Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1897. Oktober (Jahrgang 24, nr. 7234-7260)

1897-10-27 / nr. 7256

Seite 1126 Hermannstathittwoeh Stiebenbürgisch-Deutsches Tageblatt. 97. Oktober 1897. Ne. 7256 halten(sic!)auch habe er ihnen keine Steuerverminderung verschafft.Die Bauern erklärten,sie werden ihm drei Pfund Fleisch IUS dem Leibe schneiden.Der Bezirksvorsteher Sabolitsch bemühte sich unaus­­gesetzt,die erregte Bevölkerung zu beruhigen,was ihm auch einigermaßen gelang.Erst am 13.Oktober,als die Bauernmenge auf mehr als 1000 Köpfe angewachsen und auch Sukkurs aus dem benachbarten Dalmatien ein­­getroffen war,sah sich Bezirksvorsteher Sabolitsch veranlaßt,Militär und Brachium aus dem naheliegenden Bihacz zu requirieren. Die Bauern for­­mulierten nun ihre Forderungen: Entfernung des Pfarrers, des Bürger­­meisters und des Notars, während sie dem Bezirksvorstande ihr volles Ver­­trauen ausdrückten. Der mit einer Flinte und einem Revolver bewaffnete Pfarrer verteidigte mehrere Tage Hindurch mit seinem Sohn und seinem Schwiegersohn das belagerte Parchaus gegen die gesamte Bauernlast. Bis zum 17. Oktober wurden 30 Verhaftungen vorgenommen. Im österreichischen Abgeordnetenhause wird heute die Debatte über den Antrag auf Erhebung der Ministeranklage wegen der V­or­­fälle in Eger fortgelegt werden. Wie verlautet, wird Heute Schluß der Debatte über die Ministeranklagen beantragt werden. Al Generalredner pro wird Abgeordneter Wolf bestellt werden. Für heute gilt noch das Kompromiß über die Einschränkung der Obstruktion. Bon morgen an sol jedoch die Ob­­struktion wieder in voller Stärke einlegen. Wie sehr das Ansehen der katholischen Bolfspartei bei den Dentschen der Alpenländer im Linfen ist, zeigt neuerdings eine Erklärung der bündlerischen Bauernschaft Steiermarks in der „Grazer Tages«­post”, worin es heißt, daß dem Bauernbund eine Einladung zum allgemeinen österreichischen Bauerntage am 11. November in Wien nicht zukam, daß übrigens der Bauernbund, auch wenn er geladen wäre, diesen Bauerntag, an welchem die Katholische Volkspartei Anteil haben solle, nie besoiden würde, und daß der ristliche Bauernbund mit der Katholischen Volkpartei, „solange sie das Deutschtum schändet”, selbst über wirtschaftliche Fragen nie in gemein­­same Beratungen treten werde. In Berlin wird eine große Versammlung zum Zweckk einer Sy­m­­pathiefundgebung für die Deutschen in Desterreic geplant. Dieselbe sol Mitte November stattfinden. Abgeordnete der drei deutschen Obstruktionsparteien Desterreichs werden hiezu in Berlin erwartet. In einem bemerkenswerten Artikel über „Deutschlands Flotte und Deutschlands Zukunft“ kommt die „Nationalzeitung“ zum Schlusse: Daß Deutschland für seine zukünftige Entwicklung und für die Be­­hauptung seiner Weltstellung eine Flotte brauche. Für den Krieg allein — Schreibt das genannte Blatt — ist sie so wenig bestimmt wie das Heer. Flotte wie Heer sind auch Erziehungsmittel des Volkes und repräsentieren nach außen seine Naht und Größe. Niemand kann mehr daran denken, mit unsern Boltsheeren Kabinettkriege wie im vergangenen Jahrhundert zu führen. Aber sein Staat würde ohne Heer, auch wenn er vor einem Angriffe seiner Nach­­­barn sicher wäre, ohne Sorgen in die Zukunft bliden. Erst die Rüstung giebt seiner Freundschaft Wert und seinem Ansehen den N­achhalt­e Wa3 von dem Heere, gilt in dem universalen Zeitalter auch von der Flotte. Die Erde ist zu einem großen, im wirtschaftlichen