Gutenberg, 1930 (Jahrgang 12, nr. 1-52)

1930-01-03 / nr. 1

Nummer 1. G­U­T­E­N­B­E­R­G XII. Jahrgang. ist der Lernende, da er nicht mit dem nötigen Ernste der Arbeit folgt, an seiner Minder­­­qualifikation selbst schuld. Im allgemeinen aber will ich hervorheben, daß unsere jungen Kollegen bestrebt sein müs­sen, zumindest beide Landessprachen zu erler­nen. Die Kollegen der deutschen Provinz könn­ten früher untergebracht werden, wenn sie ernst­lich die tschechische Sprache sowie die tsche­chischen Kollegen die deutsche Sprache erlernen würden. Für beide Teile bedeutet die Kenntnis der Sprachen Gewinnung weiterer Möglichkeiten, als besser bezahlte Arbeitskraft sich betätigen zu können. Weiters könnte bei der Vermittlung von freien Arbeitsplätzen eine bessere Vertei­lung der Arbeitslosigkeit erzielt werden. Wenn wir unseren Nachwuchs auf diese Art und Weise erziehen, werden wir ihn in der Wah­rung seiner Interessen widerstandsfähiger ge­stalten. Pflichtbewußt gegen sich selbst, werden unsere Kollegen in demselben Maße es an Pflicht auch der Organisation gegenüber nicht erman­geln lassen. Die Zukunft wird es dann mit sich bringen, daß jeder einzelne Kollege, sich seiner Rechte bewußt, auch seiner Verpflichtung seinen Mitkollegen gegenüber, hauptsächlich jenen, welche, von der langjährigen Arbeit erschöpft, aus dem aktiven Stande ausscheiden, sich er­innern und als seine Lebensaufgabe es be­trachten wird, bewiesene Treue und Opfer­willigkeit mit derselben Münze abzuzahlen, in diesem muß sich praktisch das Bewußtsein, Organisationsmitglied zu sein, widerspiegeln. Die Gültigkeitsdauer des neuen Tarif­es ist auf Jahre hinaus abgeschlossen; wir haben reichlich Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen, sei es in der Richtung des fachlichen Wissens oder auch eines größeren Ausbaues unserer Orga­nisation. Ersteres müssen wir gleich nutzen, und dort, wo sich hiezu Gelegenheit bietet, uns anschließen. Das zweite werden wir nicht nur nach der gegebenen Sachlage fördern, sondern mit kühler Berechnung darnach trachten müs­sen, es zur Tatsache werden zu lassen. Darum, weil wir wissen, daß Friede im Gewerbe ge­schlossen wurde, können wir jetzt abschätzen, welche Lasten und bis zu welcher Grenze auf uns, das ist auf die Organisation, genommen werden können. Der Zentralausschuß wird ge­wiß auch die Lage der Ärmsten unter den Ar­men nicht übersehen. Im ersten Monate des neuen Jahres soll sich der Zentralausschuß mit der Frage beschäf­tigen, wie unseren invaliden Kollegen das Da­sein erleichtert werden könnte. An eine erhöhte monatliche Unterstützung ist, meiner Ansicht nach, nicht gut zu denken. Damit will ich auf keinen Fall zum Ausdrucke bringen, daß den ältesten Kollegen unter uns nicht geholfen wer­den könnte. Nicht nur, daß wir müssen, son­dern wir wollen unsere Dankesschuld ab­zahlen, es handelt sich lediglich um die Art und Weise. Hier würde ich mich an die vierteljährlichen Aushilfen halten, die Erhöhung derselben an­streben und selbe den jetzigen Verhältnissen an­passen, damit auch der Empfänger von dem gutem Willen seiner Organisation etwas fühlt. Wir sind in der glücklichen Lage, von Fall zu Fall eine solche Belastung auf uns nehmen zu können, ohne daß der Gang der Organisation be­droht