Die neue Zeitung, Oktober-Dezember 1932 (Jahrgang 3, nr. 335-409)

1932-12-08 / nr. 390

RR 4 ederlüng Unparteiisches Tageblatt für die freie Meinung der deutschen Bevölkerung Rumäniens Spri­kleitung : Bermannstadt, Gen. Nr. 390 Mosciugalle (Kleine Erde) Dr. 4 / Fernsprecher Dr. 7 Verwaltung : Sporergalle Nr. 3. Bezugspreis für ein Monat 45 Lei, Einzelnummer 3 Lei, Bezugspreis fürs Ausland 90 Lei monatlich) Leipzig 8937, Polithekkonti : Wien 93133, Prag 79629. Anzeigen übernehmen weitere der Schleißstellen und alle Anzeigenagenturen des In- und Auslandes. für und Termine kann keine Verantwortung übernommen werden, werden auf keinen Fall zurückgeschickt. Sermannstadt, Donnerstag, den 8. Dezember 1532 bestimmte Plätze Unverlangte Manuskripte 3. Jahlgang Wähler und Gemählte Durch die Reihen der Wähler geht ein immer stärker werdendes Raunen, das sich bald in starrem Getön hör­­bar machen wird. Der Wähler ist wahlmüde, apathisch. Das fortwährende Padeln mit der jeweiligen Regierungs­­partei, wird ihm zuwider, weil bisher noch seine Re­gierung die gegebenen Beisprechen gehalten hat und auch in Zukunft wahrscheinlich nicht halten wird. Der Hinweis unserer politischen Leitung, daß es uns nur durch Palte möglich wäre, mehr Mandate zu erringen, bringt sein prakttiches Resultat. Es it somit ganz egal, ob wir 3 oder 8 Abgeordnete haben. Die selbständige deutsche Lite oder die gemeinsame Minoritätenliste würde sicherlich mehr Wahlfreudigkeit und Bostsbewußtsein in die Reihen der Wähler tragen. Es wäre aber nach einem wichtigen Umstand Mei­nung zu tragen, was ich in nachfolgendem beleuchten möchte: Bei uns ist es Gitte geworden (seitdem wir überhaupt Abgeordnete wählen), daß das Abgeordneten-M­andat als erblich betrachtet wird. Natürliih nicht in dem Sinne, „Bater auf den Sohn vererbt wird, son­­dern daß derjenige, der durch Zufall, Gluid, Auswahl oder­ eigene Pfiffigkeit einmal zum Abgeordneten gewählt mache, es auch weiter bleibt, ohne Noüdsicht darauf, ob er nun der richtige Mann ist oder nicht. Bis an sein oder unser Lebensende begleiten ihn dann auf seiner parlamentarischen Laufbahn unsere Segenswünsche oder das Gegenteil von ‚folchen. Wir müssen daher den Gedanken in die Wähler» fchaft und das Bolt hinaustragen, daß fon bei nächster Gelegenheit eine zweite Abgeordneten-Garnitur erwählt werde, die sich in den Wahlperioden gegenseitig abzulösen hätte, natü­rlich mit jeweiliger Zustimmung der Kreisaus­­schüsse. Dieses Prinzip brachte nicht zu unterschägende Vorteile mit sich. Einmal wäre der bis­her im Hinterland operierenden Führergruppe Gelegenheit geboten, ihre in Versammlungen, Breffe und beim Stammtisch verfochtenen Theorien praktisch auszuprobieren und sich einen Begriff vom tatsächlichen parlamentarischen Leben auf der Rampe oder hinter den Anliffen zu schaffen und ihren Horizont zu erweitern. — Sie wären dann in der Lage nach Ablauf des Mandates nach ihrer Rückunft ihre Theorien der praktis­chen Duchführungsmöglichkeit anzupassen und die Wähler auf Grund der gesammelten praktischen Erfahrungen aufzu­­hören. Die night aktive Gruppe würde aber in der Zeit den Weg zum Wähler und Bolt wieder zurückfinden, sich politisch im Wahlkreis und in der Breite viel öfter betätigen, wieder liebenswürdig und nett werden und­­ ein ausgezeichnetes Bindeglied zwischen den aktiven P­arlamentarieren und Wählern bilden, weil ihnen ja die Kulissengeheimnisse usw. auch bekannt sind. — Der renige Zustand entfremdet den Wähler und der Mandatinhaber umgibt sich nolens­­volens mit einem gewissen Nimbus der mehr oder weni­­ger berechtigt is. — Zuhause it er wenig aktiv und seine ganze Tätigkeit im Hinterlande äußert sie bei ihm ge­legentlich (gewöhnlich nur an hohen Feiertagen) in hoch­­politischen Zeitungsartikeln, die mehr oder weniger ver­­ständlig­ sind. — Aber auch der Wähler würde erfrischt werden, wenn er nicht sein ganzes Leben lang seine Stim­­me dem ihm vielleicht unsympatiigen Kandidaten