wie im politischen Sinne fortan untrenn­­baren Ganzen geworden. Land und Meer bedeuten nicht mehr, wie no im Anfang dieses Jahrhunderts, wo Napoleon sein kontinentales Kaiserreich ohne Flotte­ aufrecht halten zu können glaubte, einzig durch die große Armee, zwei verschiedene Welten. Ein Volk, das jegt nicht acptunggebietend seine Flagge auf allen Meeren zeigt, scheidet aus der Reihe der großen Mächte, gleichsam aus dem Zusammenhang der Dinge aus. Unser Heer verbürgt Deutschland seine Sicherheit und Unantastbarkeit in Europa; unsere Bedeutung in der Welt wird aber in der Zukunft mehr und mehr auf unserem Handel, der Entwiclung unserer Kolonien, der Größe und dem Werte unserer Flotte be­­ruhen. Sie ist, wenn wir die Schiffe unserer Handels- und Kriegs-Marine als eine Einheit zusammenfassen, das beste Werkzeug für unsere Zukunft im Kampfe um das Dasein,­hr die Existenzbedingungen zu versümmern, ihre notwendige Entwicklung zu unterbinden, nicht aus falschen Gründen, sondern aus dem blöden Geschrei gegen den „Militarismus“, aus der Abneigung des Bartikularismus und des Pfahlbürgertums­ gegen die Ausbreitung des deutschen Einflusses in der Welt, hieße die alten Sünden und Verschuldungen des uns einigen und zerrissenen Vaterlandes, diesmal mit vollem Bewußtsein ihrer Schwere und Gefährlichkeit, wiederholen. In Stark besuchter Situng der französishen Kammer inter­pellierte am 23. d. der Sozialist Gerault Richard über die Hauffe der Brotpfeife. Er betonte, daß die Hauffe ein schamloses Manöver von Spekulanten sei, woraus nur die Gruppe der Landwirte Nuben ziehe. Redner fragt die Regierung, ob sie willens sei, den Getreidezol zu ermäßigen und wirft dem Ministerium vor, daß es ein Hungerministerium se. (Stür­­mischer Widerspruch.) Solleville verlangt, daß der Ertrag des Getreide­­700e3 zur Linderung der herrschenden Krise verwendet werde und fordert die Regierung auf, gegen die Spekulanten unver­­eilt die erfordernden Maßregeln zu treffen. (Beifall auf der äußersten Linken.) Ministerpräsident Meline erklärt, er habe die Beiträge nicht reduzirt, weil dies der Preis des Brotes nicht gerechtfertigt habe. Die im Jahre 1891 versuchte Herablegung der Zölle habe ein unglückiches Ergebnis gehabt. Das fremde Getreide habe den fran­­zösischen Markt erdrückt, ohne gleichwohl ein Sinsen der Brotpreise herbeiger­führt zu haben. Darum empfehle es sie unter den gegenwärtigen Marftvers­hältnissen nicht, an den Boljäden zu rütteln. Uebrigens habe es nicht den Anfeil, als ob der Getreidepreis merklich steigen würde. Im Januar erde man aus allen großen Produktionsgebieten die Ernten ankommen sehen. In betreff der Verschwörung der Kapitalisten zur Aushungerung des Volkes be­­merkte Meline, der alleinige Verschwörer sei die Sonne; in ganz Europa sei eine Getreidehanffe zu Tage getreten. „Wir haben die Auswüchse der Speku­­lation,” sagt Meline, „nach Möglichkeit bekämpft. Allein die Nachrichten aus Paris und die sozialistische Kampagne sind es, welche die Teuerung verursacht haben,­­Unruhe auf der äu­ßersten Linken.) Jede Beschuldigung gegen Speku­­lanten wurde untersucht und mchr verfolgen die Schuldigen, wer sie auch immer sein mögen. Aber oft haben sich die Beschuldigungen als unrichtig herausge­­stelt.” Nebner schließt: „Wenn die Sozialisten ihre Kraft verwenden würden, um aufzubauen, anstatt zu zerstören, so würde es seine Brotfrage geben.” (Wiederholter Lebhafter Beifall.) Deputierter Graux dankt dem Minister­­präsidenten