Neuer Weg, 1992. november (44. évfolyam, 13358-13374. szám)

1992-11-04 / 13358. szám

Seite 2 Missbrauch deutscher Waffen in der Türkei verhindern Ankara (dpa). — Türkische Meeresein­heiten haben am Montag mit starker Luft­­wafienunterstützung ihre Offensive gegen Separatisten der Arbeiterpartei Kurdisfans (PKK) fortgesetzt. Wie die halbamtliche Nachrichtenagentur Anadolu aus dem Kampfgebiet berichtete, wurden Stellun­gen und Lager der Rebellen vor allem in der Bergregion Kambini zunächst von Kampfflugzeugen bombardiert. Auch auf türkischem Gebiet kam es am Montag er­neut zu Gefechten zwischen Sicherheits­kräften und Rebellen. Im Falle eines „missbräuchlichen Ein­satzes“ deutscher Waffen durch die türki­sche, Armee gegen die aufständischen Kur­den in Südost-Anatolien würde Bonn „schwer Konsequenzen“ ziehen. Das ver­lautete aus der Delegation unter Führung von. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, die ausführliche Gespräche mit den Spitzenvertretern der türkischen Regie­rung in Ankara-führte. Die von Deutschland im Rahmen der NATO-Hilfe gelieferten deutschen Panzer und anderes Wehrmaterial dürften nur für Angriffe von aussen — nur bei einem Bündnisfall —, nicht aber für innere Aus­einandersetzungen eingesetzt werden. Falls sich ein „Missbrauch“ wiederholte, hätte das „schlechte Auswirkungen“ auf das deutsch-türkische Verhältnis, hiess es. Aus für Mercedes-Lkw-Werfc in Ahrensdorf bei Berlin Stuttgart (dpa). — Das Bundesland Bran­denburg wird vorerst nicht in den Ge­nuss der dringend benötigten 4000 Ar­beitsplätze und der erwarteten Milliarden­investitionen von Daimler-Benz kommen. Am Montag kam für Ministerprésident Manfred Stolpe überraschend das vorläu­fige. Aus für das neue Mercerdes-Lkw- Werk in Ahrensdorf bei Berlin. Der Mercedes-Vorstand begründete dies nicht nur mit „strukturellen Problemen“ der europäischen 'Nutzfahrzeugindustrie, sondern auch mit „veränderten Markter­wartungen“ für Westeuropa, und — was die Investoren in Ostdeutschland beson­ders betrifft — Mit „deutlich reduzierten Perspektiven für cjie Entwicklung der Märkte in Osteuropa“. Für einen weiteren Standort konnte sich Mercedes auch des­halb nicht entscheiden, weil selbst seine Westwerke nicht ausgelastet sind. Schon wird im grössten Mercedes-Lkw-Werk , in Wörth bei Karlsruhe von Kurzarbeit ge­sprochen. Vergangenes Jahr liefen bei Mercedes knapp 296 000 Lastwagen und Transporter vom Band. Diese Zahl dürfte in diesem Jahr sicherlich nicht mehr er­reicht werden. Verlorene Arbeitstage WELTMEISTER sind die Italiener: auf 1000 italienische Arbeitnehmer kamen im Durch­schnitt (von 1970 bis 1990) 1042 Streiktagen pro Jahr. Auf dem letzten Platz: die Schweiz mit nur einem Tag Ausfall. Jährlich durch Arbeltskämpfe vertonengegangane Arbeits­tage je 1 OOO Arbeitnehmer (DurcnsamM der Jante t97Q t»s 1990) Italien Griechenland* 1042 MS 867 \ Spanien 708 Irland 573 Großbritannien 435 USA . .225 ’Dänemark. 2117.338 'Frankreich 145Mi Portugal* ■ 133mit Schweden: 116m Japan. 64m Deutschland . . 