Der Spiegel, 1844. január-december (17. évfolyam, 1-104. szám)

1844-05-08 / 37. szám

ich die höllische Musik zu hören glaubte. Beim AuSstcigen auS dem Wagen fiel und ein Le­ben auf, daS jedenfalls kein alltägliches war. Vor dem Gasthofe und auf dem Theaterplaze hatten sich Gruppen gebildet und an dem Treiben und Wogen schien der Frühling allein nicht Schuld zu sein. Wagen rollten herüber, hinüber. Es konnte nicht anders sein, etwas Neues, Un­gewöhnliches war im Anzuge; denn Bergere, JacqueS, feine Pfeife und ich waren viel zu unbe­kannt und bescheiden, alS daß wir zu diesem Summen und Surren Veranlassung gegeben haben soll­ten. Gewiß stand ein Prinz von Geblüt oder ein Künstler von Talent in Aussicht. — Die Speise­­gloke störte unS Plözlich in unfern Forschungen. An der Table d'Hote machte ich die erste Be­kanntschaft mit einem zweifüßigen Thiere, von dessen Eristenz ich mir bis dahin noch nichts hatte träumen lassen und das Buffon und die andern Naturforscher zu klassifiziren vergaßen. Freund Jacques aber flüsterte mir zu, diese sonderbaren Geschöpfe seien Weinreisende. AuS ihrer Unterhaltung erlauschte ich die Lösung des vorbezeichneten Räthsels: eS sollte heute Abend im Theater ein Wohlthätigkeitskonzert gegeben werden. Ein Konzert! DaS Wort machte mich roth vor Wonne und Jacques blaß vor Entsezeu. Jacques war ein seelenguter Kerl, nur zwei Dinge konnte er ohne Gänsehaut nicht nennen hören: seine — Frau und Musik; die Musik aber war der einzige Punkt, über den wir uns nicht vereinigen konnten. Konzerte waren in Provinzialstädten damals noch große Seltenheiten; denn Frankreichs musikalische Bildung war erst im Werden und meine Wenigkeit hatte weiter noch keinem Kon­zerte beigewohnt, als dem der Hofopernsänger des Frühlings. Seitdem ist Frankreich beinahe so musiklustig wie Deutschland geworden. Die Musikpest hat Alles angestekt; weiß der Him­mel, wie daS enden soll. So viel Städtchen, so viel Liebhaberkonzertvereine, die fich's all­wöchentlich sauer werden lassen. In jeder Stadt von viertausend Seelen hämmern täglich stun­denlang ohne Herz und Seele drei, vierhundert Hände auf dem Klimperkasten, Piano genannt. Großer Gott, diese Dilettantenmusikwuth hat schon so viel Gutes und Liebes mit Sang und Klang zu Grabe getragen und wird noch mehr zu Grabe tragen! Früher sang man ein ein­faches , herziges Volkslied; jezt schreit jedes Gänschen Bravourarien zum Rasen und Rasend­werden. Dieser Muslkvampyr hat fchon daS Lustspiel, daS Drama, mit einem Worte das echte Theater tobt gemacht und er verwüstet eben so die wahre Geselligkeit. Zu einem unterhalten­den Gespräche gehört Geist und Bildung; zum Anhören eines MufikstükeS braucht man bloS zwei Ohren, und wären eS Eselsohren, mit in Gesellschaft zu bringen. Noch ärger sind die Pianoverwüstungen int Familienkreise: ehemals laS man ein gutes Buch an Winterabenden, man sprach ein vernünftig Wort; jezt wird schlechte Musik gemacht und durch fie Zeit, Geld, Geist und Bildung zum Fenster hinauSgeworfen. — Damals, als ich mit meinem Freund JacqueS reiste, war ein Konzert noch ein Ercigniß. Wochen, ja Monate vorher rüsteten sich Stadt und Umgegend zu einem solchen seltenen Gaste und cö war dann ein Leben wie in Car­­pentraS bei dem Wohlthätigkeitskonzerte. Bei besagtem Konzerte wollten sich mehrere Musik­freunde des Departements hören lassen; aber der eigentliche Magnet, die Krone des Festes war die Gräfin Rossi, die versprochen hatte, den Abend durch ihre Schönheit und Liebens­würdigkeit, durch ihre Stimme und ihr Talent zu verherrlichen. Die Geschichte von der sangrcichen Gräfin und dem bevorstehenden Wohlthätigkeitskon­zerte wurde bald so, bald anders erzählt, und die sonderbaren Geschöpfe, welche Freund Jac­queS Weinreiseude nannte, wußten darüber die kuriosesten Histörchen zum Besten zu geben. Na­türlich war ich ganz Ohr bei Tische und so erfuhr ich benn, die Gräfin sei vor einigen Jah­ren noch eine berühmte Sängerin gewesen, deren Name mit der der Catalani und der Pasta als erstes Dreigestirn am Kunsthimmel ihrer Zeit glänzte. Da fei der Graf gekommen, habe sie vom Theater entführt, zur Gräfin gemacht und halte die Nachtigall jezt in dem goldenen Käfig eines Schlosses, wo sie ein sehr langweiliges, einförmiges Leben führe und gewiß schon hun­dertmal bereuet habe, daß sie die goldene Kunst um eine Grafenkrone hingegeben. — Vielleicht war dies nur Kleinstädterklitschklatsch; aber als Thatfache stanv fest, daß die Gräfin bereits inS dritte Jahr im Lande lebte, ohne daß sie ein Lebenszeichen von sich gab. Wenn daher Dieser ihre Schönheit und Jugend pries, so betheuerte Jener, schon sei sie nicht und jung auch nicht, fie habe in den Rosenwochen der Ehe ihre Stimme verloren. Um dem Dinge auf den Grund zu kommen, beschlossen die Söhne und Töchter deS Landes, die den Grafen nicht leiden konnten, weil er ein reicher und ein noch geistreicherer Mann war (wie ich späterhin fand), sie beschlossen, sage ich, ein Wohlthätigkeitskonzert zu veranstalten und die vielbespro­chene gräfliche Nachtigall zur Mitwirkung bei dem guten Werke einzulaven. Die Mildthätig­­keit war somit nur Mittel zum Zweke: man wollte der Gräfin eine Falle stellen und dem Grafen beweisen, man wisse recht gut, daß er eine Sängerin geheirathet habe! Es verfügte fich eine Deputation der ersten Provinziallöwen zum Schlosse, fie hatte aber nicht die Ehre, bei der Gräfin vorgelaffen zu werden, doch versprach der Graf, seine Gemahlin werde nicht

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