wird. Und unsere invaliden Kollegen? Die werden gewiß keinen Anstoß daran nehmen, unter welchem Titel ihnen Hilfe zukommen wird. Ich bin überzeugt, daß der Zentralausschuß den Weg zur Lösung dieser Frage finden wird. Damit soll aufs neue bezeugt werden, daß wir nicht nur Worte der Anerkennung finden, sondern, Schritt für Schritt, denselben auch Ta­ten folgen lassen. Nur auf diese Art wird die Organisation groß und stark erhalten und zu dem ausgestaltet werden, was so viele Male unsere Vorgänger behauptet haben: ein Zufluchtsort der Verlas­senen. Dies zu halten, sei unsere oberste Pflicht. Mein Wunsch zur Tätigkeit im neuen Jahre ist, die jungen Kollegen mögen untereinander loyale Kollegialität pflegen und ihre Pflichten in jeder Richtung erfüllen, damit unsere, jahrelang in Treue ergebenen alten Kollegen in ihren Hoff­nungen nicht getäuscht werden Fest zusammenhaltend, sich gegenseitig in dem Kampfe um das täglich Brot findend, den einheitlichen Weg einhaltend, werden wir jene Kraft aufbringen, um auch in der Zukunft vor dem Urteile unseres eigenen Gewissens be­stehen zu können. Prag, am 30. Dezember 1929. A. Farka. Der Tschechoslowakische Gewerk­schaftsbund im Jahre 1928. In seinem vor einiger Zeit erschienenen Be­richte über das Jahr 1928 gibt der Tschechoslo­wakische Gewerkschaftsbund u. a. auch eine Übersicht der wirtschaftlichen Verhältnisse der Tschechoslowakei, die vom Standpunkte der Unternehmergewinne aus als günstig bezeichnet werden können, sich jedoch für die Arbeiter und Angestellten höchstens in einer besseren Arbeits­marktlage geltend machen. Die Lohnlage wurde von den günstigeren Wirtschaftsaussichten nur wenig berührt und infolge der unsteten Preis- Verhältnisse ging der Verbrauch der großen Massen wesentlich zurück. Die Arbeitsnach­weise verzeichneten zu Beginn des Jahres 108.851 Arbeitslose, am Ende des Jahres nur noch 77.295. Die Gewerkschaften haben an Arbeitslosenunter­stützung insgesamt 24.553.207 KG ausbezahlt, da­von entfielen auf den Staatsbeitrag 13.972.784 Kc. Bedeutsam war die Tätigkeit der Gewerk­schaftszentrale auf wirtschafts- und sozialpoli­tischem Gebiete. Es waren vor allem die auf der Weltwirtschaftskonferenz in Genf erörterten Fragen, die Durchführung des neuen Steuer­gesetzes, der Schutz der achtstündigen Arbeits­zeit, die Nachtarbeit in den Bäckereien, die Frauenarbeit am Samstagnachmittag, Entwürfe des neuen Zivil- und Strafgesetzes, der Mieter­schutz, die Förderung der Baubewegung, der un­lautere Wettbewerb und der Schutz des hei­mischen Arbeitsmarktes, die Gegenstand ein­gehender Studien und Interventionen der Ge­werkschaftszentrale waren. Besondere Aufmerk­samkeit schenkte der Zentralgewerkschaftsrat auch den Bestrebungen zugunsten der wissen­schaftlichen Betriebsführung. Bei den im Berichtsjahre durchgeführten Lohnaktionen unterstützte die Gewerkschafts­zentrale die beteiligten Verbände sowohl mate­riell als auch moralisch in ausgiebiger Weise. Besonders hervorzuheben sind die Streiks und Aktionen der 30.000 Bergarbeiter in Nordwest­böhmen, der Metallarbeiter (Abschluß von Kol­lektivverträgen für Mittelböhmen und Mähren), der Bank- und Sparkassenbeamtem und der öffentlichen Beamten (Bildung einer besonderen Fachgruppe). Bei den sozialpolitischen Aktionen