Pester Lloyd - Abendblatt, Dezember 1858 (Jahrgang 5, nr. 275-299)
1858-12-01 / nr. 275
Mittwoch), 1. Dezemb. Ver, 1858. 7 endblatt des Melter Woyd. Feliae Nr. 275. — Ge, Eminenz der Fürst Prima von Ungarn sollte, wie der „Wien. 3." getrieben wird, am 23. b. wieder die Rüdreife von Rom antreten. Politische Rundschan. Pe, 1. Dezember. So lange der „Monitenr" gegenüber den Kriegegerüchten sich in Schweigen füllt und es nur dem offiziösen „Constitutionnel” überläßt zu erklären, „ed liege derzeit nichts so Ernfles (grave) vor, daß ein Konflikt zu ber forgen wäre," — m wird es gerathen sein, den verschiedenen Stimmen hierüber Gehör zu geben. Obenan flieht Heute unter diesen das offiziöse Turiner Blatt, es schreibt unterm 27. d. : Die europäische Politik gleicht aufs Haar einem bis zum Nante gefüllten Gefäße, das ein einziger hinzugefügter Tropfen zum Weberfließen bringen würde. Wird dieser Tropfen hineingegosfen, oder wird das Gleichgewicht noch eine Zeit lang aufrechterhalten werden ? Das ist die Trage. So lange die fejwebenden Angelegenheiten noch ausschließlich zwischen den Kabineten verhandelt werden, kann man mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß es zu einem schwer in die Dapfschale fallenden Entrepluffe nicht kommen wird. Wenn aber neben den Kabineten noch ein anderes Element, nämlich ein unverantwortlicher Wille, mag er nun von hoch oben oder von ganz unten herrühren, sich eindrängen sollte , dann dürfte ein herrartiger folgenschwerer Schritt unvermeidlich sein. Irgendein ähnlicher Vorfall, wie die Charles-Georges-Affaire, wenn er nur gegen eine große Macht gerichtet wäre, oder der unbedeutendste politisge Umschwung in Italien oder im Oriente würde eine genügende Kandhabe darbieten. Eine Insurrestion im Oriente, oder ein Systemwechsel aus was immer für Gründen in irgendeinem Italienischen Staate würde beispielemweise bine reichen, um eine bewaffnete Intervention Oesterreichs hervorzurufen. Besonders dürfte das in Italien der Fall sein, wo die Folgen der anschwellenden, der Sache der Unabhängigkeit gewidmeten Hoffnungen von einem Augenblicke zum andern sehr ernsthafte, unberechenbare Dimensionen annehmen, und das Wiener Kabinet oder auch die italienische Bevölkerung zu verzweifelten Maßregeln treiben könnten. Die Beziehungen zwischen Oesterreich und Piemont sind von sett langer Zeit sehr feindlich , tod das allein kann nicht man hin zum Kriege werden, da Piemont zu klein ist, um für si allein Desterreich den Handschuh hinzumwerfen. . Die Gefühle der Abneigung zwischen Frankreich und Desterreich sind gegenwärtig so ziemlich denjenigen gleich, die zwischen Defterreich und Piemont bestehen , doch mit dem Unterschiede, daß im Augenblicke zwischen Defterreich und Frankreich Feine Frage unmittelbar in der Schwebe is, von deren Lösung Frieden oder Krieg abhängt — während zwischen Defterreich und Piemont eine solche Trage mit Rücksicht auf die italienische Unabhängigkeit allerdings vorliegt. Allein was bis fest noch nicht offen einstisst, kann von Stunde zu Stunde an’s Tageslicht kommen, und bei der Spannung zwischen den Kabineten von Wien und Paris, an der in gemeissem Maße auf die öffentliche Meinung in Frankreich Theil nimmt, Liegt die Möglichkeit eines solches Ereignisses durchaus nicht so besonders ferne. Wenn man dazu noch die Feindseligkeit Rußland’s gegen Oesterreich fügt, so wie die Neutralität England und Preußen’s und die bewegte Lage des Orientes und Italiens: so sehen wir eine Masfe von Brennstoff angehäuft, das der tleinste hineinfallende Sunfe zu einer ungeheuren Feuersbrunft entzünden kann. Unsere Zeiten gehören nicht in die Kategorie derjenigen, wo die Thatlosigkeit der Belfer die unvermeidliche Begleiterin der Schatlosigkeit der Kabinete bildet. Im Gegentheile, wenn die Kabinete fi rühren und schütteln, sehen die Völker als Zuschauer des Umschwunges da in der Hoffnung, da der Nugen am Ende ihnen zufallen wird. Furcht, sei es aus Schwäche, wenn aber die Kabinete, sei es aus sei es aus Unfähigkeit, sei