Pester Lloyd, Juni 1910 (Jahrgang 57, nr. 129-141)
1910-06-01 / nr. 129
"separater Postversendung vierteljährig gegengenommen. Für Amerika, England, Frankreich, Spanien und Portugal besteht die Vermittlung der Postämter nicht und das Abonnement muss direkt in unseren Administration erfolgen. Vertretung für Deutschland. " Frankreich, " England und Italien bei der Zeitungsfirma Saarbach, News Exchange in Mainz. 2 K. mehr. 57. Jahrgang . MORGENBLATT Budapest, Mittwoch, 1. Juni 1910 Im Wien: bei Ed. B. Dukes, Ipamenatein 17 , htahiasx sskximmjdqcism,szk« äcv.;Pris:odn.k.scvetsco;««« Einzeln : Morgenblatt in Budapest 12 Heller, in der Provinz 14 Heller. Abendblatt in Budapest 6 Heller, in der Provinz 8 Heller, Redaktion und Administration : V., Mária Valeria-uteza 12. — Manuskripte werden in keinem Falle zurückgestellt.. — Unfrankierte Briefe werden nicht angenommen, — Br. 129. « in Budapest, 31. Mai. Ungarn erwartet, daß jedermann morgen: seine Pflicht hie: Wie inbrünftig möchte man es vom Schichal erflehen, daß Nelsons Schlachtruf durch die ungarischen Landeshalle, von jedem Sinn begriffen, von jedem Willen in die Tat umgefegt werde. Ohne Ansehung der Partei und ohne Unterscheidung zwischen den Beknntnissen. Denn erst ist das Vaterland und dann die Partei. Aber ein Schlachtruf solle3 bleiben. Keiner, der den Ungar gegen den Ungar aufruft. Einer,, der nun alle vereint zu gemeinsamer Abkehr gegen die Verirrungen, denen wir in dem lebten Sahren als willenlose Beute anheimfielen. Denn wir halten es mit Martin Luther, der . da . sagte: „Die Wohlfahrt eines Landes hängt nicht von dem Ueberfluß seiner Einkünfte, noch von der Stärke seiner Festungswerte, noch von der Schönheit seiner öffentlichen Gebäude ab, beruht vielmehr auf der Zahl seiner gebildeten Bürger, in seinen Männern von Erziehung, Wilsen und Charakter. Hier ist das wahre Interesse, die Hauptstärke, die wahre Macht des Landes zu finden.“ Jahrhunderte sind verstrichen, seit der große deutsche Religionsstifter diese Worte niedergeschrieben und sie haben nicht, an inneren Wahrheit , eingebüßt. Allein die Wahrheit zieht den längsten Weg dahin, bis sie si durchgebt. In unserer Heimat zumal und in unserer Besitit ganz besonders. Denn die Lüge hat sich mit starren Bollwerken umgeben und ihre Zwingburg zu stürmen, sie völlig niederzureißen bleibt einer späteren, , glücklicheren Generation vorbehalten. Wenn wir morgen an die Urne schreiten, un unser fünftiges Schidsal selbst zu entscheiden, wollen wir dieser Zukunft in wenigstens den Pionierdienst versehen. Denn es bricht morgen ein Tag des Shidjals an und ein Tag des Gerichtes.. Was diesem herausgegangen in langen, kampferfüllten Wochen und Monden, steigert die Begierde aufs höchste, zu erfahren, was er ungewohl bringen werde.. ..... Eines ist bereits gewis und ichirs von niemandem bezweifelt Die zmoxgenanhebenden Wahlextsinds das Wijegenkgsteil n exwtcuens und große ItPartei:—Sie«erhält«unnmittelbar nach ihrem Werden·asuchs die Feuertaufs.Eäisxe Partei, die ein Geschöpf der Enttäuschung und des Willens zum Leben “. Die ungarische Nation will sich aus „der tätschenden Region der Ilhusionen Hinüber retten in die Sphäre realer Exisenzmöglichkeiten. Darum entstand „die Aus diesem Grunde muß Partei der nationalen Arbeit, ihr Erscheinen in der politischen Arena empathisch berühren. Sie ist einfach eine Notwendigkeit geworden, um uns das Kostbarste zu erhalten, was wir befiten.Es sei nur gleichgesagt: In dem Werbeprozesse: Dieser Partei sind manche Erscheinungen hervorgetreten, die man ger vermißt hätte, weil sie ihm in der ersten Zeit wenigstens den Charakter eines sujet mixte aufprägen. Das war sicherlich nicht anders zu machen, wenn man das angestrebte Ziel überhaupt erreichen wollte. Diese Partei muß aber dennoch ein urkräftiges Lebenwesen sein, denn sie besitz schon eine Legion von Gegnern und an dem Widerstand des Feindes, die eigene Kraft zu messen, darf