Neuer Weg, 1957. február (9. évfolyam, 2420-2444. szám)

1957-02-01 / 2420. szám

Wochenbeilage Nr. 134 ■- >.'i— ■ ■'»»»■■ -■< - I1. -I- I „• I. — CD ie lOeslenknövfe des 'H’errn kCraulhlaHner Zu jener Zeit, als sich die Begebenheiten ereig­neten, die, ich erzählen will, war ich zehn Jahre alt. Ich trieb den Holzkreisel mit der Peitsche nicht mehr über den asphaltierten Gehsteig, ich ärgerte mich nicht mehr, dass ein Fussgänger meinen Spielbereich unbekümmert zu durchschreiten wagte und ich Ohn­mächtig Zusehen musste, wie der Gang des Kreisels tor kelig wurde und mein „T schigara" das Gleichge­wicht verlierend hinfiel. Ich hatte auch das Klicker­spiel seit einiger Zeit als meiner Würde widerspre­chend aufgegeben, weil ich im Herbst schon Stu­dent sein sollte, im Wissen und Ansehen um eine Stufe höher gesteift als jene Hunderte Buben, die in der nahen Volksschule mit mir zusammen das Einmaleins endlos hersagten, mit einer Rhythmik, die ein Qemisch von Feierlichkeit, oder Eintönigkeit und jäh empor schnellenden Dissonanzen war. Unter solchen Umständen dürfte es niemand ver­wunderlich gefunden haben, dass ich an einem schö­nen Frühlingstage gleich nach dem Mittagessen an der Strassenecke Posten bezog und von dort nicht fortzubewegen war. Im Speisesaal der Gastwirtschuft des Brauhauses, das auf der anderen Seite lag, ging etwas vor, dem ich kraft meiner Reife meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken zweifellos berechtigt War. Da herrschte auf der Strasse ein Verkehr, als wenn sämtliche Komfortabels — das waren die Fiaker oder, im Volksmund, Einspänner — zu kei­nen anderen Fahrten mehr zu haben gewesen wä­ren, als von einem unbekannten Orte hierher zum Brauereitor zit rollen, das die Ankömmlinge zu zweit oder zu dritt durchschritten, um linker Hand in den Garten einzuschwenken und nach einer Weile zur Türe der .Schenke auf die Strasse herauszukommen. Es hatte ziemlich lange gedauert, bis ich darauf gekommen war, dass es sich immer wieder um den gleichen Gang im Kreise handelte. Eines konnte ich mir aber nicht erklären: warum der Kutscher mit seinem Gefährt nicht gleich fortfuhr, sondern sich allemal, nachdpm er vom Bock gesprungen war, in die Schenke begab, um erst mit seinen Fahrgä­sten zusammen wieder auf der Strasse zu erschei­nen. Doch da war noch etwas, das mir zu denken gab. Sobald ein Wagen heranrollte, wurde Hoch! gerufen und ein Name genannt, dem das Hoch galt. Vor dem Tore hatten sich etliche -Männer in zwei deutlich erkennbaren Gruppen aufgestellt. Um den linken Oberarm trugen sie eine Schleife, auf die. ein Name gedruckt war, und von Zeit zu Zeit schienen sie miteinander zu streiten, was sie jeweils durch eine wegwerfende Handbewegung zum Abschluss brachten. An der Ecke befand sich ein kleines Spezerei ge­schält, das nach der Meinung meiner Mutter nur dar­um da war, um den Käufer zu verdriessen. Verlangte man Würfelzucker, war nur Hutzucker zu haben, den man jedoch auch nicht zu Gesicht bekam. Be­gehrte man Pfeffer, so sollte der ausgerechnet jetzt ausgegangen sein. Mich, der diese Einkäufe zu be­sorgen hatte, überraschte das nicht im geringsten. Zu jener Zeit war es noch gebräuchlich, dass die Ge­schäfte durch das Bild einer blauen Katze, eines rotbraunen Hundes, einer grünen Kugel oder ein anderes Bild auf dem Blechschild kenntlich gemacht waren. Ich hatte meine Meinung über ein Gewölbe, das nichts Derartiges aufwies, schon längst gebildet. Wenn ich es dennoch nicht über das Herz zu brin­gen vermochte, dort