Pester Lloyd - Abendblatt, Januar 1855 (Jahrgang 2, nr. 1-27)

1855-01-02 / nr. 1

Der Petersb.Kalender für 1855 enthält einen Aufsatz des Statistikers v. Koeppen über die Bevölkerung Rußlands im Jahre 1851.Diesem zufolge betrug die­­selbe mit Ausschluß des regulären Militärs und dek Kirgisenhorden 66.713,589 See­­len.Davon kommen au­f das europäische Rußland,mit Einschluß der Transuralschen Theile der Gouvernements­ Orenburg(419,000)und Perm(780,000),53,582,713; die drei Ostseeprovinzen zählen 1,650,527. Einkais.Ukas verfügt,daß Jeder­,welcher nach der Schlacht Handlungen der Grausamkeit gegen die Verwundeten­vber gegen die,welche keinen­ Widerstand"leisten, Verübt,m­it dem Tode bestraft werden soll. · Odessa,15.Dezember.(Köln.Ztg.)Seit der Ankunft des Kommandeurs des 2.Reservekavalleriekorps,Generals Schabel­ski,verlautete hier nichts weiter über den­ Zweck seiner Reise,als daß er den Marsch seines Korps leite.Am folgenden Tage reis­te e­r General wieder von hier ab.Die Ankunft eines anderen Divisionärs auf der Straße­ von Tiraspol wird demnächst erwartet,weil Quartiere bereits angesagt sind.Eine offiziöse Bekanntmachung ist hier erschienen,die Beru­­higung der Bewohner bezweckt.Es heißt in derselben:»In fremden Blättern wird behauptet,die Feinde wollten in unserem Haer überwintern.Wir brauchen nur darauf hinzuweisen,daß ihre Unvorsichtigkeit nicht so weit gehen dürfte,ihre Schiffe i­n Dezen·1ber oder Jänner einfrieren zu­ lassen,um die U­ngereimtheit sol­­cher Erfindung nachzuweisen,wie derjenigen ähnlich ist,welche vor Monaten aus­­­gesprengt wurde,daßha­ b Odessa ausgewandert sei,der Zerstörung Preisgegeben werden solle,daß die Großfürsten unmittelbar nach der Schlacht betanket man die KrimmVerlassen,und noch heute da sind,daß dieser oder jener General in Ungnade gefallen«u.s.w.Die Stadt,obwohl du­rch 12 Batterien vertheidigt,würde freilich ernstlichen Angriffen schwerlich lange Widerstand leisten können,was auch russischerseits in dieser Beziehung behauptet werden möge.Die Schiffe zur Versenkung stehen seit Jahresfristbereit und werden im letzten Nothfalle sicherlich in die Tiefe gebohrt,um den Eingang sämmtlicher drei Häfen zu sperren.Die halboffizielle Ermuthigung wäre kaum nöthig gewesen,hätte man durch Schilderungen aus der Krimm von Plünderungen man auch die Be­­wohner nicht besorgt gemacht,sodaß viele ihr Gold,Silber und andere Kostbaris­keiten nach dem Binnenlande beförderten.Deßhalb findet sich auch noch hinzugefügt: »Von den Behörden habe keine bisher daran gedacht,Werthsachen der Krone, b Staatseigenthum unt­ vergleichen aus Besorgniß vor Gefahr der Sicherheit zu ringen.“ Zur Erbitterung der russischen Bevölkerung trägt allerdings die Beschrei­­bung der verwüsteten Befigungen £. ©. Potozfi’8 (Limadien bei Jalta) bei, die Plünderungen Ashmetschets des Fürsten Woronzom bei Eupatoria und besonders die Profanation der Altarbilder durch Bajonnetenstiche, welche dem schlichten Ruffen vom Popen in einer Weise beigebracht wird, die einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth nicht verfehlen kann. Ich­ habe oft in den hiesigen ruffischen Kirchen den aufreizenden Reden der ruffischen Geistlichen beigewohnt, die weniger religiös­ten Predigten, als vollSaufmwiegelnden Aufrufen zu vergleichen sind. Die Ber­uste ver Ruffen in der Krimm müssen in der That enorm sein, urs teilt man nach den Reflamationen, deren einige ich mitgetheilt habe. Es heißt, die Division Reiterei des 5. Armeekorps, welche zu den zwischen der Donau und Afermann aufgestellten Truppen