Schul- und Kirchenbote, 1913 (Jahrgang 48, nr. 1-24)

1913-09-15 / nr. 18

276 Reformbewegung ins Auge gesehen. Nur die Einsicht verleiht Fertigkeit im Wollen und Streben. D­as ist das Wesen und Ziel der rechten Arbeitsschule? Hervorragende Pädagogen vergangener Zeiten, wie Bertalozzi, Noufjean, Comenius, Franke, Fröbel u. a. haben schon das Prinzip der Anschauung und der körperlichen Betätigung im Dienste des Unterrichts und der Err­ziehung erkannt und geübt. Ihre Forderungen sind jedoch im Laufe der Zeit mit durch die stets wachsende Stoffmenge zurücgedrängt worden. Die Schule war auf dem Wege einseitigen Buchwissens. Als Typ des modernen Menschen galt der Bildungsphilister, der theoretische Mensch. Da dämmerte es in einigen Köpfen auf. Nicht der Beistand, das Gedächtn­is allein, auch das Gefühlsleben, die Phantasie und der Wille müssen Berücsichtigung finden. Pflege der seelischen Kräfte! Es entstand die Kunfterzieherische De Die Kunst sollte zum Heilmittel gegen die Kurlturschäden werden. Dem Drange nach einheitlicher Entwicklung aller Kräfte entsprang die Forderung nach größerer Berückichtigung der Kindlichen Eigenart, des Kindlichen Bedürfnisses. Die Entwicklung und der Wille des Kindes sollte Nichtichnur sein, der Lehrer Bormund, nicht Herrscher. Wahrung der natürlichen echte des Kindes, hieß die Losung. Diese Rechte aber fan es mir dann geltend machen, wenn ihm im Unterricht möglichst, weitgehende Freiheit gewährt wird. Darum weg mit allem Zwang. Weg mit allen jenen Stoffen, die die jeweilige Entwiclungs­­stufe des Kindes übersteigen und außerhalb seines Interesses liegen. Nicht davon soll die Schule ausgehen, was das Kind einmal braucht, wenn es er­­wachsen ist, sondern davon, was ih­m heute nottut, da es ein Stind ist. Denn das Seelenleben der Kinder deckt sich durchaus nicht mit dem der Erwach­­senen. Das Interesse des Kindes wendet sich mit besonderer Wucht dem Konkreten, Sichtbaren, Körperhaften zu. Auch sein Denken vollzieht sich mehr an anschaulichen Sachvorstellungen. Der Wirklichkeitssinn des Kindes ist stärker als sein Abstraktionsvermögen. Das lebendige Leben vermag das Kind unmittelbarer zu erfassen als die unkörperliche Welt der Gedanken. Wir verlangen jeht viel zu frühe abstrafte Vorstellungen und bedenken nicht, daß Diese sich exit auf Grund vieler, recht vieler Konkreter B Vorstellungen bilden. Das wirkliche Leben (nicht Bilder) der Heimat muß, soweit als möglich, Ausgangspunkt aller Unterrichtsmaßnahmen sein. Darum führe die Kinder an die Dinge selbst heran und z­wänge sie nicht in das dir zu­­rechtgelegte Schema. Selbsttätige Beobachtung ist eine Hauptforderung der Neformer. Dabei soll nicht nur Ohr und Mund, sondern auch Auge und Hand tätig sein. Auf solchem Wege erarbeitete, erlebte Vorstellungen sind rar und bleiben sicheres Eigentum für lange Zeit. Solche aus dem kräft­­igen Interesse geborene und durch Selbstsuchen und Selbstfinden mitten aus der lebendigen Wirklichkeit geschöpfte Eindrücke wirken natürlich auch auf den Willen nachhaltiger und suchen und finden Ausdruck in Taten, sei es in eigenen Schöpfungen oder im Dienste der Allgemeinheit. Wir sehen aus dem Gesagten, daß die von den Neformern aufgestellten Grundfäße eigentlich alte Wahrheiten sind. Sie tauchen wieder auf in neuer Fassung und neuer Verknüpfung und fordern ihre angestammten Rechte. In diesem Sinne ist auch die ganze Neformbewegung etwas Neues und Eigen­­artiges, so alt ihre Elemente auch sein mögen. Freilich sind­ einige Forderungen von einzelnen Neformern übertrieben

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