trat die bereits im Jahre 1927 eingeleitete Aktion zum Schutze der Sozialversicherung speziell in den Vordergrund. Den Höhepunkt erreichte diese Aktion anläßlich der in Prag am 29. März und 3. April veranstalteten Kundgebungen. Diese blieben nicht ohne Erfolg, die endgültige Fassung der Gesetzesänderung unterscheidet sich wesent­lich von den ursprünglichen Verschlechterungs­vorschlägen. Gegenstand von Erhebungen, Gutachten und Interventionen waren die Pensionsversicherung der Privatangestellten, die Sanierung der Berg­arbeiterversicherung, die Reform der Unfallver­sicherung, die Beiträge zur Invaliditäts- und Altersversicherung, der Unfallschutz (Anträge auf Sicherung des Schutzes der Bauarbeiter­schaft und einer vollkommeneren Bauaufsicht), die Novellisierung des Gesetzes über den Staats­beitrag zur Arbeitslosenunterstützung, das Ge­setz über die Arbeitsgerichte, der Gesetzentwurf über die Lehrlingsschulen, die Frage der Fest­setzung der Minimallöhne und die Novellisie­rung des Gewerbegesetzes. Große Aufmerksamkeit widmete die Gewerk­schaftszentrale den internen Organisations­fragen. Zu Jahresbeginn umfaßte die Gewerk­schaftszentrale 71 Verbände mit 541.633 Mit­gliedern. Diese Organisationen setzten sich zu­sammen aus 48 Zentralverbänden mit 340.802 Mitgliedern, und 23 deutschen Verbänden, d. h. Organisationen, die über den Deutschen Gewerk­schaftsbund in Reichenberg der gemeinsamen Landeszentrale angeschlossen sind (200.831 Mit­glieder). Am Jahresschlüsse zählte die Gewerk­schaftszentrale 71 Verbände mit 558.608 Mit­gliedern. Davon waren 49 Zentralverbände mit 358.225 Mitgliedern und 22 deutsche Organisa­tionen mit insgesamt 200.383 Mitgliedern. Die Ge­werkschaftszentrale tat ihr möglichstes, um den Zusammenschluß artverwandter Verbände zu fördern. Eine der wichtigsten dieser Aufgaben war die Durchführung der mit dem Deutschen Gewerkschaftsbunde in Reichenberg verein­barten Abmachungen. Es ging dabei vor allem um die Schaffung gemeinsamer Ausschüsse in den gleichen Berufszweigen. Solche Ausschüsse kamen zustande in der Lebensmittelindustrie und bei den Eisenbahnern. Weiterhin wurden diesbezügliche Verhandlungen im graphischen Gewerbe gepflogen. Für diese gemeinsamen Aus­schüsse wurden einheitliche Geschäftsordnungen aufgestellt. Der Zusammenschluß verwandter Berufe wurde hauptsächlich bei der graphischen Hülfsarbeiterschaft, den Gastwirtschaftsgehilfen und den öffentlichen Angestellten gefördert. Große Erfolge wurden im Baugewerbe er­zielt: die drei Verbände der Bauarbeiterschaft vereinigten sich im Verbände der Arbeiter in der Bau-, Stein- und Keramindustrie. Das Verhältnis der Gewerkschaftskommis­sion zu den Gewerkschaften anderer Richtungen hat sich nicht verändert. Auch in diesem Be­richtsjahre führte die kommunistische Partei einen heftigen Kampf gegen die freien Gewerk­schaften. Ihr Einfluß geht jedoch rasch zurück. Der im März abgehaltene Kongreß der Roten Gewerkschaftsinternationale hat wohl neue Richtlinien für die Tätigkeit in den Gewerk­schaften aufgestellt und Winke für die Wirk­samkeit kommunistischer Vertreter als »Minder­heiten in den Gewerkschaften« gegeben, geändert hat sich jedoch dabei so gut wie nichts. Auch die nationaldemokratische und die republikanische Partei, sowie