Oedenburger Zeitung, Oktober 1921 (Jahrgang 53, nr. 222-247)
1921-10-14 / nr. 233
— + I ae Freitag, 14. Oktober 1921. EBELTE 7Z Oedenburger Rettung Ins neue Badgeseh und die Bädermeister. Zu der gestern um 147 Uhr begonnenen Litung im Lokale der Gewerbekorporation erschienen fünfzehn Meister, unter diesem fast alle Inhaber der fröheren Betriebe. Den Borfit führte uilius Roth. Gegenstand der Besprechung war der neue Badgeregentwurf, welchen der Minister zur Stellungnahme an sämtliche Bädergenossenschaften in den Provinz übermittelt. Es wurden folgende Bünfte eingehend behandelt: Rehrjungen unter 14 Jahren dürfen nicht aufgedungen werden, vdesgleichen dürfen an nur jene Angestellten unter 16 Jahren verwendet werden, welche was eigentlich selbstverständlich ist zum Berufe taugen. Beide Bunte fanden allgemeine Zustimmung. Der nächste Punkt, welcher die Arbeitsruhe von 9 Uhr abends bis 5 Uhr früh behandelte, war die Ursache einer lebhaften Debatte, in weller betont wurde, daß eine solche Arbeitseinteilung hauptsächli auf Hauptstädtische Berriebe gemünzt und für die Provinz, wo die frühzeitige Herstellung des Gebäds die Hauptbedingung für einen guten Geschäftsgang it, nicht in Anwendung gebracht werden künne. Es wurde auch vom Vorjigenden bemerkt, da kein früherer Arbeitsbeginn doch nicht eine längere Arbeitszeit bedeute und die Angestellten Durch einen früheren Beginn eben auch früher mit ihrer Arbeit fertig werden. ‚Verschiedene Vorschläge gingen dann dahin, daß im Winter, um 3 Uhr, im Sommer um 2 Uhr früh begonnen werden solle. Damit das Gebäd im Winter um 7 Uhr, im Sommer um 6 Uhr früh geliefert werden kann. Eine spätere Herstellung würde nicht viel fruchten, da das Hauptgeschäft ich eben in den Frühstunden abwichle. Georg Szalay betonte, daßs die Arbeitszeit nach dem großstädtischen Muster von 5 Uhr früh bis 9 Uhr abends in der Provinz gar nicht erforderlich wäre. Da hier eine Beschäftigungszeit von Höchstens 10 Stunden von 2 Uhr früh bis 12 Uhr mittags vollkommen entspreche, somit verbleiben, 14 Stunden zur Ruhe. Der entsprechende Paragraph des Gelegentwurfes wurde auch im obigen Sinne abgeändert. Hierzu bemerkte Bädermeister Hammer, daß, falls dieser gefakte Beichluf von der Regierung genehmigt werden würde, sich die Meister auch darnach halten mögen und nur etwa wieder um Mitternacht mit der Arbeit beginnen. . Der nächste Punkt besagt, daß AWr= gestellte unter 18 Jahren nicht mehr als acht Stunden, Gesellen nicht länger als zehn Stunden beschäftigt werden dürfe. Hier wurde die Einwendung gemacht, daß Die Arbeitszeit im Badgewerbe mit Abrechnung der vielen PBausen gewöhnlich nur sechs, höchstens a1 Stunden ausmache. Bei der Besprechung dieses Punktes wurde an dem Entschluf festgehalten, daß der Wehrjunge doch die Handgriffe des Gewerbes erlernen solle und dieselbe Zeit wie die Gesellen arbeiten möge. Hier bemerkte einer der Anwesenden, daß die Meister zu ihrer Zeit sogar auf 16 Stunden zu arbeiten hatten. Die weiteren Punkte des Borschlages, die erlaubte Nachtarbeit bei besonderen Anlässen, ihre Evidenz, die Bezahlung der Ueberstunden usw. wurden unverändert angenommen. Betworfens wurde der Passug,daß das Gebäck von Angestellten unter IS Jsahren nicht ausgetragen werden darf; man hätte das durch die Lehrjungen nur zum Hermus stehen.Auch der Punkt daß Lehrjungen nach beendeter Arbeit nicht wieggeschickt werden dürfenkOur-der einst simmig verwortsein(?!) Die weiteren Absätze des Gesetzentwurfes enthalten Strafbestimmungen, die Kontrolle des Blockergiewerbes durch gewerbliche Behörden als Neuerung. Schließlich verlas der Vorsikende ein Memorandum, das er gleichzeitig mit dem abgeänderten Gelegentwürfe im Namen der Oedenburger Bädermeister dem Handelsminister einzusenden beabsichtige. Der Inhalt begründet die schwere Lage der hiesigen Bäder, die den berechtigten Wünschen des Bublikums Rechnung tragen