Neues Pester Journal, April 1894 (Jahrgang 23, nr. 91-110)

1894-04-01 / nr. 91

A Eo­ntag, 1. April 1894, allmälig eine Wandlung herbei. Jedenfalls sollten die Polen aus unseren Erfahrungen lernen, dass der Weg zur Unabhängigkeit nur durch die Bolfs­­freiheit behlafen wird. Budapest, 31. März.­­ Das Amtsblatt publizit heute die Ernen­­nung des Bischofs B­ojilovics zum Erzbischof von Agram; die betreffende a. b. Entschliegung Str. Majestät lautet : « Den Bischof der Zenggs Modruser oder Korbavraex gefeslic vereinigten Kichhendiögese Dr. Georg Bojt 9 Dics ernenne Ich hiemit zum Erzbischof von Agram. Wien, 17. März 1894. Franz Soseph m. p. Gemerich Sofjiporidh mp. Graf Karl Khuen-Héderváry m. p. * Die Abreise des Präsidenten des Abgeord­­netenhauses Baron Desider Bánffy nach Klausen­­burg magt in politischen Streifen viel, böses Blut. ...g­­aufert sich darü­ber folgendermaßen : „Während Hunderttausende des ungarischen Bol­­tes anläßlich der Landestrauer nach Budapest steömen, hat ein Mann vor der Erfüllung seiner Pflicht Neißaus genommen, und das ist der Präsident des Abgeordneten­­­hauses. Selbst heute präsidirte er vor leeren Bänten dem reformirten Konvente in Klausenburg, während die besser­­gesinnten Mitglieder nac Budapest gereift sind. Uns geht der Privatmann Baron Bänffy nichts an, mohl aber der Abgeordnetenhauspräsident. Das Abgeordneten­­rer hat seine Theilnahme einhellig ausgesprogen. Der Präsident ist also untren seiner Stelle und dem Hause gegenüber, indem er sich vor dem Ausbruch der Theil­­nahme feige verflieht und gestattet, hab man mit, der Deputation, dem Kranze und der Berdolmetschung Der Theilnahme des Abgeordnetenhauses mache, was man will. Wenn seine privaten Gefühle mit seinen Präsi­­dentenpflichten in Kollision geriethen, wenn er mit Dem El nach Oben nicht den Muth hatte, seine Pflicht zu erfüllen, dann wäre es seine erste Pflicht gewesen, seine Stellung, dem LAD aeas Bee Hehe zur­ Verfügung zu stellen, nicht aber Schande und Grmniedrigung über das Haus zu bringen. Sein Betragen paßt sehr gut für die Unterwürfigkeit eines Hoflalaten, aber nit für die Würde, das Selbstbemußtsein und die Männlichkeit eines Präsidenten des Abgeordnetenhauses der ungarischen Nation. Dieses Betragen seines Präsidenten muß­­ das Abgeordnetenhaus exemplarisch beitrafen.“ * Aus der telegraphisch unwiedergegebenen Unter­­redung des Wiener Vertreters der Petersburger „Romofti” mit dem serbischen Ministerpräsidenten Simics verdienen noch folgende Reglierungen des Chefs der Belgrader Regierung verzeichnet zu werden : In der auswärtigen Politik sei das Mer­kierungsprogramm Serbiens Freundschaft und Loyalität egenüber allen Mächten. Ob Serbien gleichzeitig mit Deherreich und mit Rußland freundschaftliche Beziehun­­gen unterhalten werde ? Als beste Antwort auf Diefe­stage möge die Thatsache dienen, daß zur Zeit, als er Gesandter in Petersburg gemeten, ‚ver Meinister ‘. Gier ihm stets die Nothwendigkeit freiun be­rhaftlicher Beziehungen switchen Ser­­bienw und Oesterreich-Ungarn ‚vorgehalten, während zur Zeit, da er den Posten des diplomatischen Vertreters Serbien in Wien befleitet, Graf Kal­­hofy stets dazu gerathen hätte, mit Rußland freundi­­n und loyale Beziehun­­gm zu pflegen. kompetentere Nachgeber könne man ich nicht denken. Hinsichtlich der Gefühle Serbiens zu Rußland sei schon früher die Nede gebesen. Mit dem Neues Pelzer Journal, benachbarten Defterreinefingern müse Serbien aber fon in Erwägung seiner wirthschaftlichen Interessen in engster Freundschaft leben und jegliche Reibung unter allen Umständen vermeiden.­­ £­in Berliner Hoftreifen verlautet, es werde eine Begegnung des Czaren mit Kaiser Wilhelm am 28. Juli in Kopenhagen bei der silbernen Hochzeit des d­änischen Kronprinzenpaares stattfinden. ....