sich wohl der ‚fühlte . Rechner gestatten. Man verschimpft sie bereits ala eine Neuauflage der ehemaligen, liberalen Barz tet, ala eine Resurrektion des alten Systems! Wenn dem wirklich so wäre, wäre es nicht ein vollgültiger Ruhmestitel? Denn diese liberale Partei sicherte Ungarn drei Jahrzehnte ungeahnter Entwicklung und mußte obendrein für alle die Fehler ihrer Widersacher, für die duch sie verursachten Schäden aufkommen. ı Allein die neue Partei ist der früheren parlamentarischen ‚Mehrheit der Rollsvertretung so unähnlich wie nur möglich. Ihr Ursprung ist ein anderer , und ihre Zusammenlegung, wie man " sie voraussehen . Dann,, it, wesentlich , verschieden von jener der anderen. Don den , ethischen Momenten, abgesehen,, erwählt ‚sie sozusagen ‚aus dem Nichts. Man sagt, es stünden die Machtmittel der Regierung bei ihr zu Mate. Welches sind diese Machtmittel? Etwa die Verwaltung? Wer wagt es, in diesem Lande zu behaupten, daß die Regierung ‚in Ungarn über die Verwaltung " gebietet? Erfahren wir , es „nicht sründlich, daß die Regierung den autonomen Organen, die über die Verwaltung in der Provinz herrschen, völlig machtlos gegenübersteht? Man sagt: die Obergespane ! So lieber Simmel! Cechzig oder siebzig aadere, zumeist ältere Herren, über Hals und Kopf und nit immer glücklich angeriefen, denen an vielen Orten ‘das Heer der Vizegespane, Stuhlritter und Notare mißtrauisch oder geradezu politisch feindselig begegnet. Und die Zentralwahlausichü sie der Komitate? ‚Befinden sie sich ‚nicht etwa ‚noch in derselben Zusammenlegung, in der sie unter der Herrschaft der Koalition mit weiter Bedachtnahme auf fommende Wahlen gebildet wurden? Die künftige Opposition sollte da in der Vorahnung des Mißgeiiides etwas erfinderischer sein in der Auswahl der Entjeidigung fommender Niederlage. Und erst der sogenannte Terror! Was it‘ Darunter ‚zu. .verstehen?. Die, Kandidaten, der. Partei der nationalen...Wibeit "haben B ‚am eigenen Zeibe erlebt. Seien wir gerecht, rechter und Linker Hand in gleichem Maße gesündigt. Diese von. der Straße, und aus, Kent Brutford aufgelesenen politischen Argumente sind befragenstoerte Beiweise der in erschrechendem Maße, um sich greifenden Unkultur, und liefern zwingende Gründe Dafür. Die freie Betätigung des Willens, stimmberechtigter ‚Bürger gegen das Ungestüm des Strakenpöbels mit allen , verfügbaren, Mitteln sicherzustellen. "Stellte und fate Eier. "«. wennen. Trennen uns doch nur mehr vierundzwanzig Stunden von der Entscheidung. Denn morgen wird das Shidjal über vier Fünfteile der Zusammenlegung der nächsten Bolfsvertretung gefallen sein und die im Jahre 1905 gemachten: Erfahrungen, wie nicht minder gar manche,Begleiterscheinungen. „der nun verrauschenden Wahlberwegung mahnen zur höchsten Vorsicht. Täuscht ung die Erinnerung nicht, Hat Ungarn seit dem Jahre 1872, als Graf Melchior Lónyay die Wahlen in Ungar leitete, seine so kampfreiche Wahlbewegung gesehen wie diese des Heilsjahres 1910. Sie unterscheidet sich in allem von ihren Vorgängerinnen. Die Wahlen des’ Jahres 186 unter Baron Banffy wurden mit 125 einstimmig gelieferten Mandaten der liberalen Partei eingeleitet. ene des Jahres 1901, die im Zeichen Koloman Szells und unter seinem , milden Walten vonstatten gingen, zählte man noch 106 einstimmige Wahlen. Und als im Jahre 1906 die Koalition das im Wonnerausch befangene Land zu den Wahlen aufrief, die eine Bombenmajorität lieferten, zählte man nicht weniger als 175 kampflose, einstimmig erteilte Mandate ! Man wird es morgen und in den nächssten Tagen erfahren, wie wenige der Fünfzigen Abgeordneten sich werden berühmen künnen, feinem gegneriishen Bewerber Aug’ im Auge kämpfend ‚gegenübergestanden.. zu: fein! Zwar, in den rechten Tagen und Stunden häuften si. Die Fälle zu: Dußenden, daß. -aussichtzlose Kandidaten si mit dem Ruhemestitel bescheiden, ; wenigstens einmal : genannt worden "zu sein” und unmittelbar: vor : dem. Fin henlos