Kirchliche Blätter, 1905. Mai -1906. April (Jahrgang 10, nr. 1-52)

1906-01-24 / nr. 39

Hermannstadt, den 24. Januar 1906. IX. Jahre. Erscheint jeden Mittwoch. Administration: ID. Krafft, Hermannstadt. Z­irchliche Blätter aus der ev. Landeskirche A. B. in den siebenb. Landesteilen Annam­e. TEE BEE­RE Inhalt: Der Jesus der Geschichte oder des Glaubens? — „Leben.“ — Die Tätigkeit der Kronstädter Pastoralkonferenz von 1902— 1905. — Lahrmarkt. — Lesefrüchte. — Nachrichten aus Schule und Kirche. — Bücherb­au. — Anzeigen. Für das Inland: halbjährlich K. 3.—. Mai—Ost., Nov. — April. Evang. Wochenschrift für die Glaubensgenossen aller Stände. EEE BED EEE WERDE Für das Ausland: Halbjährlich ME. 3.—. Mai—Oft., Nov. — April. Der Jesus der Geschichte aber deg Staubeng : Es ist noch nicht Lange her, da hörte ich eine Oster­­predigt, — mancher wird eine ähnliche vernommen haben, — ein altgläubiger christlicher Theologe hielt sie. Darin schilderte er — ich muß er zugeben — mit wahrhaftem Mitgefühl und tiefer Ergriffenheit das tastlose Streben und Suchen der modernen Theologie nach dem historischen Seins, wie sie sich abarbeitet und mit einem ungeheuren Aufwand von Mühe und Scharfsinn ihm näher zu formen sucht, um ihn kennen zu lernen, wie er war, und von ihm sich, belehren zu lassen. „Und all diese riesenhafte An­­strengung, — fragte er, — was fruchtet sie?? Sie ist eitel und leer! Denn der Jesus, den diese moderne Theologie sucht und findet, der ist, wie sie ja selbst verkündet, eben der irdisch historische, der ist, wie sie ja selbst lehrt, nicht auferstanden, der ist begraben und vermodert. So,— rief er der modernen Theologie zu, — was suchet ihr den Lebendigen bei den Toten!?“ Tief verstimmt verließ ich die Kirche. Wieder einmal ‚war mir der tiefe Biwvielpalt aufs bitterste zu Gemüte geführt, und das am hohen s christlichen Sesttag, an dem ich wahrhaftig mit anderer Erwartung in die Kirche getreten war, al wie ein Diener und Verehrer des Todes zu den Verlorenen und Todverfallenen gerechnet zu werden. Und doch etwas blieb haften! Es war etwas in den Worten des greifen Predigers, das mich nicht es ließ. Und wieder wurde die alte Frage in mir lebendig: Was heißt das: Glaube an Jesus? Ist er nicht ein Jude, der vor nunmehr fast zweitausend Jahren in Balästina gelebt hat? eine Zuthernatur, die im glaubensstarren Ringen den ‚Feinden martervoll unterlag — und doch siegte­ ein von der Obrigkeit verurteilter Verbrecher und Gottestäfterer, der auf dem Schaffet endete. Was heißt also glauben an Jesus? Nicht, daß die ganze Fülle der Gottheit in ihm wohnte. Wer wagte zu­­ behaupten, daß die so flein und gering sei, daß ein einziger — und die Welt umgestaltete ? sie in sich zu fassen vermöchte! Nicht daß er ung spe­­kulativ tiefsinnige Geheimnisse eröffnet hätte. Der tiefste Sinn ist doch nur der, daß auch wir andern Menschen fraft des uns innewohnenden bessern Ich­ im stande sein können und sollen, ung innerlich rein und unversehrt aller Bosheit und Versuchung gegenüber durchzuseßen. Er bedeutet den Glauben an das uns vorgeftete Ideal des Guten und die Kraft seiner Triebfedern in uns , den Glauben ang­enkünftige, nicht and Vergangene, an das stete An­­gestrebte, Nie-Erreichte, Emwig-Werdende.­­ Und darum hatte jener altgläubige Prediger recht mit seinen Wort, aber anders­ als er’s meinte: Sa, was suchen­­wir Leben bei den Toten? bei dem Gestorbenen? Ber­­­­gangenen ? Historischen ? Nichts auf die historischen Gestalten der Vergangenheit kann sich der religiöse Glaube richten, und seien [es an) die reinsten göttlichen Genien. Der Glaube streckt sich seiner Natur gemäß nach dem, was da vorne liegt. Helfen und frügen sünnen ihn wohl die Großen und Größten, sofern sie das Ewige, Göttliche in sich zu verwirklichen suchten und ihm Mut machen, es auch an sich zu versuchen — furz als Symbol des Emwigen. Das allerdings scheint mir ein schwerer Irrtum zu sein, unter dem viele — glaub ich — unendlich feufzen und ihres Glaubens nicht froh werden künnen, daß sie den dogmatischen Christus zwar ablehnen, nun aber an den historischen Sejus als die absolute Infarnation des Göttlichen sich halten wollen. Es ist unmöglich! Und hier haben in der Tat, die an den erhöhten Christus des Dogmas glauben, das religiöse Motiv reiner bewahrt als die an den historischen Jesus glauben. Aber meist Hilft fi der Mensch auf eigene Faust. Sieht man genauer hin, so ist, was als historischer Jesus proklamiert wird, gar nicht der historische, sondern es ist das Ideal des modernen­ Menschen. Ja, vielleicht ist es gut, daß sie es gar nicht merken, daß sie unbewußt nicht an den Zimmermanns­­sohn von Nazareth glauben, sondern an das ihnen vor­­schwebende Menschheitsideal. 3 War er nicht so? -

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