40a Niederlande ' 28i Österreich6 Schweiz ' 1 (Aus „Oberösterreichische Nachrichten") Panic-Regierung vor Sturz? Abgeordnetenkammer spricht Regierungschef Misstrauen aus B e 1 g r a d/'S arajevo (dpa/NW). — Die Abgeordnetenkammer des Parlaments in Belgrad hat dem Regierungschef Rest-Jugoslawiens, Milan Panic, am Montag abend das Misstrauen ausgesprochen. Der von der Serbischen Radikalen Partei bean­tragte Misstrauensantrag erhielt 93 von 117 abgegebenen Stimmen. Um die Regie­rung Panic zu stürzen ist aber zusätzlich die erforderliche Mehrheit der Delegierten Serbiens und Montenegros in der Kammer der Republiken erforderlich. Die sollte ge­stern nachmittag zusammen treten. Züvor hatte das von den Sozialisten des serbischen Präsident Milosevic beherrsch­te Parlament Panic und Staatspräsident Dobrtca Cosic scharf kritisiert. Den beiden wurde in einer am späten Abend verab­schiedeten Resolution Überschreitung der Machtbefugnisse, prinzipienlose Haltung, Vernachlässigung der Staatsinteressen, Kompromissbereitschaft“ und „Verrat der serbischen nationalen Interessen“ vor­geworfen. Das Parlament lehnte din von Panic angekündigte bedingungslose Aner­kennung der anderen ehemaligen jugosla­wischen Republiken entschieden ab. Auch wurde dem Ministerpräsidenten das Recht bestritten, zukünftig im Namen der kroatischen oder bosnischen Serben zu verhandeln. Indessen haben die bosnischen Serben am Montag laut Tanjug beschlossen, nicht mehr an der Arbeitsgruppe für Bosnien- Herzegowina der internationalen Jugosla­wien-Konferenz in Genf teilzunehmen. Weiter heisst es aber, die Delegation werde an anderen Arbeitsgruppen der Genfer Jugoslawien-Konferenz weiterhin teilnehmen. Unterdessen traten serbische Truppen ln beinahe allen Landesteilen Bosniens zu Angriffen gegen moslemisch-kroatische Stellungen an. Die Hauptkampfgebiete la­gen nach Berichten des bosnischen und kroatischen Rundfunks am Montag im Norden und Südosten der früheren jugosla­wischen Teilrepublik. In Zentralbosnien trafen im Laufe des Tages weitere Flücht­linge aus der von Serben eroberten Stadt Jajce ein. Nach Angaben des UNO-Flücht­­lingshilfswerks (UNHCR) hatten bisher mindestens 40 Ö0O Jajce-Flüchtlinge den mühsamen, 50 Kilometer langen Weg durch das Gebirge teilweise unter schwe­ren Angriffen serbischer Truppen ge­schafft. Ausnahmezustand ln Nordkaukasus Russische Streitmacht soll Ossetien-Inguschetien-Konflikt beenden M o s k a u/E r 1 w a n/T i f 1 i s (dpa). — Präsident Boris Jelzin hat am Morgen den Ausnahmezustand über die zu Russland gehörenden Autonomen Kaukasusrepubliken Nordossetien und Ingusehetien verhängt. Die russische Regierung hat eine mehrere tausend Mann starke Einsatztruppe in den Nordkaukasus geschickt, der es nach An­gaben des Moskauer Innenministeriums gelungen ist, die Lage „im wesentlichen“ un­ter Kontrolle zu bringen. Jelzin forderte in seinem Dekret die Soldaten der Einsatztruppe des Innen­­und des Verteidigungsministeriums zur Er­füllung ihres Eides auf. Er versicherte ih­nen, dass ihre Handlungen durch die Ge­setze garantiert seien und vom Volk un­terstützt würden. Auch in.Tadschikistan, der ärmsten der früheren Sowjetrepubliken, gingen die Ge­fechte unvermindert heftig weiter. Die ge­mässigt moslemische Führung um den Ubergangspräsidenten Iskandarow steht hilflos vor den Konflikt zwischen radika­len moslemischen Banden in der Südpro­vinz Kurgan-Tjube und den altkommuni­stischen Gruppen in JCuljab. Iskandarow wollte in Moskau mit dem russischen Prä­sidenten Boris Jelzin, Regierungschef Je­gor Gaidar und Aussenminister Andrej Ko­­syrew Zusammentreffen, um über politi­sche, militärische und wirtschaftliche Hil­fe für sein Land zu beraten. Die russische Armee droht, immer tiefer in den Konflikt zwischen Georgien und seiner nach Unabhängigkeit strebenden au­tonomen Republik