müssen und die darin besteht, daß die Konsumenten das Gebäd im Winter spätestens um 7 Uhr, im Sommer um 6 Uhr früh erhalten wollen. Die Bäder bitten nicht um Genehmigung von Nachtarbeit, sondern um entsprechende Früharbeit. Falls von hiesigen Meistern ihr Wunsch um Genehmigung entsprechender Früharbeit nicht gewährt werden würde, möchte man bei den heutigen schwierigen Zeiten mit einem neuerlichen Nachgang des Gewerbes rechnen, welcher Umstand auch die Steuerobjekte schwächen würde. Das Memorandium bemerkt, daß für Oedenburg nicht die Gerichtspunkte für eine Hauptstadt, sondern die für eine kleine Provinzstadt im Betracht kommen ‚mfüllen. In den Schlukworten betonte Kulius Roth, daßs die Bädermeister seine Ausbeutung der Arbeiter wollen, sondern bloß ein Verständnis für ihre spezialisierte Arbeit, die vieles mit anderen Nachtarbeiten gemein hat. So ,... wird ‚niemanden einfallen, gegen den nächtlichen Dienst der Rollbeamten, Eisenbahner, Kellner, Schriftleger usm. eine Hinwendung zu machen. Mir Oedenburger Büchermeister stehen und fallen mit der Haupteinnahme in den Morgenstunden, die in dem Verkaufe der Semmeln liegt. Denn es wird niemand altbadene Semmeln laufen. Um 347 Uhr war die Sikung beendet. Unsere Geschäftsstelle_ Grabenrunde 72 [Fernsprecher Nr. 6) ist täglich von halb 8 Uhr früh bis halb 7 Uhr abends geöffnet. Drucksorten, Inseratenund Abonnementsbestellungen werden dort entgegengenommen. Zeiungsverschleiss ab 3 Uhr nachmittags. % EEE EEE Nr. 233. — Seite 8. Gibt es eine Mode in Oedenburg? Provinz und Großstadt. Bonnweither bringen wie Streiflichter am Horizonte unseres Alltagsleben?, zwischen allem Haften und Sagen nach dem täglichen Erwerb, welches einem fast feine Zeit läßt für Meußeres zu sorgen, hin und wieder spärliche Nachrichten aus den großen Kultur- und Modezentren zu uns. Die Krähwinkelabgelegenheit unserer Stadt, die schon in Friedenszeiten bestand und nur einzelnen, besonders wagemutigen und vorurteilsfreien Frauen ermöglichte, sich über den grauen Steinstadtgeschmack zu erheben, vertiefte sich in den legten Jahren noch viel mehr. Die ungeheure Schwierigkeit, heute seinen Lebendunterhalt zu verdienen. Die schwere Beigaffungsmöglichkeit der Modewaren und vor allem die horrenden Breite machen ein Schritthalten mit der Mode der Welt gänzlich tllufortisch. Die Kleidererzentritäten und Torheiten der allerlegten Mode waren allerdings seit jeher nur in dem leben und nichtdurchfluteten Straßen der Großstädte möglich und die Provinz bildete zu der frankhaft gesuchten Eleganz der Metropole fiel3 einen gesunden, wenn auch oft kleinbürgerlichen Kontrast. Wenn ss auch die Damen aller Länder im allgemeinen gleich bleiben und die Kleidungsfreudigkeit fast überall Die gleiche ist, so können wir doch froh sein, daß wir von der allerlegten, von Paris aus strömenden Modewelle bisher zum Heile der Moral verschont geblieben sind. Im Modeparadies. Berstelspiele mit den weiblichen Vorzügen sind heute der Schlager in Paris und das erotische Element wiegt auch in der jetigen Herbstsmode vor. Dem Namen nach behecken die heutigen Damenrdche fast sogar den Knöchel, doch ist dies alles nur Schein; tatsächlich tragen fest alle Damen einen an den Körper fi fest anschmiegenden Rad, der über den Knien endet und der durch einen aus Beretterungen hergestellten Nacstreifen eine Verlängerung bis zu den Knöcheln erfährt. Wenn ji nun Die Damen in der Oeffentlichkeit zeigen und sich feßen, so fallen diese Streifen zurück und die Schönen fißen fast im Badetrikot da. Die Seidenstrümpfe haben sich diesem Bedürfnisse angepaßt und erreichen eine beispiellose Länge. Das Gewebe wird jedoch oberhalb des Nnies immer durchsichtiger, bis es zulegt einem Spinngewebe ähnelt. Die Pariser Modefarbe, die auch für die Budapester und Wiener Modemwerknätten gilt, ist für Abendtoiletten und Besuchskleider Schwarz, für Treotteurkleider dunkel- oder Schwarzgrau. Die Hutfarbe ist ein Gelblichweiß, das bei Abendbeleuchtung blendend weiß erscheint. Die vielen schönen Pariser Frauen huldigen auch der Verwendung verschiedenfarbiger Gesichtscremen und Puder, vor allem aber dem sogenannten Charakter: parfün. Junge Mädchen verwenden Maiglöcken, überreife Frauen bevorzugen Männerparfüms, Schauspielerinnen Schwärmen für schwere, frankhafte Sehnsucht aus atmnende Barfünd wie Fleur d’amour. Dedenburger Prosa. 