Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1898. September (Jahrgang 25, nr. 7511-7536)

1898-09-01 / nr. 7511

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Jedes Lehrergemüt empfindet es mit herzlichem Wohlbehagen, daß wieder ge­­regeltes Tagewerk winkt, daß man nun wieder mit neuer Liebe und Opfer­­freude zu jenen sich wendet, die der Herr einst zu fi rier mit den ewig schönen und schlichten Worten: „Lasset die Rindlein zu mir kommen.” Diese Worte kamen aus dem Herzen des größten Lehrers der Menschheit, sie müssen widerhallen in der Brust all jener, die voll und ganz dem Berufe dienen, den ihnen der Heiland so Tiebe erfüllt vorgelebt hat. Wenn indessen nicht alle Thatsachen täuschen, so scheint es, als teilten fi­­m diese Freude des Schul­­beginne die Lehrer mit den Eltern, wenn auch bei beiden ganz verschiedene Ursachen diese Freude bedingen. Allenthalben hört man die erlösenden Seufzer: Gott sei Dank, nun beginnen wieder die Schulen. Ja, ja die Schulen! E38 sind jene Seufzerworte eine verstecte, mein auch ungewollte Anerkennung der selbstlosen Arbeit, der ausgiebigen Mithilfe der Schule an dem Erziehungs­­wert, das vom Machtgebote der Natur in erster Reihe und eigentlich vor allen Dingen in den Pflichtenkreis des Eltern gestellt worden ist. Und doch giebt er eben nächst den Eltern seinen größeren, feinen selbstloseren Wohl­­thäter für den Einzelnen, für ein ganzes Volk, für die Menschheit, als die Schule. Ihrer kann sein Bolt­entraten, sie ist ein Institut geworden, das überall da gleichsam zum täglichen Brote gehört, wo ein Volk dem segens­­reichen Schaffen der Kultur zugänglich geworden ist. ZTrogdem muß zugleich jenen Eltern, die in leichtsinniger Bequemlichkeitsanwandlung oft gar zu gerne bereit wären, die ganze Sorge für das leibliche, geistige und sittliche Werden ihrer Kinder auf die Schultern der geduldigen „Magd“ Schule zu laden, warnend gejagt werden, daß diese Schule niemals, und sei sie auch noch so opferwillig, noch so Hoch entwickelt, im­stande sein wird, den Eltern die Arbeit an ihren Kindern ganz abzunehmen. Niemals! Die Schule wird immer nur unterstoßend eintreten, weil eben das Elternhaus bei der gleich­­zeitigen Sorge um die weibliche Erhaltung der Familie niemals die volle Aufmerksamkeit dem Werden der Kinder zuwenden kann, das nun einmal — so ist e8 menschlige Art — ohne das Zuthun zielbemußter Führung und Sorge frumme und unfraut ummuderte Bäumchen zeitigen mürbe, Und doc, so selbstlos, so Tiebe erfüllt dieses Segenswerk der Schule ist, so wenig verständnisvoll, so wenig freundlich und dankbar wird es Leider nur zu oft von dem Elternhaus beurteilt. Wie oft muß sich die Schule eine Kritik der Eltern gefallen hassen, die abgesehen davon, daß Urteillosigkeit und Un­­dankbarkeit sie geschaffen, für die Schule Herauswürdigend ist in einer Art, als ob der Hausherre mit dem Knecht zankte und schimpfte. Wenn da auf irgend­eine verdrehte Aussage des Kindes hin, daß — wenn es schlecht genug — lieber den Lehrer vor den Eltern versäumlichet, als sich von mehreren Strafe zuzuziehen, die Eltern mit Hohn und Schimpf den Lehrer beladen und zwar in Gegenwart des Kindes, so ist das in erster Linie hoh und ungebildet. Und wenn diese Eltern meinen, damit dem Kinde einen Gefallen gethan zu haben, fü i­ren sie ganz gewaltig. Im Gegenteil, sie haben ihrem Kinde sehr ge­­schadet. Das Kind muß — die­ Eltern stehen ihm schließlich doch über dem Lehrer — diesen Lehrer für wirklich schlecht und ungerecht u.