Pester Lloyd, Juni 1869 (Jahrgang 16, nr. 125-149)

1869-06-03 / nr. 127

" » a Pest,2.Juni. (II.)Alle Welt erwartete für heute das Ende der Adreß­­·debatte.Die Erwartung ist nicht in Erfüllung gegangen.Nur Pulßky und Tipa hielten ihre Schlußreden und die Mi­­nister Graf Andrássy und Lónyay erhoben energisch­­ das Wort gegen die Anklagen,welche von der Opposition theils schon früher,theils auch heute durch Herrn Koloman «Tißa der Regieru­ng entgegengeschleu­dert wurden­.Die Rede­­«Simonyi’s,des Antragstellers von der äußersten Linken, mußte für morgen aufgehoben werden.So wenig auch diese Aussicht an und für sich eine erfreuliche genannt werden kann, muß das Auftreten Andrässy’s 1111d Lonyay’s,welches zu die­­ser Verlängeruug der Adreßdebatte Anlaß gab,dennoch nicht nur als ein Akt der Nob­wehr gerechtfertigt,sondern auch als ein sehr geschickt ausgeführtes Manöver anerkannt und gewür­­digt werden.Die Opposition­ wollte den Satz:»wer zuletzt lacht,­lacht am besten«,auch auf das parlamentarische Gebiet übertragen.Sie wollte zuletzt sprechen,­und hoff·te,daß auf diese Weises der Eindruck den die Adreßdebatte im Publiku­m zurückläßt,ihr günstig sein werdez Hat sie sies erreicht,so hat sie Alles erreicht, was sie anstrebte ; denn ihre Absicht war­­ ja bei dieser ganzen Ap­eldebatte nichts Anderes, als die öffent­­liche Meinung durch Allgemeinheiten, zu denen bei den trocke­­nen Debatten über fünfrete N Reformgefäße wenig Gelegenheit geboten werden dürfte, für sich zu gewinnen. Daher die außer­­ordentliche Höflichkeit, mit welcher heute die Linke und Äußerste­­ Linke, als die Reihe an die Schlußreden der Antragsteller kam, den B Vortritt Herrn Pulßky überließen.­­ Pulßky meinte richtig, die Apreldebatte sei sein Prozeßt, in welchem eine jede Einwendung des Gegners beantwortet werden muß und ergriff das Wort zur großen Freude der Opposition, welche hiemit ihre soeben gekennzeichnete Absicht schon erreicht zu haben glaubte. Pulgky sprach noch besser, als beim Beginne der Adrehdebatte . Kurz, aber fertig, und was im Laufe dieser Debatte auch bei den besten Rednern nur in geringem Grade der Fall war, seine Rede eröffnete einige, für die Beurtheilung der politischen Lage wichtige, neue Stand­­punkte. Insbesondere gilt dies von jenem Theile seiner Nebe, wo er fich mit der dalmatinischen und der Militärgrenzfrage beschäftigte. Offenbar wurden diese Erklärungen, welche als wichtige P­arteifundgebungen zu betrachten sind, absichtlich für den Schluß der­ Adresdebatte aufgespart, um der Opposition nicht Anlaß zu weitläufigen, vielleicht unpolitischen Erörterun­­gen über diese heiklen Fragen zu bieten. Die Auffassung, mit welcher Herr Tia an seine bei­­spiellos lange und beispiellos leeve Nede ging, war jener Hulk gerade entgegengefegt. Er hält die Adreßdebatte in der That für einen Prozeß und glaubt auf eine jede noch so minutidse Einwendung in nicht minder minutidser Weise ver­pliziren zu müssen. Er polemisirt gegen alle Welt, gegen Rechte und äu­ßerste Linke, gegen Eötvös, Horváth, Kerfapolyi und gegen eine Reihe von unbedeutenden Rednern, ja er vergißt nicht einmal die „unversehämten Journalisten” ver­fechter, welche seine Aeußerungen verdreht, seine Bestrebungen verdäch­­tigt haben sollen. Diese Manier gegen die Publizistik charak­­terisirt diesen selbstgemachten Demokraten, der — vielleicht im eigenen Hause an solche Manieren gewöhnt — auch