Neues Pester Journal, März 1894 (Jahrgang 23, nr. 60-90)

1894-03-01 / nr. 60

YIWWs Septgwsslr.60. Neues er. Abonnement: 3 Einzelne Aummern Ganzi. fl. 14, b6i. fl. 7, viertelj. fl.3.50, monatlich fl. 1.20. Er frint täglich, auch an Montagen. Eigenthümer: Sigmund Brody. in Bu 4­hr., in der 5 kr. Redaktion mcg­ter­nd db Aue Striedenspfänder. Die srgestern im deutschen Reichstage er­öffnete die Lesung des deutscerufflichen Handels­­vertrags ließ sich so langweilig an, daß der Fort­­seßung alt Frauen entgegengesehen wurde, da das methiaftliche Für und Gegen die Ermäßi­­g der deutschen Getreidezölle vieltausendfach in rt und Schrift breitgeschlagen worden ist. Umso Sichuender überrascht die Thatfadhe, dak gestern af Gaprivi die Debatte in eine höhere Region hoben hat, wo sie nicht nur alle Deutschen, jon­­sin alle Friedensfreunde auf Erden interessirt. 2. ihrem persönlich-polemischen , s­orgsam die Oposition der Konservativen ignorirenden und­­ ausschließlich gegen den Bund der Landwirthe eihtenden Theile war die Kanzlerrede beachtens­­werth durch Kundgebung des festen Entschlusses, auf seinem Posten auszuharren, und das “Plai­­doyer für den Handelsvertrag eröffnete den euro­­päischen Nationen Aussicht auf mindestens ein Jahrzehnt friedlicher Entwicklung. Seit einem Jahrhundert, so legte Caprivi dar, habe Preußen sich um eine wirthschaftliche Annäherung an das Grafenreich bemüht. Bismarc habe erklärt, er und seine Nachfolger würden diese Bestrebungen unermüdlich fortlegen, und der jegige Kanzler habe als Nachfolger Bismarc’s dieses Versprechen des Lesteren eingelöst. Die Polität der Dreibundsmächte fenne sein anderes Ziel als die Erhaltung des Frie­­dens. Unter außerordentlichen Umständen fönne neben dem Zollfriege, wie folcher nach Verwerfung des deutscherufsischen Handelsvertrages unabwendbar wäre, ein außerordentlicher Mann die politische Freundschaft fortlegen; aber unwahrscheinlich bleibe das Gelingen in jedem Falle. Dagegen beseitige die deutsche rufsische Verständigung die Reibungen zwischen Rufen und Deutschen, schlage zwischen beiden großen Nationen eine Brüce und­­ ver­­mehre die Friedenszuversicht unter den europäi­­schen Völkern. Auf zehn Jahre sei sie geschlossen , so lange gebe das deutsche Reich ein Band seiner friedlichen Absichten. Der Kanzler bestritt ent­­schieden, daß Deutschland seine führende politische Rolle eingelenkt habe; gerade durch, die Handels­­politik des neuen Kurses, die fast das ganze außerfranzösische Europa durch Verträge zu einem gewaltigen Gebiete des friedlichen Verkehrs ge­­einigt hat, sei Deutschland zu solcher Rolle ge­­langt. Nicht Kriegsruhm sucht das Reich, darum suht es die Hebung seines Ansehens durch die Lösung von Kulturaufgaben. Und weil der russische Handelsvertrag solch? Friedensunwert­ ist, haben die leitenden Staatsmänner Oesterreiche Ungarns und Italiens ihre Freude über das Zustandekommen ausgesprochen. so das Gerippe der Rede, deren über­zeugende Kraft zweifellos ist und in Deutschland sich­hon erprobt. Die Annahme des Vertrages Viel zu der jüngsten Wendung hat beigetragen, daß der greise Rudolf v. Bennigsen vom Krankenlager nach Ber­­lin geeilt ist und seine dem Vertrage widerstre­­benden Barteigenossen zum erheblichen Theile für Der Bahn­­brecher der deutschen Einigung, der Patriot, der­­wird heute nicht mehr bezweifelt, das Friedenswert gewonnen hat, sicher nicht genehmigen werden. Das Kunstftüd, die Majorität zu nehmen, wo man sie findet, läßt sich nicht lange wiederholen. Die heillos verworrene parlamentarische und gouvernementale Lage be­­weist, daß die Regierung unflug gethan hat, ihre Basis im Juniertaum zu suchen, und daß an eine ruhige Fortentwicklung erst zu denken, wenn das liberale Bürgerthum entfeffelt und wieder, wie in der ersten Hälfte der­­ Siebziger-Jahre, zur Stüße des Kanzlers erwählt ist. — Wie in Deutschland, so wird auch in Frank­­reich Caprivi’s Nede nicht des Eindrucks verfehlen. Zur