Literarische Berichte aus Ungarn 2. (Budapest, 1878)

1. szám - Gustav Heinrich: Ungarische Dichtungen in deutscher Gestalt

UNGARISCHE DICHTUNGEN IN DEUTSCHER GESTALT. /D lauter Yolkssagen, von einem humoristischen Homer zu einer gan­zendichterischen Schöpfung emporgehoben. Die ungarische Volks­phantasie, der ungarische Volkshumor sind darin treu wiederge­­geben und durch den zauberhaften Vortrag eines echten Dichters verklärt ...» Eigenartig ist die Dichtung allerdings in Auffassung und Dar­stellung, aber nicht im eigentlichen Stoff. Die Feen, Biesen und Hexen, welchen der Leser hier begegnet, sind westlichen Ursprungs und sogar einzelne Abenteuer selbst lassen sich auf indogerma­nische Quellen zurückführen. Das Märchen ist eben ein Wander­vogel, der von Ort zu Ort zieht und überall Spuren seines Daseins zurücklässt. Aber wie es durchaus eine Eigenthümliclikeit des unga­rischen Volkes ist, das Fremde nicht einfach zu entlehnen, sondern zugleich das auswärts Gewonnene vollständig durch- und umzu­arbeiten, bis es durchaus den Stempel des nationalen Geistes an sich trägt, — so sehen wir auch das Märchen und die mythischen Bestandtheile desselben wohl von Westen eindringen, aber hier vollständig mit nationalem Geist erfüllt, in nationale Formen ge­­keidet werden. Daher wird «Held János» den fremden Leser fremdartig anmutlien, trotzdem der mit der Märchenwelt seines eigenen Volkes vertraute Deutsche bei näherem Zusehen die ein­zelnen Theile des Gemäldes als Bausteine des grossen mythischen Tempels der indogermanischen Völker erkennen wird. Eine kurze Skizze der Handlung —zugleich eine Sammlung von Proben der Uebersetzung — mag den Leser zur Lectüre der schönen Dichtung anregen. Der Hirte liegt im Sonnenbrände «hinträumend auf dem Ba­sen», während seine Schafe rings auf duftiger Wiese grasen. Eings um ihn her ein Blumenmeer Ihm süsse Düfte sendet, — Doch ach, der Schäfer nimmermehr Dahin sein Auge wendet: Kaum einen Stein wmf fern von ihm Da rinnt ein Bächlein helle, Da haftet auch sein trunkner Blick An einer einz’gen Stelle. Doch gilt sein Bück den Wellen nicht, So helle sie auch flimmern ; Ganz andre Beize sucht sein Blick, Die ihm entgegenschimmern; Denn in dem Bach steht eine Maid, Ach, eine wunderbare — Von üpp’ger Form und schlankem Wuchs Und glänzend goldnem Haare. Ihr Eöckchen ist hoch aufge6chürzt, Die Fluth die Füsschen kühlet,

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