Kirchliche Blätter, 1897. Mai -1898. April (Jahrgang 2, nr. 1-52)
1897-05-05 / nr. 1
. . 3 Rede dessei Schostkyzfr Müller zur Eröffnung der achtzehnten Landeskirchenversammlung. (28. April 1897.) Seit der festen, der siebzehnten, Landeskirchenversammlung im November 1894 hat sich, was allerdings damals schon in sicherer Aussicht stand, thatsächlich vollzogen. Die sogenannten kirchenpolitischen Gehege haben in der öffentlichen Rechtsstellung der Kirchen und in ihrem Verhältnis zum Staat Änderungen hervorgerufen, wie sie einschneidender seit der Reformation hierzulande nicht stattgefunden haben. Seiner Macht froh und besichtslos sie gebrauchend hat der „moderne“ Staat die Matrikelführung auch in unserem Vaterlande an sich gezogen, die Eheschließung unbedingt als bürgerlichen Akt erklärt, mit fühnem Griff auf seinen s chriftlichen Charakter verzichtet, indem er die Konfessionslosigkeit gejeglich erlaubte und schließlich dem in den siebenbürgischen Landesteilen seit länger als einem Jahrhundert geübten Recht entsagte, über die religiöse Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen obligatorisch zu verfügen, ohne die das „natürliche“ Recht der Eltern an die Stellertreten zu Lassen. Unsere Landeskirche stand nicht allein in ihrer schweren Besorgnis um die Folgen dieser Reformen. Denn wenn es wahr ist, daß mit der Übermacht der Kirche der Staat zu seiner Zeit sich vertragen könnte, so ist es nicht weniger wahr, daß die nicht selten zu Tage tretende Beanspruchung der Allmacht von Seiten des Staates die Religion selbst versimmern läßt. Den wiederholten, loyalen Ausdruck, den Bischof und Landeskonsistorium dieser Besorgnis zu geben für Pflicht hielten, hat die siebzehnte Landeskirchenversammlung „mit Dank und Anerkennung“ zur Kenntnis genommen. Am schwersten empfand man, daß dabei — um einseitig erhobenen Wünschen der römisch-katholischen Kirche entgegenzukommen — selbst darauf seine Rücksicht genommen wurde, daß dur das loterwähnte Gefeß (über die Religion der Kinder aus gemischten Ehen) eine offenbare Beeinträchtigung auch eines jener siebenbürgischen Religionargesäße erfolgte, die nach der XLIM. G.U. vom Jahre 1868 „über die detaillierte Regelung der Vereinigung Ungarns und Siebenbürgens“ feierlichst unter den Schuß des ungarischen Staatsrechts gestellt hatte. Er bedarf heute nur eines glaubenseifrigern Oberhirten an der Sorge einer Schweiterficche, um dem widerlichsten Wettbewerb um die Seelenfelder Kinder Thor und Thor auch hierzulande zu öffnen, wo bis dahin religiöse Unduldsamkeit und Fanatismus kaum dem Namen nach bekannt waren. Seitdem Allerhöchst Se. Majestät die kirchenpolitischen Gehege sanktioniert hat, sind die fr unsere Landeskirche sein Gegenstand weder offenen noch verdeckten Widerstandes gewesen. Wir warten „gehorsam der Obrigkeit, die Gewalt über ung hat“ ihre weiteren Wirkungen ab, und ob diese vielleicht einmal dazu führen werden, eine oder die andere ihrer Bestimmungen zu modifizieren, die sie als gemeinschädlich erwiesen, nicht weil sie das Meachtgelüfte einer einzelnen Kirche beeinträchtigt, sondern weil sie — in unserem D Vaterlande — die minder tief gehenden Wurzeln des religiös sittlichen Lebens offenbar zu schädigen geeignet erscheint. Wenn wahr ist, was umlängst öffentliche Blätter mitteilten, daß „nach amtlichen Berichten in den Kreisen dies- und jenseits der Theiß in seßter Zeit 6500 evangelisch-reformierte Magyaren aus ihrer Kirche ausgetreten und konfessionslos geworden ;“ wenn er wahr it, daß in der Hauptstadt 50—60 Prozent der Chefschließungen und der Geburten unter den Evangelischen die kirchlichen Funktionen nicht in Anspruch nehmen; wenn es wahr ist, daß das Seftenwesen allenthalben neben der Konfessionslosigkeit und dem Judentum sich ausbreitet; dann werden nicht bloß die alten rezipierten Slrchen alle Ursache haben sich zusammenzufassen und aus aller Kraft his zum Widerstand zu rüsten, sondern auch der Staat wird bald vor die Frage sich gedrängt fühlen, ob er dem Fortgang dieser Entwiclung beruhigt zusehen dürfe und ob sie mit den Mitteln des Strafgerichtes oder materieller Art überhaupt und allein wirksam eingedämmt werden könne. Bu allererst hat, wie gewöhnlich, Rom die Lage erfaßt und den Widerstand gegen das in den firchenpolitischen Staatsgelegen, was ihm nicht gefiel, organisiert. Is einer Zeit, wo das politische Leben fast ausschließlich in der Form der Partei sich äußert, lag nichts näher als auch diesen kirchlichen Widerstand in einem politischen Parteiprogramm zu konzentrieren. Staunend sieht auch der ungarische Staat schon seit einer Macht sich gegenüber, die, international nach ihrem Wesen und von außen zielbewußt geleitet, seine jüngsten Erwerbungen ihm bestreitet und überall dort Zuzug und Verstärkung sucht, wo man nach irgendeiner Richtung mit der Regierung oder den „nationalen“ Hielpunkten des Staates nicht zufrieden ist. Für unsere Landeskirche ist diese Entwicklung seine Überraschung. Wer die legten dreißig Jahre mit offenem Auge die Belfergeschichte betrachtet hatte, mußte ihr Eintreten auch in unserem Vaterlande erwarten. Nur etwas beschleunigt wurde er durch die kirchenpolitischen Geseße. Deutlich spricht der XV. Landeskirchenversammlung gegenüber der betreffende Ausschußbericht jene Erwartung aus: „Es ist seine Frage, daß durch die kirchenpolitischen Gesäße, sobald sie in Kraft treten werden, unsere Kirche vor neue, äußerst schwierige Aufgaben gestellt sein und den Daseinstampf kämpfen wird.“ Wir sind ja überhaupt nicht berufen, im Genuß erworbener Güter zu irgendeiner Zeit auszuruhen. Für diesen Kampf aber, nach mehr als einer Seite, die in ihr ruhenden Kräfte vojcher zu sammeln und wirksamer zu entwickeln, das wurde nunmehr unsere Aufgabe und dieser Aufgabe mußten sofort auch ‚alle kirchlichen Behörden, in erster Arbeit. Beihe das Landeskonsistorium, ‚ihre vorzüglichste *