selben Stunde, da der deutsche Kanzler das zwischen Naßland und Deutschland geflochtene kommerzielle Band als eine Friedensbürgschaft pries, vollrte der französische Senat gegen eine winzige Minorität seiner Mitglieder die Erhöhung des Getreidezolls auf sieben Francz, also auf die­sen an das deutsche Bürgerthum gerichtete Mag Höhe der deutschen Kampfzölle. Hat Yranfreid die nung zur Einheit die Zurückziehung des Jedigyz­chen Schulgefeg-Entwurfes bewirkt hat, er hat sich ein neues­­ Verdienst um sein­ Baterland erworben. Und damit um den ganzen Exrhzheil, welcher des Friedens bedarf. Wie nun der sicher: Erfolg der caf.. die deutschen Parteiverhält­­nisse wirken werde, das ist nit abzusehen. Die Konservativen stimmen im Budget-Ausihase Des Reichstages Fonsequient Schulter an Schnee mit den Sozialdemokraten und Freisinnigen für Getrei­­bung zahlreicher Porter des Heeres: und des Kultur-Etats, weil das Stein freven müsse, wenn es auf weitere zwanzig Millinen Atart aus den Getreidezöllen verzichte. Die Sparsamkeitskomödie der sonst für Militärzwecke so opferwilligen Junker ist den Freisinnigen und Sozialdemokraten natürlich hoch will­kommen, weil sie ihnen die trefflichsten Argumente für den Kampf gegen jede Steigerung der Heeres­­lasten bietet. Aber wenn in der fortgefeßten Ab­­sicht, den Grafen Gaprivi aus dem Amte zu ärgern, Die Komödie auch im vollen Hause ge­­spielt wird und wichtige Rosten des Heeresbudgets Die Auflösung des S­ebbst­tages und Neuwahlen mit einem gegen die kon­servativen gerichteten gouvernementalen Drude würden zur Verstärkung jener Elemente führen, welche alle Forderungen der Kriegs- und M­arine­­verwaltung grundmäßlich verwerfen und die dem preußischen Landtage vorliegenden Steuerentwürfe Reichsregierung­­­schaft faugt seine neue Kraft aus dem Voltsboden. Nicht da die Aenderung der wirtsschaftlichen Beziehungen zwischen dem Grafenreiche einerseits und Deutschland und Frankreich andererseits auf die Gruppirung der europäishen Mächte Einfluß üben könnte. Z­u vortheilhaft ist Die jebize -Pssition Nurlands, das ohne Gegenleistung über die diplo­­matischen und die militärischen Kräfte der Republik gebietet, als daß ein Herüberneigen zum Dreiz bunde, in welchem das Grafenreich nur G­leicher unter Gleichen sein sönnte, abzusehen wäre. Aber das Aufhören der Spannung zwischen Ost und Mitteleuropa könnte Doch zulett die Franzosen von der Hoffnungslosigkeit ihres Sehnens nach russischer Kriegshilfe für Die Wiedereroberung Elsaß-Loth­ verworfen werden ? Vorauslegung des von ihm mit Rußland geschlossee­nen Handelsvertrages, nämlich die Verdrängung des amerikanischen Petroleums dur das russiiche von den französischen Märkten, schon dadurch zunichte gemacht, daß es dem amerikanischen Pe­­troleum dieselben Zugeständnisse machte wie dem rufischen, so wird dur­ die jegige Verharrifahi­­rung der Republik gegen das ruffische Getreide die Kündigung des Vertrages seitens des Peterss­burger Sabinets wahrscheinlich. Aber wenn auf dieser äußerste Fall nicht eintreten sollte, so merz den durch die Verminderung des Handelsverkehrs doch die friedlichen Berührungen zwischen beiden Nationen vermindert, die französischs rassische Freunde . purmal.­ne­szk 5. Bezirk, Waitner-Boulevard Nr. 34. Ein Briefdfaft. ‚Auf Dein Wohl, liebste Anna, und auf un­­seren baldigen Hochzeitstag!” rief der gut gelaunte, hübsche Offizier aus, indem er sein Glas erhob und egen ihres neigte. „Finden Gie nit auch, Liebe ante, daß Anna heute so munter und frisch aus­­sieht, da sie Faum zu erkennen ist?“ „Es freilich”, erwiderte die alte Dame und nichte lächelnd mit dem grauen Kopf, „aber welche Braut sollte nicht munter sein, wenn ihr Freudentag auf eine vierwöchige drift bestimmt ist!" „gange genug hat sich die Spröde gesträubt . . . geht Du!" scherzte er, ihre Hand Füfjend. „Liebes Kind, das dürfen Sie ihr nicht übel nehmen, nach dem sch­weren Schlag... Du lieber Gott!" seufzte die alte Dame. „Lieber Rudolf“, fiel Anna ein, ernst den Kopf schüttelnd, „Du sollst nit so reden, war es denn geziertes Sprödethun und nicht vielmehr... .