Pester Lloyd - Abendblatt, Juni 1855 (Jahrgang 2, nr. 128-151)

1855-06-02 / nr. 129

Samstag, 2. Juni. Nro. 129. Abendblatt des Pester Lloyd. Telegraphische Depesche der „Des terr. Korrespondenz”, Turin, 30. Mai. Die Kammerfigungen sind vertagt worden. Das amtliche Blatt enthält ein Verzeichniß der aufgehobenen religiösen Körperschaften. Man trifft Vorbereitungen zu einer Neffe Sr. Maj des Königs, wie man muthmaßt, nach London und Paris, * West, 2. Juni. Mag der Abbruch der Konferenzen nun bereit durch­ ein Schlußprotokoll in aller Form Fonstatirt sein, oder nicht, daß man im Westen, fest den jüngsten Siegen Peliffier's wieder mehr denn je entschlossen ist, vorläufig auf jede Diplomatische Lösung der orientalischen Frage zu verzichten und das Schwert allein entscheiden zu lassen — dafür liefern die Nachrichten, welche über die Stimmung in England und granfreid einlaufen, die augen­­scheinlichsten Beweise. So schreibt man uns aus London vom 29. Mai: „Die moralische Wirkung der zwei treffenden Donnerschläge im DOsten auf die diplomatische Atmosphäre ist vielleicht in diesem Augenblid noch nicht zu ermeffen. Gemäß ist, daß es für Quäferohren keinen mißtönenderen Namen­­ geben kann, als Pelifier; auch mag Mr. Gladstorne, bei all seinem Patriotismus, selbst über die „unblutige” Einnahme von Kertich ein wenig betrü­bt sein. So bedeutend sind die von den Aliirten errungenen Vortheile nicht, um Rußland zur Annahme der westlichen Deutung des dritten Punktes zu zwingen — was die Freunde des „rechtschaffenen Krieges“ eine Katastrophe nennen würden — allein sie sind groß genug, um die Segel der nationalen Partei mit frischen Wind zu schwellen. Im den unsichern Vor­stellungen über Die eigentliche Kraft Rußland­s tritt eine neue Immwälzung ein ; wenn man den nordischen Koloß auch nicht so leicht wieder für einen hohlen Popanz hal­ten wird, so ist Doc­ der nagelneue, von vielen Seiten eifrig genahrte Nespert vor seiner „Unüberwindlichkeit auf eigenem Boden“ gewaltig ersc­ittert, und mehr als jemals ist man geneigt, alles bisherige Unglück in der Krimm ausschließlich dem lähmenden Ein­­fluß diplomatischer Noüdfichten und Zaubereien zuzuschreiben.“ Mit fanguinischen Erwartungen bildt jekt das Publikum nach dem Kriegsschau­­plab, und im Angesicht dieser Wendung dürfte es dem Ministerium schwer fallen, einen allzu bescheidenen Friedensvertrag einzufädeln. Gefecht. Fürst Gortichakios wäre morgen ermächtigt, die tuffische Pontusflotte auf die Hälfte zu reduziren, so fragt es sich, ob England und Frankreich nicht ihre Forderungen schärfer zuspiken­­ würden. Noch ein, zwei fruchtbare Siege im Osten und das Stichwort, das die „Times” heute flüstert : „Es gibt keine Vier Punkte mehr“ kann zum populären Sriegsgefehrer und schließlich offizielles Manifest werden.“­­ Zu Paris will man in militärischen Kreisen gar wissem General Pelis­­sier habe dem Kaiser versprochen,daß die Krimm binnen sechs Wochen erobert seitt werde.Auch in Wien scheint man zu der Ueberzeugung von der Fruchtlosigkeit diplomatischer Bestreb­ungen im gegenwärtigen Augenblicke gekommen zu sein,,Freiherr v.Prokesch-so schreckt man der ,,Voss,Z.«voIrdort —hat sich am­ 28.Mai,in einer Soirée bei dem holländischen Gesandten Baron Heckeerer1,in einer Weise ausgesprochen,die eine friedliche Lösung der ob­« schwebende Chrisis fü­r sehr unwahrscheinlich­ halten läßt.« Uebrigens hat sich Oesterrei­ch in seiner Stellung gegen Ruß­­land durch das Scheitern des Kongresses nicht beirren lassen­,wn­d es mag da­­s­ er sch·­on richtig sein,wenn preußische Blätter danachrichten von einer nahen Verständigung der beiden deutschen Großmächte widersprechen So schreibt man der „Bresl. 