Abchasien hineingezo­gen zu werden. Die Truppen gerieten laut ITAR-TASS nahe Suchumi, der Haupt­stadt Abchasiens, unter georgisches Artil­leriefeuer und schossen zurück. Erbittert wurde weiter im Stellungskrieg in der armenischen Kaukasusenkiave Berg- Karabach gekämpft, die nach Unabhängig­keit von Aserbaidschan strebt. Das Ober­kommando der Berg-Karabach-Armenier teilte am Montag in der Hauptstadt Stepa­nakert mit, zwei aserbaidschanische Kampfflugzeuge und ein Hubschrauber seien über den nordöstlichen Bezirk Mar­tiakért abgeschossen worden.. Nach Anga­ben des aserbaidschanischen Verteidi­gungsministeriums erlitten die Armenier bei Kämpfen im Süden der Enklave er­hebliche Verluste. Kurz aus Bundeskanzler Helmut Kohl wird die Schirmherrschaft über die Leipziger Früh­jahrsmessen 1993 übernehmen. Nach An­gaben der Leipziger Messe GmbH wolle Kohl die Messen vom 9. bis 13. März bei der traditionellen Feier im Leipziger Ge­wandhaus am 9. März eröffnen. Gegen den russischen Chemiker Wil Mirsojanow, der Russland vorgeworfen hat, unter Bruch internationaler Abkom­men eine neue Chemiewaffe entwickelt und getestet zu haben, wurde am Samstag Anklage erhoben. Mirsojanow war am 22. Oktober von Angehörigen des Sicherheits­dienstes fest genommen worden und bo­­findet sich seitdem im Moskauer Unter­suchungsgefängnis Lefortowo. Ihm wird Verrat von Staatsgeheimnissen vorgewor­­fen. Der UNO-Beauftragte für Mosambik, der Italiener Aldo Rielo, befürchtet einen Bruch des am 4. Oktober in Rom Unter­zeichneten Waffenstillstands für Mosam­bik und den Ausbruch neuer Kämpfe. Nach Angaben von diplomatischen Kreisen in der Hauptstadt Maputo vom Montag ziehen die Regierung und die RENAMO­Guerillas erneut ihre Truppen zusammen. Das lasse das Wiederaufflammen des Bür­gerkrieges befürchten. Journalisten und Umweltschützer warte­ten am Montag morgen in Cherburg ver­geblich auf die Ankunft des japanischen Plutoniumfrachters „Okatsuki Maru“. Das Schiff war in der Nacht zum Sonntag von Brest angeblich in Richtung Cherbourg ausgelaufen. Über den Verbleib des Schif­fes gab es zahlreiche Spekulationen. Um­weltschützer wollten nicht ausschliessen, dass die „Okatsuki Maru“ ihre Atomfracht bereits insgeheim in Brest geladen habe oder hoch auf See übernehmen werde. Die Zahl der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel ist im Oktober weiter leicht gestiegen. Wie das Einwanderungsministerium in Jeru­salem am Montag mitteilte, kamen in diesem Monat insgesamt 7542 Juden ins Land, 6832 davon aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Insgesamt 1,9 Tonnen Haschisch hat der französische Zoll in einem belgischen Lastwagen am französisch-spanischen Grenzübergang Biriatou sichergestellt. Wie die Behörden mitteilten, hat der 20jährige Fahrer seine aus Marokko stam­mende Ladung an der Südküste Portugals übernommen. En habe den Namen sei­nes Chefs, eines belgischen Fuhrunterneh­mens preisgegeben. Im liberianischen Bürgerkrieg haben die Rebellen unter Charles Taylor ihre An­griffe verstärkt auf den Flughafen der Hatrptstadt Monrovia konzentriert. Taylors Nationalpatriotische Front (NPTL) wollte damit erreichen, dass der Nachschub für die Westafrikanischen Friedenstruppen (ECOMOG) unterbrochen wird, berichtete der französische Auslandssender RFI am Wochenanfang. Ohne einen Fehler Innerhalb von fünf Minuten schrieb der Moskauer Journalist Michail Scho­­stow (29) an einem Cotnputer 790 