Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1897. November (Jahrgang 24, nr. 7261-7285)

1897-11-26 / nr. 7282

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Reissen­­berger, Schässburg Fritz Teutsch, Bistritz Arthur v. Schankebank, Mühlbach Josef Wagner, Kauff­mann, Broos H. Graef, Reps Johanna Guiesch, Buchhandlung, Wien Otto Maas (Haasenstein - Vogler), Rudolf Mosse, A. Oppelik, M. Dukes, Heinrich Schalek, J. Danneberg, Inseraten­­bureau „Die Annonze“, Budapest A. V. Gold­­berger, B. Eckstein, Frankfurt a. M. G. L. Daube & Co. Insertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Garmondzeile fostet beim einmaligen Einladen 7 Er., das z­weite­­mal je 6 fr., das drittemal je 5 fr. d. W. ex­­klusive der Stempelgebühr von je 30 Er. 1897 Noch ein Wort zur Magyarisierung der Ortsnamen. Ueber die Gründung von Michelsberg erzählt sich da Volk folgende Sage: An dem oberen Ende des Heltauer Thals erhebt sich ein abgestumpfter Bergsegel, losgetrennt von dem Gebirge. Auf seiner Spige trägt er die Burg, die auch dem Dorfe den Namen gegeben. Alte Waffen, Schwerter, Arms» Krüfte und Büchsen wurden vor Furzem noch dort gezeigt und eine große Menge gewaltiger runder Steine liegt oben. Im jener Zeit, wo Hermann von Nürnberg nach Siebenbürgen kam und Hermannstadt gründete, kam auch ein anderer vornehmer Herr, Ritter Michael von Nürnberg, mit 26 Knechten aus Deutschland mit. Dieser erbaute die Burg und zur Erinnerung an ihn und seinen Namen Michael wurde die Burg und das Dorf, das seine Knechte­ gebaut hatten,­­ Kis-Difnod genannt. So wird die Sage nach dem neuen Geseb, das die Magyarisierung aller Ortsnamen plant, wenn es einmal angenommen worden ist, in den Schul­­büchern lauten. Auch jene über die Gründung Hermannstadts wird er eine Heine Nenderung gefallen Lassen müssen. Hermann aus Nürnberg kam mit seiner Familie nach Ungarn und gelangte nach Siebenbürgen und Hier baute er den Ort, der nach ihm Nagy-Szeben genannt wurde. Auch Kronstadt wird­ nicht übel­­nehmen dürfen, wenn hinfort erzählt wird: An dem Plage, wo heute das Kronstädter Rathaus steht, Hatte die Erde einst eine ungewöhn­­liche Menge Fladhs waschen lassen und wie er höher und höher wurde, ver­­banden si die Stengel von selbst zu einer Art Krone, ungefähr wie das Siegel der Stadt zeigt. Später ging jene Flachskrone, die man mit den Wurzeln ausgerissen hatte, nur nur in das Wappen der Stadt über, sondern der König Sigismund ließ auch über die Stelle, wo sie gerwachsen war, das Rathaus aufführen, die Stadt aber heißt seither, zur unvergänglichen Er­­innerung an dieses Ereignis — Brafjo! Wenn irgend etwas den Widersinn des Gefegentwurfes zeigen fan, so gewiß diese Aleinigkeiten. Die ganze Fülle der Sagen, die so gern an den Namen anschließen, die aus ihm die Entstehung der Orte erklären wollen, ist, wenn der Gefegentwurf angenommen wird, aus den Schulbüchern verbannt. Denn man kann doch unmöglich den magyarischen Namen, der etwas ganz anderes bedeutet, statt des deutschen in jene Erzählungen hineinfegen. Die Beispiele zeigen aber auch Har, wie der Gefegentwurf einen Angriff auf die geheimsten Regungen der Volksseele, auf das Gemütsleben des Volkes bedeutet. Ohne die Poesie der Sagen müßten edle Völker vertrauern und vergehen, so haben die Gebrüder Grimm einst geschrieben und der Geseh­­entwurf, über den wir seit Wochen empört sind, will einen Teil dieser Poesie vernichten, und damit „einem edhlen Bolt“ zum Vertrauern und zum Untergehen verhelfen. In der Sage lebt jedem Volk seine Geschichte und sie knüpft an das Sichtbare an, erklärt und verklärt es und am meisten in den Gründungss­­agen, die in den Namen der Orte den festen Grund haben, in dem sie wurzeln. An dem aber erklärt der neue Gefekentwurf den Krieg­. Denn wenn die Berührung und Behandlung