zu ges ben hätte. —­ Er mochte emmael auch s­einen Mann im ‚wieviele Tr­iebe und das Große in sich Habende Männer unseres Volkes versimmern, weil wir an einer fatalen Ueberliefer­­ung festhalten. — Ic möchte gerne einmal im Parlament andere Männer sehen, wer weiß, ob unter ihnen sich nicht ein besserer entpuppt als wir in der jenigen Cars nitur haben. Bewährt sich aber ein Abgeordneter ganz besonders, den kann man ja auch zweimal hintereinander wählen. Wenn wir aber immer weiter so bleiben, dann wer­­den wir apathisch, gehen trot gewohnter Disziplin nicht mehr zur Urne und in einem Augenblick der Aufwallung kann es auch vorkommen, daß wir unsere Stimme einem anderen, Fremden geben. Man verlangt vom täglischen Wähler unbedingt die Gefolgschaft unter der Devise „Alles ININNININNNMUNINNNNNINNUNNNINUNINNNHINNNNNNNNNNNUM Morgen als Beilage: Her Randmwirt INN für unser Bolt", es scheint aber heute, daß unter "unser Bolt" die Erbmandatare zu verstehen sind. Auch die vielen nicht sehr sympathischen Padeleien mit der jeweiligen Re­­gierungspartei werden seltener vorkommen, wenn man die Verhandlungen durch den Voltsrat und die Borfigenden des Volfsrates und nicht mehr durch die Parlamentarier vor den Wahlen fü­hten läßt, denn letteren wird es doc immer wieder und in der Hauptsache um die Beibehaltung ihrer Mandate zu tun sein. Und dieses ist menschlich ge­­nug, um nicht übelgenommen zu werden, aber es schadet dem Ganzen. l. wir siegen! In diesem Zeichen (_) müssen und wollen . Der romänische Studententongreh beglüht in diesem Jahre Kronstadt mit feiner Anwesenheit und ist für unsere Schweizerstadt mit seinen statt gemische­ten Elementen dasselbe gemischte Bergnügen, das er für uns war. Es­­ ist doch eigentümlich zu sehen, daß die zwei«­­fellos gutgewillte und anständige Oberleitung des Kon­­gresses nicht imstande ist, die fiblen und züegellosen Ele­­mente fern oder wenigstens im Zügel zu halten. Auch aus Kronstadt kommen dieselben Klagen sicher Ausschreitungen, wie sie bei uns vorgekommen sind. Gewöhnlich handelt es sich um nicht sehr schwerwiegende Dinge, aber es muß doch bedenklich stimmen, wenn man solche Massen gänzlich unerzogener Menschen beobachtet und bedenkt, daß sie Mittelschulen absolviert und das­ Baktalaureat bestanden Der Ball von Paul Rebour Als das junge Mädchen an dem Gafee vorüberging­ auf dessen Terasse Claude Simonet sah, erhob er sie und folgte ihr. Es gibt MWefen, durch deren Anblick man auf der Gielle verwirrt und bezwungen wird. Das nennt man Kiebe auf den ersten Blick. Das Mädchen war in Ber­gleitung einer Dame in Schwarz. Wer konnte sie sein ? Ein anständiges, junges Mädchen? Nein, ihr roter Hut, ihr elegantes Aleid zeigten einen allzu auffallenden Sthik. Eine Unschuldige vielleicht, die von ihrer Be­gleiterin ausgebeutet wurde. Aber nein. Die Männer drehten sich nach ihr um und sie beachtete keinen. Bei einer Auslage blieben sie stehen. Aber Claude war zu schüchtern, um sie anzusprechen. Sie sehten ihren Weg fort und waren prößlic verschwunden. Kein roter Hut, keine tadellose Rückenlinie und kein schwarzes Kleid mehr zu sehen. Claude rannte vorwärts wie ein Toller bahnte sich mit den Ellenbogen einen Weg durch die eilenden Menschen, kehrte um, flarrte in die Scheiben der Kaufhäuser. Nils. Der Gedanke, daß er die Spur die­­ses Mädchens verloren hatte, querte Claude. D­ielleicht hatte er ungeahnte Freuden, vielleicht sein Glück vers­­äumt. Endlich erblickte er die beiden Frauen wieder. Sein Herz pochte lauf vor Glück. Sie schlenderten über den Raubourg Montmarte und bogen in die Rue des Mar­­tyrs ein. Claude näherte si dem jungen Mädchen so sehr, daß er sie fast streilte. Sie wandte sich um. V­erzückt starrte er in ihre blauen Augen, auf ihren kleinen, roten Mund. Sie hetraten ein Haus in der Rue des Martyrs, die alte Dame voran. Nun hatte Claude Gewißheit, hier wohnten sie. Am nächsten Morgen fand sich Claude in diesem Hause ein. Unter dem Vorwand einer