Reißausnahmen. -- Stile Punkte in allen Lagern öffnen Die Bersenkung, in der die Hoffnungslosen venschwinden. „Dadurch richtet sich der Kandidatenwald ein wenig ‚und . e3. erschließen. fid , freiere. Nusblide auf das Nahende. Durch diese Veduten gesehen wird das Zukunftsbild erfreulicher und schärfer umtriffen. Nicht Der verschoßftefte Gegner der neuesten Wendung bleibt in der Täuschung befangen. Alle Welt weiß heute bereits, daß die Partei Der nationalen Arbeit die ungleich stärkste des neuen Reichstages sein werde, Und die meisten unter diesen.. Gegnern fürchten . bereits,, daß diese Partei am Ende auch die Majorität erlangen werde. Wenn sich die Gegner in ihren Befürchtungen verrechnennd die Wartet der nationalen Arbeit nicht über die absolute Mehrheit verfügen sollte, riffen sie doch mit unumstößlicher Gewißheit, daß mit der Gruppe der Parteilosen und der Bolfspartei die staatsrechtliche Ordnung des Jahres 1867 aus diesen Wahltampfe siegreich hervorgehen ‚und der Lüge von 1905 die kurzen Beine noch mehr gekürzt werden, als ob Ungarn sich von jener staatsrechtlichen Grundlage dauernd lossagen wollte oder könnte. Wenn die nun anhebenden Wahlen kein anderes Ergebnis zeitigen sollten alS Safe &3 wurde: Feuilleton. Berliner Tagebuch). Bon Rudolf Lothar. (Sligwode. — Der Kampf der Theater mit den Theaterbefugern. — Das ruffiihe Ballett. — Sommerprogramme.) Feuilletons gehören zu jenen Dingen, die man am rashesten vergißt. Wenn ein hübsches Wort, ein zierlicher Gedanke, ein Drolliger Einfall einem im Gedächtnis wenige Minuten haften bleibt, so ist das fon mehr, als der Feuilletonist gemeiniglich erwarten darf. Aber hie und da geschieht er doc, daß einem ein unter dem Strich gesprochenes Wort durch Jahre nachgeht. Ich erinnere mich eines Feuilletons in einem großen Blatt, worin ein feinsinniger Dichter, ein Mann von großem ästhetischen Verständnis, ein tief empfindender Freund der Natur, 3. 3. Widmann, über die Verschandelung der Luft duch die Luftfahrzeuge klagte und sich vor einer kommenden Beit entreßte, wo der blaue Raum über uns so bevölkert sein würde, wie die Straße einer großen Stadt. Diese Zeit ist rascher hereingebrochen als man dachte. Es klingt parador, aber es it unleugbar, daß sein Verkehrsmittel so rasch populär geworden ist wie die Flugmaschine. Bedenken Sie doch, welche Kämpfe es gerottet hat, bis das Dampfschiff, bis die Eisenbahn ernst genommenwurden, wie lange sogar das Automobil brauchte, um in Bahn zu Schaffen, und wie jung eigentlich Die Fliegefrift des Menschen ist. Noch vor ganz kurzer Zeit waren die Brüder Wright die einzigen, die sich von der Erde in die Luft erhoben. Heute kann man die Abiatiker ganz mehr zählen. Ueberall ‚werden Flugkonkurrenzen veranstalte, man überfliegt Städte und Länder und Töst Spielend die scheinbar schwierigsten Aufgaben. ° Und Widmann Hatte durchaus Unrecht, als er: Die Wertheiit des Luftraumes gegen Die menschlichen Eindringlinge verteidigen wollte. Es gibt kaum ein fhöheres Schauspiel als den Menschen, der den Wettkampf mit dem Vogel annimmt. Die Aesthetit der Technik besteht ig in der idealen Amemäßigkeit. Dazu «Eins zweites aber ist noch nicht völligs gewiß Wetqustens schlethchweifel noch umher und die höhnische Skepsis lugt nach allen Seiten aus,ob die Partei der nationalen Arbeit auf,sich allein1 gestellt,aus diesem Wahlgange die Majorität heimbringen»·»undwetm ja,ob diese Mehrheit,hinreichen werde,die Besorgung der Staatsund Regierungsgeschäfte gegen jede Anfechtung zu sichern. Wir möchten die Frage weder bejahen,noch weniger sie vertritt hier das Gefühldaß die sieghafte Energie des Menschenin.Wahrheit sich bis zu den Wolken erhebt,daß die Erdgebundenheit gelöst ist,daß zwir endlichs von Uns sagen können:"frei wie der Vogel!Jeder Sieg löst ein Freiheitsgefühl«aus.Jede Eroberung ist eine Erlösung. Und niemals hat eine Eroberung so das Antli der Menschheit verändert,wie die Eroberung der Luft. Als