachteten. Tausende fielen immer wieder durchs Schwert, hunderte erlagen je und dann dem Druck der Verfolgung und verließen den Glauben ihrer Väter, aber immer neue Geschlechter entzündeten die Flan­men dieses biblischen­ Glaubens, und Kinder der Abge­­fallenen kehrten zu ihm zurück. Wenn uns die sieben terne an die sieben Gemeinden aus der Offenbarung ohannis erinnern, so ist das kein Zufall: Die kleine Schar, die früher gewöhnt worden war, den evange­­lischen Glauben als etwas zu betrachten, für das man im Ernstfall den Besiß und das Leben, selbst das der liebsten Menschen, einzusehen hat, besaß durch die Jahrhunderte hindurch einen besonderen Blick für die eschatologische Erwartung, d. h. den auf die­­ Wieder­­kunft des Herrn gerichteten Blick des Züngers. Wenn aber diese evangelische Bewegung infolge beständiger Bedrängung so klein blieb, daß wir in Deutschland beinahe nichts von ihrer Existenz, noch weniger von ihrer Geschichte willen, wie kommt es, daß wir dann heute überall in Italien ihren Kirchen begegnen? Diese Frage sollen uns heute die Gemeinden feiern beantworten, die zur Erinnerung an den 17. Februar 1848, einen bedeutungsvollen Tag in der Geschichte der Waldenser, veranstaltet werden. Die Waldenserkirche von Catania, einer Stadt von etwa 250010 Einwohnern, hat den Umfang einer größeren Dorfkirche; ein Neubau ist geplant, aber noch nicht finanziert, während die Nachbargemeinde in Messina den Bau einer schönen großen Kirche seiner Vollendung entgegengehen sieht. Das Schiff der kleinen Kirche, in der wir mitfeiern, ist einfach. Wir richten den Blick auf den schmucklosen Altar, der die Bibel trägt, und die darüber befindliche Kanzel, hinter der ein Holzkreuz die Wand des Chors schmückt. Das ist eigentlich alles — Kreuz und Bibel beherrschen den Raum. Heut kommt noch das dreifarbige Fahnentuch Italiens hinzu, das die Kanzel umgibt. Die Gemeinde erhebt sich zum ersten Lied, und mächtig durchströmt die bewegte Melodie einer ihrer Hymnen das Schiff. Nachdem Liturgie und Schriftverlesung vorbei sind, lauschen wir der Predigt; sie führt uns zurück zu zwei Marksteinen der Waldenser Vergan­­genheit, dem sogenannten Rimpatrio (Rückkehr ins Vaterland) von 1689, und dem Toleranzedikt Carlo Albertos vom 17. Februar 1848. Nach den vielen Weselfällen ihrer Geschichte traf das in den Tälern lebende Völk­en im Jahre 1686 ein besonders harter Schlag: Ihr Fürst, der junge Herzog von Savoyen, zwang sie zur Auswanderung, selbst unter dem Druck seines mächtigen Nachbarn Ludwig XIV. stehend, welcher 1685 das Toleranzedikt von Nantes aufgehoben hatte. Nachdem ihr bewaffneter Wi­­derstand zusammengebrochen war, mußte der Rest des­­ Waldenser Völk­ens in der Schweiz ein Obdach suchen. Doch schon im Jahre 1689 siegte die Heimatliebe über alle Drohungen und Gefahren. Die Vertriebenen kehrten in einem überaus beschwerlichen und abenteuerlichen Zuge über die Alpen in ihre Täler zurück, geführt von Enrico Arnand und Giosne Gianavello, und es gelang ihnen nach geschicktem Widerstand gegen eine Uebermacht französischer Truppen von dem Herzog von Savoyen Frieden und eine gewisse Duldung zu erreichen. Der Frieden war freilich kein vollkommener, da in der Folge alle Waldenser französischen Ursprungs wie­­derum vertrieben wurden, so daß Am­aud selbst mit einer größeren Schar von Anhängern nach Deutschland verschlagen wurde. Er­ starb dort in Schönenberg (Württemberg) im Alter von 80 Jahren. Auf diese Ver­­triebenen gehen wohl die heute in Deutschland noch vorhandenen Reste der­ Waldenser Gemeinden zurück. Hatten die Waldenser ihre Anhänglichkeit an die italienische Heimat schon damals unter Beweis gestellt, so zeigten sie in den folgenden Jahrhunderten stets die gleiche Haltung und kämpften nun vielfach im Dienst ihres Fürstenhauses. Unter der Regierung Carlo Albertos, Königs von Sardinien und Herzogs von Savoyen, in den dreißiger und vierziger­­ Jahren des vorigen Jahrhunderts, mehrten sich in Piem­ont die Stimmen, welche die Gleichberechtigung für die evan­­gelischen Waldenser und ihre Anerkennung als vollwer­­tige Staatsbürger verlangten. Der Fürst selbst besaß ein gütiges Herz auch für diese seine Untertanen, die ihm ihre Treue und Liebe wiederholt bezeugt hatten, doch rissen ihn Gewissensskrupel lange hin und her, ehe er sich entschloß, bei Gelegenheit eines von ihm gegebenen allgemeinen Statuts auch den nichtkatholi­­schen Teil seiner Bevölkerung in alle Rechte einzusehen. Das Toleranzedikt wurde am 17. Februar 1848 nie­terzeichnet und löste allgemeinen Jubel aus. Jeßt­end­­lich konnte sich die alte Heimattreue der evangelischen Gemeinden ungehindert und fröhlich entfalten. Das Edikt enthielt auch die Erlaubnis für sie, Schulen und Universitäten ebenso wie alle anderen zu besuchen. Auch gründeten sie eine eigene theologische Fakultät, zunächst in ihrem Zentrum Torre Pellice, die später nach Florenz übersiedelte und sich jezt im Rom selbst befindet. Die Waldenser breiteten sich über ganz Italien aus, wo sich nach und nach die neuen Pflanzstätten durch Uebertritte aus der katholischen Bevölkerung vergrößerten, ein Wachstum, das heute noch andauert. Weiterhin befindet sich eine größere Anzahl von Ko­­lonien der Waldenser in Nord- und besonders Süd­­amerika. Auch haben sie eine eigene Missionsgesell­­schaft, und ihre Missionare sind in Afrika und im fernen Osten anzutreffen. Wenn die Festpredigt von der Erinnerung an die geschichtlichen Ereignisse ausgeht, so geschieht das so, daß sie diese in das Licht der Verpflichtung rückt, welche Gottes Güte seiner Gemeinde gerade in seinen großen Gnadenbezeugungen auferlegt. Von zwei viels besungenen Tugenden der Väter ist die Rede, dem Mut und dem Glauben: Ihre Wechselbeziehung N = "

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