Kaschauer Zeitung, April-Juni 1876 (Jahrgang 38, nr. 39-75)

1876-05-13 / nr. 56

Beilage zur „Kaschauer Zeitung“ Nr. 56. Die Fabel des Stües ist wohl nicht neu. Es ist ein oft behandeltes Thema, das man uns da vorführt. Allein die Bezwh­lungen sind interessant und nicht so hausha>ener Natur, wie in vielen der neueren Lustspiele. Die Hauptpersonen des Stückes sind die Vertreter von ebensoviel Gattungen, aus dem Leben genommen, doch nicht einfach­­ empirt. Die Situationen sind mit vielem Witz ausgestattet und die Lösung eine befriedigende­­r Dialog­ ist, edel­ und gewählt und in­ der­ ersten, länger­ dauernden „Begegnung des Dichters Bruno „Werner mit Gretchen, sowie in der Scene, wo Gretchen und Bruno sich ihre Liebe gestehen, warm und ergreifend. Unter­ den Darstellern war es besonders Fräulein Thaller, (Gretchen), die ihre Rolle mit Allmuth und Ver­­ständniß spielte... Ihre Leistung war von Anfang bis zu Ende eine vortreffliche. Das verzogene Mädchen mit den „amerika­­nischen Grundlagen“ war “ebenso gut­­ dargestellt, als das vers­wandelte Gretchen, über welche der Geist der Poesie gekommen war, um die Blumen zu weden, „die im Herzen wunderbar schliefen“. Sibille (Frau Ströhl), Katharine (Frl. Weidl), der verliebte Hauptmann (Herr Pichler) und der Commer­­zienrath (Herr Ströhl) b­aten ihr Bestes und machten ihren Rollen Ehre. Christian Schilling (Herr Sprinz) und Hans Zeisig (Herr Pauser) waren höchst komische Gestalten, die unsere Lachmuskeln nicht zur Ruhe kommen ließen. Am wenigsten hat uns Herr Berthal mit seinem Bruno Werner befriedigt. Diese Art von Rollen, wo man mit Wärme und Gefühl spielen muß, sind nicht seine starke Seite. Sein Spiel hat selbst in Augenblicken des höchsten Affektes einen leisen Anstrich von unfreiwilliger Komik, die seinen ganzen Effect aufkommen läßt. Donnerstag den 11. Mai: „Die verhängniß­­volle Faschingsnacht", eine wohlbekannte Nestroy'sche Posse in 3. Acten. . Die Vorstellung befriedigte vollkommen und b­aten alle Darsteller ihr Möglichstes, um uns einen reit vergnügten Abend­­ zu machen.­­ Wenn wir dennoch Herrn Pauser (Lorenz) besonders hervorheben, so thun wir dies eben, weil ihm ohne Widerspruch die größte Anerkennung gebührt. Herr Berthal war heute ganz am Platze und stellte seinen Mann. Bemerkenswerth ist, daß heute sogar unser „alter Herr“ einige Couplets vortrug und unsere Ohren dabei ganz gut wegkamen. Ans Heimat und Fremde. — Wahl. Bei der am 9. b. M. in Miskolcz unter Vorsitz des Superintendenten Cz 6kus abgehaltenen engeren Superintendential-Sigung ist zum Oberinspector der Theißer Superintendenz Augsb. Confession Se. Excellenz der Herr Minister v. Po­hy mit Stimmenmehrheit gewählt Eine zahlreiche Deputation reiste sofort nac Budapest, worden, um in der Person des Neugewählten den Nachfolger des Herrn Ed. Zsedényi zu begrüßen. — Ranbanfall. Aus Trencsin, 4. Mai, wird dem „Pol. Blksbl.