keinerlei Kaufversuche mehr an­zustellen, so hatte das seinen Grund in einer be­greiflichen Dankbarkeit, da ich jahrelang hier mei­nen Bedarf an leeren Zigarettenschachteln ohne jed­wede Schwierigkeit decken konnte. Das Geschäft hatte einen einzigen Kommis, der vor kurzem frei­­gesprochen worden war und mit dem ich noch aus seiner Lehrlingszeit auf vertraulichem Du stand. Da seine Herrschaft, wie er den Geschäftsinhaber und dessen Gemahlin mit Vorliebe nannte, um diese Zeit mit dem Nachmittagsschläfchen beschäftigt war, stellte er sich zu mir heraus und sah mit mir dem Treiben drüben za. Seitdem er Kommis war, hatte ich keinen Mut mehr, ihn anzureden. Da er selbst ein wortkarger Bursche war, standen wir schweigend da und schau­ten hinüber zum Tor. Einmal spuckte er zwischen den Zähnen dünn auf den Asphalt und ich tat so­gleich das nämliche, denn es wäre nach den Ge­bräuchen unseres Viertels eine Unehrerbietigkeit ge­gen den Alteren gewesen, wenn ich das versäumt hätte. Das Viertel zwischen Brauerei und Hasen- Wirtshaus, zwischen der stockhohen Behausung der Spinatwächter, der griinuniformierten Finanzwache, und der Goldenen Sonne, die als bronziertes Kunst­werk eines längst verstorbenen Spenglermeisters am Eckhaus der Grabengasse hing, hielt viel auf Sat­zung und Überlieferung. Diese aber Hess sich mit dem ungewöhnlichen Komfortabel-Verkehr, den Hoch­rufen und der immer wieder erneut ausbrechenden 'Zwistigkeit vor. dem. Bräuhaus nicht zusammenrei­men. Irgendeine Sache war da, die der Aufklärung bedarf. Ich empfand ein leises Brennen auf der Zun­ge. Dennoch könne ich mich nickt entschliessen, mei­ner Neugierde nachzugeben und zu fragen. Sollte es eine Belohnung meiner Ausdauer gewesen sein, dass er es war, dér das Schweigen endlich brach ? — Weisst du, was dort los ist? Ich schüttelte stumm den Kopf, denn mir geziemte es nicht, gleich bei der ersten Anrede etwas zu sa­gen, geschweige denn einen Gedanken fortzuspin­nen. Auf alle Fälle setzte ich eine Miene auf, als wenn Ich angestrengt nachdenken würde, und schaute unverwandt zum Brauhaus hinüber. — Heut ist die Wahl, fuhr er fort, und ich horchte argwöhnisch auf, denn aus dem Tonfall des Gesag­ten wähnte ich eine leise Geringschätzung heraus­zuhören, so ungefähr: Natürlich kannst du davon noch nichts verstehen, wie denn auch mit deinen zehn Jahren! War das nicht erniedrigend für mich ? Und demütigend? Am liebsten würde ich mit der Schulter gezuckt haben, zum Zeichen, dass dieses mir völlig gleich­gültig sei, wenn nicht die Neugierde mich gezwickt hätte und es unmöglich war, auch weiterhin mit zu­gepressten Lippen dazustehen. — Die Wahl... sprach ich, als wenn dieses Wort, ganz unbeabsichtigt aus meiner Mundhöhle gehüpft wäre, um ja nichts merken zu lassen, dass ich mir darunter gar nichts vorzustellen vermochte. Warum man Einspänner dazu braucht und warum alle, die damit etwas zu tun zu haben schienen und unter Hochrufen den Komfortabels entstiegen, das Gebäude durch den Garten betreten und von der Schenke her zum Vorschein kommen mussten, war mir ein Rätsel, übrigens, weshalb macht er sich derart patzig, dachte ich, nicht einmal zwei ifochen sind es her, dass er sich zum erstenmal hat rasieren lassen. Ist er viel­leicht deswegen gescheiter als ich ? Gekränkt und beleidigt schwieg ich, den Blick starr nach vorne gerichtet. Mein Partner gab es auf, mich in ein Gespräch zu verwickeln, griff in die Tasche, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie bedächtig an, was unter den ohnehin