Zei­chen eines Textes ohne einen einzigen Fehler. Mit dieser Leistung kommt er ins Guinness-Buch der Rekorde. Dänen legen Alternative zu Maastricht-Plan vor Kopenhagen (dpa). — Dänemarks Au­ssenminister Uffe Ellemann-Jensen hat ge­­sterrl eine Rundreise nach London, Bonn und Paris begonnen, um einen von der Parlamentsmehrheit getragenen Plan über die künftige Rolle des Landes in der Eu­ropäischen Gemeinschaft zu erläutern. Er traf dabei zunächst in London mit dem britischen Aussenminister Douglas Hurd als amtierenden EG-Ratspräsidenten zu­sammen, kommt heute nach Bonn zu Bun­­desaussenminister Klaus Kinkel und schliesst die Gesprächsserie morgen in Paris bei seinem französischen Amtskolle­gen Roland Dumas ab. Der für die Europäische Gemeinschaft zuständige Ausschuss des dänischen Par­lamentes hat in Kopenhagen mit gros ;er Mehrheit das Konzept festgelegt, das die Basis für die weitere EG-Mitgliedschaft sein soll. Für die von den oppositionellen Sozialdemokraten eingebrachten Vor­schläge stimmten mit Ausnahme der rechtspopulistischen Fortschrittspartei al­le im „Folketing“ vertretenen Fraktionen. Der Plan sieht vor, dass Dänemark sich aus Teilen des Maastrichter Unionsvertra­ges wie der gemeinsamen Währung und der gemeinsamen Sicherheitspolitik aus­koppelt, ansonsten aber in der EG mit vol­len Rechten und Pflichten verbleibt. Alle Parteien in Dänemark streben ein erneu­tes Referendum 1993 an. NEUER WEG / 4. November 1992 4 Mit Schinkcr- Reisen noch Siebenbürgen und Deutschland Mit modernen 4 Sterne-Ferienreisebussen Schlafsessel, Bar, Bordküche, Toilette, Klimaanlage, Videoanlage, veranstalten wir laufend Fahrten nach Siebenbürgen und Deutschland Feigende Städte werden angefahren: In Deutschland: Düsseldorf - Köln - Gummersbach - Drabenderhöhe * Siegen - Frankfurt/Main - Mannheim - Heilbronn Nürnberg In Rumänien: Arad - Deva - Mühlbach - Hermannstadt - Mediasch - Schäßburg - Neumarkt am Mieresch - Sächsisch-Regen - Kronstadt Telefonische Anmeldung und Auskunft erbeten, auch und Sonntag bei: *• in Deutschland: Hans Schinker, . » TP (02262) 2260 und 4757 Fax: (02262) 6236 Autotelefon: (0161) 621 1241 In Rumänien: Preda Grigore, str. Horia 38, 3130 Dumbrăveni, ® 92/43 98 75, 92/S6 5194 und 92/43 68 67 November: 12.. 29. und 28 Dezember: 5., 12., 20. und 29 Januar -93: 6., 15. und 25 November: 14., 23. und 30. Dezember: 7., 14. und 23. Januar ’93: 3., 9„ 18., 28. Hotel GUS — Hotel haitisch Business und zahlreiche andere Geschäfte — hier und dort Vor dem Hotel — irgendwo in der GUS — schlafen die Fahrer. Der linke Arm hängt aus dem Wagen, der rechte ruht auf der Handbremse, der Mund ist leicht geöffnet, im Aschenbecher verglüht die Kippe, der Motor läuft. Die Autos stehen kreuz und quer und bis in die dritte Fahr­spur der Strasse, wo der Verkehr zum Er­liegen kommt. Den Polizisten an der Ecke stört dies nicht, er zählt gerade Rubel. Am Haupteingang hängen sie in grossen Trauben herum, die unverkennbaren Sym­bole kommunistischer und postkommuni­stischer Mauschelwirtschaft: Männer — nur Männer — in schäbigen grauen oder schwarzen Anzügen, im abgetragenen Joggingdress, seltener auch in Jeans und Pullover*. Sie stehen oder sitzen, an der Café-Bar, immer in Gruppen, reden, rau­chen und warten, gehen kurz hinaus, keh­ren wieder zurück und besprechen Wich­tiges im Halbdunkel. Wer sind sie, was tun sie,worauf warten sie, die Männer in der Lobby? Keiner weiss das so