Der Spiegel, 1844. január-december (17. évfolyam, 1-104. szám)

1844-07-31 / 61. szám

Kcr Spiegel 18li. $8i achteten; die Löwen deö TageS kamen näher; und die schmeichelhaftesten Süßigkeiten im neue­sten Geschmak, laut ausgesprochen, drangen biZ zu den Ohren der Fremden, jedoch vernahm dieselben unglüklichcr Weise blos der Onkel Giraud, den, fie trefflich mundeten. Unterdessen nahm Camilla nach und nach ihre ruhige Miene wieder an, und zulezt ergriff fie so gar eine Art von Schwermuth. Sie fühlte daS Grausame, unter dieser Menge vereinsamt zu sein. Diese Leute, die in ihren Logen plauderten, diese Tonkünstler, deren Instrumente die Schritte der Schauspieler regelten, dieser Austausch der Gedanken zwischen Bühne und Zuschauerkreis — all das drängte sie so zu sagen in sich selbst zurük. »Wir sprechen, und du sprichst nicht", schien ihr alle Welt zuzurufen; »wir hören, wir lachen, wir singen, wir lieben uns, wir freuen uns mit einander; du allein freust dich über nichts, du allein verstehst nichts, du allein bist hier nur eine Statue, daS Abbild eines WescnS." Camilla schloß die Augen, um nichts mehr zu sehen; sie erinnerte sich deS KindcrballcS, wo fie ihre Gcspielinen tanzen sah und bei ihrer Mntter blieb, und dieser Gedanke leitete ste in ihre so unglükliche Kinderzeit, zu ihren langen Leiden, ihren geheimen Thränen, dem Tode ihrer Mutter, und endlich zu ihrer Trauer, die sie abgelegt und wieder anlegcn wollte, sobald sic nach Hause gekommen. Da sie doch einmal verurthcilt war, so schien cd ihr besser, keinen Versuch zu machen, daS Leiden zu mildern. Sic fühlte bitterlich, daß jede Anstrengung ihrerseits, dem himmlischen Fluche zu widerstreben, unnüz sei. Erfüllt von diesem Gedanken, konnte sie einige Thränen nicht zurükhalten, welche der Onkel Giraud fließen sah; er suchte den Grund zu erforschen, als sie ihm ein Zeichen machte, daß sie sich zu entfernen wünsche, ttebcrrascht und beunruhigt, zögerte der gute Alte und wußte nicht, waS er beginnen sollte, da erhob sich Camilla und deutete auf die Thür der Loge, damit er ihr den Mantel reiche. Im selben Augcnblik gewahrte sic unten einen jungen Mann von gutem Aussehen und sehr reich gekleidet, der in der Hand ein Schicscrtäfclchen hielt, auf welches er Buchsta­ben und Figuren mit einem- kleinen weißen Stift zeichnete. Cr zeigte dann das Täfel­chen seinem älter» Nachbar, welcher ihn alsbald zu begreifen schien und ihm augenbliklich auf gleiche Weise antwortete. Beide wechselten außerdem durch Ocffnen oder Schließen der Hände und Fingerbcwegungen verschiedene Zeichen, die ihnen zur leichteren Vermittelung ihrer Ge­danken zu dienen schienen. — Camilla wußte sich weder diese Zeichnungen, die sie kaum un­terscheiden konnte, noch die gervcchsclten Zeichen zu erklären; aber sic hatte im ersten Augcn-­blike bemerkt, daß der junge Manu die Lippen nicht bewegte; und im Begriff, zu gehen, verweilte sie. Sic sah, daß er aus eine Weise sich verständigte wie kein Anderer und ein Mittel, sich anSzudrükcn, gefunden hatte ohne die fatale Bcivcgung der Zunge, rvaö ihr so unmöglich und unbegreiflich schien. Wie auch diese fremdartige Sprache war, die äußerste Re» berraschung, ein uubezwiuglichcs Verlangen, mehr davon zu sehen, hießen sie ihren Plaz wie­der cinnehmen, den sie verlassen; ste bog sich über den Rand der Loge, beobachtete aufmerk­sam, waS der Unbekannte anstng, und als ste denselben von Neuem auf die Schiefertafel schrei­ben und daS Geschriebene seinem Nachbar reichen sah, machte sie eine unwillkürliche Bewe­gung, als wolle sic das Täfelchen ergreifen. Bei dieser Bewegung wendete sich der junge Manu um und betrachtete scinerscits Camillen. Kaum hatten sich ihre Augen begegnet, alö fie beide Anfangs unschlüssig einander anstarrten, wie wenn sic sich ivicdcr zu erkennen such­ten, daun, in einem Augcnblik, ahnte Einer des Andern Schiksal, und ste sagten sich mit einem Blikc: mir sind beide Stumm! — Onkel Giraud brachte seiner Nichte den Mantel, aber sie wollte noch nicht gehen. Sie hatte ihren Stuhl wieder eingenommen und siüzte fich auf die Brustlchnc. Der Abbe de l'Epee war damals eben im Begriff, bekannt zu werden. Er lehrte die Taubstummen lesen und schreiben, und brachte sic so in die menschliche Gesellschaft. Allein unb ohne Beistand, durch seine eigene Geisteskraft halte er eö unternommen, diese Uuglükli­­chen für die Familie zu gewinnen, und war bereit, Leben und Vermögen diesem Zweke auf­­zuopfcru. — Der junge Mann, welcher neben der Loge CamiUenS saß, war einer der durch den Abbe gebildeten Zöglinge. AIS gcborncr Edelmann, auS einem alten Hause, mit einem scharfen Verstände begabt, aber ein »Halbtodtcr", wie man damals sagte, hatte er, einer der Ersten Unterricht empfangen; und man gab ihm noch, unabhängig von den Belehrungen deS Abbe, einen besondern Hofmeister, der ihn überall begleiten konnte und beauftragt war, sein Beneh­men zu beaufsichtigen und seine Gedanken zu leiten (eS war der Nachbar, der die Schiefer­tafeln zum Durchieien empfing). Der junge Mann nüzte sorgfältig und mit großem Fleiße diese täglichen Uebungen, die seinen Geist über AlleS aufklärten; jedoch widerstritt in ihm solchem peinlichen Unterricht zuweilen fein angeborner Stolz und eine scharf auSgebilvete Un­abhängigkeit des Charakters. Cr hatte kein Bewußtsein von dem Unglük, daS ihn erreicht

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