gespannten Verhältnissen einer Herausforderung nahe kam. Die Lage begann unerträglich zu werden. Ich wusste nicht mehr, was aus unserer Freundschaft werden sollte, wenn sich drüben nicht etwas zugetragen hätte, was lins beide vön unserem versteckt schwe­lenden Zwiste ganz ablenkte. Vom „Bräunen Bären" her kam ein Einspänner langsam angefahren. Der Schimmel hinkte am hin­teren rechten Bein und Hess den Kopf vor Müdigkeit iief hängen. Beim Brauhaus wartete der Gaul das Ho! des Mannes auf dem Kutschbock nicht ab, sondern blieb von selbst stehen, die vorderen Beine in den Gelenken eingeknickt, als wenn sie jeden Augenblick auseinander zu fallen drohten, eine er­barmungswürdige Kreatur, der es sogar zu viel war, mit dem Schwanz von Zeit zu Zeit die Fliegen zu verjagen, die eine wundgescheuerte Stelle am Rük­­ken sofort entdeckt hatten. Der Fahrgast hatte, sei­nem Begleiter folgend, beim Aussteigen den einen Fuss noch auf der eisernen Tritifläche, als er seinen Girardi steil in die Luft hob und mit tiefer Stimme ausrief: „Hoch Cseh!" Im gleichen Augenblick war aus der einen Gruppe ein Mann von hagerer Gestalt mit einem einzigen Saiz vor den Rufer gesprungen, ergriff 'hn am oberen Arm, schüttelte ihn und schrie: — Aber die zwei Portionen Paprikasch und der Bouteiltenwein auf Hédervdrys Konto, die schmeck­ten nicht übel, was ? Wissen Sie, was Sie. sind ? Sie sind ein gemeiner Verräter, ein Gesinnungsschlam­pen I Der also Angegriffene büsste durch diesen Ansturm das Gleichgewicht ein und plumpste seitwärts in den Fiaker, wobei der harte Strohhut seiner Hand ent­fiel und den Boden erreichend auf der Kante wie ein Rad einige Meter dahinrollte. Als wenn dieses Ge­schehnis, das nur die Dauer einiger Augenblicke hatte, ein vorher verabredetes Zeichen gewesen wäre, entstand im Nu neben dem Komfortomét ein solch wilder Tumult, dass von unserer Strassenecke aus nichts mehr Zu unterscheiden war. Man vermochte den Sinn der grell kreischenden Rufe, die sich wie fechtende Säbelklingen kreuzten, nicht einmal annä­hernd zu begreifen. Plötzlich sah man einen Spazier­stock die Luft durchschneiden, und sogleich Hess sich ein quietschender Wehschrei vernehmen, der nun alle, die im Brauereitor gestanden Waren, samt und son­ders in das immer heftiger werdende Getümmel hin­einriss. Da stiess mich mein Freund, der Kommis, an. — Lau) hinüber! Von da sieht man ja nichts. Ich muss den Laden hüten. Da wirst mir dann alles er­zählen. Heb doch schon die Beine I Er fasste mich an der Schulter und setzte mich mit gehörigem Nachdruck in Gang. Ein seltsames Durcheinander wogte in meiner Brust, Zuerst schien es, dass sich ein verstockter Trotz behaupten würde: Glaubt er vielleicht, dass er mich so mir nichts, dir nichts hinschicken kann ? Einfach so — ich be fehl dir! Wie kommt er über­haupt dazu, mir zu befehlen ? Weil er Kommis ist, weil er raucht ? Oder weil er sieh einmal in der Woche rasieren lässt ? Auf das braucht er sich gar nichts einzubilden. Ich war dabei, denn ich Hess mich mit der Nulter-Maschine glatt scheren, Und da sagte der „starke Bernhard", der Sackeiträger von der Mi­chaeli-Mühle, zu ihm: „Du hast doch nix im G‘sicht, bis ja nock plackig wie a Ferkeldoches." Alles lachte in der Rasierstube, der Meister selbst auch. Er musste das Rasieren unterbrechen, um ihn nicht zu schnei­den, derart schüttelte er sich. Mit einem Mal jedoch war etwas anderes da, et­was, das rasch erstarkte und wovor der Trotz zu­rück® ich, eine Empfindung, die sich wie eine Wärme durch den