3." aus Berlin: „Eine Denkschrift des Freiperen v. Profefch-Osten, welche dem österreichischen Kabinet vielfach fie aber durch nichts beirren und bringen lassen zu wollen. Sobald Oesterreich den definitiven Mobilmachung­s­antrag am Bunde erhebt, wird die Differenz zwischen dem österreichischen fhen Anschauungen den Vordergrund unbedingt für einen Alliirten treten, die interessantesten Ruf­­auseinandergehenden Zustände der deutschen Bundes­­staaten seit Anbeginn der orientalischen Verwicklung. Die G8 liegt hier bereit eine Diploma­­tische Benachrichtigung vor, daß Oesterreich, welches noch der Mestmächte angesehen sein will, demnächst auf die deutsche Bundeshilfe zurüstzugreifen entschlossen ist, um danach seine aktive Theilnahme an den Kriegsereignissen bemessen und begrü­nden zu können." Aus Potsdam wird von einem erneuten Kleberumfall gemeldet, den der König am 30. Mai gehabt, auf den jedoch eine ruhige Nacht gefolgt Strieg sichauplaß. Schwarzes Meer. Der telegraphischen Depetchen über die Kertfe­­expedition haben wir bereits so viele mitgetheilt, daß auf Diesem Wege wohl nichts Neues mehr zu erfahren. Dennoch geben wir auch Die folgende, ihrer authentischen Q­uelle wegen, wieder. Der „Monster“ von gestern enthält nämlich einen Bericht von Kertich, 29. Mai, der dahin lautet: „Die Flottille der Verbündeten war am 26. Mai vor Berdiansi erschienen; der Feind verbrannte dort selbst vier seiner Dampfer und beträchtliche Vorrathemagazine. Am 27. besuchte die Flottille die Bucht von Arabat und unterhielt mit den daselbst befindlichen feindlichen Forts eine lebhafte Kanonade, in Folge deren ein Pulverb­uem aufflog. Wir haben bis jegt 106 Handelsschiffe im afow­den Meer vernichtet (detruit). Zu Zenifale sind von und ungeachtet der starren russischen Garnison 90 Kanonen genommen worden." Der französische Marineminister hat vom V­izeadmiral Bruat folgende Depeiche erhalten : Bukurvef, 27. Mai, 1 Uhr 20 Minuten. Asow’sches Meer, 25. Mai 1855. Die Expedetion ist volltändig geglüht. Die Batterien von A-Buruma und die, zu welchen man vorher gelangt, so wie Kertsh und Jenikale sind in unserer Gewalt. Drei russische Dampfer wurden von den Ruffen verbrannt. Ungefähr dreißig Transport, und Handelsschiffe wurden versenkt oder verbrannt,­ben­so viele wurden genom­men. Am Abend liefen wir in’s atom’sche Meer ein. Die Russen verbrannten ihre Magazine zu eh welche 160,000 Säde Hafer, 360,000 Säde Korn und 100,000 Säde Mehl ent­­hielten. Der Pariser "Montteur" schreibt: „Den legten Depetchen aus der Krimm zufolge schreiten die zur Deckung von Kamiere bestimmten Befestigungen rajd­­dige Beherrschung des asow’schen Meeres zu sichern.“ Großes Interesse hat in diese­m Momente das folgende Schreiben der "MR. 3." aus Petersburg 25. Mai. E83 Tautet: Die Demonstration gegen Kertsch am Anfange des Monats it zwar aus unbe­kannten Gründen ohne Folgen geblieben ; indeß beweist sie da, daß die Aufmerksamkeit der Altirten sich auf das lange völlig unbeachtet gebliebene asow’sche Meer zu richten beginnt. E 8 hat ich dorthin fast die ganze russische Handelsflotte geflüchtet; an den Küsten dieses Binnenmeeres liegen die Hauptstapelpläge (wie z. B. Berdianst) der Pro­­duktion der Meerprovinzen ; mittelst des asow’schen Meeres wird die Faufastische Armee mit Proviant und Kriegematerial versorgt. Gelänge es, die Blockade auch hier zu vollstrecen, so würden die Taukasischen Provinzen im Süden bedroht und fast abgeschnitten