­­. w. halten, er muß alle Hochachtung vor ihm verlieren, und damit ist auch jeder erziehende Einfluß auf dieses Kind dahin, alle Bemühungen dieses Lehrers mahnen dann an den Hausbau, der auf farbigem Grunde nie und nimmer zu­stande kommen wird. Darum im­nteresse, zum Wohle und Glücke eurer Rinder: Haltet Ho und in Ehren die Schule, ihr Eltern! Glaubet nicht, daß die Schule von euch gedungen ist, eurer Bequem­lichkeit zu dienen; hütet euch vor dem Irrtum, zu meinen, ihr dürftet sie mit einer unmi­rdigen Kritis befleden; glaubet ja, daß jedes ungerechte, undanfbare Wort, vor dem Finde gesprochen, an diesem eurem Rinde sich bitter rächen wird. Die Schule kan bei dieser Forderung gerechter und schonender Beur­­teilung nicht einmal stehen bleiben, sie muß weit mehr vom Elternhaus ver­­langen, so wie sie die Helfershelferin der Eltern ist, so wird sie auch von diesen eine Unterfrügung verlangen in der Durchführung und Befolgung all dessen, was sie anzuordnen für gut und Heilsam befunden hat. Auch in dieser Beziehung sind wir noch gar weit entfernt von jenem Ideale, das uns das schöne Bild einträchtigen Zusammenwirkens von Schule und Elternhaus zeigt. Nicht nur, daß den Kindern daheim in der fehulfreien Zeit oft die Beauf­­sichtigung so gründlich fehlt, und sie so ihrem eigenen urteilslosen Wollen überlassen bleiben, sondern in gar vielen Fällen er­weift si das Elternhaus geradezu als Feind in der Schule, indem er durch Verwendung für häusliche Berich­tungen das Kind an der Erfüllung seiner Schulpflichten hindert, indem er weiterhin nicht nur nicht darauf achtet, daß sonstige Anordnungen, Strafen u. . tc. der Schule respettiert und durchgeführt werden, sondern durch gegen­­teilige Verfügungen geradezu allein die Schuld des sinnlichen Ungehorsams auf ich nimmt. AJmmer und immer wieder fünnen wir nur iMarnen ber solchem Unverstande, denn Hundert und Hundert Lehrererfahrungen haben ge­­zeigt, daß niemandem, denn nur dem Kinde selbst, die Folgen sollten Unver­­standen fühlbar werden. Wie wenig überhaupt — früher war es anders! — heutzutage daheim die Hochachtung vor der Schule dem Kinde gelehrt wird, wie gar bald die Kinder ihrer Wohlthäterin und des­ Dankes für sie vergessen, ist auch eine alltägliche Erfahrung, und wenn das Kind heute die Schule verläßt und morgen ihhon seinen bisherigen Lehrer auf der Straße nicht mehr kennt, so Fann sollt es seinen Lehrer freudig stimmen, er muß sich immer wieder sagen, daß er an solchem Kinde vergebliche Arbeit gethan hat, wenn er auch nicht selbst daran schuld ist, daß das Kind nicht gelernt hat, Schule und Lehrer zu achten und zu lieben. Ich hatte einen Schüler, der zu meinen besten zählte, und doch nach den Prüfungen bei den Promotionen seiner Mutter mit Thränen in den Augen erklärte, er würde gern noch ein Jahr in die Waffe gehen, um wieder d­iesen seinen Herren Lehrer „zu haben“. Dieser Schüler kann seines­gleichen suchen, diese rührende Liebe und Anhänglichkeit wird ihres­gleichen kaum finden, wohl aber Läuft das Gegenteil zu Haufen auf der Straße herum. 