ganzen Körper ausbreitete. Er, der viel Altere, der Grössere, der selbst sich das Brot ver­diente und dem die Kunden seit seiner Freisprechung mit „Herr Sebastian" schmeichelten, besonders die Frauen, wenn sie eine dünnschalige Zitrone wiinsch-ien oder von der frischen Hefe, die erst morgens angekommen war und sich wie eine Pastete schnei­den Hess, nicht so wie die andere, die vor Altér schon bröckelig war — er schickte mich als Kundschafter auf den Schauplatz der Balgerei! Er, um dessen Gunst man sich schon bewarb, Herr Sebastian mit dem ersten Bartflaum, hat Vertrauen zu mir, dass ich diese merkwürdige. Begebenheit da drüben rich­tig beobachten kann und dass ich imstande sein werde, ihm den ganzen Hergang haargenau zu er­zählen und ihm auch alles zu schildern, was dort an saftigen Schimpfworten und Beleidigungen durch­einander schäumte. Als mir die Tragweite dieser Entsendung — ja, das war es, eine Entsendung, wie wenn Old Shatterhand Winnetou zuraunte: „Mein roter Bruder begibt sich auf die Fährte der fremden Krieger, um sie za belauschen", — bewusst geworden war, warf ich ihm einen Blick zu, der die Bedeutung hälfe: Auf mich kannst du dich ver­lassen, ich werde dich nicht enttäuschen. Wie gerne hätte ich ihm in der Eile die Hand gedrückt, ober dieser Gedanke verwirrte mich, denn mir fiel so­gleich ein, dass die Erwachsenen einander die Hand drücken, wenn sie sich verabschieden, ich aber sollte doch nur auf die andere Strassenseiie hinüber und nach einer Weile wieder zurückkommen, um über alles, was vorgefallcit, zu berichten. Ich lief hinüber, ohne ihm vorher die Hand zu drücken, aber mit dem um so lebhafteren Gefühl, dass unsere Freundschaft nunmehr gegen alle An­fechtungen unzerreissbar besiegelt und wir durch­aus gleichen Ranges seien, aufeinander angewiesen, wie es sich an diesem Tage, da ein Girardi zu Bo­den fiel, ein Stock durch die Luft sauste und eine Zigarette törichtes Ärgernis hervorrief, in einer selt­samen Weise heraussiellte. Es Verstand sich von selbst, dass ich die Schüchternheit, die mir sonst, wenn ich mich dem Kreise von Erwachsenen näherte, den Atem benahm und im Schlund ein Gefühl von Trockenheit entstehen Hess, wie durch ein Wunder los war und ich mich dein Pferd entlang bis zu dem vorderen Rad der Kutsche vorschob. Ich hatte vom Kommis, der mit dem gleichen Messer rasiert wur­de wie der „starke Bernhard" und den man höfiieher­­weisc „Herr Sebastian" anredete,. einen Auftrag,- und dieser gab mir zweifelsohne das Recht, mich so zu behaupten, wie es nur Erwachsenen geziemt, und in die nächste Nähe des Tummelplatzes vorzurücken. Hier hatte sich ein Dutzend Menschen dem Schein nach unentwirrbar verknäuelt. Sie fuchtelten blind­lings hemm und überschrieen sich gegenseitig, was zur Folge hatte, dass die Stimmen immer heiserer wurden und sich anhörten, als wenn sie nicht von Menschen herstammen würden, sondern von mechani­schen Vorrichtungen, die rettungslos dem Rostfrass an'wimgefallen waren. Der Fiaker, der ratlos auf dem Bock geblieben war, schickte sich wohl an, mir das Recht auf den Posten neben dem vorderen Rad in Abrede zu stellen, kam aber nicht zveiter als bis zu einem rülpsarlig hervorgestossenen „Du", das losgerissen blieb von dem sonst recht ausdrucksstar­ken Wortschatz eines Temesvár er Lohnkutschers und, nachdem es wie eine dunkle Drohung über mir ge­schwebt hatte, widerstandslos erstarb. Am meisten fesselte meine Aufmerksamkeit der Mann, dem der Girardi entfallen war und der rücklings im Wagen lag, ein