Oedenburger Zeitung, 1899. Mai (Jahrgang 32, nr. 102-123)

1899-05-04 / nr. 102

s EN ER a en REN XXXIlIahrgang Preis: 6 Seller. Donnerfiig, 4. Mai 1899. sr. 102. Orkan Zeitung Brämumerations: Preise: Für Loco: Ganzjährig 20 Kr., Halbjährig n Kr., Bierteljährig , Monatlich 1 fr. w. Für ne­ue 25 Kr., nn 12 8r 5051, Bierteljährig 6 Kr 25 Hl., Monatlich 2 Kr. 20 Sl. »Politisches Tagblatt. Adminiftration und Verlag: Buhdrukerei Mlfred Homimalter, Grabenrnnde 121, Telefon Ar. 25. Preis: $ Seller. Inferate nad Tarif. —— Derselbe wird auf Wunsch überallhin gratis und franco versendet, Annoncenaufträge, Abonnements­ und Insertiond-E­bühren sind an die Administration (Grabenrunde 121) einrufende Vermittlung dür alle Annoncen-Bureaus. Die neue Gpodje · Oedenburg,3.Mai. Vor Kurzem noch drückten bange Zweifel über die Signatur des kommenden Zeitalters das Bemwußtsein der Völker; heute sind die Symptome einer im Werden begriffenen Umwälzung der wirthschaftlichen und der politischen Beziehungen zwischen den Kulturstaaten nicht mehr zu verfemnen. Die alten Zeit­ und­­ Streitfragen der Diplomatie verblassen­ das europäische Gleichgewicht, die Orientfrage, Elsaß-Loth­­ringen, das unbefreite Italien, sie tauchen kaum noch in den Zeitungen auf. Weiter von den geographischen Grenzen unseres Erdtheils liegen die Angelpunkte der Po­­litik. Namentlich England, das am stärksten in fremden Erdtheilen zugreift, schafft die zahlreichsten Reibungsflächen mit anderen Mächten E3 sucht seinen gewaltigen­ Ko­­lonialberr mit dem M­utterlande engst zu verbinden und sucht darum mit Aufbietung der äußersten Kraft und List die nord­­amerikanische Union ich zu alliiren und mit anderen Mächten zu entzweien, wird jedoch, sobald die Schwierigkeiten auf den Philippinen überwunden sind, in Rivalität mit seiner einstigen Kolonie treten müssen, deren panamerik­anische Bestrebungen natur­­noth­wendig zum Zusammenftoge mit dem S Inselreiche führen. Gegen die aus den überseeischen Unternehmungen sich­ heraus­­bildenden neuen Allianzen werden die alten europäischen Verbände, Dreibund und Zwei-­­ Elektrotechnik ein unendliches Feld der bund in den Hintergrund treten;es läßt Wirksamkeit vor Augen liegt zu einer­, sich zwar noch nicht das Zustandekommen eines europäisch-festländischen Bundes ab­­sehen, aber die Anzeichen neuer Grup­­pirungen der Mächte sind unleugbar. Das eben in das Charakteristische der im Werden begriffenen neuen Epoche, daß die meitesten und fernsten Gebiete von­ den Mächten ergriffen werden, behufs Gewinnung von Abjagmärkten für die von Sahr zu Jahr wachsende Industrie, und an den Nähmaterialien schon Mangel eintritt, weil der Konsum unablässig steigt. Englands und Deutschlande­­rport, besonders Der­­jenige nach Nordamerika, hat sch­wer ger­litten, und dennoch entwickelt fi deren Industrie so reißend schnell, daß beispiels­­weise die Eisen- und Kohlenwerte im legten Winter schon mit Aufträgen bis zum Schlusse des Jahres versehen waren und Roheisen, Kohle und Kupfer derart knapp zu werden drohen, daß die ameri­­kanischen Milliardäre Icon mit der Bil­­dung von M­eltfartellen begonnen haben. Die Löhne sind überall höher geworden, die Preise der Lebensmittel blieben, und die Maffen gönnen sich Be­­dürfnisse, welche ihnen bisher fremd waren. Andererseits führt die Anspannung des Unternehmungsgeistes, welchen ja durch die Eisenbahnbauten in Afrika und Asien, ferner durch das Aufwachsen der fast noch in den SKinderschuhen stehenden mäßig­­es Verthewerung des Kapitals, die voraus­sichtlich längere Zeit dauern wird und si­e jest Schon auch­­ in u­nserem Lande em­pfindlich geltend macht. Wie steht unsere Monarchie der fh entwicklnden neuen poche gegenüber ?