63 gab einst eine Zeit, wo die hiesigen Modeoptimisten von einer ganz bestimmten Dedenburger Moderichtung träumten, die durch die charakteristischen Merkmale der Trachten der hier lebenden drei Volksarten, der Ungarn, Deutschen und Kroaten geseben wäre. Diese Utopisten, die um eine gewisse Selbständigkeit der Dedenburger Moderichtung, bei den verhältnismäßig niedrigen Einkaufspreisen in den Vorkriegsjahren, dachten, wurden bald vom allgemeinen Strome fortgerissen. Die aus Buddapest und hauptsächlich aus Wien massenhaft eingeführten Bekleidungsartikel machten ein Modedenken der Provinz volständig iuforiseh. Nunmehr ist auch durch die unterbundene Einfuhrmöglichkeit der Zubehöre von Kostümen und des Einfuhrverbotes von Zutrufartikeln den hiesigen Werkstätten jede Möglichkeit genommen, selbst mit der algemeinen Modewelle mitzuschwimmen. Für alle jene, die selbst heute noch gern wiederr angezogen gehen wollen, it es sehr traurig, sagen zu müssen, daß in Debenburg auch der legte Modeshmmer erloschen ist. Ueberall wird mu fortgefurstelt. Man zieht a, was man hat, läßt alles tausendwal umändern und so kommt eine Umänderungsmode heran, die eine verzweifelte Aehnlichkeit mit den schon längst entschlafenen, seither aufgefrühten Kleiderungetümen aus Großmutterzeiten hat. Große Modewerkstätten, die vor dem Kriege mit 30—40 Arbeiterinnen wahre Meisterwerke der Bekleidungskunt schufen, sind heute vollständig aufgelassen. In unseren Tagen wird nur gewendet, gestadelt und im besten Falle ‚fertig Getauftes getragen. Warerlager können auf nicht angelegt werden, da die zur Adaptierung von Kleidern notwendigen Behelfe als Quzusartitel nicht einfuhrfrei sind. Dasselbe gilt als für Damenhüte, von denen nur die Modelle ohne jede Verzierung hereingebracht werden dürfen. Nach Versicherung eingeweihter Personen besteht die jeine, bei beiden gewordene Herbstmode in langen Eiraßenmänteln, engen Nöden, Die etwas länger sind, als vordem. Kür Mäntel sind sehr Heiist und modern ‚lite Drapp-, Terraintee und Chimmyfarben. Die Gesellschaftstoilette wird mit langen Wermeln aus durchsichtiger Gaze oder ärmellos getragen. Modefarbe i Schwarz. Tüll mit Zlitterstiderei und Perlenmotiven ist sehr beliebt. Es muß betont werden, daß Blusen vollständig außer Mode sind. Modern und nur vollständige Kleider aus Stoffen, Crepe de Chine und Trifote feide. Die Hutmacherinnen Dedenburgs stehen ebenfalls vor sehr schweren Problemen und fast nur alte Formen werden modernisiert. Die ziemlich wohlfeilen Dufetinas, Kappen, die Leder oder Lederimitation vortäuschen sollen, werden zu modernen Kostümen sehr bevorzugt. Dieselben haben einen schmalen Rand, sind Hochheit einfach und nur mit einem Band verziert. Sie sind von den Mützen mit Schirm, welche nur von den arme- Als er an der Pfarrmauer vorüberkam, wo sich der bewachte Ausgud Dijord, trieb d+, Mind piöglich einen duftigen, weichen Schal über die Mauer. Er blichte auf und hob sie im Sattel empor. In den Steigbügeln stehend, konnte er über die Mauer bliden, und da sah er jenseits Dderselben auf dem Ausgud ein Tischlein und einige Lessel lieben. Auf dem Tal stand ein Körbwen mit einer buntfarbigen, eigenartigen Guderei, die er bereits in Gittas Handen gesegen hatte Diese Handarbeit und den leiten Schal hatte sie bei ihren eiligen Aufbruch wahrscheinlich vergessen. Heinz Lindek wuhte nun plößlich ganz genau, wie es kam, daß bitte so oft