2 Wieder beginnt die neue Arbeit, wieder spinnen si leife und ungesehen die Fäden zwischen Lehrer, Kind und Elternhaus. Mögen sie alle, möge nicht in rechter Linie auch das Elternhaus seine Schuldigkeit tyun, dann wird diese Arbeit gesegnet sein, wie allem Guten Hinnieden der Segen nicht aus» bleibt, und zuleit wird au) unser Tiebes Volk, für das wir ja so gern alles opferten, Nuten und Fortgang finden durch die Arbeit seiner Lehrer. Das walte Gott! HE ‘sind alle Erörterungen und Besprechungen Amedios gemesen. Der ruflische Abrüstungsvorschlag beherrscht gegenwärtig allerwärts die Geister. Die ganze Presse anerkennt, daß die Idee edel ist, und der vornehmen Deutungsart des Zaren entspricht. Daß die Einladung zu der Konferenz von allen Kabineten angenommen werden wird, daran zweifelt man im algemeinen nicht. Aber schon auf dem Kongresse der Mächte wird es sich ermessen, daß die Friedensidee mit Dem Stigma der Undurchführbarkeit behaftet ist. Gefege haben nur dann Geltung, wenn man über die Mittel zu ihrem Vollzuge verfügt und Damwiderhandelnde zur Rechenschaft­­ ziehen kann. Beschließt die Friedenskonferenz die Erhaltung des ewigen Weltfriedens nach dem Sage: „Uti possidetis“, bestimmt sie, daß allen der heutige Befibstand erhalten bleibe, dann wird man vor die Erwägung gestellt: Wer garantiert diesen Befigstand und auf welche Weise wird er garantiert? Diese Schwierigkeit ist nicht Hinwegzuräumen. Entweder es bleibt dem guten Willen der einzelnen Staaten überlassen, die Stärke ihres Präsenzstandes selbst festzustellen, dann Denn jeder Staat wird ss vorsichtsweise für den Äußersten Fall rüsten und dann ge­langt man wieder auf den heutigen Standpunkt. Oder aber die Friedens­­konferenz beschließt die Etablierung einer großen gemeinsamen Erelutionsarmee zum Widerstande gegen f­riegslustige Angreifer, dann muß die Kontribution zu dieser Armee so stark sein, daß an eine Abrüstung nicht gedacht erden kann. Zudem, wer sollte diese Eggelutionsarmee in Bewegung feßen und wie könnte man jenen Staaten bek­ommen, die im entscheidenden Augenblide ihre Hilfeleistung versagen ? Diesen Bedenken reihen sich noch zahllose andere an. Wenn das Friedens­­problem überhaupt zu lösen wäre, dann wäre es schon längst gelöst. Aber man kann er ebenso wenig meistern, wie das soziale. Das, was man weg­­werfend den Militarismus nennt, ist nicht willkürlich entstanden, sondern ganz allmählich und er wuchs organisch. Der Uebergang seiner Staatswesen zu großen Staatsgebilden, wie er sich speziel in unserem Jahrhundert vollzog, hat die Ausgestaltung der Wehr­­macht zur Folge gehabt. Es heißt etwas Unmögliches wollen, wenn man die natürliche Begleiterscheinung der Sänderentwickklung durch­­ Vertragsbeschlüsse verschwinden machen will. Konferenzen und Resolutionen fruchten da wenig. Die Mächigeren werden immer aus ihrer Stellung Vorteil zu ziehen willen. Diese Welt ist eine Welt des Kampfes und der Starken. Der ewige Friede, welchen die Konferenz beschließen kann, wird dem Frieden auf einige Zeiten gleichen, den man in den Dokumenten der internationalen Staatsverträge findet. Es ist eine alte Regel: Man hält den Frieden so lange, bi man ihn bricht. Im Folgenden geben wir eine Auslese aus den uns vorliegenden Stimmen der Blätter: Was die österreichisch-ungarische Presse