Oedenburger Zeitung, 1884. Juni (Jahrgang 17, nr. 127-149)

1884-06-01 / nr. 127

if LonntagtgunitssL XVII. Jahrgang. Ledenburger Reifung. (V­ormals „Bedenburger Nachrichten“.) Organ für Politik, Handel, Industrie und Landwirtschaft, dann für soziale Interesssen überhaupt. Motto: „Dem Fortieritt zur Ehre! — Betrüchten zur Wehr? — Der Wahrheit eine Gaffe.“ Az. 127. Das Blatt erscheint täglich, mit Ausnahme des auf einen ‚ Petitzeile evclusive der Stempelgebühr von 30 fl. Bei mehrmaliger Einschaltung bedeutender Rabatt, P­ränumerations:Preise: Für Loco: Ganzjährig 9 fl., Halbjährig 5 fl., Vierteljährig fl. 50 fl., Monatlich 1 fl. Für AUuswärts: Ganzjährig 12 fl., Halbjährig 7 fl., Viertel­­jährig 3 fl. 50 fl. Alle für das Blatt bestimmte Sendungen, mit Ausnahme von Inseraten, Pränumerations- und Insertionsgebühren, sind an die Redaktion portofrei einzusenden. . Sonn- oder Feiertag folgenden Tages. Inserate vermitteln: Im Wien: Hafenstein , Vogler, Wal­­fischgasse 10, N. Oppelit, ı., Stubenbastei 2, Heinrich Schaler, 1., Wollzeile 12, NR. Mose, Seilerstätte 2, M. 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Unsere Deputirten haben und drüben ge­niegen im Greife ihrer Familien das labhende Grün des Friedens und der Natur, sie geleiten ihre weiß­­gekleideten, myrthengesgmüdten Töchter zur heiligen Firmung und huldigen den Pänaten ihres trauten Heime. Einst, in den Zeiten der langs­amen, schwer­­fälligen und auch wmeist sehr blutigen, menschen­­mordendenden Streitigkeiten der Mächtigen dieser Erde untereinander, pflegten die kriegsführenden Armeen, kaum als die ersten Herbststürme das Laub von den Bäumen geschüttelt, eiligst die Winter Quartiere aufzufuegen, um si in behaglicher Ruhe von den Strapazen des Sommerfeldzuges zu er­holen. Heutzutage im Jahrhundert der Aufklärung und der Zivilisation, da die erniterten Konflikte diplomatisch ausgetragen werden, ist es umge­­kehrt: Da streiten sie sich im Winter herum und begeben si, sobald die Sonne nur etwas wärmer auf den Scheiteln zu brennen beginnt, um ihre Difregraturen und Sommerfrischen, si daselbst Stärkung zu suchen, für die neuen Kampfepochen in den gefeggebenden Körpern. Traun­ auf, sehr ernste, schwierige Arbeit goerden fi unsere Gefeßggeber vorzubereiten, zu sehr Wochtigen Kämpfen, werden sie sich zu rüsten haben. E85 handelt sich um nichts Geringeres, als die Sozialreform. Wie sagte doch Graf Apponyi im seiner epochalen Programmrede im hiesiger Turnhalle ?:: „Auch an Ungarns Thoren pocht die soziale Frage­, denn diese — fuhr der er­­fahrene Staatsmann fort — darf nicht länger mehr mit vornehmer nonchalance behandelt, oder ganz und gar ignorirt werden.“ Die „soziale Frage“ ist nichts anderes, als jener Gegentug, der sie bei den meisten modernen Völkern zwischen dem Anwachsen der Produktions­­massen und der Erschütterung des Wohlstandes zahlreicher Klassen gebildet hat. Die National­­ökonomie glaubte lange, daß die Hebung der Produktion den Wohlstand der Meisten von selbst verursage; die Erfahrung lehrt jedoch, daß diese Schöne Lehre eine Illusion war, und daß für den M Wohlstand der einzelnen, besonders ver­schwächeren Volksklaffen noch nicht gesorgt sei, wenn wir zur möglich größten Hebung der Produktion alles Erdenklie geleistet haben. In welcem Winge Ungarn an dieser Er­­fahrung partizipirt, wissen wir Alle. Ein großer Theil des Kleingewerbes,die