recht. Vom Ural kämen sie, seufzt einer; Regie­rungsdelegation. Bisnes besprechen. Was für ein Bisnes? Na, Bisnes eben, Röhren. Aha. Und die dort? Kommen aus dem Kaukasus. Auch Bisnes. Parterre ist in der GUS erster Stock; er gehört den Businessmen: den Geschäfts­leuten, den Mafiosi, Geldwechslern, Ta­schendieben, den Regierungsbeamten in privater Angelegenheit, den verschlagenen. Westlern auf der Suche nach Partnern für schnelle Dollargeschäfte. Das Restaurant ist auf der zweiten Etage, im ersten Stock­werk also. Aber wo? Dort hinten. Der lange, dunkle Gang endet an einer gro­ssen Glastür. Es ist ein Uhr mittags. „Re­staurant geöffnet von 12 bis 22 Uhr. Pause 16 bis 17 Uhr“ steht auf einem.' Karton. Zwischen zwei Vorhängen spähen wir ins Innere des Lokals. Fünfzig Tische stehen leer, sechs Kellner sitzen an einem Tisch, essen, trinken. Wir klopfen. Ein Kellner schlurft heran, zieht den Vorhang zur Seite, öffnet das Schloss, zieht den Riegel. Was wir wünschen. Was wohl. Nein, geht nicht, alles besetzt. Der Lift funktioniert, er ist finnisch. Die Etagenfrau ist freundlich, verspricht, einen Tee aufzusetzen. Der Fernseher bleibt stumm, dafür rauscht es heiss aus dem Wasserhahn. Die Fenster lassen sich nicht öffnen, es entschädigt der, Blick durch die schmutzigen Scheiben auf den in Beton gegossenen Realsozialismus dahin­ter. Am Abend „arbeitet“ das Restaurant. Nun ist der riesige Saal schwarz vor Men­schen. Die Kellner eilen, vorne auf der Bühne arbeitet eine Band, laut und kräf­tig, vor ihnen drehen sich die Tanzenden, über ihnen die Lichtmaschinen. Der Krim­sekt fliesst, und man muss ihn fliessen lassen, um sie hinunterzuspülen, die hal­ben Eier, auf denen schleimiger roter Ka­viar klebt, die vier Tomatenscheibchen, die vertrockneten Salzgurken, die salzigen Räucherlachsscheibchen. Es folgt Hühn­chen Kiew, im allgemeinen der sicherste kulinarische Wert; „Bifsehtecks“ sind nicht zu empfehlen, den Rest der Speisekarte gibt es nicht... Doch halt — wir sind in Vilnius: Hier, in der litauischen Hauptstadt, ist das alles anders. Niemand stört den Zugang zum Hotel. Im Zimmer funktionieren Licht, Air-condition und Fernseher; die Bett­wäsche ist sauber, das Bad geschrubbt, der Kühlschrank_summt. Freundlich und geduldig bedienen die Damen an der Re­zeption. Das Essen im Hotelrestaurant ist geniessbar, die Bedienung schnell und freundlich’; die Bar ist bis um 22 Uhr so aufregend wie eine Briefmarkensammlung und danach geschlossen. Als Ausländer zahlt man, genau wie in GUS-Hotels, in Valuta, nur die Hälfte weniger, statt 130 Dollar deren 6.3. Ein früher Privatisierungs­erfolg? Keineswegs, das Hotel ist staatlich genau wie in der GUS. Im Baltikum war — Sozialismus hin oder her — schon im­mer alles etwas anders. (Aus „Neue Zürcher Zeitung"; leicht gekürzt) * Handschellen für das ganze Land Mit Repression will Belgrad die Albaner in Emigration treiben Mit seinem zierlichen Wuchs in des Professor Ymer Muhaxheri gerade gross genug für den Verschlag, in dem er, ein­gequetscht in einer Ecke, unter einem Bild des Albanerführers Rukova hockt. Daneben ist eine Tafel mit 92 winzigen Photos angenagelt, Porträts von Gefalle­nen in dem kalten Krieg, den die ser­bische Ordnungsmacht seit Jahren gegen die albanische Bevölkerung drunten im Süden der Republik, im Kosovo, betreibt. Und aufgehängt ist auch ein Poster mit der blockigen albanischen Aufschrift „Kosova“ und dem kleinen