Ungarische Jahrbücher 12. (Berlin-Leipzig, 1932)

1932 / Heft 1-2 - Farkas, J.: Deutsch-ungarische geistige Auseinandersetzung im Vormärz

Deutsch-ungarische geistige Auseinandersetzung im Vormärz.1) Von Julius von Farkas (Berlin). I. Ungarn und Europa. In den 30 er Jahren des 19. Jh. läßt die Isolierung rasch nach, in die Metternichs Regierung Ungarn wie eine barbarische Kolonie jahrzehnte­lang hineinzwang. Die geistigen Kräfte des Volkes sprengten die künst­lichen Mauern der kulturellen Absperrung, und das Ungartum wurde immer mehr in die großen westeuropäischen geistigen Strömungen hineinbezogen. Die westlichen kulturellen Einflüsse gelangten bis zum 19. Jh. haupt­sächlich über drei Vermittlungswege nach Ungarn: über die kaiserliche Hauptstadt Wien, über die ausländischen Universitäten, die von ungarischen Studenten besucht wurden, und schließlich durch die Studienreisen Ein­zelner. Seit der Regierung Maria Theresias war Wien das politische und geistige Zentrum der Donauländer. Die prunkvolle Kaiserstadt sog die besten geistigen Kräfte des vielsprachigen Reiches auf, strahlte aber dann die neuen Ideen der westlichen Kultur nach allen Himmelsrichtungen aus und erweckte somit die schlummernden Kräfte der einzelnen Nationen des *) *) Dieser Aufsatz stellt einen Abschnitt aus dem vor kurzem in ungar. Sprache erschienenen Buch des Verfassers: Das junge Ungarn (Bp. 1932. 319 S.) dar, das die literarische Epoche des ungar. Vormärz behandelt. Diese Periode war die Glanzzeit der ungar. Literatur, in der die größten ungar. Geister lebten und wirkten: die Staats­männer Széchenyi, Deák und Kossuth, die Dichter Vörösmarty, Eötvös, Kemény, Petőfi, Arany, Jókai. — Drei dichterische Generationen standen nebeneinander: die älteste der Romantiker, die in den 20er Jahren auftrat, in den 3oern das gesamte geistige Leben beherrschte, um dann der jüngeren Generation Platz zu machen, die eine tief­gehende westeuropäische Bildung besaß und mehr politisch als literarisch interessiert war. Dieser folgten Anfang der 40 er Jahre die Jüngsten, an ihrer Spitze Petőfi, die sich eng zusammenschlossen und sich „Junges Ungarn“ nannten. Verf. behandelt nach dieser Generationsordnung das literarische Leben und die Ideenwelt der Zeit und verfolgt den Entwicklungsgang der ungar. Dichtung, die sich von politischen Tendenzen, von ausländischen Einflüssen immer mehr befreit, um in Form, Sprache und Inhalt der ureigene Ausdruck des Ungartums auf höchster künstlerischer Ebene (Petőfi, Arany, Kemény) zu werden. Ungarische Jahrbücher XII. 1

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