und sagt, seine Erklärung werde den Landwirten und der ehrlichen K­aufmannschaft die Zuversicht wieder geben. Deputierter Biger spricht si gegen eine Herablegung de Bolled aus, weil dadurch einzig und allein Die Amerikaner profitieren und sofort den Preis des Getreide erhöhen würden. Saures will die Haltung der Sozialisten rechtfertigen, aber die Kammer nimmt mit 252 gegen 192 Stimmen den Schluß der Debatte an. Minister­­präsident Meline erklärt, die Tagesordnung des Deputierten Grang anzu­­nehmen, welche die Ausführungen der Regierung billigt und jene in betreff der verbotenen Operationen zur Kenntnis nimmt.­­ Diese Tages­­ordnung wird mit 398 gegen 76 Stimmen angenommen und die Sibung geschlossen. Wie die Madrider Journale ausführen, hält die von der spanis­­chen Regierung auf die Note der amerikanischen Ge­sandten erteilte Antwort die Souveränitätsrechte Spaniens in ent­­schiedener Weise aufrecht und spricht den Vereinigten Staaten das Recht ab, auf Cuba zu intervenieren. „Imparcial“ äußert sich beifällig über die energische Sprache der Antwort. Dad Journal „Liberal“ rät zur Mäßigung, aber Heftigkeit in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, und fordert die Veröffentlichung sowohl der Note Woodford’s als auch der Antwort der Spanischen Regierung. Aus Kreta meldet man, Admiral Canedaro habe mehreren Mit­­gliedern der Fretensischen Nationalversammlung erklärt, daß die Eretenjii­e drage in einem Monat gelöst sein werde und ihnen Mäßigung und Ein­­trat empfohlen. Der Admiral versicherte, daß die Wretenser sich der Wohl­­taten einer vollständigen Autonomie erfreuen werden. Bei Bardiga wurde ein Bruder des Deputierten Petrebin-Bey von Briganten gefangen ge­nommen. Die Baseler Böklin-Ausstellung. (Eigenbericht des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes“.) &3 ist unglaublich! Wenn ich es nicht schwarz auf weiß gesehen hätte, ich würde es niemals geglaubt haben. Arnold Böhlin, den ich mir als einen Revolutionär der Farben, als einen jugendlichen Stürmer und Dränger voll eruptiver Kraft dachte — ist ein Greis von siebzig Jahren. Im meiner Vorstellung lebte er groß und gewaltig, wie ein erratischer Blod, Heiß und lebensvoll wie die Sinne — und wie ich ihn sah in seinen Selbstportraits überlebensgroß, dem das Schredlichste zum Welthumor wurde. Das einemal ist der Mann mit feinem durchgeistigten Gefigte und lauscht den Tönen einer Geige, deren Saite Töne entquellen, wie sie sein sterblicher mehr hörte, denn der Geigenspieler ist­­ der Tod. Was jeden unsagbar erschüttert hätte, dem lauscht der Künstler mit höchstem Interesse. Jede Muskel ist im Gefichte gespannt, aber die zitternde Fibel wird gebändigt, der Tod Hat alle Schreden verloren, er ist besiegt worden doch den­­ Humor ! Das andere Mal sehe ich die Gestalt hochaufgerichtet dastehen und alles Altägliche, das sie umkleidet, wird hinfälig durch ein Gesicht, das niemand vergißt, den der Strahl dieses Auges je durchdrang. Die linke Hand, auf welcher starke Adern Herbortreten, hält die Palette, die rechte den Binfel, der soeben einen scharfen Profilriß auf die Leinwand warf. Die energische Hand, die den Binfel führt, zittert nicht, das Schredlichste darzustellen, aber sie durch» tränzt und beleuchtet es mit dem meltbezwingenden Humor. So sah ich ihn vor meinem geistigen Auge. Und nun sagte er mir die nüc­hterne Zahl, die wie eine erschütternde Gratistiz hinausflang in die Weite: Böhlins Baterstadt Basel rüstet