Kirchliche Blätter, 1916 (Jahrgang 8, nr. 1-44)

1916-01-15 / nr. 3

22 Nur daß der Feldkurat sie tiefer empfinden muß.Auf ihn dringen sie mit besonderer Wucht ein,da alle seine Sinne durch den Krieg in Be­­wegung gesetzt werden,da in seinem Ohr das Donnern der Kanonen ungeschwächt er dröhnt,während der daheimgebliebene Seelsorger nur ein vom wehenden Wind mitgebrachten leises Klingen vernimm.Wenn die Frage der Krieg und das Evangeliuch so für jemanden besteht,so besteht sie in erster Linie für den Feldgeistlichen,der m­itten in den Kriegs­­lärm hineingestellt ist.Für ihn gibt es kein Sichverstecken,kein Sich fürchten vor solchen religiösen Entscheidungen Er muß sich selbst die Antwort geben. Das verflossene Kriegsjahr hat nun wohl genügend Zeit gewährt,um dieser Frage näher zu treten. Man mag das Morden und Töten, das der Krieg mit si) bringt, noch so jede verabscheuen, man mag ihn, den Krieg, wo so sehr einen Schandfled in der Menschheitsentwicklung nennen, und die Hoffnung Hegen, daß künftige Beiten ihn ausschalten werden, für ung Menschen des 20. Jahr­­hunderts ist der Krieg eine unabwendbare Not­­wendigkeit geworden. Den Krieg jegt grundjäglich berwerfen zu wollen, sceieße nichts anderes, als Wahrheit, Kultur, Sitte feige aufzuopfern einem friedlichen Zustande, der vieler Höheren Güter ent­­behren würde. Ich glaube kaum, daß ces viele Menschen gibt, die den Frieden, den äußern Frieden zwischen Staaten, an die Sorge der Güterreihe stellen würden, die des Menschenlebens Wert aus­­machen; freilich wird gerade die friedlose Zeit Sehnsucht nach dem Frieden weden und mad erhalten. Ist so der Krieg ein Mittel, dessen si­cie Menschheit bei ihrer Entwicklung bedient, s­­ann es nicht Pflicht eines Einzelnen sein, sich diesem naturnotwendigen Gange zu widerlegen, besonders nicht, wenn das Rad schon im Rollen begriffen ist. &3 sol damit der Friedenspropaganda, so lange sie ehrlich und nicht englisch bleibt, das Verdienst nicht geschmälert werden; sie ist am Wrade als Korrektiv, wenn der Würgengel Krieg ss allzu selbstgefällig gebärdet. Den ehrlichen Krieg aber darf sie nicht stören, ihm nicht Heimtück­h in den Rücken fallen, wenn ein ehrlicher Friede errungen werden sol. So wird auch der Feldjurat, nicht davon ausgehend, daß Zesus das Töten verboten, den Krieg, in dem unsere Beten ihr Blut opfern, verurteilen dürfen, sondern er wird in dem Krieg ein Mittel sehen müssen, das zum Frieden führen soll. Die eiserne Notwendigkeit hat uns die Waffe in die Hand gedrückt, sie wegwerfen zu wollen, wäre Feigheit, wäre Selbstmord. Ein Geistlier, der, empört über den Greuel, der jegt die Welt erfüllt, sie zurüczöge in seine flille Studierstube, vernachlässigte wahrlich seine höchsten Pflichten. Das ist ja das Wesen des Christentums, daß es den Mut aufbringt, zu allen bangen Tagen des Menschenherzens Stellung zu nehmen, daß es selbst zum WBösen und zum Leid fein von Gottvertrauen getragene „ja“ sagen­ann. Und wenn seinerzeit Kesus das Zaubentum und die religiösen Schäge des Heidentums verinnerlichte und dadurch­h,eine neue Religionsgemeinschaft gründete, so muß das Christentum Hineingetragen werden in das Schlachten­­getümmel, damit e8 hier reinigend und verinnerlichend wirfe. Unser Christentum ist sein Nippesgegenstand, der im Salon verstauben darf, nein, e8 ist unser Begleiter auf allen unseren Wegen und und dann am notwendigsten, wenn die Gefahr für und am größten is. Und wenn ed manchmal scheint, als ob der Würgengel e3 in einsame Täler vertreiben wollte, wer soll und muß e3 da herausführen und dem blutbefreien, müden Streiter in seiner ganzen Herrlichkeit zeigen ? Selig der, dem e3 vergönnt it, gerade zu solchen Beiten reines Christentum zu lehren, um dadurch den Krieggreuel mindern und auf ein Minimum des unbedingt Unvermeidlichen herabjegen zu helfen. Sollte dazu nit der Feldjurat in erster Linie berufen sein? Gerecht wird er dieser Aufgabe vor allem in seinen Feldpredigten werden­önnen, die Gottes Wort, seine Gebote möglichst rein zum Ausdruck zu bringen haben, die Hinweisen müssen, auf Sein Opfertod und seine Bedeutung gerade für die Gegenwart. Sie werden Stellung nehmen müssen zu den Gemütsstimmungen, die die Zuhörer erfüllen, werden Siege mit Dan zu Gott begleiten und werden bei Niederlage Mut einflößen, und doch werden sie sub specie aeternitatis gehalten werden müssen, hinweisend auf das, was sich Hinter dem Sichtbaren an Unsichtbarem ahnen und glauben läßt. E83 ist ja natürlich, daß nicht der Sonntag­vormittag (womöglich 10 Uhr) einen auf der Kanzel reden wird. Oft würden die Kanonen und Maschinengewehre um diese Zeit ihre eherne Predigt halten. In Ruhepausen des Gefechtes, an Tagen, wo friedliche Stille im Lager h­errscht, wird der Feldjurat seine Gemeinde versammeln können, um mit ihr Rückchau zu Halten. Dieses Nichtgebundensein an Tag und Stunde wird manchen Wochentag zum Feiertag machen können und wird es mit fi Bringen, daß Redner und Zuhörer gerade in der rechten Stimmung sind. Doch wenn diese Gelegenheit sich nicht ergibt, wenn es rein unmöglich ist, eine Gemeinde um sich zu Sammeln, dann wird Die Einzeljfeelsorge des Feldgeistlichen zu beginnen haben. Hat die Predigt das enthalten, was alle beschäftigte, so wird der Besuch des einzelnen im Schüßengraben oder im Spital das Leid und die Freude des einzelnen zur Sprache kommen lassen. Wenn wir hören, wie freudig der Geistliche gerade von Verwundeten begrüßt wird, so ahnen wir, wie viel hier erreicht werden kann, wenn der Seelsorger geben kann, was sie bei ihm suchen, nämlich „Kraft und Freudigkeit, Gleichmut und Ausdauer.“ Von dem auf der „Sneisenau“ gefallenen Geschwaderpfarrer Hans Rohr rühmt der 1. Offizier u. a., er habe der Mannschaft öfters Vorträge über Gneisen an,

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