sein, und es wäre eine Kommunikation mit den Gebirgsstämmen gewonnen. Aus den Klüstenorten müßte sic­h alles Leben zurü­ckziehen, und es würden auch später beim Friedensschluffe vielleicht in Bezug auf dieses Meer nachträglich Bedingungen aufgestellt, die man bisher vergessen zu haben scheint. Indessen erwartet man, daß General von Wagner, der in Kertsch noch jüngst bedeutende Feldlazarethe angelegt und ums faffende Mafßregeln getroffen hat, die man nur auf Orten att­wendet, deren Besit man zu behaupten glaubt, si vorgesehen haben wird, zumal nach der Warnung, welche die erwähnte Demonstration in fi schloß. Aus Marseille, 28. Mai, bringt die Agentur Havas eine Depesche über die mit dem Paketboot aus Konstantinopel vom 21. eingetroffenen Nachrichten, aus der wir zur Ergänzung unserer gestrigen telegraphischen Berichte Folgendes ausheben: „Ein Tagesbefehl des Gererald Vivian macht bekannt, daß die Pforte die Ebene von Unklar Sielefft zur Errichtung eines Lagers für 25.000 Mann Neferve angewiesen habe, welche aus der türkisch-englischen Legion und aus türkischen Regulären gebildet werden sol. Die englischen Offiziere werden den russischen Palast von Bujuldere bewohnen. Die Offiziere des Palastes des Kaisers der Franzosen werden nach Frankreich zurückkehren. Herr von Lefleps sollte von Egypten nach Frankreich gehen; der Pernan üiber die Durchstechung der Randenge von Suez ist noch immer nicht erschienen. Untere Donau. Aus Barna wird der , Times" vom 28. telegraphirt: Im Konstantinopel kommen täglich Verstärkungen an. Man spricht mit ziemlicher Gewißheit von der Belehung von Dalat und von einem Angriff auf J­enael und Rent. In der Dobrudscha ward der französische Ingenieur Lalande erwartet, um mit Hilfe eines zweiten französischen Ingenieurs eine gangbare Heerstraße von Baltichir nach Silistria herzustellen, wozu Die Arbeiter in der Walachei und in Bulgarien angeworben werden. .­­ Inder,,Buk.d.Ztg.««lesen wir,daß für Bukarest 4 Doktoren der Medizin und 10 Chirurgen,und für Kraiova 2 Dokt.der Medizin und 3 Chirurgen­ gesucht werden,welche ihre Besoldun­g am Ende eines jeden Monats durch den k.k.Spitalkommandanten beziehen werden. Das Honorar für den Doktor der Medizin beträgt täglich­ 12 Zwanziger Silber und für den Chirurg 6 Zwanziger Silber unter der Bedingung, daß dieselben ein Diplom der Wiener Universität besigen oder wenigstens der deutschen Sprache mächtig sind, besonders die Chirurgen. E.C. London, 30. Mai. Die „Times“ begrüßt das glückliche Ergebniß der Expedition nach Kertsh und Jeniktale mit Zubel. „ES war", schreibt sie, „eine windige Feier des Geburtstages der ‚Königin von England, daß die Fahnen Englands und Frankreichs auf dem Hügel aufgepflanzt wurden, welchen die Weberlieferung als das Grab des Mithridates bezeichnet. Dieses Ergebniß ist um so glorreicher und außerordentliche, als die Nuffen seit lange vorhersehen mußten, daß man früher oder später eine solche Operation versuchen werde, und als es seinen Punkt in dem ungeheuren Gebiete Nußlands gibt, dessen Verlust furchtbarer für jenes Reich wäre. Wenn die Verbündeten auch nichts weiter täten, als daß sie die Meerenge vor Jenifale und Die anliegende Halbinsel von Kertsch befesten und behaupteten, welche sich Teicht durch jede Macht, welche Her­rin der See ist, vertheidigen läßt, so würden sie im Befige des Schlüffels zu fchlüffe in diesem Augenblick vorliegen über die inneren in­fel, enthält ohne Zweifel prenkisch­e Politit scheint aus ihren bisher eingehaltenen Geleiten heraus: | ferner weit und und preußi­­ganz ist. |

Next