die Christlichsozialen, waren be­strebt, eigene Gewerkschaften zu schaffen. Alle diese Bestrebungen prallten jedoch am festen Aufbaue der freien Gewerkschaften ab. Wie weitverzweigt die Wirksamkeit der Ge­werkschaftszentrale ist, zeigt die Arbeit ihrer Fachausschüsse. Außer dem zentralen Gewerk­schaftsrate gibt es einen volkswirtschaftlichen und einen sozialpolitischen Ausschuß, ferner Ausschüsse für die Frauen, die öffentlichen An­gestellten und die Jugend. Als ständige Einrichtung sind neben dem Zentralsekretariat 24 Kreis- und Bezirkssekre­tariate vorhanden. Endlich müssen Ende des Jahres 1928 25 Kreisgewerkschaftsräte, 38 Be­zirks- und 40 Lokalgewerkschaftsräte gemeldet werden. Insgesamt gab es demnach Ende des Jahres 103 Gewerkschaftsräte. Die Einnahmen der Landeszentrale beliefen sich im Berichtsjahre auf Kc 2,279.913.72. Über die jetzige Gesamtlage und die Zu­­kunftsaussichten sagt Zentralsekretär Tagerle am Schlusse seines Berichtes: »Neue Verhält­nisse erfordern auch neue Arbeitsmethoden. Denn sie stellen die Gewerkschaften vor neue Aufgaben. Die Gewerkschaftszentrale ist sich dessen — wie aus ihrem Berichte zu ersehen ist — voll bewußt. Es ist jedoch auch notwendig, daß in den breiten Reihen der Mitgliedschaft das dafür notwendige Verständnis geweckt wird. Dieses Verständnis darf nicht bloß in einem ge­werkschaftlichen Glaubensbekenntnisse zum Aus­drucke kommen, sondern es muß auch Bereit­willigkeit zu materiellen Opfern bedeuten. Nur so wird es möglich sein, die Hindernisse und die Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, die uns die vereinte Kraft der Unternehmer­schaft, die Verständnislosigkeit in den Reihen der Indifferenten und das Vorurteil der Gegner der Gewerkschaften in den Weg legen. Der große Gedanke der Einigung kann erfolgreich aufblühen, wenn er sich auf die sichere Basis der ältesten und stärksten Gewerkschaftsver­bände stützt.« Merkblätter. Das Steuereinbekenntnis. Mit der neuen Regierung hat auch der Schöpfer des neuen Steuergesetzes, das für die Arbeiter den unmittelbaren Lohnabzug für die Einkommensteuer durch den Unternehmer brachte, der Professor der Volkswirtschaft Dr. Englis, den Finanzministerposten wieder an­getreten. Er hat sich bei den Arbeitern einen »guten« Namen gemacht, denn seit dem Bestände dieses »gerechten« Gesetzes muß der Arbeiter treu und redlich sein gesamtes Einkommen ver­steuern, er wird gar nicht mehr gefragt, ob er will oder nicht: der Unternehmer zieht eben den vorgeschriebenen Betrag ab. Und Jahr für Jahr wird der Arbeiter durch das Gesetz daran ge­mahnt, nicht zu vergessen, daß er verpflichtet ist, nach § 307 dieses Gesetzes unter bestimmten Voraussetzungen in der Zeit vom 1. Jän­­ner bis Ende Feber des Steuerjahres sein. Einbekenntnis einzubringen. Das heißt, daß jeder, der ein Einkommen von über­­ 3.556 Kc im Jahre oder einen Wochenlohn von über 453 Kc im Vorjahre bezog, die Pflicht hat, selbst einzubekennen. Die amtlichen Formulare­­ sind in den Tabakverschleißen erhältlich. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeit­nehmer eine schriftliche, stempelfreie Bestäti­gung darüber auszufolgen, wieviel die Brutto­ BEREITS ÜBER 80.000 LINOTYPES IM GEBRAUCHE!

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