* „Weiß ja, weiß ja, mein Kind, aber laß die alten Gedanken . . . . stoß an, Nennen, trint — es lebe die Fröhlichkeit und Lebensluft; man lebt nur einmal, wozu also sich grämen um abgethane Soden... holta, Rennden, lache mir nur wieder ordentlich, wirft jeden, wie luftig mir Zwei Ieben wollen !" Anna’s große braune Augen blicken ernst, fast drohend auf den lachenden, die Schnurrbartspigen mirbelnden Offizier, dann, wie sich selbst bezwingend, versuchte sie zu lächeln und sagte: „Ich will mein Möglichstes thun; so fröhlich, wie Du es haben millst, fürcht ich, werde ich jämerlich so bald mer­­den; aber innerlich bin ich aug heute fon till, heiter; mir ist, wie wenn­ ich einen schweren Traum ausgeträumt, und manchmal bebe ich noch bei der Erinnerung an den Traum und dann fühle ichh dop­­pelt fröhlich, daß er vorbei und ich wach bin." „Es freilich, freilich! Ich verstehe Dic) Be a ihh Dich­ morgen nicht wieder E Zopfhängerifch treffe !” mein Mäuschen! Nun bleibe mir aber nur so: „Gehst Du denn fon ?“ „Mit Deiner Erlaubnis, ich muß noch in der Kaserne nachsehen.” „Ich leuchte Div no über die Stiege, es ist schon ausgelöscht.“ „Dante, danke, Schat.” Er schnallte rasch­ den Säbel um und verab­­schiedete sich von der alten Dame, der er respektvoll die Hand fügte. Anna folgte ihm mit einem silber­­nen Leuchter. Auf der obersten Stufe blieb sie stehen und sagte leise, ihren Arm auf seine Schulter legend: „W­eist Du, warum ich heute so heiter bin “" „Run, warum denn?” „Ss habe mir endlich­ gesagt, bak das beiten­­habe ich für uns die Frist bestimmen hassen und fühle mich heute endlich im Stand, die Vergangenheit zu be­­graben ...Ich werde“, flüsterte sie hastig mit gegen s­­ich noch daran erin­­nern, verbrennen, und hoffe, damit jede Erinnerung di­e Grübeln ein Ende haben muß, darum den Augen“, alle Briefe, die mich für immer zu vertilgen; es muß ja sein !* „Bravo, ma­chöre, dafür bekommst Du einen einen! — und auf recht Schönen kukk — fo! noch fröhliches Wiedersehen morgen.“ Er raffelte fon die Treppe herab — unten aber hielt er inne und wandte den Kopf: „Schab!“ ,,Ich will Dir nur noch sagen,daß Du meinet­­wegen die alten billets d’a­mour auch aufheben« kannst,auf Todte bin ich nicht eifersüchtig«,und mit hellem Lachenbogen fäbel klappernd um die Ecke.« Bald hörte man das Hausthor zufallen. Anna’s Hand, die den Leuchter hielt, zitterte leicht, so daß die Schatten an der Wand Hin- und herhuschten — sie stand noch immer mit­­ erhobenem Arm, wie in tiefes Nachsinnen vertunten ; ein faiter Luftstoß vom Hape eier her verlöschte das. ich, da ar sie auf und schritt langsam in die Wohnung zurück..­­. Die alte Tante war müde und zog sich in ihr Schlafgemach zurück, Anna bot ihr gute Naht und begab sich in ihre Edstube, wo die Dienerin schon die Lampe angezündet. Sie legte ihr Kleid ab, löste ihre Schwarzen Flechten und fette sich auf den Stuhl zum Screibtusch. Es war todtenstill im Zimmer, , die Lampe fang einförmig und im Ofen­ glühte­­­ ounfel­­roth der legte Rest des Feuers. Mit­ raschem Ent­­schluffe z0g sie ein Fach auf: eine Menge verschieden­­farbiger Briefe wurde sichtbar und ein schwerer Duft von vertrocneten Blumen und vergilbten Rapse stieg aus der Lade auf. „Das hätte er nicht sagen sollen”, flüsterten ihre Lippen bewegungslos, „das war : garstig! Und „Lustig, immer lustig“, auf das ist so unzart von ihm . . . kann er nicht faffen, daß mir ein ernstes sanftes Wort so wohl gethan hätte... „Lustig, lustig“ — oh! rief sie bitter, freilich er versteht's nicht — und die Tante auch nicht — und die An­deren auch nicht . . . aber nein, sie haben Reit, i bin eine frankhaft‘ überspannte. Natur: die Tobte „Bas denn 2“ BEE” Die heutige Nummer umfaht sechzehn Seiten. a . . . _

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