bemitleidenswertes Opfer des Wagnisses, jemand anderen hochleben zu lassen, als nach den zwei Portionen Paprikasch und dem Bouteiüenwein erwartet werden konnte. Von Zeit zu Zeit unter­nahm er einen Versuch, sich aufzuselzen, aber das Getümmel brandete so nahe am Wagen, dass er seine eingeklemmten Beine nicht zu befreien vermoch­te. Alle seine Anstrengungen, s:ch aus dieser un­behaglichen Lage zu befreien, wurden durch zwei heftig schnaubende, behäbige Gestalten wiederholt zum Scheitern gebracht. Diese waren selbst dem Be­drängnis ausgesetzt, in die Kutsche gestossen zu werden, zu dem entlang dem zugcklappten Kleinsitz Liegenden, und waren nur so imstande, sich dessen zu erwehren, dass sie sich mit aller Kraft an den Wagenrahd anstemmten, wodurch seine Beine den Zwang eines Schraubstockes zu verspüren bekamen. Da bemerkte ich im erregten Haufen einen, dessen Weste bis zur Mitte offen tear, weil die Knöpfe dem Handgemenge nicht standgehalten hatten. Sein Kra­gen war vom reichlichen Schweissgeträufel ganz durchnässt und zerquetscht, ein kläglicher Anblick, in dem die Würdelosigkeit des Ausseren nur von dem roh knatternden und mitunter wie Platzpatronen lärmenden Geschimpfe übertroffen wurde. Hie und da erhob sich aus dem Gezeter ein verständliches Wort, aber zumeist gehörte es zu jenen, die meine Mutier, wenn ich bald das eine, bald das andere von der Strasse arglos nach Hause brachte, mit vor­wurfsvoller Strenge vorwarf: „Merke dir, das sagt man nicht I" Da mir diese mütterliche Mahnung un­vermittelt eingefallen, war ich nicht wenig betroffen, dass Männer, die naiionalfarbene Schleifen mit ei­nem anfgedruckten Namen tragen durften, sich daran nicht erinnerten, was ihre Mutter ihnen einstens ge­wiss auch eingeschärft hatte. Gott verzeihe ihnen, dachte ich mit einer weihrauchsüssen Barmherzig­keit, die ich mir als Ministrant angeeignet hatte. Ss rasch, wie das Getümmel entstanden und zu einer Schlägerei geworden war, hatte es auch ein Ende genommen. Wie ein heftiger Platzregen, der­ails geborstenem Gewölk niederplatscht und die Erde zu ersäufen droht, um mit unberechenbarer Launen­haftigkeit jählings aufzuhören, so schrumpfte diese Fehde zusammen, verendete der Lärm, blieb man­ches Gefuchtel in halber Bewegung stecken. — Aber, aber, meine Herren, wozu denn diese Aufregung ? » Wer dieses mit Gelassenheit gesprochen:, war bei­leibe kein Zauberer, der sich die stärksten Männer unterwerfen konnte, wie ich es einmal im „Zirkus Charles“ sah, wo ein Männchen mit einer radgrossen stern- und halbmondgeschmückten Kopfbedeckung den riesenhaften Fleischhauermeister Dutschka aus der Palanke durch die Berührung mit einem Stabe lächelnd zwang, sich auf alle viere niederzulassen und auf diesen keuchend ringsherum zu laufen. Der Bändiger, der hier aufgetreten war und die miteinan­der in die Haare Geratenen mit etlichen Worten be­zähmte, hatte eine dreiviertelspannhohe schwarze Kappe mit steil herabfallendem Schild und einer Rosette, auf jeder Seite des geschlossenen, posament­besetzten Kragens drei Sterne und trug einen ge­stutzten Schnurrbart, der als englische Mode um diese Zeit aufgekommen war. Er war etwa zwei Meier von dem Menschengewühle stehcngeblieben, die Beine ein wenig auseinander gespreizt, die Linke auf dem Säbelgriff, von dem das Portepee in Grün­rot, den königlich-freistädtischen Farben, hin und her baumciie, während der Zeige- und der Mittel­finger der rechten Hand in der Blusenöffnung zwi­schen dein zweiten und dem dritten Knopf staken. (Fortsetzung