den siebzigsten Geburtstag ihres großen Sohnes festlich zu begehen. Der Beier dieses Tages, der heute das 70. Lebens­­jahr des Künstlers abschließt, geht eine aus ungefähr­ neunzig Nummern be­­stehende Ausstellung seiner Bilder voran, die vor kurzem­ hier eröffnet wurde. Wenn man das Lebenswert Arnold Böcklins ins Auge faßt, so geht man nit alzu weit, wenn man annimmt, daß das hier Gebotene et­wa die Hälfte oder da mindestend ein Drittel seiner sämtlichen Produkte umfaßt — also immerhin soviel, daß man nicht leicht wieder in die Lage kommen wird, eine ebenso reiche Kollektion seiner Bilder beisammen zu sehen. Darin allein schon liegt die ganz­ erzeptionelle Bedeutung dieser intimen Ausstellung. Wer nun außerdem übersättigt ist von den großen Bilderbörsen europäischer Kunstzentren, wo das Angebot leider überall die Nachfrage über» steigt, den mußte er gewaltsam nach der altehrwürdigen Rheinstadt ziehen, die schon einmal liebevoll einen anderen, großen Sarbenkünstler, Hans Holbein, den ihren nannte und die so sehr berufen erscheint, die Welt mit Malern zu be­dhenten, deren Ruf weit über die lokalen Grenzen des Kantons hinüber zu universeller Bedeutung gelangt sind. So gehöre unglückicherweise zu jenen Sonderlingen, welche allen Bilder­­mächten der Jahres-, Kunst- und Spezial-Ausstellungen seinen Geschmach ab­­gewinnen sonten. Schon eine Exposition von neunzig Bildern — gewiß eine bescheidene Zahl — Hat für mich ein Gefühl zur Folge, als ob ich bei einer reich befegten Tafel von, sagen wir, neunzig Gängen meinen Magen überladen hätte. Aber bei Bödlin war dies freilich ein anderes! Darum schnürte ich mein Ränzel und eilte vom Boden» und Zürchersee in die jubis­lierende Stadt Basel, s« Ziemlich spätab­ermittag öffneten sich die Pforten der Kunsthalle, denn eine strenge»fürsichtigweise Obr­igkeit«hatte dafür gesorgt,daß die Hallen der Kunst nicht vor Schluß zu Gottesdiensten den Andächtigen zu­­gänglich wurden.Die Ausstellung selbstzu ist im ersten Stockwerke des Gebäudes in drei bescheidenen Oberlichtsälen und ein­em kleinen Nebenraum untergebracht. Um den Effekt der in allen Licht-und Farbenmischungen strahlenden Schätze noch mehr zu heben,hat man den Sälen eine schwarze Wandhülle ge­­geben.Es mag ja sei,daß der dunkle Hintergrund das lebhafte Kolorit der Bilder energischer hervortreten läßt.Dennoch irrt das Auge immer wieder zunarbe des Katafalks und des Schmerzes hinüber wenn es soeben erst auf der blendenden Lichtquelle Böcklin’scher Farben ge­ruht hatte.Wenn man schon einen dunklen Hintergrund wählte-die Berechtigung dazu läßt sich ja nicht bestreiten—mußte es denn gerade das so wenig jubiläum­sfähige Schwarz sein?Hätte eine minderschroffe dunkle Farbe nicht gleiche,oder noch viel bessere Dienste geleistet? Die vorhandenen Bilder sind im allgemeinen in den drei Sälen der Zeitfolge nachgeordnetz wenige Ausnahmen bilden Objekte,welche des Raumes wegen eingeschoben wurden.Kein Bild ist zu hoch gehängt.Da Raum genug vorhanden war,konnte er entsprechend verwendet werden.Schon der ganz äußerliche Eindruck der Bilder in­­ den drei Zimmern ist in ihrer Ges­­amtheit ein verschiedener.Die Töne werden immer lebhafter,je tiefer wir gehen und bilden so natürliche Steigeungsgrade der Farbenfreudigkeit des Künstlers,die mit seiner erhöhten Halle immer großartiger sich gestaltete. Man findet im ersten Saal eine Reihe­ vom Bildern aus den fünfziger und sechziger Jahren, zum Teil den aufstrebenden Künstler