betrifft, so begrüßt Diese mit Begeisterung die Idee der Abrüstung, weist aber auf der anderen Seite auch darauf hin, wie groß die Schwierigkeiten seien, welche sich der Durchführung des Projektes entgegenstellen. In Wiener politiven Kreisen weiß man nut recht, was Rußland gerade jegt veranlaßt hat, mit seinem Projekte zu kommen, glaubt aber dennoch, man dürfe dem Zusammentritte der Konferenz, und dem zwas sich bei ihr be­­giebt, Lebhaftes Interesse widm­en. In Berlin ist der erste Ausdruch über die Aktion des Zaren eine grenzens­lose Ueberraschung gewesen. Man weiß nicht, welche Pläne Hinter dieser uner­­warteten Kundgebung des Bars stehe, und hält mit dem Urteile zurück. Die Berliner „Nationalzeitung” sagt: Der Zar und sein Minister werden sich keiner Selbsttätigung hingegeben haben, daß durch die Muramiew’sche Note zunächst Feine der Ursachen aus der Welt geschafft werden, welche die steigenden Rüstungen seit Jahrzehnten herbeigeführt haben: die Leidenschaften, Beuilleton, am Saum der Heide, Roman von B. Ernst. (11. Fortlegung.) Der Baron mochte natürlich nicht schweigend weitergehen. „Wie schade”, sagte er, „daß gnädige Frau so zeitig nach Iimenthal übergesiedelt sind und si hier gewissermaßen unsichtbar gemacht haben, Sie müssen es doch jei noch sehr einsam dort finden.” „So liebe die Einsamkeit”, antwortete sie. „Außerdem Habe ich ja ‚ die beste Nachbarschaft in meiner Freundin, Frau Beyer, die auch schon draußen ist. Und Sie mwissen, ich fühle mich nirgend­wo heimisch wie in meinem Home.” „So führt dies Löchst romantische Schlößchen seinen Namen mit vollem Netz, sagte der Baron. „So. Aber nicht ich habe es getauft, sondern mein Schwiegervater, als er mit dem Wunsche von mir schied, ich möge mich immer dort At-Home fühlen.“ „Wie schade*, sagte der Baron, „daß das schöne Landhaus verborgen liegt, wie ein verzaubertes Schloß, so daß man es nicht einmal von außen bewundern kann.“ „Diese Verborgenheit ist mir gerade Trieb“, erwiderte Eva, „Sie ist ein Schach für mich. Es giebt nichts Neizendered, als von dieser Einsamkeit aus auf das tagende Meer zu schauen und sein Rauschen zu Hören. Mein Schwiegervater wollte das Didlicht Tichten waffen, als wir At-Home bauten, aber auf meinen Wunsch unterblieb es. Wenn mi nach Menschen verlangt, kann ich mich ja zu ihmen begeben.” „Und gnrädige Frau kommen wirklich nie auf schwermütige Gedanken ?“ fragte der Baron, sehr bestrebt, die Enttäuschung, die seine vergeblichen An­­näherungsversuche ihm verursachten, nicht merken zu lassen. „Schwermütige Gedanken?" Sie lachte herzlich. „Die habe ich nie.” Damit waren sie wieder zur Veranda zurückgekommen. Die Wirtin trat auf sie zu, mit der Bitte an Eva, vor dem Beginne des Tanzes die Gesells­­chaft dur ihren Gesang zu erfreuen. „Gern“, ermwiderte die junge Witwe. „Ist denn jemand da, der mich ohne Noten begleiten kann ? Ich habe Feine hier.