Kleingrundbefiger in vielen Theilen des Zandes laboriren an krankhaften Zuständen und auch die Arbeiterfrage wirft ihre Schatten in Erscheinungen voraus, die den sozialen Frieden heute zwar noch nicht gefährden darf, die aber, wenn man sie nicht bei Zeiten regelt, das drohende Gespenst des Pauperis­­mus uns immer näher rüden und ein riesiges Proletariat kreiren wird, dessen fluchwürdige Aktionen Heute gar nicht abzusehen sind. Die ungarische Negierung hat sich bis jeit der materialistischen, volfswirthschaftlichen Schule zugewendet, sie hat si die Hebung der Produktion einzig und allein angelegen sein lassen und das war sein radikales Mittel der Ber­­ahmung einzelner Klafsen, dem Sinfen des allge­­meinen Wohlstandes, entgegen zu arbeiten, um so weniger, als sie hauptsächlich bloß an die Winter­ jragung der bereits bestehenden BProduf­­Das Resultat war zionsz­weige dachte, aber jeder höheren sozial­­politisgen Auffassung, die sich den subjektiven Wohl«­stand nur mit der Erfältegung neuer Erwerbs­­quellen verbunden denkt, ist sie förmlich systematisch aus dem M Wege gegangen, natürlicher Weise, daß wir uns bloß einseitig entwickelt haben, daß sich der HReichthum Ein­­zelner zwar vermehrt hat, daß jedoch dafür unendlich Viele, die früher gut fituirt waren, jet­ruinirt sind und das anderseits tausend und aber Tausend, die auch früher schon darbten, heute weniger als je Aussicht Haben zu einer menschen­­würdigen Erxistenz zu gelangen. Mögen nan die Herren der Gefeggebung in ihrer häusigen Beschaulichkeit, wo sie Muße zum Nachdenken haben, auf die richtigen Mittel sinnen, unseren bi in’s Mark erkrankten sozialen Zur­­tänden zur Besseiung zu verhelfen. Vielleicht fände sich die Basis der, von den am 15. August wieder im Reichstage erscheinen­­den und von den bis dahin neugewählten Männern des öffentlichen Vertrauens, in’s Leben zu rufenden Institutionen, in der liberalsten Deff­­nung aller Schranten, die bis heute der Selbsthilfe gezogen sind, z. B. in der För­­derung und Unterfrügung von Kreditver­­bänden. Diesmal müßte aber die Neichstags- Majorität mit der SUpnitiative vorangehen, denn wir sind überzeugt, das es fast unmöglich sei, die materiellen und moralischen Schwierigkeiten des Beginns ohne die anregende und nie­terfragende Hilfe des Staates und der Munizipien zu überwinden. Gerade wie die Demokratisirung der wirtschaftligen ntellis­tenz oder des Geldes zu Beginn eine staatlic Hilfe beanspruchen, ebenso und wo mehr ist es Aufgabe unseres Zeitalters, der Unterdrückung der ärmeren Klassen dur das Kapital entgegen zu arbeiten, nit der den Umsturz der bestehenden gesellschaft- deuilleton. Das Mammeril. Novelle von Sermance Botier. Alle Rechte vorbehalten. (Fortlegung ) Ym Bewußtsein ihrer Würde und Energie, richtete sie si ein wenig auf und Neinhardt ver­­barg ein gutmüthiges, doc zweifelndes Laden. Die Konversation kam Heute doch nicht vet in den freien, leichtbeschwingten Gang und der Professor verabsiedete sich bald. Er war noch trüber ge­stu­mmt, als sonft, vergebens nachsinnend über die Ursache von Micelin und Trauer. Er ahnte wohl, doch sträußte sig sein edles Gemüth, so schlecht zu dennen von jenem, den seine schöne Freundin liebte, wie er wußte. Um die Abendstunde des folgenden Tages sah Miceline vergeblich nach der­­ Uhr und be­­dauernd sagte Fräulein Welter : „Der Herr Brofessor muß aufgehalten worden sein. Er ist sonft die Pünktlichkeit selber, Heute kommt er nicht mehr !