auf Seite 4) Zeichnung von Viktor Stürmer LOTTE BERG: Sonette zum Zeitgeschehen l Im Todesgrenzland brütet die Sibylle, und Schatten hütet sie aus Schreckensnächten. Sie schürft nach Kohlen aus verfailnen Schächten und schürt den Brand in nebelschwangrer Stille. Geschwächten Augen leiht sie ihre Brille und heisst die Menschen miteinander rechten. Sich zornig bäumend ringt mit diesen Mächten der zukunftssichere, der starke Wille. Es flüstern aus dem Düstern die Auguren, die dunkeln Worte aus- und umzudeuten. Ihr Geifer netzt die kaum ergrünten Fluren, und üppig keimt der Samen, den sie streuten. Im dichten Giftkraut schwinden ihre Spuren . . . Die Totenglocken läuten, läuten, läuten! II. Die Magier wechseln ihre Kultgewänder. Sie steigen auf aus halbvergessnen Jahren, und stehen trocknen Augs an Totenbahren, bald Mordgesellen und bald Lelchenschämder. Dann ziehen sie in immer neue Länder und tauchen unter in den Menschenscharen. Sie flüstern . . . meinen . . . suchen zu erfahren: Was sie zu wissen glauben, heult ihr Sender. Auch uns begeifert täglich die Sibylle, in unsre Reihen drängen sich Auguren. Was wollen sie? Ein Wall ist unser Wille! Und über unsern frohergrünten Fluren steigt gross die Sonne auf in stolzer Stille, sie malt dem Grossen Frühling die Konturen. 111 Wir wählen heut den Weg, nicht wirre Fährten, wenn wir bewusst und froh zur Urne schreiten. Wir stimmen für die Saat auf freien Weiten und für die süssen Früchte unsrer Gärten, fürs Herrlich-Neue aus dem Altbewährten und für den klaren Ausblick in die Zeiten, für unsre grossen, schlichten Wirklichkeiten, für neuen Glanz auf eichten Menschheitswerten ! Wir stimmen für die sonndurchglühten Saaten, von uns gestreut ins Ackerland der Väter 1 Den Frieden wählen wir und seine Taten! Wir stimmen gegen Krieg und Hassgezeter! So wählen wir des Friedens Kandidaten und seine stärksten, würdigsten Vertreter 1 NEUER WEG Kunst und Literatur Fre'tag, 1. Februar 195? Künstler undWissenschaftler—Kandidaten der VDF MIHAIL SADOVEANU Im Wahlkreis Paşcani, Region Jassy, kandidiert Alt­meister Mihail Sadoveanu. In den Werken dieses Schriftstellers, angefangen mit den ersten Jugender­zählungen, über die Erzählungen aus „Hanul Ancujei“ und Romane von grossem epischen Atem, wie „Neamul Şoimăreştilor“, ^Fraţii Jderi“, „Baltagul“, „Nlcoară Potcoavă“, „Mitrea Cocor“ — um bloss einige weit über die Grenzen des Landes bekannte Titel zu nen­nen —, fand ein Volk seine vollkommenste Widerspie­gelung. Hier lebt Rumäniens Seele, sein Gestern, sein Heute. Der weltbekannte Friedenskämpfer, der Künst­ler, der sein Land in hohen Ämtern vertritt, ist einer unserer Schriftsteller, die am meisten verbunden sind mit den Menschen in allen Gegenden, wo die rumä­nische Sprache erklingt. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade die Werktätigen seiner engeren Heimat ihn zum Kandidaten vorgeschlagen haben. TUDOR ARGHEZI Mit dem Namen Tudor Arghezi ist eine ganze Epoche rumänischer Dichtkunst verbunden — die Zeit zwi­schen den beiden Weltkriegen — mit all ihren Kämpfen und Gegensätzen. Als Dichter von Weltbedeutung isi Tudor Arghezi nach Eminescu der grösste Sprach­­schöpfer und hat der rumänischen Sprache unseres Jahrhunderts neue Möglichkeiten erschlossen. Ein Le­ben lang setzte Arghezi sich für die Unterdrückten ein und kämpfte gegen Ungerechtigkeit jedweder Art. Der Band „Pagini din trecut“, dessen zweite Auflage kürz­lich erschienen ist und der die publizistischen Arbei­ten des Dichters enthält, legt Zeugnis davon ab. Qes­­gleichen das farbenkräftige Poem „1907“, der Band „Cîntarea omului“ oder die .Artikel des Meisters, die in letzter Zeit in der Presse erschienen: sie sind ein Bekenntnis zum neuen Rumänien, zu einer freien Welt. 