Kirchliche Blätter, 1908. Mai -1909. April (Jahrgang 13, nr. 1-52)

1908-11-26 / nr. 30

475­­ Ar. 30. 476 in ihm­ ruhenden­ Küäste werden geweckt zu­m kühnen weiten Sprung.So ist dei i­ jenes große Unglück,das unsere Gemeinde betroffen­ hat,zum Lock-und Reizmittel geworden, um die in unseren Vätern angesammelte Glaubens-und sittliche Tatkraft hervorzurufen zu schönem edlem Werke. »Zu dir schrien unsere Väter«­mü­ssen wir bekennen, aber wir können mit berechtigtem Stolze fortsetzen­:»Unsere Väter hofften au­f dich.«Schon am Tage nach dem Unglück fin­den wir die Vorgesetzten,der Gem­einde im Rat­­hause,wo sie kluge und mutige Beschlüsse fassen,um zuerst aus dem sogenannten«Herrhofe«einen Bretterschopfen­ zu einem­ vorläufigen Bethause zu bauen,und dan­n um­ möglichst bald w wieder zu­ einem Kirchenraume zu kommen­.Sie tun ihre Beratung im Vertrauen auf den Gott, der zuvar eine Last auflegt, doc aber auch die Hilfe nicht versagt. Pläne werden hergestellt, wie Vorbereitungen zum Baue getroffen. Die Bürger machen auf Gemeindegrund Mauerziegeln, jeder eine bestimmte Anzahl. Das Bauholz schleppen sie zusammen. 1803 wird mit dem Bau begonnen. Alle Zu­­fuhren und der Zuträgerdienst wird als Gemeindearbeit reihum besorgt. Den Baumeistern und Gesellen bereiten die Frauen auch der Reihe nach täglich das Een. So sehen wir denn unsere Gemeinde in den Sommern 18083— 1807 außer der vielen eigenen Arbeit noch die viele Arbeit beim Kirch­­bau Leisten. Vorgelegte und Untergebene, Junge und Alte stehn in dem Dienste eines Gedankens. Alle steeben mit vereinten Kräften nach dem gleichen Ziele. Alle dienen sie dem Gemeinwohl. Allerdings wird’s ja, wie das menschlich ist, an Greinern und Nörglern auch damals nicht gefehlt haben. Aber all diese unangenehmen Nebengeräusche sind verklungen im Laufe der Jahre und durch das ganze Jahrhundert hin­­durch hat nur der reine starre Grund- und V­ollton jener Arbeit die Kraft behalten, zu tönen und zu Klingen bis an das Ohr des Verschlechtes, das‘ jebt hier versammelt ist. Und wir vernehmen nur den Ton, daß Gott durch das große Unglück von 1802 in unsere Vorfahren mächtig das Vertrauen auf ihn und die Liebe zur Heimatgemeinde angeregt hat, und daß diese Seelenkräfte jenes Geschlechtes sichtbar und dauernd geworden sind in diesem Gebäude, das uns hier umgibt, als ein schönes Denkmal des Gemein­­sinnes und der Vorsorge unserer Väter für ihre Nach­­kommen. Sa, „unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfest du ihnen aus.“ Gerade, so hat Gott im Kleinen es mit unsern Vätern nach dem Fleische gemacht, wie einst mit den Vätern des Glaubens mit ihrer Hoffnung auf den Tag der Erlösung. Er ist gekommen dem Menschen­­geschlechte nach langer Wartezeit vor Arbeit der Besten an den Menschenseelen ; er ist in anderem Sinne gekommen unjern Verfahren nach vieljähriger harter Arbeit im Baue dieses Hauses mit dem Weihtage, der vor 100 Jahren die Gemeinde ähnlich wie uns heute hier an schönem, nicht so windreichem Wintertage versammelte. Damals jubelte sie ob der Hilfe, die ihnen widerfahren. Heute gedenken wir, wie mit Dank an den reichen Segen, der dem ganzen Meenschengeschlechte aus der Er­­füllung der Adventshoffnung hervorgewachsen ist, so noch besonders an den Segen, der durch das Evangelium des Menschen- und Gottessohnes von­­­iesem Haufe aus in dieser Gemeinde gestiftet worden ist. Wenn wir das vergangene Jahrhundert unserer Gemeinde auch nur wie im Fluge überblicen, wenn wir die Ent­­wicklung überschauen, die unsere Gemeinde in diesem Zeit­­raume durchlebt hat, wenn wir bedenken, wie wir durch vielfache Feuers-, Wassers-, ja durch Kriegsnot hindurch haben miüssen, wenn wir uns nur an jene wirtschaftlichen Unglückfälle, an jene schredlichen Hagelwetter, erinnern, die so in dem Gedächtnis dieser Neihe von Menschen un­­vergessen sind, dann müssen wir bekennen, wir hätten den Kampf des Lebens nicht bestehen, die einzelnen Seelen, die Familien und die ganze Gemeinde hätte ihre sittlichen Pflichten nimmer auch nur so erfüllen können, wie es geschehen ist, wenn nicht von dieser Stätte die frohe Bot­­schaft vom Gottvertrauen, der Seelenreinheit und der­­ Nächstenliebe ununterbrochen versündigt worden wäre. Nur an einen Gottesdienst sei hier erinnert. ES war am Sonntag nach dem unglückeligen 27. Juli 1880. An diesem Tage hatte ein furchtbares Hagelwetter unsere reichgesegneten Felder, die weiß zur Ernte standen, völlig vernichtet und dadurch eine entsegliche Gemütsstimmung bei der Me­hr­­zahl unserer Beute hervorgerufen. Nach dem Wetter eilte ein Mann hinaus auf sein vor der Gasse liegendes Feld. Als er im Schönen Sonnenschein, der nach dem Gewitter strahlte, sein vorher so stolzes Kornfeld ganz verchüttet da liegen sah, da erhob er in unbändigem Zorn drohend die Hand gegen den Himmel und rief: „Nun ernähre du mich.“ Und als in diesen Tagen des Leides junges Wolt einst lachte, verwies eine ältere Frau ihm das mit den Morten: „Wie kann in Heldsdorf noch jemand lachen.“ Verzweiflung und Verzagtheit hatte dies Unglück­wetter geweht. Und doch war am nächsten Sonntag die Kirche gedrückt voll. Und als wir das Lied: „Befiehl du deine Wege“ anstimmten, ihr Altern ihr wißts, unter Tränen und Schluchzen fangen wir’s. Und als mein in Gott­­ ruhender Herr Vorgänger, der selige Pfarrer Karl Riemer tief ergriffen auf den Gott hinwies, der die Vögel nährt und die Lilien kleidet und aus seinem Gottvertrauen heraus auf unsere Seele stärkte, da ward der Tränenstrom gestillt, die Bangigkeit der Herzen gelöst und getröstet und mit neuem Mut ging die Gemeinde hinaus in das arbeits­­volle Leben vieler Jahre, um die bittern Folgen Dieses Unglückes zu überwinden. Und wir haben sie überwunden mit durch Stärkung unserer Seelen, die wir­ hier so oft empfangen durften. So ist denn Kraft, die durch den Unglücktag von 1802, in unsern Vorfahren aufgestachelt worden ist, die Kraft des Glaubens und des Gemeinsinnes, die diese Stätte erbaut hat, immer wieder von hieraus genährt, -

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