bald nach ihm in Semfow eintraf. ‚Diese Entdetung war ihm furchtbar peinlich und unangenehm. Er war sein Mensch, der ich bei einer solchen Ent Ddetung geschmeichelt gefühlt hätte. Jedenfalls wuhte er nun, doch er diesen Weg zu vermeiden hatte, wenn er nach Semtow reiten wollte. * Kuno von Losjow hatte den Brief seines Bruders noch nicht beantwortet. Er war so mit im Klaren mit ji selbst, was er in dieser Angelegenheit tun oder lassen sollte. Seine Frau hatte ihm geraten, diesen Brief überhaupt nicht zu beantworten. Aber diesmal war Kuno Flügel als seine Frau. „Wenn ich Brig gar nicht antworte, und er hat inzwischen doch Difel Heriberts Einladung erhalten, wird er sie natürlich annehmen — wenn man ihn nicht daran Hindert. Deshalb möchte ich so an ihn schreiben, daß ihn Die Lust vergeht, Hierher zurückzukehren. Ich werde an sein Ehrgefühl appellieren und ihm begreiflich machen, daß er sanft seinen Kindern hier eine sehr zweifelhafte Rolle spielen wird. Aber diplomatisch muß ich dabei vorgehen, meine liebe Helene, und das erfordert reichliche Ueberlegung. Ich darf nichts über eilen.“ Seine Gattin mußte ihm recht geben. Die Abfassung eines solchen diplomatischen Briefes war aber für Kuno darum job er nie immer wieder hinaus. So war der Sommer vergangen, und der Winter 709 ins Land. Da begann »lößli Herisbert von Lossow zu Fränkeln. Der alte Herr fühlte ich gar nicht wohl und merkte, daß seine Kräfte schnell abnahmen. Mit den Amerikanern war er im regiten Briefwechsel geblieben, ohne daß die Lojower etwas davon ahnten. Bei allen Dingen hatte sich der alte Herr, ausgebeten, daß Fred und Elliner 2offow ihm oft schrieben._ Und er freute si immer sehr über die ungernyingenen, herzlichen Worte der Geschwister. Sie gaben sich offen und rackhaltslos; ihre Art war weit entfernt von der jügen, schmeichlerischen Liebenswürdigkeit Bothos und Gittas, aus der sein warmer Strahl hervorleuchtete. Fri von Losssow hielt Onkel Heribert auf dem Laufenden über die Abwidlung seiner Geschäfte. Die Angelegenheit verzögerte ih aber doch länger, als der alte Herr gehofft hatte. Mit wehmütigster Designation date er, daß er die Heimkehr seines Neffen Frit wohl nicht mehr erleben würde. Kuno und Helene suhten den alten Herrn immer wieder gegen die „Amerizianer“ aufzuwiegeln, aber er quittierte darüber stets mit jenem serfastischen Lächeln. Er wahte ihr wohl, daß es den Lossowern Hauptsächlich um sein Erbe zu tun war. „Sie sollen sie wundern,“ dankte er jedesmal in grimmig, wenn Kuno in so lieblosereise über seinen Bruder zu Gesicht saß. Jo näher der alte Herr infolge des toten Briefwechsels den Amerikanern kam, je deutlicher fühlte er den Unterschied zwischen ihnen und den XLolonern. Die Amerikaner war ı mwarenherzige, ursprüngliche Menschen, ohne Arg und Falsh, ohne jede Heuchelei. Sie gaben si, wie sie waren, ohne Berechnung und unbefümmert, ob sie damit Eindruck machten oder nid. Mit Heinz Linde sprach der alte Herr sehr oft über Fri und dessen Kinder. Er las ihm auch die Briefe vor, die er von ihnen erhielt. Der Baron lauschte dann immer sehr aufmerksam. Er wurde es nicht müde, die amerikanischen Photographien zu betrachten; am längsten ruhten seine Augen stets auf Ellinors Antlit. Dann glitt jedesmal ein zufriedenes Lächeln über Des alten Herrn Gesicht, als wenn ihn das Interesse des jungen Mannes erfreue. Einmal sagte er lächelnd: „Das hat eine gute Mischung gegeben — Frik Losjow und die tapfere, blonde Grete. Das Fetische, gesunde Blut der Bürgerstochtler wird unserem ersten Geschlecht eine gute Auffrihung sein. Das ist ein besserer Schlag als die Losjower drüben. Die haben ja bloß nur kaltes Wasser in den Adern, aber sein rotes, warmes Blut. Ich glaube, die Nachkommen Fri Losjows werden die Runos lange überleben.“ Heinz Linder war zwar derselben Meinung, wie der alte Herr, sprach es aber nicht aus. “Seine leichte Arbeit, a r