“ berichtet: Der herrschaftlich Popper'sche Ober- Buchhalter B... wurde am 29. April, Nachmittags 3 Uhr, als er — von Bänn nach Teplitz reisend — den Berg „Mach­­nacs“ paffirte, über welchen die sehr belebte­­ Verkehrsstraße führt, von Straßenräubern überfallen. Ehe noch der junge Mann seinen mit dem Wagen vorausgeschikten Kutscher zu­gie rufen­ konnte, hatten­­ ihm die Strolche bereits seinen evolver entrissen, dem jungen Manne einen tödliichen Schuß am Kopfe beigebracht und ihn seiner nicht unbeträghlichen Baarschaft beraubt. Der­ auf den Schuß herbeigeeilte Kutscher fand seinen­ Herrn im Blute liegend und transportirte ihm mit ilfe mehrerer Bauern nach Töplig. Die nachträglichen Ans­agen des hoffnungslos darniederliegenden Unglück­chen führten auf die Spur der Thäter und soll auch die­ Polizei bereits eines derselben habhaft geworden sein.­­ — Selbstmord. Am 8. d. M. Früh halb 8 Uhr hat sich im Ofner Blo>scbade ein unbekannter, ca. 62 Jahre alter Mann mittelst eines Raschmessers den Hals durchhschnit­­ten und ist an­ Verblutung gestorben. Bei­dei Selbstmörder, welcher gut ge war, wurde ein Zettel mit dem Namen Alois Forban gefunden. Dessen Leiche wurde in das Spital gebracht. ..Durch..den­­ Badearzt des Blossbades wurde in der Person des Selbstmörders der gewesene Lederermeister und Haus­­eigenthümer­­ Alois Jordan erkannt, welcher sich am genannten Tage Früh, halb 6 Uhr mittelst des Propellers vor der Pfarr­­kirche nach Ofen zum Bruchbad begab und s bon dort zu­ Fuß in­s Blossbad ging, wo er ein Bad nahm. Da er durch zwei Stunden nicht aus­ dem Bade kam, wurde die Badet­üre geöffnet. Jordan­ wurde bereits entseelt, m­it zwei tiefen Schnittwunden am Halse, gefunden. Neben ihm lag ein blu­­tiges Raschmesser und­ seine Perrücke ; die Augen hatte er sich mittelst eines Tuches­ verbunden gehabt. Jordan hinterläßt ein Vermögen von­ 200.000 Gulden, trogdem lebte er sehr ökonomisch. Er bewohnte sein Haus in der Zudergasse ganz allein und hielt dort zu seinem Schutze zwei Lederergesellen und zwei große Hunde. Jordan war Witwer und lebte ebenso ein­­gezogen wie sein einstiger Freund, der ermordete Georg Ernst. — Selbstmord auf der Drahtinsel. Ein unbekann­­ter, anständig gekleideter junger Mann von etwa 26 Jahren hat sich am 8. d. M. Abends 6 Uhr auf der Drahtinsel in Budapest mittelst einer zweiläufigen Pistole erschossen. Unter den übrigen Passanten am Teiche „lustwandelnd“, stelte er plöglich den Lauf der Pistole in den Mund, drückte los, und beide Kugeln zerfämetterten ihm die Hirnschale. Der Unbekannte blieb natürlich todt auf der Stelle und wurde ins Rochusspital überführt. Der Selbstmörder dürfte, den schwierigen Händen nach zu urtheilen, dem Arbeiterstande angehört haben. — Verunglückte Arbeiter. In dem noch im Bau begriffenen Altschus's<en Haufe (Ede der Tabak- und Nuß­­baumgasse) ereignete sich am 8. b. M. Mittag ein bedauer­­licher Unfall. Zwei in die Mauer eingefügte­n Granitplatten, auf welchen sich eben vier Arbeiter befanden, stürzten nämlich: sammt den Arbeitern vom Corridor des ersten Sto>werkes in den Hofraum hinab. Die Arbeiter mußten im verlegten Zus­­tande vom Platze getragen werden. Als Ursache des Unfalles wird angenommen, daß in Folge der feuchten Witterung der Kitt, welcher zur Befestigung der Platten angewendet­ worden, durcweicht wurde. — Die Amtswirksamkeit eines Steuererecutors ist für die betroffenen „Parteien“ jedenfalls mit großen Un­­annehmlichkeiten verbunden, daß sie--aber--auch-Für--den-fun­­girenden Executor zuweilen äußerst unangenehm­ werden kann, beweist folgender Fall, welchen die „T. 3." aus Gut, einer Ortschaft in der Umgebung Temesvár­s, meldet. Zu einem Bauer der erwähnten Ortschaft k­am der Steuerexecutor mit seiner gewöhnlichen Assistenz, um zu pfänden. Der Landmann sagte, er­ habe auf­ dem Boden Frucht liegen.