in seinen Anfängen, noch unter dem Banne der Konvention zeigend. Aber wer tiefer zusieht, er­­kennt seine ersten Detailstudien, die im kleinsten das Wesentliche suchende, tastende Seele und sodann drängt sich uns von die Neigung des Malers für Historische Stoffe, die freilich schon zu Ende deri­ bierziger Jahre die Historie nach dem eigenen Empfinden umzuformen trachtete. Wie gewaltig die I­ndividualität der Geschichte ihre eigenen Züge einprägt, kann man an seinem treffenderen Beispiele erkennen, al an Bödlin. Sie bietet ihm er­­wünschte Stoffe — auch die Historienmaler können ihn mit Fug und Ned, wenn er an das Gebiet der bloßen Mythe selten überschreitet, den ihren nennen — aber er formt si, um mit Prometheus zu reden, nach „seinem Bilde ein Geschlecht, das ihm gleich sei, zu leiden, zu­ weinen, zu genießen und zu freuen sich — gleich ihm!“ Andere Künstler haben sich dem Ereignis möglichst anzupassen gesucht. Aber künstlerisch fühlt nur derjenige, welcher die Kraft befigt, alles Lebende in seine eigene Welt des Empfindens umzuschmelzen. Diese Fähigkeit entwicelt sich allmählich bei Bödlin zu so zwingender Gewalt, daß wir lange schon, daß erkennt man, wenn man seine Werke in solcher Lebendigkeit vor si sieht, gewisse Erscheinungen nur noch mit feinen Augen sehen können. Dies offenbart sie vor allem in der Betrachtung der Natur, die er wie sein anderer vermenschlichte. Aus der überwältigenden Flle des vorhandenen Stoffes will ich nur eines hervorheben — allerdings vielleicht das über­wältigendste: Die Prometheuslandschaft. UNS, was Böcklin malte, fehrt in veränderter Gestalt wieder. Er malt einen Stoff selten nur einmal. So sah ich im V­orjahre in der Berliner Ausstellung eine „Jagd der Diana”, die damals im Mittelpunkte des künstlerischen Interesses stand. Den gleichen Stoff hat aber Böhlin bereits im Jahre 1858 in einer „heroischen Landschaft“ behandelt. Vom Jahre 1875 enthält die sebige Ausstellung zwei „Flora“, ein P­astell und ein Del»­gemälde. Wie oft Fehrt das Thema „Nymphe und Satyr”, das er bereits 1858 anschlug, wieder, und das ich aufs höchste vollendet in „Ddlysseus und Kalypso" — aus dem Jahre 1881 — wieder erkenne. Das Motiv: „Villa am Meer" — das ja innerlich auch unseren Schindler zu einer Reihe herr­­licher Bilder, wenn auch nicht in gleicher Großartigkeit anregte — wiederholt sich in allen erdenkbaren Veränderungen. Den Künstler erfüllt eine ungeheuere Schaffensluft. Er beherrscht das Material dad er ergreift, vollständig. Manche seiner Stoffe schaut er von allen Seiten an, und er malt sie von allen die Seiten, aber immer zwingt er sie, von wo er sie auch sehe, seinen Empfindungen unterthan zu sein.­­ Aehnlich verhält er sich der Prometheuzsage gegenüber.In einem Bilde-da s ich allerdings nur in einer Reproduktion sah-liegt der Himmelsstürmer in wagerechter Lage über ein ganzes felsiges Gebirge hin ge­­fesselt und mit ihm bäumt sich in wildem,nicht zu brechendem­ Trotze die Erde gegen den Himmel auf.Diese Vermenschlichung der Landschaft,wo die Erde Partei ergreift,gegen die Götter da drohen,die nnr zu Sklaven zwingen wollen,ist in der»Prometheus-Landschaft«in einer Weise gesteigert,wie sie nur dieser Meister bewältigen konnte.In dem grausenvollen Kampfe zwischenhimm­el und Erde,der in das schwärzeste Blau so gehüllt ist,daß beide ineinanderfließen,stehen vom Sturme fast niedergebrochen ein Paar Bäume,im Schmucke des lichtesten Gram und der Gigant der Erde­—den Ieiner wie