des Oberbefehlshabers Fürsten Gortscharoff ge­ börte, solle nach der Krimm dirigirt werden. Das aus zwei Infanterie-Divisio­­nen, zwei Reserve-Infanterie-Brigaden, drei Brigaden Uhlanen, von Reserven bei Kijew, von bei Umant stehenden N Reserven, sammt von Kürasfierkorps, einer Division vom 3. Infanteriekorps, endlich­ den Truppen aus den vier sogenannten „legten“ Kolonien in Neurußland und von fünf in den Gouvernements. Kijew und Podolien unter General Schtscherbinski sollen zum Frühjahre ohne die Reser­­ven eine Heeresmacht von 180.000 Mann repräsentiren. Die Koloniefreise Mans­sow, Gafinst, Lapitchin, Leu­ischen, Mepfchiboih, Balta, Uman und Wosne­­fengt verkaufen sämmtlich ihre liegenden V­orräthe, da die Truppen ausgezogen sind. Konstantinopel, 14. Dezember. (Köln. Ztg.) Sehr belehrend über ta Berhältniß ver drei Alliirten zu­einander und höchst interessant wäre ein Bli in die Korrespon­denz, welche seit beinahe zwei Monaten freut und quer zwischen den Seloherren der alliirten Armeen in der Krimm, ihren respektiven Gesandten in Konstantinopel, dem Divan und dem Hauptquartiere von Bufarest mit großer Lebhaftigkeit geführt wurde. Bald nach der Schlacht an der Alma, da die erschiedenn massenhaften Zuzüge vor Auffen begannen, ernannten die anglo-fränkischen Feld­­herren, troß ihrer theilweise unverzeihlichen Sorglosigkeit, wie sehr günstig ihnen eine Diversion der Zürfen in Bessarabien wäre. Sie wandten sich an die Gesandten, diese an den Divan, welcher sich mit einiger Behaglichkeit nach der zweiten oder dritten Vorstellung ziemlich einsichtig und nachgiebig erwies. Omer Pascha sehmei­­chelte der Gedanke, mit feinen Schaaren bis an den Pruth vorzudringen und den russischen Boden, wenn auch durch den Fluß getrennt, aus eigener Ansch­auung kennen zu lernen. Ja, selbst einige Demonstrationen jenseits dieses Fluffed auszus führen, z. B. Iösender Bey mit einer verwegenen Schaar auf Grund und Boden des Mossow streifen zu lassen, wäre er nicht abgeneigt gewesen Aber seine Lorbeern von der Donau am falten Pruth aufs Spiel zu fegen, dazu hatte er nicht Die ger­a­­uft. Er fehidte und ließ die lebhaftesten Remonstrationen nach Stambul­en. Das Klima, der drohende Winter mit seinen Ungemeißheiten, das unmeg­­same Land D­essarabiens, die Erschöpfung ver Waladhet, ja, selbst die Oesterreicher mußten ihm alle Gründe seiner Zögerung dienen. Es gelang ihm, mit diesen Grün­­den für eine Zeit selbst Lord Stratford de Revcliffe, seinen alten Befchtiger, zu ge­winnen. Aber am Ende lagen diesem seine Engländer in der Krimm doch näher als Omer Pascha, und er wurde dringender als zuvor. Omer Pascha wußte am besten, wo ihn der Schuh prüdte. Seine Armee ist nicht mehr dieselbe, die auf dem rech­­ten Donauufer stand: die Kämpfe, die Cholera, das unvorsichtige Lagern an der fieberlfchen Donau, die fehlechte Sanitätsverwaltung haben sie verändert. Die Ar­­tillerie, eine Waffengattung, von der Dmer Pascha wenig versteht und die er, troß ihrer ausgezeichneten Dienste, nicht würdigte, ist bedeutend reduzirt, und diesen Mangel fühlt er jet, da er eingetreten ist. Tophana, unter Fett Achmed in Murd­es Pascha das geordnetste Institut der Türfei , will ihm, troß dem Divan, die Reste seiner Depots nicht anvertrauen und zieht es vor, diese nach der Krimm zu fehiden. Auch dieser Umstand gab Dmer Pascha einen Vorwand mehr, in seiner Stellung zu bleiben. Troß allem dem haben aber endlich die alliirten Feldherren, die Gesandten und der Divan überwogen, und in diesem Augenblicke steht er fest, daß Dmer Pascha vorrüden sol. Er hat geantwortet, daß er dies mit Vergnügen thun wolle, und daß er hoffe, die vorgerücte Jahreszeit und das ungünstige Ter­­rain Bessarabiens werden ihm nicht hindern, den Aliiiten große Opfer zu bringen. Konstantinopel, 18. Dezember. (Triest. 