französischen Zusatz „mon amour “ — eine Anspielung auf das im Atomfeuer verbrannte Hiro­shima. Aber die Aufschrift wirkt, als habe sich der Künstler nicht getraut, seine traurige Liebe für die eigene Heimat of­fen zu bekennen. Etwas anderes hingegen hat er voller Sarkasmus unverhüllt hin­gemalt: die lauernde Gefahr. Den beiden Vokalen O im Wort „Kosovo“ hat er die Form von stählernen Handschellen gege­ben. Wir sind draussen auf dem Land, in Pec, einer Kleinstadt im Nord westen des Kosovo, wo die Menschen noch stärker als in der Provinzhauptstadt Pristina unter der serbischen Repression zu leiden ha­ben, weil sich hierher kaum ausländische Beobachter verirren. Und wohl auch des­halb, weil Pec nicht nur ein Marktflecken ist, sondern weil hier hinter meterdicken Klostfermauem das serbisch-orthodoxe Patriarchat als Wahrer eines Kulturerbes residiert, das es nach Belgrader Interpre­tation rechtfertigt, den Kosovo als serbi­schen Besitz zu reklamieren. Im Mittelal­ter war der Kosovo ja einmal tatsächlich so etwas wie das Herz Serbiens, das aber dann die Türken tödlich trafen, als sie auf dem Amselfeld die Serben in deren Schicksalsschlacht vernichtend schlugen. Lange ist das her. Viele Serben sind danach nach Norden abgewandert, und heute leben im Kosovo beinahe zwei Mil­lionen Albaner, die 80 oder 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. So ganz ge­nau kennt niemand den aktuellen Stand 1 der ethnischen) Zusammensetzung, weil jetzt, umgekehrt wie früher, ein Exodus von Albanern eingesetzt hat und Serben für sie nachrücken. Aber eines weiss der Professor Ymer Muhaxheri mit Bestimmt­heit. „Wir sind“, sagt, „ein von den Serben okkupiertes Land.“ Sein Büro befindet sich in einem her­untergekommenen Kaffeehaus hinter dem Markt der Stadt und ist die Ortszentrale der Demokratischen Liga, der Albanerver­­einigung, die das 1989 verlorengegangene Rechi des Kosovo auf Autonomie innerhalb der Republik Serbien zurückfordert, mehr noch: die volle Selbstständigkeit bean­sprucht, jetzt, nachdem Jugoslawien zer­fallen ist. Ymer Muhaxheri amtiert als Ortsvorsitzender. Wenn man im Kosovo Albaner ist und den Kopf nicht beugen will, trägt man die ptis, eine helle Filzkappe, die traditionelle albanische Kopfbedeckung. Auch Ymer Muhaxheri hat so eine Kappe, wenn auch nicht auf dem Kopf. Sie steht wie ein Zuckerhut vor ihm auf dem Tisch, und der Blick will sich nicht von ihr lösen, denn auf sie ist mit Kugelschreiber das Kreuz mit den vier kyrillischen S gemalt, die symbolisieren sollen’ Gemeinsam sind Serben stark — ein Credo, das auf der Kappe so zynisch wirkt wie ein Haken­kreuz auf einem jüdischen Käppchen, und es ist durchaus nicht zufällig, dass sich im Kosovo Assoziationen an das Schick­sal der Juden im Dritten Reich einstel­len. Sie verfolgen einen hier auf Schritt und Tritt. Die Filzkappe gehört, wie sich heraus­stellt, gar nicht Ymer Muhaxheri, sondern war ihm von einem Bauern, ins Büro gebracht worden, den ein Polizist auf der Fahrt in die Stadt aus einem Bus geholt hatte. Der Polizist war nicht allein, aber er hätte sich auch allein stark fühlen kön­nen, denn serbische Polizisten in Pec sind mit Panzerweste, Pistole, Kalaschnikow, Knüppel und Handschellen für ihren Ein­satz gegen die sich duckende Bevölkerung ausgerüstet, die allenfalls Pistolen und ein paar Jagdflinten, im übrigen aber nur Messer und Steine als Waffen zur Ver­fügung hat. Die Fälle sind, protokolliert