die Publi­­zistin der Gegenpartei, als eine Art geistiges SHelotenthum, en canaille behandeln und ihr gegenüber auch die Negeln des gewöhnlichen guten Tong bei Seite feßen zu dürfen glaubt. Das Eigenthümlichste ist, daß er in derselben Nede, in welcher er wegen angeblichen Verdrehungen seiner Neußerungen sich so sehr erhitte, selber zu mancherlei Verdrehungen (so namentlich der Nede Horváth’s) sich hinreißen ließ, um auf diese Weise eine Scheinwiderlegung zu erzielen. So unterschiebt er unter Anderem dem Justizminister die Aeußerung, daß in Ungarn mit der pragmatischen Sanktion der Parlamentarismus über­haupt unmöglich geworden sei, während Horváth doch nur be­­hauptete, daß es eine Selbsttäuschung sei, wenn man in Un­­garn von einer Unabhängigkeit träume, wie jene, welche in England oder Frankreich besteht. Von den Minut­en der Tieckschen Rede auch nur einen Ueberblick zu geben­ ist eine reine Unmöglichkeit,will man nicht die ganze Adreßdebatte Nevue passiren­ lassen.GrIund­­sgedanken aber kann man nicht angeben,wo überhaupt keine Gedanken,sondern nur kleinliche Wortstreitigkeiten­ zu finden sind.Dies hinderte die Opposition natürlich nicht, über die Rede Tipa’s im­ lauten Jubel auszubrechen.Der Jubel war jedoch etwas verfrüht,denn die Hoffnung,von der Rechten könne Niemand mehr sprechen,wurde du­rch den­ Mi­­nisterpräsidenten Andrássy und durch Herm v.L­ 5nyay verei­­telt.Wir theile 11 diese Rede 11 ausführlich mit,wollen daher durch die Angaben ihreanhaltes nicht den Raum unnöthig Verschwende11.Die Rede des Ministerpräsidenten war in­ ihrer ersten Hälfte fnst provisirt,was ihre Wirkung nicht wenig erhöhte.Natürlich kann eine improvisirte Rede nicht so sorg­­fältig ausgefeilt sein,wie jene,an welchers Herr Tipa Tage lang arbeitete;doch fühlt man aus jedem Satze Andrässtys den­ Staatsmann heraus,während aus der Rede seines Vor­­redners, man möge sie wo immer anfaffen, überall nur der Kafuist hervorguht. Lónyay fehlen Anfangs in­ sehr gemiüchlicher Weise die Behauptung Várady’s, als wären­ die ungarischen Steuerein­­treibungsgefege und Verordnungen nur schlechte Ueberlegungen der österreichischen Reglements, wiederlegen zu wollen. Doch­ wurde seine Stimme immer erregter, motivirten Anschuldigungen Baradys und Simonyi’, mit­­ der gebührenden Ansignation zurückzumeisen begann, namentlich jene Infinuation, als wäre die Gebührung mit den Staats­­geldern zuweilen eine unlautere gewesen. Wir sahen von so ruhigen Finanzminister noch nie so erregt wie heute, was übri­­gens sehr begreiflich ist, wenn man beweist, mas es zu bedeu­­ten habe, wenn man von einem Minister Dinge sagt, die sein Ehrenmann ungeahndet erdulden kann. Das Haus gab dem Heren Finanzminister, durch den lauten Beifall, mit welchem er seine Rede aufnahm, eine glänzende Satisfaktion und auch die Linie war durch das Gewicht seiner Argumente vollständig besiegt. Unter dem Eindruck eines Triumphes der Rechten endete die Situng. = Der in der Dienstaggnummer unseres "Blattes unter der Ueberschrift „die Kaiserin und die Wiener” enthaltene Wiener Brief wird von Wiener Blättern vielfach gloffirt, wogegen wir natürlich nichts einwenden künnen. Wenn jedoch in einigen Blätt­­ern behauptet wird, jener „Wiener Brief” sei nicht in Wien ge­schrieben, sondern stamme aus der Feier des Nevakteurs des „Beiter Lloyd“, so müssen wir dem die bestimmte Versicherung entgegengeben, — und sind nöthigen