“ Herr Winter, der Bauführer, der neben seiner Belesenheit auch etwas musikalische Begabung besaß, war sehr erhösig, die Begleitung zu übernehmen. In der großen Halle am Eingange stand das Klavier, denn hier sollte später der Tanz stattfinden. Ein Teil der Gesellschaft begab sich ins Haus, der Neft blieb außen auf der Terrasse, von der aus man alles, was innen herging, deutlich sehen und hören konnte. Leo stellte sich allein an ein offenes Fenster und blieb­ in die Halle. Er sah die schöne Frau lächelnd mit dem Bauführer sprechen, vermutlich überlegten sie, welche Lieder sie vortragen sollte. Dann nahm Herr Winter am Klavier Pla, sie trat zur Seite, und nachdem er leise präludiert hatte, begann sie mit wohlklingendem, gut geschultem Mezzosopran : ,,Unter den Tannen am Berges hang Weilt’ ich mit dir einst süß und bang. Goldig erglänzte auf Wald und Hain Lachender, heller Sonnenschein. Nach den Tannen am Bergeshang Nicht! ich einsam jei meinen Gang. Wolfen jagen am Himmelszelt — oft bist gezogen du in die Welt. Unter den Tannen am Bergeshang Kommen Gedanken mir trüb und bang, Kommt die Erkenntnis wild über mich, Daß ich für immer verloren hab’ dich.“ Sie sang mit leidenschaftlichem, dramatischem Vortrage, der die Zuhörer fortriß und ihr lebhaften Beifall eintrug. Leo applaudierte nit. Ex stand wie gebannt und blickte die Frau an, die so empfinden, mit solchem Aus­­druck fingen konnte. Sie ahnte den Zuhörer am dunklen Edfenster nicht, vielleicht hätte ihr Auge sonst einmal zu ihm Hingeschaut. Das zweite Lied, das sie vortrug, war derselben Sammlung entnommen wie das erste. Es war die Silage einer Verlassenen um den treulosen Geliebten. Ein Vers lautete: „U, daß du gethan mi in Zauberbann, Daß nimmer ich dich vergessen kann !” Diese beiden Zeilen blieben in 2eos Ohr und Gedägtnis haften und ließen sich durch seinen der nachfolgenden Gesänge vertreiben. ALs drittes wählte Frau Smith ein Lied desselben K­omponisten: „Die Einsamen, Ein einfachere Lied konnte e3 Faum geben. Aber mie viel fegte die Sängerin hinein! Jedesmal, wenn sie den Refrain sang: „Gar traurig ist es, so einsam fein, Zuwandern durchs Leben allein,allein!“ klang es wie unterdrücktes Weinen in ihrer Stimme.Nachdem sie auf all­­gemeine Bitten noch einige Schumann’sche Lieder gesungen hatte und sich vom Klavier entfernte,wollte der Verfall kein Ende nehmen.Selbst die weid­­erfülltesten Gemüter mußten zu geben,daß es ein Genuß gewesen war,diesem Gesange zu lauschem Frau Smith nahm lächelnd alle Lobsprüche in Empfang, sie schien daran gewöhnt zu sein,durch ihren Gesang andere zu entzücken und dem Beifall wenig Bedeutung zuzuschreiben. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist bekanntlich nur ein Schritt,und der junge Bauführer b­at ihn,indem er einen flotten Walzer ertönen ließ. Während die Paare sich munter im Tanze zu schwingen begannen,bemerkte Leo,daß Frau Smiths Auge suchend umherschweifte und daß sie dann auf die Terrasse trat.Seine Bescheidenheit verhinderte ihn,auf den Gedanken zu kommen,sie suche«ihn,er war im Gegenteil fest überzeugt,daß sie nach Baron Schreck aufschaute.Dennoch benutzte er den günstigen Moment,sich ihr zu nähern und ihr mit waiven Worten für den Genuß zu danken,den ihr Gesang ihm bereitet hatte. »Hat er ihnen gefallen?«fragte sie lächelnd. .,Gefallen?Das ist nicht das richtige Wort.Er hat mich entzückt, bezaubert.Wie schön ist ihre Stimme,aber noch schöner ihr Vortrag.Um so zu singen—verzeihen Sie,gnädige Frau,daß ich es wage,meinen Gedanken Ausdruck zu geben—muß man sehr tief empfinden,muß man leidenschaftlich geliebt und gelitten haben.« (Fortsetzung folgt.) «

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