ob die Menschen, die bisher immer erdentwärts zu schauen gezwungen waren, num auf einmal das Recht befämen, zum Himmel zu bilden. Wenn jemals ein Verkehrsmittel die Rirche unseres Geschlechtes verändert hat, so ist es das Luftfahrzeug. Das Fliegen wird den Menschen Führer, heiterer, vertrauensvoller, sonniger machen, ihn aus der Enge der Grenzen befreien, ihm ein Kraftgefühl schaffen, ein Selbstbewußtsein, wie er es noch nie besaß. Das alles empfinden wir damier in unausgesprochenen Worten, wenn wir die Flugmaschine über unseren Köpfen dahinfliegen sehen. Es ist in uns wie das Knospen einer Ahnung, wie die Erwartung einer großen Welle, die uns alle emportragen wird. " Johannistah wo die Berliner Flugwoche stattfand, hat zwar"einen hü’bsche 11 Name 31,ist aber einte furchtbar öde und häßliche Gegend. Ein Riesenfeld, zu dem eine langweilige, staubige Landstraße führt. Am Horizont dünne Kiefernwälder, ein paar Yabrikichornsteine. Um den Slugplad herum Tribünen und eine lange Reihe von Holzschuppen. In den Schuppen stehen die Slugmaschinen. Wenn sie herausgezogen werden, schauen diese Gestänge mit den Lappen, den Dimnen Drähten noch irgendwie interessant aus. Eine Flugmaschine auf der Erde it gewiß nicht schön. Wie aber der Fahrer seinen Git einnimmt, die großen Flügel des Motors zu rotieren beginnen und nach kurzem Lauf das Fahrzeug sich in die Luft erhebt, bekommt er Leben und mit dem Leben Schönheit. Die Zuschauer aber empfinden e3 wie mit starren Schlägen des Herzens, daß hier eine neue Zeit anhebt, daß wir an der Schwelle einer neuen, großen Entwicklungsperiode stehen. Die geivaltigen Einschnitte im Leben der Menschheit waren ja stet3 Entdielungen und Erfindungen . (nicht, wie Könige und Feldherren uns glauben machen wollen. Theoeriie Szene). Die Entdelung Amerikas, die Erfindung der Buchbruderzunft, die erste Slugmaschine, das sind drei große, gleichwertige Etappen in der Entwicklung der Kultur. Das sind drei neue Welten, die erschlossen wurden. am Johannistal gab es eine Menge Preise und Preisaufgaben. Das sportliche Interesse war aber genug nicht so starr wie das ästhetische und soziale Interesse an der Lade. Die Aviatif ist viel mehr als ein Spott. Wenn man sie als Sport behandelt, so kommt es einem ungefähr so vor, als wenn man nach der Erfindung der Buchbruderzunft Konkurrenzen für das echnellste, sauberste und geschmackvollste Seten oder für das Geben komplizierter Dinge ausgeschrieben hätte. Das gehört auch dazur. Gewik! Über ganz andere Interessen kommen Hier in Frage, als Geschicklichkeitsprobe und Meisterschaft. So war denn auch das wirklich große Ereignis gar nicht im Programm enthalten: Freys Flug über Berlin war ein Ertempore. Es war ein grandioser Anblick, ein wunderbares Schauspiel , und die Polizei lieferte den fantischen Epilog. Sie hat Frey mit einer Ordnungsstrafe belegt. Es soll den Menscen nicht erlaubt sein, die Freiheit der Luft ungehindert zu genießen. Die Polizei strengt sich an, auch in der Luft Barrieren zu ziehen, auch das Blau des Himmels zu reglementieren. Sie ahnt esnchauernd, daß die Menschheit zu übermütig werden könnte. Schranfenlose Freiheit soll es in einem Polizeistaat nicht geben, auch nicht über ihm. Die Macht, die den Menschen beengt, bevormundet, am Leitseil führt, hat Die verschiedensten Namen. Bald heißt sie Polizei, bald Bureaufratismus, bald Geiet, bald Reglement. Ist die Freiheit das positive Element im Menschenleben, so ist Diese Macht das negative. Die Polizei und das Gesteb, das ist Der Geist, der stets verneint. Wie wird fs dieser Geist mit dem Fliegen abfinden? Eine Wolfe von Konflikten zieht herauf. Aber ich habe Vertrauen zur Aviatif. Die Flugmaschine wird sich über solche Wollen zu erheben willen. : F«j, s.. ARE, Hi ! ‚Wir haben einen schredlich heißen Mai !. Nachdem der Frühling rauh, unwilch und fast eingetet hatte, verfiel er auf einmal ins andere Extrem und wurde teppich. weder poetisch . .