Böcklin malte—­das Meer,wie jauchzt es auf in der schrecklichem kampfvollen Nacht.Hochausspritzt jubelnd sein weißer Gischt und läuft den Felsen hinan,ein gewaltiges Sturmlied in die großartigste Schlacht hin­­ausschleudernd,während der Himm­el von der Wut und Macht des Widers­­tandes erschüttert,kaum einen schwachen hellen Blick hat.So ist das große an­te Individualismus wo nie verherrlicht worden, wie in Bödlins acben ! Almet die „Prometheus-Landsgaft“ den Hau erschütternder Leidens­­chaft, so versteht es der Maler, der ja immer auch ein Dichter ist, die zartesten und feinsten Töne in uns erklingen zu lassen, wenn er sein liebe erfültes Herz in Sarben auslebt. Das Poesievollste, was sein Pinsel schuf, hat er in „Venus Genitrig” zusammengefaßt. Der Venus-Akkord tönt in seiner Seele immer herrlicher wieder. Von der Wellenschaum-Geborenen bis zu der im Resige des Professors Dr. Neiffer in Breslau befindlichen allegorischen „Venus Genitrig” — meld ein Unter­­schied! So oft diese Melodie wiederkehrte, war sie gesättigt von jenem glühenden Empfinden, das die Geschlechter mächtig zu­einander zieht. Die aus dem Mittelpunkte des dreiteiligen Bildes hervortretende Venus ist wohl das Schönste Weib, das Rödlin verherrlichte — aber sie ist nur ein Begriff, eine Varstellung, und nicht mit den begehrenswertesten Reizen ausgestattet, die und mit Naturgewalt zu ihr einziehen. Sie schüßt die jungen, auf­keimenden Herzen in den zwei Gestalten des Mäpchens und Sünglings, die an einem schönen Maitage alle ersten Wonnen ihres Glücks genießen, während der Amor unter ihnen sie fchüßt. Sie verklärt aber an die­se­u die im rechten Teile des Bildes schon die Früchte des Herbtes genießt. Der Allegorie hat Bödlin, wie hier, einer Apotheose der Liebe, nicht selten seine fattesten Farben geliehen. Auch in dem „Vita somnium breve“ hat er in einem einzigen Bilde die Altersstufen des Menschen in die leuchtendsten Farben gekleidet. Zwei ahnungslose Rinder werfen, spielend, Blumen in den Bach und sehen zu, wie seine Wellen sie forttragen. Inzwischen reißt si der Süngling von der Geliebten los und eilt hinaus ins Leben. Der Tod aber schwingt über einen still dafigenden Greiß einen Weinstoc — feine Sense. Diese drei entfernten Altersstufen, die ja an fie verschiedenen Stimmungen entsprechen, konnte nur die Kraft höcster künstlerischer Eigenart in eine einzige Stimmungs­welt zusammenschmelzen. Man kann an diesem Bilde sehen, welchen Zauber die Farben auf den Maler ausüben. Er steht unter ihrem Banne, wie die alten Meister. Und wie er nicht ansteht, irgend einer weiblichen Gestalt, wenn es ihm ent­­sprechend erscheint, kupferrote Haare zu geben, so Hat er für die schimmerndsten Töne von Rot und Blau die Bbreitesten Pinsel. Die Gestalt der Jungfrau hüllt er in einen ätherischen Blauen Schleier und den Jüngling in einen purpurnen Mantel. Eine ger­isse Gegenmäßlichkeit des Empfindens muß beide im Momente scheiden. Wir müssen uns leider versagen, auf tausend Einzelheiten einzugehen. Aber das Bild Bödlins, das die Ausstellung in uns wachruft, wäre gar zu unvolständig, wenn wir nit auf ein Moment noch flüchtig hin­weisen wollen, das des Malers eigentliche Stellung zur Natur Betrifft. Bödlin ist unbestritten einer der gewaltigsten Landschafter. Aber er berfährt mit der Landschaft wie mit der Geschichte. Wie er sich seine eigenen Wabelmesen schafft, so bildet er die Natur seiner Stimmung entsprechend. Wie er sich mit ihr abfindet, das