Kirchliche Blätter, 1917 (Jahrgang 9, nr. 1-52)

1917-10-27 / nr. 43

—378—— sichen Verdienstes gegenüber erlebte er innerlich die­­ Gnade des lebendigen Gottes, der er­st gläubig unterwarf und nun „seines Glaubens lebte“. Und dad in einer Art, wie sie wieder uns allen Vorbild sein muß. „Glaube ist eine lebendige Zu­­versicht auf Gottes Gnade — so schrieb er — und folsche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröplig, teogig und luftig gegen Gott und alle F­reaturen. Daher der Mensch ohne Zwang willig wird und Luft bekommt, jedermann Gutes zu tun und jedermann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und Lob, also daß unmöglich i­ft, Wert von Glauben zu scheiden, so unmöglich als Brennen und Leuchten von Feuer mag geschieden werden.“ So gestaltete der Glaube das Leben um. Eine freiere und strengere Auffassung des sittlichen Lebens legte, in unmittelbarem Anschluß an die Bergpredigt, den Schwerpunkt der G­ittlichkeit in das Gewissen des Menschen, das sich an Gott gebunden fühlt, das allgemeine Priestertum und der Gedanke der Ge­­meindefirche, die ihr Mecht in fi trägt, seine Berfaffung al von Gott gegeben ansieht, sondern sie den Rettverhältnissen entsprechend umgestaltet, schuf nicht nur neue Lebensformen, sondern gab ihnen neuen Inhalt. Damit hing zusammen die veränderte Auffassung des Staatlichen Lebens und der Arbeit überhaupt. Nicht mehr ein Diener der Kirche, die ihm so gern zu ihrem Büttel gemacht, trug der Staat — auch eine Ordnung Gottes — das Recht des Bestandes in ji und übernahm Aufgaben, die bisher die Kirche allein in der Hand gehabt. Jegliche Arbeit erschien nun geadelt, denn auch sie war Gottesdienst, es gab keinen Beruf mehr, der über dem andern stand. Das ehr­­liche und Häusliche Leben erhielt eine neue Weihe, nicht al geduldet bloß und niederen Grades als die Gelübde, es zu meiden, sondern Gott wohlge­­fällig, der Natur und der heiligen Schrift ent­­sprechend. Weit entfernt von den legten Bolgerungen der Freiheit des Glaubens, Denkens und Forschens geht doch diest, wie heut allein die Grundlage der geistigen Entwicklung der Menschheit ist, auf Luther zurück, der nach „hellen Gründen“ fragte, bevor er fi menschlicher Autorität unterwarf, und er hatte Recht, wenn er, der den Deutschen die Einheit der Sprache, die deutsche Bibel und das deutsche Kirchenlied gab, und damit ein Band wob, das über alle trennen­­der Schranzen Hinüberreichte und die Deutschen in der Welt verband, und sie zugleich in neuer Weise mit Gott verband, der mun Ddeutich zu seinem Wolfe redete, zu seinen Gegnern sagte: Ihr, die ihr mein Evangelium habt verdammen lassen, „Habt es aber heimlich und in vielen Stüden angenommen“. So ist er ein­ Wohltäter auch der alten Kirche geworden. Die Reformation ging in ihren Folgen — wie das so oft in der Geschichte nachweisbar ist — hinaus über fo’ mancjes, das die Urheber anfangs nicht gewollt und nicht voraussehen konnten; die ihr inne­­wohnenden Kräfte brachten die Früchte, die der jegigen­­ Geistesbildung den Charakter aufgebrüht haben. Es ist nicht zu leugnen, daß überall in der Welt, all in der Katholischen Kirche, was dauerhaft ist, mit protestantischen Gedanken befruchtet ist. Was die Reformation und gewesen ist und i­­m­mer könnte er leugnen? Uns ward sie nicht nur der Weg zum ewigen Leben, nicht nur der Führer zu Gott und zum Frieden der Seele, und hat sie da­­s Volkstum erhalten und geschaffen, die Kraft in den Nöten der Jahrhunderte auszudauern und doch nicht weltmüde darauf zu verzichten, im Einzel- und Gesamtleben nach dem Höchsten zu fliehen, das die Seele füllt, ein Leben in Gott zu führen und es zu betätigen in den Aufgaben des Tages und des Berufs.­­ Noch fehlt viel, daß wir am Ziele stehen, aber die Feier des Tages für die Seelenkräfte stärken, die zu solchem Leben renfen. Mit Dank und Gebet steht auch unser Wolt vor Gott. Er hat gerade durch die Reformation es befähigt, bis zur Stunde auszudauern, und wir hoffen, daß darin auch die Ber­ Heißung für unsere Kirche Liegt, die einst Melanchthon über Honterus sprach: „So spricht der Herr, ich lege mein Wort in deinen Mund und bedece dich unter dem Schatten meiner Hände, daß ich den Himmel pflanze und die Erde gründe und zu Zion spreche: du bist mein Bolt.“ ER Zum Reformationsfest. Vierhundert Jahre sind’s, da sprach der Herr zu seinen Engeln: „Vieles ist zerfallen in meinen Reichen, seit ich mich’ und schiwer die lechte Hand gelegt an Erd’ und Meer und Menschentind, das Tieblichste von allen. Drum geb’ ich einen neuen Schöpfungstag!*... So brach­ die Sonne jenes Morgens flammend und siegreich auf, wo Luther, Schlag um Schlag, den Hammer in der Faust, mit freien Bliden, als sollt’ er wie ein alter Götterschmied sein mächtig welterfüllend Lied vom Schloßberg in die Täler schiden, das Licht begrüßend und die Finsternis verdammend — dem deutschen Volk sein deutsches Herz verriet. Und either will er nicht mehr schweigen. Gleich einer Duelle, wenn sie si dem dunklen Schoß der Wiese froh entringt, und hell und groß ins Ungeme­ine ihre Wasser steigen — so plaudert’s, lacht, erglüht und droht noch heute wider zaghaft-schwache Geister, und wächsst zum Strom, der Schiffe trägt und Boot, ein Bolf in heilig hohem Streben auf seiner breiten Welle Kraft emporzuheben zu Gott, dem Meister. So ward ein neuer Schöpfungstag, da Luthers Lehr’, mit mutigem Hammerschlag, vom Schloßberg in die Weit’ und Breite schallen; er hebt sX fructbar­ wie vom Frühlingswind zum Himmel uu’ und Erd’ und Menschenwind, 203 Tieblichste von allen. 9.

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