# Borgestern hat Fürst Bismard anläßlich seines Geburtstages eine Abordnung des Bis­merd-Stammbislches in Düsseldorf, bestehend aus 12 Herren, in Friedrichsruhe empfangen und dieselbe übergab mit einer Ansprache eine kunftvoll ausgestattete Urkunde über ein von dem Stammtisch gestiftetes Rettungsboot, das den Namen „Fürst Bismard” führen und in Norder­ney stationirt werden sol. Der F­ürst, fiktlic erfreut,­ antwortete in längerer Nede, melde folgende bemerkenswerthe Stelle enthält :­­ „Ich Freue mich über jeden Anlaß, der die Ber­­iefung des Gestühls der Gemeinsamk­eit darthut Meine Landsleute, weltliche wie örtliche, sind beide Träger der deutschen Charakter-Eigenschaften des Ohrgefühls, der Irene und des Mangels an Otre­­bereit, wie sie in romantischen Ländern üblich. Unnsere deutshe gulunft it wesentlh auf unsere V­erfassung und auf den parlamentae­rischen Leben bafirt Laffen Sie uns bieses daher vor Allem pflegen und uns nicht einreden, daß es mit der monarchischen Gesinnung unvereinbar sei, wenn wir Kritif üben und Verwahrung gegen Regierungsmaßregeln einlegen, die wir nicht billigen. Im Gegentheil, eine ehrlich monarchische Gesinnung wird auf d­iesem Wege Förderung finden und für Dien Bezieh­ungen des Bürgers zum Monarchen ist es klärend und näglich, wenn Kritif durch Parlament und Bresse stattfindet. Ich habe gegen das Ueber­­er nicht derselben im Beginn meiner amtlichen Zeit zu impfen gehabt, das war Anfangs der­­ Sechziger-Jahre, wo das Element der Kritit nag meiner Meinung zu start wurde und die Stellung des Monarchen zu Schwach­ war. Ra, ich habe das Meinige gethban, um das Mißverhältnniß auszugleichen, vielleicht etwas zu wirksam nach der anderen Seite hin 39 habe dem monar­­chsshen Reiter in den Sattel gebok­fen. Vielleicht war die Hilfe zu leb­­haft im Eindruck des Kampfes. &3 bleibt immer die Hauptjade, bak wir einig ud in monarchischer und deutscher Gesinnung“ Seite 8 Eutin Boffuth, Don der Straße. Mir stehen heute am Vorabende des fetten Astes jenes großen historischen Dramas, zu dessen Schauplan die Bietät und Die Dankbarkeit der Na­­tion das Herz des Landes, die Hauptstadt, erforen : morgen, Sonntag, 10 Uhr Vormittags, wird die ent­­seelte Hülle des einstigen Gouverneurs im Beisein einer hunderttausendköpfigen Menge, in welcher die entlegensten Ortschaften Ungarns vertreten sein wer­­den, für immer der heimathlichen Erde einverleibt, von welcher der Lebende sich fünfundvierzig Jahre lang mit unerschütterlicher Konsequenz ferngehalten. Die Physiognomie der Hauptstadt war heute nicht minder bewegt als gestern: die allgemeine Trauer und die Anwesenheit der Trauergäste aus der Proz­vinz gaben ihr das Gepräge. Die Trauerdekorationen wurden heute vervollständigt, einzelne Defekte, welche der gestrige Einzug verursacht, reparirt. Besonders auf jenen Straßenzügen, welche der Monstre-Leichen­­zug passiven wird, auf dem Museumsring, dem Karlsring, dem M­artnerboulevard zwischen der evan­­gelischen Kirche und der Sndräffpitrohenmündung, auf Dieser legteren Avenue bis zum Oftogon, auf den Theresien- und Glisabethring und auf der Rever peferstraße rührten sich eifrig Hunderte von Händen, um den mannigfaltigen Trauerschmud möglichst hari­monisch zu gestalten. Was aber den Fremdenzuflus betrifft, so ist dieser ein so gewaltiger, wie er bei uns zu den größten G Seltenheiten gehört. Anläßlich der liberalen Landesversammlung mögen annähernd so viele Provinzler nach der Hauptstadt geströmt sein als zum Leichenbegängnisse Kossuth’s, aber sie kamen und gingen und beeinflußten am Aussehen Budapests­­ wenige Stunden. Jet aber dauert der Fremdenzufluß schon seit Tagen; täglich bringen die Eisenbahnzüge und Schiffe Tausende und Tau­sende, von Tag zu Tag mehr und mehr. Am Laufe des gestrigen