3.) Es ist interessant, das Umsichgrei­­fen des Einflusses der Allitten zu beobachten. Fast alle Kasernen, die schönsten Spitäler, ein großherrlicher Palast sind in den Händen der Franzosen, ihr Benehmen, ihre Sprache, ihre täglich steigenden S­orberungen. Alles deutet darauf hin, daß sie sich als die Herren Konstantinopels betrachten. Man erwartet, daß sie auch Das russische Ge­sandtschaftshotel begeben werden ; bis jet gestattete es Die Pforte noch nicht. Skandale aller Art fallen in den verschiedenen Stadttheilen vor. Bor 8 Tagen schiffte man gegen 50 Verwundete an der inneren Seite des Hafens von Ejub aus; wenngleich hinreichend Wagen zum­­ Transport derselben vor­handen waren, hielten die Stanzosen dort 3 Wagen, in welchen der Harem eines Mas­­has spazieren fuhr, an und verlangten, dag man ihnen die Fuhrwerke zur größern Bequemlichkeit ihrer Kranken wb­erlasse. Die zwei Eunuchen, welche die Frauen begleite­­ten, protestirten dagegen ; sie wurden vom Pferde gerissen und derb durchgeprügelt. Die Damen verließen im Ungesichte Dieser Szene erfhunden ihre Wagen, um sie den Alliirten der Pforte zu übergeben und waren dadurch gezwungen, einen weiten Weg zu Fuß zu gehen. Die französische Intendanz begünstigt ihre Truppen derart, daß Offiziere bei solchen Szenen ruhig vorü­bergehen, als gehörten sie gar nicht derselben Nation an ; ja man behauptet, man lasse die Schuldigen ungestraft, um das Hauptziel, welches sich die Franzosen gesecht, eine französische Polizei Hier zu errichten, um so sicherer zu erreichen. Madrid, 22. Dezember. Aus der gestrigen vierstündigen Kartenversamm­­lung ist Einiges besonders hervorzuheben. Der Bautenminister Zujan äußerte: „Die progressitische Partei ist schwer zu schulen (Geräusch), und Unem­igferten ge­­fährden die Liberale Union zum Schaden ves Landes. Es besteht Mißtrauen zwi­­schen der Majorität und dem Kabinet ; dies muß aufhören, Bedenken Sie, welchy peinliches Schauspiel 1936 1837 und 1840 bis 1843 diese Kämpfe dem Lande darboten. Die Baterlandsliebe meiner Kollegen rufe ich auf, die unfruchtbare Bahn dieser schädlichen Spaltungen zu verlassen." Madoz verließ fest den Prä­­sidentenstub­ , den Escofura einnahm, und sagte, er habe dem­ Kabinet gedient, in dem er nach Kräften die Vorschläge, welche die Lage verschlimmern oder unange­­nehme Erörterungen herbeiführen konnten, beseitigt habe. Man suche übrigens das Webel der Lage da, wo er nicht sei, und verliere sich in falschen Deutungen (Beifall). General Conda: „Slaubt Hr. Madoz denn, bag dad Kabinet sich aus­schließlich auf die Progressisten fügen sol?" Matoz erwiderte, weil man durch­­aus seine Ansicht wissen wolle, so werde er sie ohne Umschweife frei herausfagen, ja, die Lage sei rein progressistisch. Diese Aegferung wurde von vielen Stim­­men beflatscht, während andere riefen, die Lage gehöre den Gemäßigten. Ci­neral Dulce rief Madoz zu, er ruinire das Land und sei verantwortlich für bag, was kommen künnen. Madoz entgegnete, er habe seinem Lande die Wahrheit ge­­sagt. Nach langer tumultuarischer Unterbrechung führte endlich Santa Kruz die Versammlung zu ihrem Umwede zurück, und es erfolgte zum Schlufse das Zustim­­mungsvotum zu dem ministeriellen Programm. — In der Verteifigung von heute, in welcher das Gefeg über die Armee, wie