Falles auch den Beweis dafür zu lie­­fern bereit, daß obige Angabe durchaus unmahr um daß uns der Brief ganz so zugelommen, wie er in unserem Blatte er­­schienen ist. = Die Neven des Judex Curiae Georg Majlath und des Königlichen Bersonals Melczer bei Gelegenheit des Schlusse der alten Königlichen Curie und der Eröffnung der Obergerichte sind wahre Apologien der verrotteten „alten Zeit“. Wir würden Jer­dem sein Plaisir laffen, also auch die von Justizminister er­­nannten Gerichtspräsidenten nicht in ihren ciceronianischen Ber­ fuchen stören, wenn uns die statistische Notiz, der zufolge der Nachlas der Königlichen Tafel einen Radstand von 3200, und der der Septem­­viraltafel einen Radstand von 6500 Nummern umfaßt, nicht die Ber­­ertung abnöthigte, da die Apologie denn doch nur am Make war. = Obwohl das J­ustizministerium der geehrten Re­daktion für die freundliche und zarte M­eife, mit melcher in ihrem gei­strigen Morgenblatte von der Gagen=Krise der Gerichtsbeamten Er­­wähnung gemacht wird, zum Danke verpflichtet i­, so scheint es den­­noch nicht überflüssig — da nun die Aufmerksamkeit ihrer werthen Le­­ser auf diesen Gegenstand gerichtet wurde — den wahren Grund v dieser momentanen Gehalts-N Rebustion hier anzuführen. Die es schon bekannt ist, trat am 1. Juni die Reorganiation sämmtlicher kön. Gerichtshöfe mit ihren hundertfach verzweigten Kon­­sequenzen in’3 Xeben. Dat bei massenhaften Ernennungen und Diens­ttegenthebungen, welche bei dieser Gelegenheit all hier plöglich dar­­geführt werden mußten, die Gagenliquidationen und Gehaltseinstellun­­gen die heitlichste Erledigung und größte Sorgfalt e­rheichen, bedarf ebenso wenig des Beweifes, als auch der Grundfaß, dab bei so um­­fangreichen Liquidationen immer nur ein mög­lich einfacher und einförmiger modus procedendi zu befolgen ist. Indem nun die Regierung zu Gunsten jener Gerichtsbeamten, welche in die neue Organisation nicht beigezogen würden,den wohl­­thätigen Beschluß faßte,daß denselben die Hälfte ihres bisherigen Gehaltes bis zur endgültigen Feststellung ihrer Staatsversor­­gung als Vorschuß und unter der Bedingung späterer Abrechnung auch fernerhin auszufolgen sind, und indem die Ernennungen ohne Unter­­brechung bis in die legten Tage des vorigen Monates fortdauerten, so erließ sie an sämmtliche Landeskassen den Befehl, vom 1. Juni an die Lagen aller Gerichtsbeamten auf die Hälfte der festgelegten Summen zu reduziren, und fügte hinzu, daß in Betreff jener, die auch fernerhin auf ihren bisherigen Bolten belassen werden, die Liquidirung dieser Reduktion unverzügli nach der Civesablegung und neuen Amtsan­­tretung, also höchstens in einigen Tagen erfolgen wird. Dies Verfahren begründet sich theils auf dem Konstitutionellen Prinzipe, daß all jene Beam­ten, welche ihre früheren Werter ohne Veränderung auch ferner­in befleiden werden, durch die neuen, mit mis nisteriöser Contrasignatur versehenen Ernennungen als neue Beamten zu betrachten sind und als solche vor der Ablegung des Cides eigent­­lich seinen Anspruch auf einen Gehalt haben, theilt aber auf dem Umstande, daß sich diese Beamten über eine geringe und zeitweilige Herabkürzung von der Dauer einiger Tage weniger zu befragen ha­­ben, als wenn doch eine allgemeine Siftirung aller Gehaltsverabfol­­gungen — denn nur dies wäre bei einer so umfangreichen Reorgani­­sation das andere einförmig duchführbare Verfahren — die Mittel