Tages sind nicht weniger als pfreihig­­tausend Bersonen hier eingetroffen (auf den Westbahnhofe 8870, auf dem Ostbahnhofe 12,604, auf dem Südbahnhofe 1931 Bersonen und mehr als 6000 zu Schiff); der heutige Tag dürfte kaum mes­niger Gäste gebracht haben und man kann ohne Hebertreibung jagen, daß die Zahl der aus dem trau­­rigen, aber erhebenden Anlasse nach der Hauptstadt Gefommenen die Hunderttausend überschreite. Für die Gäste aus der Provinz gab es heute des Sehenswerthen genug. Am Vormittag begaben sie sich zum Leichenbegängnisse der Gattin und Tochter Kossuth’s. Nachmittags drängten die Massen iis a zur­­ Besichtigung der Bahre, die übrig­­bleibende Zeit aber wurde zur Besichtigung der Metropole und ihres Trauerschmuchs verwendet. Auf Tritt und Schritt begegnete man biederen Landleuten, die vor imposanter deform­ten Häusern Halt machten und ihrer Bewunderung und Anerkennung unver­­hohlen Ausdruch verliehen. Dann wieder gemahrte man Deputationen von Honoratioren, selbstbemußt einherschreitend und gemessen um sich blidend, gleich­­sam als wollten sie sagen, daß die Hauptstadt ihren Erwartungen knapp entspreche, daß sie aber keinen Grund zum Staunen hätten. Die Deputationen aus der Provinz Bringen Kränze mit, die bereits in so großer Anzahl vorhan­­den sind, daß man nicht mehr weiß, wohin man sie thun soll. Gegen Abend füllten sich die Gast- und Kaffeehäuser der Hauptstadt ; Ipptere erfreuen sich bis spät in die Nacht, ja in den Morgen hinein der größten Frequenz, da viele Fremde kein Quartier mehr bekommen, daher sie sich bemüjsigt sehen, die Nacht zu „verbummeln“. „Budapest bei Nacht“ hatte heute wirklich großstädtische Allüren — Dank der Provinz. Viele begeben sie übrigens schon deshalb nicht zur Ruhe, weil sie am Morgen so früh wie möglich auf dem Schauplate des großen Ereignisses sein wollen, das den Abschlung der zwölftägigen „Ergehen“ werthvoller Gedanken allerdings einen neuen und einleuchtenden Sinn. Wir­ denten­­ als Durchschnittsmenschen genommen — im Ganzen zu wenig, aber die Einzelnen, die sich dem Denten mit Absicht und Beruf hingegeben haben, denten viel zu viel. Sie haben die Welt, die sich im Gehirn tummelt, in eine Bewegung gejeßt, deren sie­ nicht immer Meister sind, und so wird ihr inneres MWeben und Dichten zeitweise zu einer Gegend, in der man buchstäblich den Wald vor den Bäumen nit sieht. Das Gehen, d. h. die unablässige Aenderung des Meukeren, das uns umgibt, das Sichaufdrängen­ von Eindrücken und Einflüssen, Die immer neu und anders zu und sprechen, befreit und von dem Denken auf der eingeschlagenen Spur, und indem wir alle Belege überhaupt verlieren, verlassen wir einen Str­eg. Wir denken nicht mehr und da denkt es in uns... Der schöpferische Geist gewinnt die Herrschaft über den grübelnden oder blos orönenden Verstand und Nomer, der sich seufzend und martend um Nota­­munden verzehrt, bekommt Julien zu Gesichte, Die für ihn geboren ist.... 4. Hier mag sich der Schlüssel zu dem Wider­­spruch be­finden, daß man nur fitend und festgebannt ordentlich denten kann und Doch­ auf dem Wege des Wanderer die großen Gedanken findet. Die Lösung liegt im Unterschied zwischen den schöpferischen und den entwickelnden Gedanken. ene miüffen zu uns kommen, in dem Momente, da sie start genug sind, sich die Bahn zu brechen, wie die Minerva aus dem Haupte ihres Anters; diesen müssen wir nachgehen. Und seltsam! Gerade diejenigen Gedanken, denen mir nachzugehen haben, erreichen wir besser im Zus­tand der körperlichen Nähe, und wieder jene, die zu­ns kommen müssen, treffen uns dort an, wo wir er Gedanken zu fliehen beginnen ! Ob es dem Leser nicht als ein müßiges Spiel scheint, Derlei Unterscheidungen zu machen? Cl­äre ein Vorwurf, der sich ertragen ließe, denn ein Spiel ist nichts