schon gemeldet, angenommen ward, wurde der Deputirte Madoz, der sich für einen Republikaner erklärte, von dem (gleichna­­migen) Präsidenten mit dem Bemerken zurechtgewiesen, daß Dies seinem Mitgliede der Versammlung gestattet werden künne, — eine Neuerung, die von Seiten der Äußersten Linien laute Kundgebungen des Mißfallens hervorrief. Nom, 21. Dezember. Der Papst hat das Anwenfen an die Firhlichen Hocfeste Dieses Monates nachträglich an einen landesherrlichen Gnadenatt knüpfen wollen. Ein darüber erschienenen Erlas des Ministers des Innern macht dem­nicht bekannt: „Aus Anlaß der Wiederliehe des Festes der unbefleckten Empfängung Mariä, wie Der bevorstehenden Weinachtsfeier, hat Se. Heiligkeit unser Herr außer andern noch folgende Gnadenertreife angeordnet : 1) Unterdrückung der gerichtli­­hen Untersuchung aller Verbrecjen (per tutti i delitti), auf welche nach den Gesehen sechs monatliches Gefängniß steht ; 2) Erlaf von drei Monaten Gefängnißstrafe für Ale, welche ss bereits in Haft befinden." Der erwähnte Bolfsauflaufin Erastes­vere zur Verhinderung der Einschiffung von Kornvorräthen durch die Franzosen hat die Verhaftung von drei jungen Leuten, die als Anstifter galten zur Folge gehabt. Lehr­ten Sonnabend sah ich sie geschlossen in der Mitte einer starren Bedeckung von der En­­gelsburg nach dem französischen Kriegsgericht bringen, doch unter sichtlicher Mißbilte­gung des vorübergehenden Publikums. Die Römer meinen, die drei seien straflos sehen nach dem allbekannten Grundfaß : was dem Einen recht ist, daß ist dem Anderen billig. Da noch neuerlich ein Gefeg die Kornausfuhr verbot, so wird der Fall schon darum dem französisgen Kriegsgericht vielfache Nachsichten in seinem Urheil gegen die Delinquenten auferlegen müssen. Der Erzbischuf von Newp­ort brachte eine ansehnliche Menge kalifornisches Goldes für die St. Peterskirche zum Geschente mit. Er ist bereits zu Altargeräthen, wie Kelchen, Kruzificen und Ostensorien, von unseren geschichterten Goldschmieden vers arbeitet. — Mit dem Abzuge noch anderer Abtheilungen der französischen Gars nison aus Rom, wie er auf Ende Dezember bereits amtlich angesagt war, scheint es wi­eder Zeit zu haben. Die Intendantur ließ die betreffenden Lieferanten bereit vorge»­stern benachrichtigen, sie müchten nur den früheren Proviant au)­f einer einhandeln, da im Falle einer Truppeneinschiffung nach dem Orient die abzehende Mannschaft pur Rekruten Doch in der Zahl aus Frankreich her erlebt würde, München, 28. Dezember. Höcht erfreulich lautet das neueste Bulletin über das Befinden Sr. M. des Königs Ludwig: „Darmstadt, 28. Dezember. Vormittags 10 Uhr 20 Minuten. Se. M. König Ludwig haben die Nacht sehr gut geruht, Alle h­öchst­­dieselben fühlen ich erquidt, di körperlichen Kräfte haben sich gebessert, die geistigen sind unversehrt geblieben. Dr. v. Siebold, Dr. Beer." Die Rüdfe­r unserer Fänigl, Ma­­jestäten aus Darmstadt wird übermorgen erfolgen. (A. A. 3.) Wien, 26. Dezember. Die Mitglieder der hier tagenden Münzkonfes venz werden in dieser Woche breit­­igungen halten. Im Laufe des Monates Jänner dürften die Verhandlungen zum Abschluß kommen. 2 Fürst 9. Metternich wurde heute durch einen Besuch des Herzogs von Brabant beehrt ; auch Oberst von Manteuffel besuchte diesen bekannten Staatsmann. S­ammtliche Motten sind heute ausgeblieben. Verantwortlicher Redakteur : Karl Weiskircher­, als entfehlerenen Gegner Nußlands (A. A. 3) Buchruderer von Gustav Emil. — Verlag ver Petter Lloyd-Gesellschaft.

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