es aus Berberbtreit, ohnmächtig basteben, räumen die Völker nicht, zugespringen und die eigene Sache,in ihre Hand zu nehmen. Unsere Oppositionsblätter von rechts und Links her klagen den Minister Cavour an, er verbreite den Kriegslärm Zünftlich, um sich unentbehrlich zu machen und im Resige der Macht zu erhalten. Das Argument ist abgesehmacht, weil sold ein Kunstgriff dem Kabinett doch höcstens ein paar Monate und nicht länger zu Statten kommen künnte , aber selbst wenn es wahr wäre, was würde es bemeisen? Daß die Öffentliche Meinung in Piemont den Krieg will, und daß sein Ministerium si halten könnte, wenn es den Gedanken daran aufgebe, mit anderen Worten wenn es die Trage der Italienischen Unabhängigkeit zu Boden fallen Liefe. Die Erklärung dafür legt nahe. Piemont hat jener Sache von so große Opfer gebracht und gist zu feineren Opfern in so bestimmter Weise berufen, daß es — ganz abgesehen von allen nationalen und patriotischen Gefühlen — schon durch sein Interesse angetrieben wird, Die Sache nicht eher aufzugeben , als bis die Frucht feiner Opfer geerntet. Das gegenwärtige Ministerium, das den wichtigsten augenfälligsten und unwirksamsten Theil jener Opfer begonnen und den Impuls Dazu gegeben hat, befindet sich dar her auch in der moralischen Verpflichtung dafür zu sorgen, daß dieselben nicht zwecklos Dargebracht sind. Diesen kriegerischen Aeußerungen gegenüber mag erwähnt werden, daß man der „N. Pr. 3." aus der piemontesichen Hauptfront schreibt : R „Point d’argent, point de Suisses et point de saucisses“, sage ich zu Senen, die in den Strafen Turins den heiligen Krieg predigen. Wontdt führt man Krieg, wenn nicht mit Geld und zwar mit viel Geld ? und wo ist dieses in unseren Staatswaffen zu finden ? Biel horror vacui ist allerdings Darin und andrörtliche Mahnzettel an noch lange nicht zurieibezahlte Ansehen. Vielleicht glaubt man, England nochmals bereitwillig zu einem neuen Ansehen zu finden 2? Aber abgesehen von der veränderten Politik des englischen Kabinets, wo sind die Bürgschaften, die man dem scharffichtigen Rechenmeister John Bull verpfänden konnte? Man will die Staatseisenbahnen verkaufen, wie Oesterreich es that, hieß es die legte Zeit über ; aber ist die Staatselfenbahn von Turin nach Genua nicht längst verfegt? und was hat der Staat noch für anderweitige von Bedeutung ? Keine, Die Bergwerke auf Sardinien und im Aostathal sind verkauft und theilg verpfändet, Wohin man schaut, ist alles wüst und öde, Ich kann mir nur vorstellen, dag man den Kaiser von Frankreich für so uneigennügig und großmüthig hält, dag er außer „rettenden Kolonnen” auch noch „rettende Geldtäfer” über den Mont Cenis hinübertpneten Lassen wird. Möge Piemont vor solcher Hilfe bewahrt bleiben , denn au im Falle eines Steges würden die Herren Retter uns mindestens so lange effupirt halten, bis wir ihnen die geleerten Geldläffer iieder gefüllt hätten. Im glückhhsten Sale würden wir diese Yegieren nicht mehr bis an Die Nhonebrüche bei Culoz zurückzuschleppen haben, sondern die Retter hätten si wahrscheinlich unterdessen in Savoyen sohon häuslich niedergelassen und würden uns den Weg vom Mont Genis bis an die hone ersparen. Allein wie dem auch sei, biefe und ähnliche Betrachtungen werden hier nicht gewürdigt. Man ist einmal am Vorabend des Kriegs, und die Gemüthnstimmung is ähnlich der vom Sabre 1848. Die „Italienische Nationalgesellschaft" Hat einen Aufruf in die Welt gesandt, worin sie die Patrioten auffordert , sich fest um die Sahne Piemonts zu schren, die alten Zerwürfnisse bei Seite zu legen und mit vereinter Kraft gegen den Feind vorzugehen, denn nur so könne ten die Befürchtungen aufgehoben werden, welche aus einer Uebermacht Frankreichs in Italien entstehen könnten. Webrigens zirkuliren diese Kriegsgerichte nicht allein hier, sondern in ganz Italien. Das Feuer aber ist unverkennbar in Paris angeblasen, und die Worte, die man sich in’s Ohr raunt, die Napoleon III. zum Vertrauten gesprochen haben sol, sind, wenn sie wahr sind, von großer Bedeutung.