bildet ein besonders großes Kapitel, das nur die innigste Vertiefung in seine Eigenart erschöpfend wiedergeben kann. Seine Stellung zum Meere — diesem Allergewaltigsten — hat er mit höchster Kraft in seinen Werten in unauslöschlhen Farben geschildert. Wo das rein Landschaftliche feinen Einsel führt, so in den verschiedenen „Villen am Meere“ oder in dem von Seepiraten eroberten und in Brand gestedten Schleffe, dort erhält das Meer oft einen düsteren, grauenhaften Eindruck. In dem einen Bilde einer „Villa am Meere” — es eriftiert übrigens meines Wissend von diesem Bilde gleichfalls eine Variante, die ss in der Schadgalerie befindet — hat da Meer die Farbe des Ammethysten. Eine bleiche Frau ist zu den Klippen herniedergestiegen und ringsumher blühen auf dem kurzen Wege, den sie verließ, Blumen in den glühendsten Farben. Über das Meer ist bewegt und das Weib sehnt sich schaudernd an den Felsen; ein Gefühl der Furcht beschleicht sie beim Anblich der Heulenden See. Ganz ander wirkt das Meer dort, wo der Künstler e3 mit feinen Phantasiegestalten, mit Centauren, Faunen, Najaden und Nymphen bevölkert. Das Größte, was der Maler­­ hat: „Im Spiel der Wellen“, ist leider nicht hier zu sehen. Er war wohl aus der „Neuen Pinakothek” nicht zu haben. Hier aber seht die eigentliche Bedeutung Böklins nicht nur als Maler, sondern allgemein als Künstler ein. Auf diesem Gebiete beginnt der selbst die Schrecen des Meeres bezwingende Humor seinen höchsten Triumph zu feiern. Immer und immer wieder reizt den Maler diese Aufgabe. Die Anstellung enthält mehrere gute Vertreter dieser Art, so das beliebte­ „Spiel der Najaden“, das die Farbe des Meeres in einen smaragdenen Ton auflöst, und ebenso die „Meeresidylle“, die auf dem großartigen Hinter­­grunde des Meeres doppelt anziehend hervortritt. Bir haben absichtlich ferne von der großen Heerstraße auf das individuell Gemeinsame mancher vielleicht weniger bekannter Bildwerse hin­­ger­iesen und sogenannte Schlager, wie den „Centaurenkampf“ oder „Sieh', ed lat die Au“ oder „P­etrarca an der Duelle von Vaucluse“, nicht in die Besprechung hineingezogen. Jedes einzelne Stück bietet eine Fülle von Eindrücken. Nur hie und da wegt sich bei einem Bilde, deren bessere Auflage weit in der Zerne gesucht werden muß, die Sehnsucht nach dem Entbehrten. Wir sahen weder die „Insel der Toten“, noch die „Stufel des Lebens“, noch „Charon“, der ja an dem nit allzu fernen Stuttgart, wo er si in privatbefig befindet, möglicher­weise zu haben ge­wesen wäre. Auch die Schachgalerie beherbergt mindestend ein halbes Dußend der besten Bödlin-Bilder, von denen ich mich selbst im Momente an den „Ritt des Todes“, „Die Klage des Hirten”, den „Heiligen Hain“ und einen „Gang nach Emans” erinnere. „Das Schweigen im Walde”, das Tiefste, was die Malerei an Stimmung darzustellen vermag, was man so lange für geradezu unausdrückbar halten mußte, fehlt gleichfalls. Aus Wien hat’ nur 2. d. Lieber „Die fi­henden Pane” beigesteuert. „Die Ruine am Meere”, im Befige Philipp Thorihs, und ein schönes Porträt des Altgrafen von Salm, Eigentum des Herren Lederer, fehlen gleichfalls. Al fresco hat Böhm­ — wir wollen zum Schluß auch darauf hin­­weisen — sehr wenig gemalt. Die schönsten Tresen mögen wohl diejenigen ge­wesen sein, die er für das Schlesische Museum in Breslau plante und die duch die Engherzigkeit der „Landeskunstkommission” in Berlin unausgeführt blieben,

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