und be­zeugt, zu Tausenden in Aktenstössen ent­halten, die sich in den Ortsvertretungen der Demokratischen Liga und der Liga für Menschenrechte ansammeln. Und wir bekommen sie erzählt von allen, denen wir begegnen: nicht nur in Pec, sondern auch in Pristina. Manche der Berichte klingen übertrieben, doch leider sind sie vermutlich alle wahr. Denn erschreckend präzise passen sie in das Bild jener etnlcki ciscehje, der ethnischen Säuberung, die die Serben, in den von ihnen eroberten Teilen Kroatiens und Bosniens betreiben — und genauso auch in ihrer eigenen Republik. Und wir glauben die Geschichten auch deshalb, weil wir selbst im Kosovo diese beklemmende Atmosphäre der Unter­drückung an treffen — eine Wirklichkeit, die wegen des Kanonendonners von Sara­jewo von der Aussenwelt nur Unzulänglich wahrgenommen wird. Wir blicken in die Käufe von Maschinenpistolen und in die Gesichter geifernder Polizisten, die uns als Spione beschimpfen und unserem al­banischen Begleiter androhen, ihm und seinen Landsleuten werde noch Schlim­meres widerfahren als derzeit den Musli­men in Bosnien. Wir sehen bestürzt auf die Bilder, die vor uns aufgelegt werden und die zum Aktenmaterial der Demokratischen Liga genauso wie der Liga für Menschenrechte gehören. Manchmal häufen sie sich zu Stössen, bis sie vom Tisch rutschen. Wir sehen die Bilder von den Rücken, die übersät sind mit feuerroten Wunden oder grünblauen Flecken. Uns werden Bilder von verbeulten, malträtierten Gesichtern präsentiert, von verstümmelten Körpern, in einem Fall von einem Menschen, dem der Schädel buchstäblich gespalten wor­den ist. Die Bilder gehören zu den Waf­fen der Albaner: Die Geschlagenen lassen sich, wenn sie noch einmal davongekom­men sind, in Photoläden knipsen, um Belege zu haben, weil man ihnen sonst nicht glauben würde. Und weil in den Studios als Hintergrund meist romanti­sche Naturkulissen aufgestellt sind, wir­ken die Photos von den nackten, übel hergerichteten Körpern vor rauschenden Wasserfällen oder leuchtend roten Son­nenuntergängen auf seltsame Weise gro­tesk, wie Material für ein absurdes Thea­ter. In Pristina sind die Altstadtstrassen aufgerissen wie schrundige Haut. Müll­berge an den Strassenecken dünsten einen Modergeruch aus, der überall hindringt, nicht vor Friedhöfen haltmacht und nicht vor Wohnblocks, durch deren verwahr­loste Treppenhäuser man sich blind und frierend an Gerümpel vorbeitasten muss, weil weder Heizung noch Licht funktio­nieren. Jugoslawien war schon immer eine Baustelle, und Pristina ist keine Ausnahme. Aber kaum irgendwo wird weitergebaut. Wer will schon an einem Haus weiterzimmern, wenn er befürchten muss, dass er bald daraus vertrieben wird? Schulpolitik — buchstäblich ein Stich­wort. Der Begriff Schulpolitik klingt, für sich allein genommen, abstrakt. Aber im Kosovo ist Schulpolitik auf ganz schreck­liche Art konkret. Schulpolitik dort heisst, dass man die Albaner, und damit prak­tisch die ganze Bevölkerung der Provinz, zwingt, serbisch zu reden, serbisch zu denken, serbisch zu sein. Aber Albaner sind keine Serben, keine Slawen. Ihre Vorväter waren Illyrer, und sie selbst sind Skipetaren. Sie haben ihre eigene Reli­gion, ihre eigenen Sitten, ihre eigene Spra­che, ihre eigene Vergangenheit und ihren eigenen Stolz. Und nun soll ihren Kindern nur noch serbische Geschichte nach ser­bischen Lehrplänen mittels serbischer Lehrbücher vermittelt werden, nach Mög­lichkeit