zu den momentanen Bedürfnissen jenen Beamten vorenthalten worden wären, die auch ihrer bisherigen Amtsanstellung verlustig­ wurden, und daher einen doppelt schweren Schlag erlitten hätten. Der große Umfang unserer Gerichts-Reorganisation machte mit Hinblick auf die kurze Zeit von kaum zwei Wochen, binnen welcher dieselbe durchgeführt wurde, die individuelle Berücksichtigung der Ein­­zelnen unmöglich, und es blieb der Regierung blos die Wahl übrig von den zwei oben erwähnten und allein möglichen Alternativen die mildere und unwohlthätigere zu befolgen. Aus dem R­eichstage. Die bereits im Abendblatte erwähnte Interpellation, welche der Aba. Emerih Yvantsa in der heutigen Wiltung des Abgeord­­netenhauses an das Gesammtministerium und vornehmlich an den Kommunikationsminister richtete, lautet wörtlich: 1. £upt sich die enge Regierung bei den bezüglich der tür­­kischen Eisenbahnen im L­aufe befindlichen Verhandlungen besonders vertreten, und doch wen? 2. Würde es die Negierung a für zweckmäßig­ ‚erachten, eine entsenden, welche sich mit dieser Angelegenheit­­ eingehend zu beschäftigen und seinerzeit dem Hause Bericht zu erstatten hätte? 3.Wäre der Herr Kommunikationsminister nicht geneigt,die Studien über die Essek-Fiumaner Eisenbahnlinie—­sowohl beüglich der Situation als auch der Längenprofile—­f­jureaudes«auer niederzulegen,damit man Einsicht darein nehmen könne,und die Frage nicht durch günstig scheinende Gründe zum Schaden des Landes ent­schieden werde,weil die Mitglieder des Abgeordnetenhauses diese Frage nicht kennen? Die Interpellation wird dem Ministerium zugestellt. Er wurde zur Tagesordnung übergegangen und nach Franz Paulsky ergriff Koloman Tifa das Wort. Koloman Tiha will die Argumente widerlegen, welche von den Mednern der Rechten gegen den vor zwei, drei Jahren von der Minorität eingereichten Gelegentwurf über die gemeinsamen Angele­­genheiten vorgebracht worden sind. Vorher macht er jedoch einige Bemerkungen zu der Rede Pulsky's. Er anerkennt es als richtig, daß der Ad­eßentwurf der Kom­mission eine Paraphrase der Thronrede ist. Seine (Tifa’3) Partei win­­d­e nicht, daß über Dalmatien etwas beschlossen werde, ohne die Ber­treffenden anzuhören. Nachsichtlich der Militärgrenze bemerkt er, daß dieselbe in den amtlichen Mittheilungen des statistischen Bureaus nicht zu Ungarn gerechnet werde. Um über das in jenen Theilen gelegene Staatsvermögen zu verfügen, wird es von Seite der ungarischen Re­nd nur einiger Energie und­ der Vollziehung der Gejebe bew­orfen. Gegen Ernst Simonyi bemerkt er, sie Beide können nur der Rechten opponiren, denn opponiren künne man nur der Majorität, der tadgt; von Beiden stehe aber Simonyi so fern, wie Redner selbst. An GERA Noteßentwurf wäre es leicht, auch mehr als zwei Fehler zu nden. Seinen eigenen Entwurf hält Tipa nicht für vollkom­m­en,doch für den besten von allen, die eingereicht wurden, sonst würde er nicht für ihn stimmen. ő · «Was die Aufzählung der Beschwerden gegen die Negierungx111 Simonykschen Entwurf betrifft,so ist es wohl wahr,daß Se.Maje­­stät die Minister ernennt und entläßt ; allein vor der Entlassung steht dort an noch die Resignation, und in der ganzen parlamentarischen Welt herrscht die Praxis, daß Minister, welche das Vertrauen verloren haben, in irgend einer unwesentlichen Frage überstimmt oder in Anklages­­tand verfest und so abzudanfen genöthigt werden. Eben darum halte