­­ Der Steuer­­executor und seine Begleiter, stiegen hierauf mit Hilfe einer Leiter auf den Boden. Kaum waren dieselben jedoch „dort“ an­­gelangt, als der Bauer die Leiter wegnahm und Feuer an das Haus legte, welches sich in Folge der herrschenden Trocken­­heit rasch verbreitete. Vergebens flehten die auf dem Boden Befindlichen, sie freizulassen ; der­ Bauer wollte nichts davon hören, und gab seine feste Absicht kund, sie mit­ dem Hause und­ der Frucht verbrennen zu lassen, so daß denselben nichts übrig blieb, als von dem hochgelegenen Boden in den Hof hinabzuspringen, wobei der Executor ein Bein Brad und auch die beiden anderen Personen sich erhebliche Verletzungen zur­­ogen. Mit Hilfe der herbeigeeilten Nachbarn wurde das Feuer bald gelös­t und der aller Wahrscheinlichkeit nach irr­­sinnige Brandstifter festgenommen.­­ — Bruderliebe bis in den Tod. In Neu-Arad hat sich dieser Tage, wie wir gemeldet, ein junger Mann, Namens Peter Rottem das Leben genommen. Nun wird ein erschütternder Brief des Selbstmörders veröffentlicht, welchen derselbe an seine Eltern gerichtet hat. Der junge Mann gibt als Motiv seiner unglückeligen That den Tod seiner einzigen, geliebten Schwester Hermine an, ohne welche er nicht weiter leben­ könnte. Schließlich bittet er in rührender Weise die theueren Eltern und Brüder um Verzeihung für den Schmerz, den er ihnen durch seinen Selbstmord­­ bereitet. — Zum Duell Kolowrat-Auers­perg. Ueber die in Prag erfolgte Einsegnung der Leiche des Fürsten Wilhelm Auersperg wird Folgendes gemeldet: Die Trauerfeier im Palais Auersperg fand um 2 Uhr Nachmittags statt. Der Einsegnung der Leiche wohnte der größte Theil der in Prag­­ lebenden Aristokratie, die Generalität und­­ Sorgen der Militär und Civilbehörden bei. Aus Berlin war der österreichische Militär­­bevollmächtigte Fürst Liechtenstein, aus Brandeis eine Deputa­­tion des 13. Dragoner-Regiments mit dem Obersten erschienen. Der Sarg war mit circa fünfzig Kränzen, zumeist mit weißen Atlasschleifen bedegt. Die Schleife des Kranzes der Comtesse Kaunig, deren aufgefangener Brief die Forderung Kolowrat's veranlaßt haben soll, trug die Inschrift : „Edles, treues Herz! Lebewohl !" Ferner fiel ein prachtvoller Kranz­ vom böhmi­­schen Landesausschusse auf. Um fünf Uhr wurde die Leiche prunklos zur Franz Josephs-Bahn, nur von der Dienerschaft begleitet, geführt und mit einem Separatzug nach Wlaschim befördert. Bei der Bestattung in der Familiengruft zu Wla­­schim soll, wie es heißt, Graf Festetics den Kaiser vertreten. Die Franz Josephs-Bahn, stellt einen Separat-Train für die Adeligen, die sich zur Beerdigung nach Wlaschim begeben, bei. — Der Flügeladjutant des Kaisers, Groller, ist in Prag an­­gekommen, um Erkundigungen über den Vorgang bei dem Duell einzuziehen