in serbischer Sprache von serbi­schen Lehrern. Schlimm genug, eine sol­che Vergewaltigung des Volkes, aber im­mer noch nicht so schlimm wie das ei­gentliche Ziel der Serbifizierung. Denn die läuft nicht darauf hinaus, aus Alba­nern Serben, sondern aus Albanern Aus­wanderer zu machen. Durch die Schläge der Polizei will man ihre Körper, durch die Wegnahme der nationalen Identität ihre Seelen mürbe machen. Knapp 30 000 albanische Lehrer und Professoren sind entlassen worden, und 400 000 albanische Volksschüler, Gymna­siasten und Studenten haben das letzte Schul- und Studienjahr nicht beginnen können. Die ganze junge Generation wur­­sen worden sind. de, weil die Albaner auf albanischen Un­terricht pochen, von serbischen Rektoren am Schulportal abgewiesen oder von ser­bischen Polizisten aus den Schulhöfen ge­trieben oder gelangte erst gar nicht bis ans Schulhaus, weil Panzerwagen die Zu­fahrten sperrten. Inzwischen ist immer­hin ein Teil der Volksschulen für Albaner wieder geöffnet worden, aber nur zu Stun­den am Nachmittag, wenn die Klassenzim­mer von serbischen Schulklassen verlas-Immer weniger sind bereit, in der Heimat überleben zu wollen. Auf dem Balkan haben sich die Menschen in die­sem Jahrhundert daran gewöhnt, ge­schlagen, gejagt und vertrieben zu wer­den. Die Kriege und Gemetzel der Ver­gangenheit führten dazu, dass Millionen Kroaten und Serben ins Ausland geflüch­tet sind. Und nun sind die Albaner an der Reihe. 1000 bis 2000, heisst es, verhessen pro Tag das Land. Vielleicht ist die Zif­fer zu hoch angesetzt. Aber wenn es auch nur 3000 pro Woche sind, dann sind es mehr als 150 000 im Jahr, die heimlich und voller Schäm vor den Nachbarn ihre Plastikkoffer und Plastiktüten packen und einen Bús besteigen. Um mehr als eine Viertelmillion sei die albanische Bevölke­rung bereits dezimiert, wird gesagt. Dies ist auch so eine seltsame, gespen­stische Wirklichkeit des Kosovo: Da gehen in Pristina und Pec fast im Konvoi die Busse ab, und niemand weiss, wo sie an­kommen. Gewiss, es gibt Ziele. Wir ha­ben die Fahrpläne in einem Fenster der 4 Firma Eurotours in Pristina ausgehängt gesehen: Tirana, Malmö, Ljubljana, Bari, Istanbul. Und dann haben wir noch ei­nen Namen gelesen, und schlagartig ist uns bewusst geworden, wohin die Reise geht. Teplice, haben wir gelesen. Tepli­­ce (oder Teplitz) liegt in der Tschechoslo­wakei, direkt an der waldreichen, unüber­sichtlichen Grenze zu Sachsen. In gewisser Weise fungiert das Regime in Belgrad als Schlepper für Zehntausende illegaler Einwanderer in europäische Asylländer. Auch in Pec fahren die Busse ab. Man gewöhnt sich an. von Pec zu sprechen und von Pristina und Kosovo Polje, obwohl die albanischen Ortsnamen Peja und Prishti­na und Fushe Kosova zumindest genauso ihre Berechtigung hätten. Aber für wel­che Namen man sich auch entscheidet, man entscheidet sich -damit immer auch für eine bestimmte Sicht der Vergangen­heit, und irgendwann ist man es leid nur die Vergangenheit als Begründung für das Lebensrecht zu nehmen, immer nur Aufrechnungen zu hören, die bei Alba­nern wie auch Serben stets darauf hin­auslaufen, man sei länger als die anderen hier gewesen und habe deshalb den grö­sseren Anspruch auf das Land. Was zählt, ist die Gegenwart. (Gekürzt aus „Süddeutsche Zeitung“) PHI Ein düsteres Symbol für den unterdrückten Kosovo: Aus Vokalen werden Handscheelien,

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