er unter unseren Verhältnissen die Klageführung für unzweimäßig, wenn er auch darin nicht so weit gehe, wie Franz Deäf, wenn wenn in irgend­einer Frage eine Motion gestellt wird, würde dann die erste Frage die sein, ob das Haus sie in Verhandlung nehmen will oder nicht, und so würde die Majorität die Minorität der Möglichkeit be­rauben, die Frage zu erörtern. Was Böhmen betrifft, weist Redner nach, daß Simonyi mit sich selbst in Widerspruch komme. In den Äeußerungen Simonyi’s, worin er die Verpflichtung gegenseitigen Schußes umerkennt, und in Bezug auf die Staatsschuld­­ denselben Standpunkt einnimmt, den Tia auf dem verfroffenen Reichstag eingenommen, erblicht dieser eine erfreu­­liche Annäherung an seine Partei. Er will nicht nachforschen, ob E. Simonyi, oder Béla Maridfiy, der den gemeinsamen Schuß betonte, oder Daniel Szanyi, der seine gemeinsamen Angelegenheiten gelten läßt, die Ansichten jener Partei treuer wiedergegeben habe. Mögen jedoch Kerfapolyi und die Anderen nicht darüber triumphiren, daß die Opposition nur aus kompakten Elementen besteh­t. Auch die­­ Regierungspartei besteht nicht aus fol­gen. Wenn übrigens die oppositionellen Fraktionen sehen werden, daß jener Theil des Programmes, wen die radikak­te Fraktion nicht deshalb mißbilligt, weil sie ihn nicht für gut, sondern weil sie das Ver­­langte für zu wenig entsprechen­ hält, durchgeseßt werden kann, so werden sie sich zu einigen irsen. Neoner hofft, daß die Opposition, wenn auch in mehrere Fraktionen zerfallend,­­dennoch vereint auf das Ziel losgehen, und rücksichtlich der staatsrechtlichen Fragen ihre Ansichten zur Geltung bringen wird, so wie er bei der guten Meinung,­­ welche er von den Mitgliedern der Rechten­ hegt, überzeugt ist, daß dieselben in in dem Moment, wo ihnen die Möglichkeit gezeigt wird, die Deser­nation und das gemeinsame Ministerium mit etwas Besserem zu vers­taufchen, auch bereit sein werden, das Bessere anzunehmen. Der Ministerpräsident hat die Worte Várady'S unrichtig zitirt. In diesen Fehler verfiel auch Deát, als er behauptete, daß die Ent­­würfe der Opposition die Theilnahme an den Reformarbeiten insolange verweigern, bis die staatsrechtlichen Fragen nicht erledigt wären. So verfuhr auch Bertopolyi gegen Ghyczy , 10 auch Steph. Majlath, aber auf eine von den Uebrigen nicht einmal geträumte Höhe schwang sich in dieser Hinsicht Betrovay, der Alles im vorigen Reichstage Geschehene vollständig ignorirte. Gegenüber der Behauptung des Ministerpräsiden­­ten, daß in den durch den vergangenen Reichstag geschaffenen Geseten solche ragen auf friedliche Weise getötet sind, melche noch nie auf friedlichem Wege veschlichtet wurden, bemerkt Nebner, daß die Geschichte viele Beispiele aufweise, wie Nationen, der die Gewalt unterbrücht, ihrer wesentlichsten Rechte verlustig gingen, davon aber, daß sie diesen Rechten selbst entsagten, habe der vergangene Reichstag das erste Bei­­spiel geliefert Ungegründet sei auch die Behauptung des Ministerprä­­sidenten, daß die Opposition im vergangenen Reichstage die Lösung mehrerer Reformfragen verhindert habe. Der Ministepräsident ermahnt die Opposition, die Dinge doch ernsthaft zu nehmen, nur Dinge zu fordern, die sie wirklich will, und nut die Macht und das Ansehen der Regierung zu untergraben. Man kann von einer Partei nicht sagen, daß es ihr mit dem, was sie fordere, nicht Ernst sei, so lange die Partei noch nicht