“ Und die sanfte Dame hatte recht — Neinhardt erschien nit. Miceline saß bereits am Theetisire zur Seite Tredmar’s, ihr gegenüber stand zum erstenmale seit Jahren leer der Stuhl des Professors. Sogar die Fürstin bemerkte dies und er­wähnte so anbei: „Was wohl dem Weinhardt widerfahren sei?" Miceline starrte sinnend, die Thüre an; da sah sie, wie ein Diener ihr verstohlen hurtte und mit nichtssagender, kurzer Entsculdigung erhob sie sich. „Prinzessin, der Herr Professor bittet um eine Minute — eine wichtige Mittheilung !“ flüsterte der Diener und Micheline stürzte, nichts Gutes ahnend, hinaus. Da stand au­chon Reinhardt mit bleigem Antlig, verstörter Miene. „Brinzeffin“ sprach er Hastig, „Ihre Mutter ist frank !" „„Um Gottes willen !“" rief Micheline aus. „Gestern als ich sie verließ, überfiel sie ein Unwo­hlsein“ fuhr er fort „sie mußte sogleich zu Bette gehen und sagte über heftige Brustschm­erzen. Dog seien Sie unbesorgt es wird vorübers geben. Es war ihr Wille, dag ich Sie, Prinzessin, sogleich davon unterrichte.“ Migeline war weiß geworden, wie die Schwa­­nenfrause um ihren Hals und mit flehender, ton­­loser Stimme sagte sie Baftig: „Beute mein freund, beweisen Sie, daß Sie mir ein soldher sind. Sie kennen die Fürstin, meine Großmutter ; nie und nimmer wird sie mir erlauben, zu bdieser Stunde fortzugeben. “8 ist zehn Uhr, um eilf be­gibt si Alles zur Nähe, dann — führen Sie mich zu meiner Mutter !* Bis in die Xider seiner braunen Augen, schoß Reinhardt das Blut, er athmete Schwer und erwiderte endlich fest: „Verlangen Sie, Prinzessin, was Sie wollen,diese Bitte jedoch ann und darf ich nicht erfüllen." “Weghalb nicht ?“ brauste sie auf und zür­­nend zuchte ihr Mund. „„Sie willen «8. Um Schretwillen darf ich 8 nicht thun, bedenken Sie die Folgen eines so unüberlegten Schrittes!“" „Sie fürchten sich wohl, man würde sagen, der Herr B Professor Habe ein Liebchen nach Hause geführt ?* Ihre Mundwinkeln verzogen sich spöttisch. „Das nicht — aber man würde sagen, die Brinzessin Micheline ist die Geliebte des Hofmei­­sters — sie war die Nacht bei ihm !* Migeline flug die Hände vor’ Gefict. Dann aber fütterte sie trogig ihr Haupt. „Was liegt mir daran — ich will gehen !“ Reinhardt sagte traurig: „Ja kann Sie nicht zurückhalten; ich bitte Sie jedoch, 5i8 morgen zu warten. Was mi anbelangt, Prinzessin, mor« gen bin ich ihr Diener am Tage, heute aber ver­­sage­n meine Begleitung, nur um Ahlerer selbst Willen !« Sie late verächtlich und Fehrte Meinhardt, wie ein boshaftes Kind, den Naden, sans A­dieu davoneilend. Er seufzte schmerzlich auf und ging in sein Apartements. — Ein regnerischer, trüber Märztag verfinsterte die heilen Gemächer im fürstlichem Palais, ein Tag, so rveht geschaffen zur Stimmung derer, die diese Räume bewohnten. Micheline war zum Fraßftüd nicht erschienen — sie schlief noch und als sie dann mit bleischwei ren Gliedern vor den Spiegel trat, ersbrach sie selöst vor ihrem Angesicht, so weh­ und übernäch­tig sah es aus. „Prinzessin, möchten sogler bei der Fürstin eiigeb­en!“ So rief man sie bereits zum dritten Male und wo immer fühlte sie sich nicht stark genug, vor­ ihrer Großmutter zu erscheinen. (Fortegung folgt.) BE> Hiezu ein Hafder Bogen Beilage und das „Iilufrirte Sonntagsblatt“ IF .

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