Verpöntes, und ein Spiel mit Ge­­danken nicht das Schlimmste von den Spielen. Aber die Frage hat einen Hintergrund. Es leuchtet daraus zunächst hervor, daß die Menschen, die Gedanken­­arbeit für Mit- und Nachwelt leisten, ihre Stunde zu wählen haben je nach der Art ihres Beginnens. Ob figend, stehend oder wandelnd, das ist nicht buch­stäblich zu nehmen, aber der Künstler, der ein Neues unternimmt, soll sich nicht unterfangen, auf dem Wege des Grabens und Grübelns erst zu dem Ge­danken zu gelangen, der die Seele seines Werkes wird: der schöpferische Einfall will sich nicht holen lassen, sondern erlebt sein. Da steht allerdings im Siäfleisch die Sünde. Hinwieder wird Das „Ergehen“ allein, die Eingebung, wenn sie noch so reichlich sich einstellt, dem Begünstigten nichts , wenn er nur die Geduld des Ausreifens, die Dual und Ge­fahr des Gebärens auf sich nehmen kann. Die Cin­ebung gibt einen Gedanken, aber sie erzeugt fein­ert. Und wer nicht fiten kann und sich zusammen­­nehmen, der wird seine große Gemeinde der Erleuch­­tung theilhaft machen, die ihm selbst geworden ist. Aber noch ein Anderes folgt aus dem Ge­sagten, das nicht unwichtig ist wir die Gedanken­­und Kunstarbeit unserer Zeit. Seit Dezennien sehen wir jede neue Kraft sich mühen, um Neues zu schaffen nicht an Inhalt und Nichtung. Die ja bei jedem neuen Individuum von selber neu sind, son­dern an Methode, Färbung, Charakter. Nicht neue Kunftwerte, sondern eine neue Kunft soll geleitet werden, und zwar nach einem voraus bestimmten Rezept: Wahrheit, Beobachtung, Vermeidung alt geheiligter Form, Zertrümmerung hergebrachter Re­­geln, Herrschaft der Natur über die Kunst. Aber all dem fehlt die Eingebung des Moments. Die Reihe der Ueberraschung: es sind ftudirte, , ersessene" Gedanken, nicht „ergangene“. Und vor Allem nicht „erlesene“. Ueber Diese Kategorie von Gedankenarbeit wird Mandjer gering Denken. Was Soll an dem werthvoll sein, was uns fon als vorgedacht auf­­getischt wird und höchstens zu Handgloffenarbeit den Anstoß geben kann? Das ist das „Nagout aus Anderer Schmaus”, von dem Doktor Tauft spricht. Aber auch Hauft wäre nicht, der er­st, wenn er nit von den Büchern in die Welt ginge. Und „Sauft“ selber, das Universaldrama, es ist „erlesen” : den ersten Stoß zum Werden hat Goethe aus einem fertigen Büchlein geschöpft. Mas Einem gute und oft auch schlechte Bücher zu denken geben, das ist nichts Geringes, wenn eben der­en selber nicht gering it. Die Quelle der Gedanken, die uns zur und aus uns herausströmen, hat die Forschung noch nicht aufgeheckt. Sicher ist, daß wir sie nicht mie die Empfindungen mit auf die Welt bringen. Sie sind jedenfalls ein Echo von Gedanken, die von außen, von der gegenständlichen, sprechenden Welt in unser Subjekt hineingeflungen sind. Aber mie tief die Wirkung, in welcher Art und zu welcher Zeit die Gegenwirkung erfolgt, läßt sich so jehmer nach­ meisen wie die Provenienz der Träume. Darum bleibt es geheimnißvoll, daß die Gedanken manchmal ausbleiben, manchmal sich andrängen, Daß wir ihnen zu Beiten gebieten künnen, zu Zeiten machtlos gegen sie sind. Das Eine aber ist rar, daß sie sich ent­­zünden und beleben an ihresgleichen. Große Gedan­­ken sind es, an denen man groß denten lernt, und nie noc­ht ein Original daran zugrundegegangen, daß ein Original auf ihn ein­wirkte Die „neuen“ Denker und Künstler aber Haffen vor Allem das " Erlesene" : aus Furt, an Gemwesenes anzuknüpfen, stürmen sie an dem Tempel der schönsten Gedanken, der Schatlammer menschlicher Geistesgröße mit Scheuledern vorbei. Darum ist auch ihre Kunst immer voll Neflerionen — ohne Urtheil, voll Fragen — ohne Antwort, voll Impressionen — ohne Empfin­­dung und voll Mysterien — ohne Gedanken. Omikron,

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