Erkundi­­gung wandte er sich an die Hausbesorgerin. Welche Me»­gäre! Ihre von Pomade verklebten Haare ringelten sie auf der geringelten Stirn. Dicke Hautfalten verbanden das Sinn mit dem Hals, der gelb und knochig aus dem Austritt einer schmußigen Bluse ragte. Claude begann zu fragen. Welches Glücksgefühl überkam ihn, als sie, ohne zu zögern, antwortete, daß sie das beschriebene junge Mädchen kenne. Sie wohnte wirklich dort. Es war ein Mädchen aus gutem Hause, sanft und tugendhaft, deren Mutter viel Unglück gehabt hatte. Die beiden Damen lebten allein und wahrlich nicht im Ueberfluß. Ein guter Freund wäre adlig, der sich ihrer annehmen würde. Gött­­liche Hausbesorgerin. Mie Claude ihr für diese Worte dankte, „Aber“, fügte sie hinzu, „da die Damen stets sehr zurückgezogen gelebt haben, müssen Sie vorsichtig zu Merke gehen ““ Claude zweifelte nicht daran, daß sie recht hatte und bat sie, einen Blumenkorb zu übergeben, den er ebestens senden würde. Nach den Blumen kamen Bonbons, dann Bücher, eine goldene Puderdose und eine Sitte alten Weines, da das junge Mädchen blutarm war, wie die Sausbesorges nun erzählte. Diese geheimnisvollen Geschenke bereiteten Claude ein besonderes Vergnügen. Sandte er sie am Abend, so erfuhr er am nächsten Tage vom Schußengel seiner Liebe, gegen ein Trinkgeld von einigen Francs, wie erstaunt und begeistert Raymonde, so hieß das junge Mädchen, von diesen Gaben gewesen war. „Lieber Herr", wiederholte die Alte immer wieder, „man nennt Sie da oben den Märchenprinzen.“ „Sie haben ihr noch nichts gesagt?“ „Rein, nein! Folgen Sie mir und warten Sie eine günstige Gelegenheit ab!" So empfing Claude in ihrer nach Zwiebeln duften« den Kammer die Nachrichten, in denen sich seine junge Liebe sannte. Eines Tages sagte sie ihm: „Ich glaube, daß die Damen, die regi wenig Unterhaltung haben, gern auf einen Ball gehen würden... Es ist ja Sathing! Wenn Sie ihnen Eintrittskarten verschaffen könnten. Claude zögerte ein wenig erstaunt. Dann aber fiel ihm ein, daß er sich auf einem Ball seiner Angebeteten un­­geniert werde nähern können. „Gewiß“, sagte er. „Biel leiht Samstag zur NRedoute im Baris-Palace. Ich werde für das Fräulein auch den Domino besorgen.“ Am nächsten Tage sandte €laude mit den Eintritts«­karten auch einen rosa Seidendomino in die Aue des Martyrs. Wie hätte er der Ber­uhung widerstehen kön­­nen, den Ball zu besuchen? Gegen zwölf Uhr betrat er, klopfenden Herzens, den Saal. Suchend irrte er durch die Menge. Freunde schlossen sich ihm an, schleppten ihn zum Büfelt und zwangen ihn, einige Gläser Champagner zu trinken. Nun fühlte er sich zu den kühnsten Unterneh­­mungen bereit. Er verließ die Gesellschaft und begab sich von neuem auf die Suche. Nun feßte sein Setzschlag aus! Da war ja sie... fein rosa Domino! Er verstellte ihr den Weg und sfammelte einige heiße Liebesworte. Aber seine Herzdame wandte sich ab und versuchte zu entfliehen. Da hatte er sie schon in seine Arme gezogen... unter der dünnen Seide fühlte er die zarte anmutige Schlanke­heit ihrer Glieder. Ein feiner Nelkenduft benebelte feine Sinne. Er suchte ihre Ippen, sie wehrte ich... da fiel die Maske von ihrem Gesicht... Es war die Hausbesorgerin ! Angsterfüllt starrten ihn ihre roten, tränenden Augen an. Da verstand er plößlich alles ! Ihre Auskünfte mas­sen falsch gewesen! Kein junges Mädchen wohnte in dies­­em Hause! Vom ersten Tage an hatte sie das gute Ges­chäft gerochen, hatte gelogen und erdichtet! Sie hatte die Bonbons gegessen, den Wein getrunken und die koff­­baren Geschenke empfangen. Marreise Wut erfaßte den schüchternen Claude Si­­monet und er riß ihr den Domino für micch vom Leibe. Sie entfloh, Scheußlich und lüderlich zugleich, in ihrem schmäßigen Perkalkleid und den verklebten, grauen Saar» fi­abnen. Blaude aber lehnte, nun völlig nüchtern, an einer Säule und feine Tränen tropften auf die­se, die seine Hand umkrampft hielt.

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