und dann Bericht zu erstatten. — Wie aus Wien gemeldet wird, wurde Graf Leopold Kolowrat gestern Nach­­mittags über Auftrag der Militärbehörde in der Josephstädter Reiterkaserne, woselbst ex internirt ist, unter strengste militärische Bewachung gestellt. — Ueber die Persönlichkeiten der Secun­­danten ist man nicht mehr im Dunkel,­­ doc h­­ibt man natürlich die weitestgehende Discretion. Zwei hochgestellte Generale, die beide dem Feudal-Adel angehören, sind dem Duelle­ sehr­­ nahe gestanden. Sie kamen Samstag Morgens von Wien in Prag an und reisten bereits Abends zurüc. Ebenso sind die Secun­­danten des Prinzen Wilhelm aus Wien angelangt, diese aber weilen noch in Prag, um an dem Leichenbegängnisse theil­­zunehmen. PER Kapo ads Inyanu dl) — Abermals ein Duell. Die Nachricht, daß die Um­­gebung von Wien jüngst der Schauplatz eines Duells gewesen sei,­­ bedarf — wie wir im „Frdbl." lesen — in der Bestä­­tigung: Es heißt, daß der Reserve-Lieutenant Markgraf Alfred Pallavicini sich mit einem anderen Officier­­ auf Säbel geschlagen habe und ziemlich so wer verwundet in seine, Schwarzen­­bergplag Nr. 18 gelegene Wohnung transportirt wurde. Der Markgraf soll der Fordernde gewesen sein. „Ueber die Motive des Duells erzählt man sich, daß dasselbe durch eine von Seite des Geforderten gefallene Weußerung über eine­­ junge Dame aus der hohen Aristokratie provozirt worden sei. Wie man uns aus Wien schreibt, soll der Gegner des Markgrafen Palla­­vicini der Oberlieutenant der deutschen Garde, Graf F. Kál­­noky gewesen sein. — Mysteriöse Selbstmordgeschichte. wird dem „Westungar. Gr." geschrieben : Seit Aus Wartberg einigen­ Tagen befand sich in Wartberg ein junger Mann, der im Gasthofe unter dem Namen Joseph­ Freuth wohnte. In der dortigen Postexpedition erlag für ihn ein in Brünn­ ausgegebener Geld­­brief mit 105 Francs. Der Postmeister verlangte von Freuth, der den Brief beheben wollte, derselbe solle sich legitimiren ; das konnte er nicht. Er gab sich für einen­ Ingenieur aus, konnte aber auch dafür keine Belege bringen. Der Stuhlrichter, von diesem Falle in Kenntniß gesetzt, begab „sich mit vier Panduren in das Gasthaus zu Freuth und untersuchte das Gepäß des Ausweislosen, in dem sich auch ein Paar Cavallerie­­stiefel und Handschuhe befanden; der junge Mann, über deren Bestimmung befragt, gerieth in Verwirrung und wußte keine glaubwürdige Auskunft zu geben. Die Wäsche Freuth's ist mit M. ©. gezeichnet. Da­­ der junge Mann sehr distinguirt aussah, wollte ihn der Stuhlrichter, nachdem außer der Aus­weislosigkeit nichts gegen ihn vorlag, nicht in den Gemeinde­­kotter sperren, sondern ließ ihn in seinem Zimmer im Gast­­hofe durch zwei Panduren bewachen. Bei der persönlichen Untersuchung fand man auf seiner Brust ein Fläsc­h­en mit Cyankali, das ihm natürlich abgenommen ward. In der Nacht vom Freitag auf Samstag hörten die Panduren aus dem Zimmer Freuth's Schmerzensschreie und fanden, ihn in Zudungen liegen ; sofort angewendete ärztliche Hilfe rettete den jungen Mann vor dem Tode durch Gift. Er hatte näm­­lich in einem Glase Wein Arsenik, das man bei seiner Visita­­­­tion übersehen haben muß, zu sich genommen. Man vermuthet, daß­ Freuth identisch ist mit einem kürzlich aus­gewundenen Defraudanten, Max Schön. Da Max Budapest ver­ Schön der Militär-Gerichtsbarkeit untersteht, so muß er an das Preß­­burger Militävcommando abgeliefert werden ; zur Stunde dürfte er bereits hier eingetroffen sein. — Eifersüchtig bis zum Selbstmord. Die Zeit verehelichte Handels-Agenten.