des Genannten aus der Schule ausgeschlossen ist , so ist dieser Volfabefig Doch mindestens erschüttert. Aber der Gefegentwurf bedeutet so viel mehr. Man geht häufig, nach einem Wort 3. Grimms, an den Ortsnamen ungerührt vorüber. Aber wenn wir einmal ihren Hauch zu fühlen vermögen, dann weht uns die fernste Ver­­gangenheit des Volkes und des Landes aus ihnen entgegen und nicht weniger ein Stüd Gegenwart. Die Wissenschaft, die sich mit der Erklärung der Orts­­namen abgiebt, hilft mit, die Vergangenheit gerade jener Zeit zu erklären, wohin der erhellende Lichtstrahl urkundlicher Nachrichten nicht dringt. Wie hat Has gerade auch unsere Wissenschaft so wunderbar bewiesen. Weder die Am­­fänge der Besiedlung des Landes, über die Art und Weise, wie der älteste Anbau geschehen und die älteste Lebensordnung gemesen, geben und allein die Namen Kunde. Wie steigt doch aus den Untersuchungen $. Wolffs über die Dorfnamen die alte Zeit herauf! Wir sehen die Führer Hermann, Humbert, Berino, Bruno, Berwin, Hiltwin und wie sie alle heißen, die Hermannstadt, Hammersdorf, Bärendorf, Braller, Heldsdorf ihre Namen gegeben haben, in sie allein den schweren­­­den Urwald ausziehn und die neue Heimat fi gründen und die Namen der alten Feldmark allein, die sie und auch nehmen wollen, wenn sie die Höhen und Thäler umzutaufen fi erfühnen, erzählen, wie die deutschen Einwanderer hier den milden Wald gerodet, im fremden Land die aus der Heimat mit­­gebrachten Markordnungen erneuert. Die Grenzen der Gewannen gezogen, das Land verteilt und verlost und als die Gemeinde groß ge­worfen, in die zer­­schlagene Stuhlsmart ein neues Dorf gelebt haben ; Kampf vorausgegangener Geschlechter mit der wildmächtigen Natur, mit Sumpf und Wald und reißendem Letier. So wird dieser Gefegentwurf zu einem frevelhaften Angriff auf die Wissenschaft. Allerdings sie wird sich nicht darum fümmern und ihres Weges weiter gehen, aber der Weg, den diese Ergebnisse, gemüterfrischend und herz­­stärkend ins Volk gefunden, ist dadurch versperrt, daß man in die Schulbücher derartiges nicht mehr sot aufnehmen dürfen. Der magyarische Name hat auch seine Geschichte, wirft auch schon durch seine Entstehung und Abweichung vom deutschen und rumänischen, ein Licht auf die Entwickklung, aber er kann die alten Namen nicht erregen. Und man meine nicht, die Wissenschaft, die eine und die andere, habe seine Bedeutung für das Wölkerleben. Sie gleicht einem großen Feuer, zu dem viele die Scheite hinzutragen, aber von der Wärme und dem Licht, das von ihm ausgeht, lebt auch das Volk in seinem geistigen und Gemütsleben. Der ideale Gehalt erhält auch­ von da seine Nahrung. Wenn jenes Feuer erlischt, dann dorrt auch ein Stück idealen Lebens nach dem anderen ein und an seine Stelle tritt Rohheit und Wüstheit. So ist auch dieser Gelegentwurf durchaus kulturfeindlich, ein Glied in der großen Fette jener verderblichen Ordnungen, die hier almählich eine Wüste schaffen. Es ist eine alte Erfahrung, wenn die Pflanzstätten geistiger Kultur einmal in ihrem wesentlichen Bestand gestört worden sind, dann lassen sie sich nicht Leicht wieder herstellen. Und solcher Störungen gerade unsrer Kultur könnten wir die schwere Menge aufzählen von der zwangsweisen Einführung der magya­­rischen Sprache in Bolfs- und Mittelsschulen bis zur Erschütterung der acht­­jährigen Schulpflicht, von dem Verbot der ersten Landkarte bis zur Konfis­­sation aller, die noch einen deutschen Namen tragen. Und nun sol das Schulbuch selbst seinen anderen Ortsnamen gebrauchen dürfen, als den magyarischen. Wir aber müssen an diesen alten Namen, als bedeutsamem Refigtum unseres Volkes festhalten, und die Liebe für sie und was mit ihnen zusammenhängt mehren. Auch­ sie gehören — um ein Wort Wolffs den Lesern zurück ins Ge­­däc­htnis zu rufen — zum Gesamtbild der Nation, auch an ihnen kann Treu­­bruch und Verrat geübt­­ werden. Wer seine Heimat liebt, muß sie auch en wollen, wer sie verstehen will, überall in ihre Geschichte zu dringen versuchen. Die Zerstörung dieser Namen beveatet eine Zerstörung oder doch den Bersuch der Zerstörung des geschichtlichen Denkens und das führt wieder zur Berichtung der Kultur. Wir die erschrecenden Erscheinungen in einem Bolfe sehen will, das mit seiner Vergangenheit gebrochen hat, der hat in den Schic­­­salen Frankreichs seit der großen Revolution vor Hundert Jahren ein er­­schütterndes Bild. Unsret Hin und Her geworfen, weiß das Volk nichts mehr von dem, wo vor dieser Revolution liegt, ist für jeden Machthaber zu haben und vermag seine ruhige sicgere Entwickklung mehr zu gewinnen, ist immer geneigt zu Unruhen und bereit Jedem zu folgen, der seinem Ehrgeiz, feiner N Ruhmsucht und feiner Eitelkeit schmeichelt. Was wird in Ungarn geschehen, wenn es gelänge, die Nichtmagyaren zu unhistorischen Völkern zu machen? Diejenigen täuschen sich bitter, die da meinen, dann seien sie um so mehr gezwungen, sich den Magyaren blind zu überant­­worten. Alle bösen Geister werden dann in ihnen lebendig und wmehe dem Lande, wenn diese einmal leegelaffen sind. Durch seinen Ort aber, auch durch seinen lieben Namen, hängt der Einzelne mit dem Boden zusammen, der ihn trägt und nährt und es ist eine Sünde, die zum Fluch für den Urheber wer­­den muß, die heiligen Gefühle, die jeden Menschen daran retten, zu vergiften durch die unsaubere Hand, die den Namen befleht und dieses umnverlierbarste Eigentum uns allen nehmen will. Nicht Thatsachen allein können einen Staat erschüttern, oft find­en gar nicht bedeutsame Thatsachen, die er thun, sondern die Meinung, das Urteil der Menschen darüber. Ueber diesen Gelegentwurf steht das Urteil fest; auch das Ausland meint, wie die „Allgemeine Bettung“ kurz und bündig sagt, die Reputation der Ma­gyaren stünde wieder einmal auf dem Spiele. Die Zukunft wird noch viel härter über den Unfug urteilen, den hochmütige Beratung angeborener Rechte Hier anstellen will. Mit Sagen haben wir begonnen; ein Wort des großen Historikers Ranfe mag die Ausführungen schließen: „Das Verhängnisvolle entspringt aus den Leidenschaften der Menschen“, — „Nicht Blindheit ist es, nicht Unwissen­­heit, was die Menschen und Staaten verdirbt. Nicht lange bleibt ihnen ver­­borgen, wohin die eingeschlagene Bahn sie führen wird. Aber es ist in ihnen ein Trieb, von ihrer Natur begünstigt, von der Gewohnheit verstärkt, dem sie nicht widerstehen, der sie weiter vorwärts reißt, solange sie noch einen Mest von Kraft haben. Göttlich ist der, welcher sich selber bezwingt. Die Meisten ı sehen­ ihren Ruin vor Augen, aber sie gehen hinein.“ Politische Nebersicht. Hermannfindt, 25. November. Aus verläßlicher Duelle will „Betti Naplo erfahren haben, daß das gemeinsame Kriegsministerium beabsichtige, in Preß­burg eine große Pulvers­fabrik zu errichten, durch welche der Bedarf an rauchlosem Pulver für die ganze Armee gedecht werden sol. Den von uns gestern mitgeteilten Urteilen der auswärtigen P­resse über Goluhomwstis Rede fügen wir Heute die Meußerung des italienischen Ministerpräsidenten Rupolini hierüber, wie er sie am 22. d. M. in einer Rede gemacht hat. Hier­bei. Rubdini sagte nämlich, Goluhomstis Rede sei eine in jeder Hinsicht musterhafte Darlegung der wirtschaftlichen Ans­chauungen der Dreibundstaaten. Zum und Bisconti-Benotta habe sie in dieser Hinsicht, abgesehen davon, daß sie das getreue Echo der in den legten Monaten in Hamburg, Budapest und Monza stattgehabten Gespräche war, den Eindruck gemacht, als Hätten sie selbst gesproc­hen. Einen besseren Beweis al diesen für die Einmütigkeit der Ziele und Bestrebungen der verbündeten Staaten könne