Kirchliche Blätter, 1911 (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1911-11-25 / nr. 47

—588—­­­ Und das ist nun unser Trost am Totenfest:es ist kaum ein Menschenleben ganz verarmt an un­­vergänglichen Gütern,Regungen der gottgeborenen Liebe,Strahlen des Himmelslichtes,großem Wollen auch in engstem Kreise:um ihres willen kann das Leben nicht versinken,es wirkt weiter die Werke des, der«es gesandt,in dem Maße kraftvoller und leben­­diger,als es den Zusammenhang mit seinem Sender gewahrt.Der Trost aber,den der Christenglauben bietet,wenn wir unserer Toten gedenken,wird zur ernsten Mahnung für uns,wenn wir unseres Todes gedenken.Wie wir die Spanne Zeit nützen,die wir im Erden scheine noch wandeln,davon hängt es ab, ob wir den Tod,den großen Gottesboten,als Freund mit stillem Hoffen grüßen können oder als unerbitt­­lichen Offenbarer der Nichtigkeit unseres Erdens­wandels fürchten müssen.Je näher an Christo, desto größer die Zuversicht und der Herzensfrieden, je tieser in Gott,desto fester in der Ewigkeit ge­­gründet. —p «­­ ... ”+, Jesu Stellung in unserm religiösen Leben. (Schluß.) An der Stellung Luthers zu Jesus tritt nichts so stark hervor, als seine begeisterte Treue für das alte Dogma. In dem Theologengeschlecht, über dessen Horizont Luther fi erhob, hat feiner mit dem Dogma der Kirche so ernst gemacht, wie er. Für die andern war das altchristliche Dogma von der Gottheit­ Christi, in dem zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche Natur, ungetrennt und u­nvermischt zu denken seien, eine heilige Reliquie geworden, der man die höchste Ehrung er­­wies, die aber für das innere Leben höchstens die Bedeutung hatte, daß eine willkürlich sehaltende Phantasie allerlei Wirkungen daran knüpfen konnte. Für Luther dagegen war darin ausgesprochen, was sein Glaube tatsächlich an Seius Christus hatte: Die Erlösung aus Not und Sünde. Aber indem er diesen Sinn darin fand, hat er mit dem Dogma Gedanken verbunden, die den Urhebern desselben völlig fremd waren. Diese Gedanken drängen bei Luther un­willkürlich hervor, weil er anders als die alte Kirche über das Heil denkt, das uns durch Christus gebracht ist. Er sucht und findet in der Person Jen die Tatsache, daß Gott sich Liebevoll und siegreich ihm zumendet, derselbe Gott, von dem er sie durch seine Sünde geschieden fühlt, und dessen Macht ihm schließlich doch das Gefühl seines eigenen Elends gänzlich verhüllt wurde. Das haben die Urheber des alt­­kirchlichen Dogmas in der Person Jen nicht ge­­funden, und zahllose Christen, in denen sich­­diese Geistesart fortiegt, finden es auch nicht. Sie meinen an der Berson Zesu etwas ganz anderes zu finden, nämlich das: Indem in Jesu Berson zur mensch­­lichen Natur Zesu die göttliche Natur hinzutrat, so daß also in ihm Gott und Mensch vereinigt sind, ist das Wesen der Gottheit in die engste Verbindung mit dem menschlichen Geschlecht oder der mensch­­­­lichen Natur getreten und hat damit die Kluft zwischen sich und dem Menschen überbrückt und dem Menschen den Zugang zu sich ermöglicht. Dies be­­sagt das Dogma von der Zwei-Naturenlehre in Christus. Ergänzend „tritt zu diesem Glaubensjab der andere, daß mit dem Opfertode des Gottessohnes der ge­­rechte Zorn Gottes über die Schuld der Menschheit versöhnt und mit dieser Gott geleisteten stellvertretenden Genugtuung Gottes Gnadenwille für den Sünder wieder ermöglicht wurde. Die Urheber des Dogmas meinten also in der Person Sefu Lediglich die Sicherheit darüber zu haben, daß ihre Seligkeit zu­­künftig möglich werde, oder die Sicherheit darüber, daß ihnen wieder ein Verkehr mit Gott möglich­ werde. Das ist offenbar etwas Geringeres als das, was Luther von Christus hatte. Denn wenn es dem Menschen in einer Tatsache, die sein Erlebnis geworden ist, ein Verkehr Gottes mit seiner Seele erschließt, von dem er vorher seine Ahnung hatte, so hat er etwas ganz anderes, als wenn er sich nur­­ ehren läßt, er dürfe jegt darüber sicher sein, daß er Gott wieder finden könne. Seine Lebenshoffnung kann er daran nicht heften; denn Grund des Heils ist uns nur das, was in dem innern Vorgang unserer Erhebung zu Gott als die ung rettende Macht wirkt. Deshalb bedeutete die Stellung zu Jesu, deren Luther sich­ bewußt war, einen außerordentlichen Fortschritt in der Entwicklung der christlichen Religion, denn im Christentum kommen wir nur dann weiter, wenn die Berson Zeru eine Höhere und umfassendere Be­­deutung für unsere eigene Art zu fühlen und zu denken gewinnt. 3 gehört jedoch zur reformatorischen Bedeutung Luthers, daß er das Neue in die Formen des Alten Kleidete und er so als einen verhüllten Keim den Generationen übergab, die erst in langer geistiger Arbeit die Denkformen der alten Kirche sich ab­­gewöhnen konnten. So sucht er auch hier die neuen Gedanken in den Formen des alten Dogmas festzuhalten. Selbst­­verständlich ist für Luther so gut wie für Athanasius, den Schöpfer des Dogmas, die Gottheit Ch­risti die Grundlage seines Heils: „Wird nun Christo die Gott­­heit entzogen, so ist seine Hilfe da noch Rettung wider Gottes Zorn und Gerichte‘; und: „Wir Ch­risten miüssen das wissen, wo Gott nicht mit in der Wage ist und das Gewicht gibt, so finden wir mit unserer Schüffel zu Grunde. Das meine ich also, wo «3 nicht follt seien, Gott ist für uns gestorben, sondern allein ein Mensch, so sind wir verloren.“ Die neuen Gedanken aber, die er mit der Gottheit Christi ver­­bindet, seine reicheren Vorstellungen davon drängen sich aber doch deutlich hervor, wenn er­ beschreibt, was der Gläubige mit der Gottheit Christi meint. In einer Predigt sagt er: „Denn das kann der Teufel noch Leiden, jo man allein an dem Menschen Christo Hanget und nicht weiter jähret; ja er läßt auch die Wort reden und Hören, daß Christus wahrhaftig Gott sei. Aber da wehret er, daß das Herz nicht könne Christum und den Vater so nahe und ungertrennt zusammenfafsen, daß er gewißlich

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