-Gattin Maria M., erst kurze auf der Landstraße, in Ofen wohnhaft, brachte ihrem Manne außer einer bedeutenden Mitgift auch noch eine­ besondere Leidenschaft, die Eifersucht, ins Haus. Herr M., welcher seine Frau wahr­­haftig liebt, wurde von ihr trot der kurzen Zeit ihrer Ehe fortwährend mit Eifersüchteleien gequält, wodurch es häufig zu sehr ernsten Szenen kam. Als nun vor einigen Tagen Abends Herr M. mehrerer Geschäfte willen um eine halbe Stunde später als gewöhnlich nach Hause kam, erneuerte sich das alte Spiel und die unglückliche Frau gerieth derart in Aufregung, daß sie sich mit einem Messer mehrere Stiche in der Brust beibrachte. Glücklicherweise wurde der allzu zärtlichen Gattin noch rechtzeitig das Messer entrissen und sofort ein Arzt here beigeholt. — Dreifacher Mord. Aus Tischnoch in Mähren wird telegraphirt : „In dem benachbarten Oels wurde vor­­gestern ein dreifacher Mord „verübt. ‚Der Ortsmüller sammt seiner Frau und einem Kinde“ wurden getödtet. Die That scheint aus räuberischen Motiven verübt“ worden zu sein“. „ Wie viel Bier die Baiern trinken. Der Bier­­verbrauch in Baiern beziffert sich“ durchschnittlich jährlich auf 284 Liter "pr. Kopf, mehr getrunken "wird in Nürnberg wo 401, Liter, in­ Müncen, wo 570 Liter, und in Ingol­­stadt, wo sogar 1000 Liter jährlich auf den Kopf treffen. Original-Correspondenzen. / Igls, 237 April. Der in diesen Blättern wiederholt ausgestoßene Schmer­­zensschrei über Vergewaltigung der Intellige­nz und der in ihrem Gefolge marschirenden Liberalität Igl63, mag, obwohl er das Kainszeichen der Parteilichkeit an der Stirne­ trug, von dem unbefangenen Leser auf seinen wahren Werth zurücgeführt und als schmerzlicher Erguß eines sich zurücgefett dünkenden leidensc­haft­­lichen Parteimann erkannt worden sein, trotzem aber Manchem zu traurigen Gedanken und zur Frage: „Wie ist fold freventlich Gebaren in unserer Zeit, in einem­ constitutionellen Staate­ mög­­lich ?" veranlaßt haben.. Daß­ die Beantwortung dieser Frage zu dem nicht unbegründet scheinenden Schlusse führen mußte, es mögen die Dinge sich doch ganz anders verhalten, mistisch angehauchter Correspondent schildert, wie sie. Ihr pessi­­ist leicht denkbar, denn in keinem Staate, und wär's auch der türkische­n wür­­den Zustände, wie die hier herrsten sollenden, geduldet.. Obwohl, wie auch ich zugeben muß, manches im „Staate Dänemark faul ist" und insbesondere unsere Parteizustände nur mit dem Maßstabe, der an die Zeit des 30jährigen Krieges angelegt werden muß, richtig gemessen werden können, kann ich doch behaupten, daß sich die Sache ziemlich anders verhält, daß namentlich ebenso wenig wie die lutherische Partei in ihrer Totalität den personifieirten Fortschritt repräsentirt, auch die verschrieene katholische nicht ganz auf­ dem Standpunkte der Reaction und