es gar nicht geben. Die Regierung sei dem Grafen für die warmen Worte dankbar, womit er die volständige Uebereinstimmung Ö­ster­reich3 und Italien­ in allen politischen Fragen Hervorhob. Diese Worte sagen der Welt, daß der Dreibund den Interessen seiner Mitglieder volle Rechnung trage. In Italien, wo seit Mancini verschiedenartig veranlagte Staats­­männer dem riedengbunde ihre besten Kräfte geweiht hätten, beginne derselbe im Wolfe für etwas­­ Selbstverständliches und Naturnotwendiges gehalten zu werden. Seine Gegner seien zu einem verschwindenden Häuflein zusammen­­geschrumpft, er selber rechne es ft zur Ehre an, daß er für die Politis des Dreibundes Cavallottis Stimme gewinnen konnte. Zu den von uns gestern mitgeteilten tschechischen Vorschlägen bezüglich der Regelung der Sprachenfrage bemerkt die „Bolitit,“ dieselben seien nichts anderes als eine Kombinierung und Modifizierung der Grundlage des An­­trage­sierfke-Ulbrich mit der zweiten Sprachenverordnung und der heuten angesichts der bisherigen Anschauungen der jungtschechischen Partei, die eine Regelung der Sprachenfrage auf Grund der Einteilung der Amtsbezirke perhorreszierte, thatsächlich einen großen Umschwung. Allerdings enthalte der Antrag WPielihe eine fertige Einteilung der Gerichtsbezirke, wogegen der jenige Antrag die Amtssprache der Gemeinden und Bezirke zur Grundlage nehme. Beide Anträge seien jedoch insofern identisch, als sie das einheitliche Sprachenrecht, welches die Verordnung vom 5. April gewährte, durchbrechen und für drei Spracengebiete oder drei Arten von Aemtern besondere Normen statuieren. Wie die „DOrtdentiche R­undichau” schreibt, haben die Ausgleich# gerüchte im der deutsch-österreichischen Bevölkerung große Unruhe hervor« Menifleien, Der eigene Dep. von Hana Richter. (32. Fortlegung.) „Wenn ich annehmen dürfte, daß nicht reines Mitleid Ihren Vorschlag diktiert“, erwiderte Hedwig betroffen und zögernd, „daß mich nicht die ihrigen als einen unwillkommenen Eindringling betrachten würden . . .“ „Darüber seien Sie völlig beruhigt, Fräulein“, lächelte Günther. „Mein Vater war es selbst, der diesen Gedanken anregte, und er ist viel zu sehr Geschäftsmann, um jemand, den er für nicht genügend befähigt oder vertrauenswert hält, auß purem Mitleid anzustellen. ch wiederhole Ihnen, Sie Haben zu arbeiten, in der Disziplin zu unterwerfen, seinerlei Bevor A zu erwarten, — auch dieser Weg wird nicht ohne Dornen für je sein.* Mit einer fast heftigen Bewegung legte Hedwig ihre Hand in Günthers kräftige Rechte. „Ich schlage ihn ein, — es ist der meine doch wenigstens, der eigene.“ XI Das sogenannte Damenkomptoir lag in der ersten Etage, die Fenster nach dem Wohnhause gerichtet, so daß das Naffeln und Hämmern, das Schnurren und Pfeifen von den Arbeitsräumen her nur gedämpft herüber Hang, freilich immerhin noch betäubend genug, um in Hedwigs ohnehin be­­nommenen Kopf eine Art dumpfen Braufens zu erzeugen, das ihr fast übel machte. Er war ein Hohes luftiges Gemach, ehr nüchtern mit einigen Doppelpulten, Repositorien und einem kleinen Tisch mit Wafserflasche und Släfern ausgestattet. Beim Eintritt des jüngeren Chefs erhoben sich die drei Damen. Er grüßte freundlich und stelte vor: „Bräulein Berent,­­ Frau Edebrecht, Fräulein Westfal, Fräulein Samuel! Jch Hoffe, meine Damen, daß Sie gute Kamerad- und Hausgenossenschaft schließen. Fräulein Berent wird sicher das ihre thun, sich Ihre Zufriedenheit zu erwerben.