'Vkademiker Tudor Arghezi ist Kandidat der VDF im Bukarester Wahlkreis „Ana ipätescu.“ Die Werktätigen des Bukarester Wahlkreises „6. März“ haben den Ehrenvorsitzenden der Akademie der RVR, Prof. Dr. C. 1. Parhon, zu ihrem Kandidaten vor­geschlagen. Akademiker C. I. Parhon gehört zu den bedeutendsten Wissenschaftlern unseres Landes und ist gleichzeitig ein Fachgelehrter von internationalem Ruf. ln der Endokrinologie Vor allem, die er als Wis­senschaft bei uns zulande begründete, aber auch in der Neurologie, Psychiatrie, Embryologie und Pflan­zenbiologie hat er durch seine Forschungsergebnisse Hervorragendes geleistet. Heute erregt Akademiker C. I. Parhon in der wissenschaftlichen Welt besonders als Leiter des Instituts für Gereatrie grosses Aufsehen, wo vielen Menschen, die in hohem Alter stehen, die völlige geistige und körperliche Frische erhalten oder wieder­gegeben wurde. Aber nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Tä­tigkeit, sondern auch wegen seines politischen und so­zialen Einsatzes erfreut sich Akademiker C. 1. Parhon grösster. Popularität Der Vorsitzende der Akademie der RVR, Prof. Traian Sävulescu, kandidiert im Bukarester Wahlkreis „Vic­toriei.“ Als Professor und als Leiter des Laboratoriums für Phytopatologie arbeitet er unermüdlich für den Fort­schritt der Naturwissenschaften in unserem Lande und für die praktische Anwendung der Forschungsergeb­nisse besonders auf dem Gebiete des Pflanzenschutzes. Bedeutend ist aber auch die Tätigkeit Akad. Săvu­­lescus im Rahmen der Akademie der RVR. Der Vor­sitzende dieses höchsten wissenschaftlichen und kultu­rellen Forums ist gleichzeitig einer der repräsentativ­sten rumänischen Gelehrten und erfreut sich interna­tionaler Anerkennung. Deshalb, weil Akad, Traian Sävulescu als Wissen­schaftler auf einem für die Wirtschaft unseres Landes so wichtigen Gebiete tätig ist und durch seine Arbeit seit jeher dem Wohle des Volkes zu dienen bereit war, wollen ihn die Bukarester Werktätigen in die Grosse Nationalversammlung wählen. Im Wahlkreis Buftea, in dessen Mittelpunkt sich die neuen rumänischen Filmstudios erheben, kandidiert der Künstler des Volkes Costache Antoniu. Kaum jemand hätte früher daran gedacht, dass einer der Darsteller des „betrunkenen Bürgers“ aus Caragiales berühmter Wahlkomödie, des einfachen Menschen, der von der politischen Maskerade der bürgerlichen Parteien ganz verwirrt ist, jemals selber kandidieren würde. Costache Antoniu ist nicht bloss einer der besten Schauspieler des Bukarester Nationaltheaters, der ersten rumänischen Bühne, die die Traditionen bester rumänischer Schauspielkunst weiterführt, nicht bloss Rektor des Theater- und Füminstituts „I. L. Caragiale“, der Künstler entfaltet auch eine umfangreiche soziale und politische Tätigkeit. Er war auch bisher Abgeord­neter der Grossen Nationalversammlung und 1st Mit­glied des Bukarester Stadivolksrates. Ausserdem ist er Mitglied in der Zentralkommission der dörflichen Laienkunstwettbewerbe, weil er in diesen Wettbewer­ben ein Hauptmittel zur Entdeckung und Förderung neuer Talente Sieht» Prof. Dr. C. I. PARHON Prof. TRAIAN SÄVULESCU COST ACHE ANTONIU Akademiker Akademiker Akademiker Akademiker Künstler des Volkes

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