des Ultramontanismus basirt. Das Gesagte wird folgende: Geschichte zur­ Genüge illustriren. Wie männiglich bekannt, befinden sich in unserer über 6000 Einwohner zählenden Stadt drei confessionelle Gemeinden. Um „nun­ wenigstens­­,den künftigen Generationen die Grund­­bedingungen des Friedens und der Eintracht zu sichern, wurde die S Creh­ung“ einer Communalschule geplant. Die Ausführung dieses zeitgemäßen Planes wurde auch in Angriff genommen, ohne daß von jener Seite, der man es gewöhnlich zum "Vorwurf­ macht, daß sie solchen Bestrebungen abhold ist, und auf ihre Vergangenheit fußend, gegen dieselben sich stemmt, irgend welche Einwendungen und Schwierigkeiten erhoben wor­­den wären.|­er­einigen. Ror­phäen der lutherischen Partei paßte nun eine solche Haltung der Gegner, von denen man mit Bestimmt­­heit einen Protest erwartet hatte, nicht in den Kram und da sie in ihrer Erwartung sich getäuscht sahen, wußten sie noch in der zwölften Stunde das ihrem Gewissen und ihrer Eitelkeit (sollten denn die Kinder­ des Dreschers mit­ den ihrigen in einer Bank sitzen ?) nicht zusagende Project zu hintertreiben. Die nichts Böses ahnenden Repräsentanten, die, in der freudigen Ueberzeugung, nun zur Abwechslung auch etwas Gutes und Dauerndes stiften zu können, den Himmel voller Bußgeigen sahen, wurden«nicht“wenig überrascht, als in der Sitzung, in der all dieser Gegenstand an der Tagesordnung stand, ein Repräsentant, der emeritirte lutherische Pfarrer M...., mit dem Antrage hervortrat, wegen der­ das städtische Budget zu sehr belastenden Kosten vom­ Bau einer Communal­­­­schule abzusehen, der­­ katholischen Gemeinde aber, da­ in­ den jenigen Sc­hul-Localitäten der Unterricht nicht ertheilt werden könne, aus städtisch­en Mitteln ein neues Scul­­gebäude aufzuführen. Bei Beschlußfassung über den erwähnten Antrag gruppirten­ sich die Parteien, nicht wie sonst nach ihren Bekenntnissen. Lutherisce Mucker und katholische Ultramontane reichten sich freundschaftlich die Hand und diesen Rittern von der traurigen Gestalt gelang es,­ troß der ansehnlichen Oppo­­sition, den Antrag zum Beschluß“ zu erheben. Die Freunde "der" Communalschule recurrirten zwar an das Unterrichtsministerium, aber ohne Erfolg, denn sie konnten mit­ Grillparzer sagen : „Einen Selbstmord habe ich euch anzusagen. Der Cultusminister hat den Unterrichtsminister erschlagen“. Wie die am 9. b. M. behufl. Uebernahme des Baues des katholischen Schulgebäudes abgehaltene Minuendo-Licitation ergab, hätten die Kosten einer Communalschule die jegt für die kath. Gemeinde zu verausgabende Summe kaum um das Dop­­pelte überschritten. Nicht Sparsamkeit­ war also das Motiv, dem die Come­munalschule zum Opfer fallen mußte, sondern Unduldsamkeit und­ Religionsfanatismus, der die­ eigene­ Religion­ durch Um­­gang mit Kindern anderer Bekenntnisse gefährdet wähnte. — Gerade Diejenigen aber, die von einem so edlen Motiv geleitet wurden, sind es, die heute über Religion8haß. voll Weltschmerz laut, aufschreien und zum Bedauern aller-Freunde-der , R.3." dieselbe zum Tummelplatz der Leidenschaftlichkeit machen möchten.­­ ti. - SE

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