“ Mit einem schüchternen Blid unter den gesenkten Lidern hervor, musterte Hedwig die neuen Genossinnen. Frau Edebrecht war eine Hug und gutmütig aussehende Dame von etwa fünfzig Jahren; am Goldfinger der ichön gepflegten Rechten glänzte der doppelte Witwenring. Die beiden Fräulein mochten etwa in der Mitte der dreißiger Jahre stehen. Fräulein Westfal war groß, hager, gallig; Bräulein Samuel, eine Füdin, Klein, Torpulenz, mit einem Schimmer unverwirrlicher Heiterkeit um die frischroten Lippen, über denen sich ein ganz feiner Flaum duntel abzeichnete, „Und so wünsche ich Ihnen den besten Erfolg und volle Zufriedenheit auf diesem neuen Wege", sagte Günther Boretius; er drüdte ihr dabei die Hand, doch schien er ihrem argwöhnischen Obchre, als Klinge seine Stimme bereits merklich kühler als sonft, Herrlich fait. Die Bitterkeit, die sie in den lebten Tagen zu unterdrüden sich ehrliche Mühe gegeben hatte, wallte wieder in ihr empor; ... . natürlich, sie war ja fest seine Untergebene ! Frau Edebrecht, die Vorsteherin de Damensomptoird, wies ihr nun ihre Arbeit an, eine sehr einfache vorderhand, das Ordnen der Korrespondenz in den Shannonregistern. Die Federn der andern drei Damen raffelten über das Papier, die Blätter waschelten beim Ummenden, geräuschvoll Klappten die großen Bücher zu, und b dazwischen das gedämpfte Laufen und Trommeln, Stöhnen und Rollen, Pohen und Pfeifen, — eine unsägliche Bek­ommenheit Trampfte plöglich Hedwigs Herz zusammen. Fräulein Samuel, die neben ihr stand, bemerkte ihr Erblaffen und Beben und Tief sc­hnell nach einem Glase Wasser. „Da, trinten Sie; So, recht herzhaft! Sie stellen sich das alles viel schwerer vor, als er in Wahrheit if. Seien Sie nur guten Mutes, in einem Vierteljahr wünschen Sie sich kein anderes Leben mehr. Wir werden Ihnen schon über den schweren Berg des Anfanges hinweghelfen, Kleine.” — Sie war selbst mindestens einen Kopf Heiner als Hedwig, „Wer selbst einst Herr und reich war, findet er natürlich wenig angenehm, um das tägliche Brot arbeitend zu dienen", bemerkte Fräulein Westfal jententrdg mit ihrer verdrießlichen Stimme. „Ich war nie rei!” gab Hedwig trogig zurück. „ach, — ich dachte doch !“ Hedwig mahlte mit zitternden Händen in ihren Papieren, ohne zu antworten. Die Kleine Jüdin übernahm ihre Verteidigung: „Sie denken natürlich immer das Schlechteste, was die Leute sprechen !" Ein etwas seltsam motivierter Sab, in welcher Fräulein Westfal sogleich Gelegenheit zu einer scharfen Repsiz gab. Natürlich­ blieb dieselbe nicht unbeantwortet und so war binnen einer Minute die schönste Zänkerei im Gange, biß Frau Edebrecht, sich unmwendend, gemütlich sagte: „Aber, meine Damen, wo bleibt die Arbeit? Was sol Fräulein Berent von unserer Kameradschaft halten ?“ Wie durch Zauberschlag war der Streit zu Ende. Lächelnd reichten die beiden Damen einander wieder die benötigten Bücher zu. Ein lang anhaltender, gelender Pfiff, der Hedwig duch Mark und Bein ging, verkündete den Beginn der Mittagspause.­ Während die beiden anderen Damen ruhig den begonnenen Sa ausschrieben, warf Fräulein Samuel sofort die Feder bei Seite, ergriff Hedwigs Arm und tanzte mit ihr, troß ihres Widerstrebens, im Zimmer umher. „Freiheit, die ich meine”, sang sie dazu in engleßlich falschen Tönen, bis Frau Edebrecht mahnte: „Zum Essen, meine Damen !” Das sogenannte Damenhaus stand an der Grenzscheide zwischen Garten und Arbeiterkolonie, ein h­übssches einslöckiges Gebäude, das außer einem gemeinschaftlichen Speise- und Musikzimmer, für jede der Damen einen bes­­ondern, behaglich eingerichteten Wohnraum enthielt. Während des Speisens erfuhr Hedwig noch einiges Nähere über die Familie Boretius. Der alte Herr und erste Chef war demnach ein ungemein gutmütiger Mann, dessen gesamte Tätigkeit fast nur no in der Uebermwachung und Berbesserung der Wohlfahrtseinrichtungen für seine Arbeiter bestand. Man konnte, wie Fräulein Samuel fi ausdrückte, „deutih“ mit ihm reden, ebenso mit seiner Gattin, die ganz in der Sorge für ihren Haushalt aufging. Der jüngere Sohn befand sich als Maler auf einer Studienreise im Süden, Die

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