­­Die Frage muß rechtzeitig erwogen werden,­­ damit uus seine Wendung wunvorbereitet treffe. Vor den transozeanischen Verwid­­­ungen sind wir bewahrt, und eine kluge Bolitis fan diesen Umstand im Falle ernster Zerwürfnisse zwischen anderen Mächten zum V­ortheile der Monarchie benügen. Auch fallen von dem reichen industriellen Segen manche Samenförner auf Oesterreich und Ungarn. In Nord­­böhmen it eine Erholung des Große­gewerbes zu beobachten und die gerwerb­­liche Entwicklung Ungarns schreitet lange­sam, allerdings sehr langsam fort. Anderer­seits ist Ungarn ein kapitalarmes Land und muß unter der Verb­enerung­­ Geldes empfindlich Leiden. Darum it eß das oberste Gebot, unserer Staatzienfer, mit der äußersten Aufmerksamkeit mehr noch als die politis­che die wirtschaftliche Si­e­dlung der Kultur melt u beobachten, damit die neue Gppe und vorwärti ® bringe und nicht über und fortschreite. « I S BR; feuillet mit Einrichter seines Stammes. Novelle von Mar Böttcher. (Hortregung.) Die sonst so kluge und berechnende Ella glaubte Alles, was ihr die Abgeordnete Schlüchterng zuflüsterte ; denn es lag in ihrem Naturell, denen zu vertrauen, die nach ihren Wünschen sprachen oder ihrer Eitelkeit schmei­­chelten. ALs dank eines Vormittags der Baron mit höflichem Gruße ein wundervolles Bouquet ‚schickte, wies sie es nicht,­­ wie sonst immer, zurück, sondern stellte es in ihrem Boudoir auf­­ einen Ehrenplad.­­ Das geschah aber gerade an dem Tage, als Stacho zu ihr kam und sie bat, nun endlich in die Eheschließung und die Abreise aus Berlin zu willigen. Stanislas fühlte, daß er verloren hatte, daß der Baron­ aus dem Wettkampfe um die Liebe Ella als Sieger hervorgegangen sei. Er pachte ihn eine verzweiflungsvolle Wuth gegen diesen Meenschen, der es sich zur­ Aufgabe machte, mit den heiligsten Gefühlen Anderer ein loses Spiel zu treiben. D, wenn er ihn hätte lassen künnen, diesen elenden Schurken, der ihm den Fegen von Glüc, den er noch sein eigen nannte, listig aus den Händen riß ! Und dann kam es über ihn wie Verach­­tung und­ Groll gegen Ella, die seine treue Liebe zurückieß, um ein vergnügliches aber im Grunde genommen elendes Leben weiter führen zu künnen. 3 zuchte ihn in den Lliedern, als müßte er ich­ auf sie stürzen, sie züchtigen, sie erdrosseln. Doch wenn er dann in ihr zartes En­­gel angesicht schaute, aus dem die großen blauen Augen so seltsam trugig und sanft­­müthig hervorsahen, dann hätte er vor ihr niederfinden mögen, um sie anzuflehen: „Ver­­gieb mir, vergieb mir und nimm mich wieder in Duaden auf; ich will alles thun, was Du befiehlst“! Doch er widerstand dem Drange. Denn in ihm bäumte sich noch einmal mit Gewalt der Stolz der getränkten Mannesehre auf, und er ging zur Thür, um Hut und Stoc zu nehm­en. Da erblickte er im rechten Augen­­blik das prachtvolle Bouquet, aus dem die Karte des Barons verrätherisch hervorlugte. Es­ überlief ihn glühend. Heiß, und feiner selbst nicht mehr Herr, nahm er die Blumen und warf sie jammt der Base, in der sie standen, der zu Tode erschrodenen Ella vor die Füße. Und mit dem schm­erzerstickten Ausruf: Du Elende! taumelte er hinaus.­­­ Er raste durch die Straßen, seiner nahe gelegenen Wohnung zu. Dort angekommen, schritt er bald in filterhafter Aufregung im Zimmer umher, bald jöste er sich nieder und jtügte den Kopf dumpfbrütend in die Hände, indem er sie und alle Welt verfluchte. Eine so sehändliche Untreue, wie sie Ella an ihn verübt hatte, war ihm bisher über­­haupt nicht denkbar erschienen. Wie konnte hinter Diesem Lieblichen, unschuldigen Angesicht so viel Hinterlist und Tüche mahnen? Sein Vermögen hatte er ihr zum großen Theil ge­opfert, und nun ließ sie RN zum Danf dafür. Schmählich im Stiche! Wohin sollte er gehen, was sollte er beginnen, um den brennenden Schmerz in seiner Brust zu erstieren ? Auf sein Landgut? Das war nicht möglich, er wäre in der Einsamkeit unter der Dual der­ Gedanken wahnsinnig geworden! — Sollte er sie von neuem in den Strudel des Ver­­gnügens stürzen, um in der Betäubung Ver­­gessenheit zu suchen? Nein, auch das ging nicht an. Er wäre dabei mit allen Denen zusammengetroffen, die Zeuge seines Glückes gewesen waren; er wollte nicht, daß sie ihm mit bedauernd "verzogenen Mienen ihr Mitleid zuraunen sollten. Denn das Mitleid der Menschen wäre ja Doch fein ehrliches, von Herzen kommendes und zu Herzen gehendes, es wäre nur verborgen gehaltene und ge­schminkte Schadenfreude über das­­Leid Dep Anderen ! Und arbeiten konnte, mochte Stacho­ni nicht. Was sollte er denn auch wohl arbeiten A (Fortlegung folgt). 54 = Unsere heutige Nummer it 6 Seiten fark. a a­u — MIC- 3 S

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