Gele­­legenheit hatte, dies zu beweisen, daß es ihr damit Erast sei. Das An­­sehen des Reichstages hängt von der Nectssphäre ab, die er beritz und von dem Gebrauch, den er von ihr macht. Die Schmälerung der Nechtssphäre sei im vergangenen Reichstage durch die Majorität voll: Bas worden und dafür sei sie verantwortlich. Weder er, noch einer einer Prinzipiengenossen habe je dagegen agitim­, daß die geießlichen Verordnungen der Regierung vollzogen werden sollen, sondern stets diese Verpflichtung gepredigt. Die in den Komitaten begangenen Fehler sind Folgen der un­­richtigen Organisation der Komitate. Die Redner der Majorität be­­haupten, daß dieser Fehler wegen die Regierung seine Autorität befibe und die Achtung vor dem Gesetz und der Patriotismus gefunden sei. Nachdem unter den Komitatsausschüssen und Beamten die ungeheure Majorität der Rechten angehört, könnte man wohl sagen, dak lebiere die Verant­wortlichkeit für die Fehler treffe. Die ministerielle Ernen­­nung werde nicht die Charaktere vernichten, und dem Uebel daher auch nicht abhelfen.­­ Wenn die Redner der Rechten den seit zwei Jahren sichtbaren Fortschritt des Landes den Wirkungen des durch sie geschaffenen Aus­­gleichhes zuschreiben, werde die Opposition ein Recht haben,­ wenn Schid­­falschläge, die Schon fest drohen, uns treffen, der Rechten und der von ihr geschaffenen Institutionen die Schuld davon zuzuschreiben. Gegen Bujanovics bemerkt Medner: Wenn diejenige Politik, welche die Rechte befolgt, nicht populär it, so ist in diesem Falle die Majorität in diesem Hause sein Ausfluß des­ Volk­vertrauens ; wenn sie aber ihr Ausdruck ist, wie Sie behaupten und mir Ihnen glauben müssen, so haben wir auf die Rolle jener patriotischen Resignation, welche auch der Popularität zum Trot ihren Prinzipien treu bleibt, Ans­­pruch, und nicht Sie. Beides läßt ei nicht vereinen. Er hält das Vorgehen Hredenyi’s für konsequent. 3fedényi habe Ján KÉS binvur gegen jenen Geist gesümpft, der Die 48er Gesehe ins Leben gerufen, er habe gegen sie zu einer solchen Zeit gekämpft, als ein solcher Kam­pf im­ ganzen Lande gerügt und verdammt wurde. est haben nun seine Prinzipien den Sieg errungen. Er kenne in­­nerhalb seiner Partei nicht jene unreinen Elemente, von denen Hrebenyi gesprochen, und er würde, wenn si solcbe einschleichen sollten, dieselben auch auszumerzen willen: er wünsche, daß die Majorität auf dieselbe Weise verfahren möge. Er fordert Hiebényi, dessen Argumente er be­­reits längst gelesen habe, auf, ihm nachzuweisen, wann das linke­ Zen­­trum gegen den Ausgleich aufgetreten sei. Dies sei niemals der das gewesen, wohl aber sei sie gegen den Modus des Ausgleiches au­fges­treten und ‚gegen dieseti werde sie immer auftreten ; er fragt ihn ferner, wann seine Partei umerreichbäre ea gehegt habe? Nicht jene stören den­ innern Frieden, welche die Verfügun­gen der konstitutionellen Regierung aufrecht­erhalten wollen ; es gelingt das Sertett sie, welche sich dieses Ziel vorgestehlt haben, so Lange eine störm­ische Partei, welche lange Zeit hindurch­­ die Erfüllung der berechtigten Wünsche der Nation unmöglich macht, in­ den Gemüthern nicht jene Erbitterung hervorbringt, welche jene, die­ sich die Ordnung aufzulösen bestreben, eigends hervorrufen und nicht blos als Vorhandenes benüten künnen, Ausrufe von der Rechten: Wo ist also jene Partei 2) " Wenn sich die Behauptung Eötvös' bewahrheiten würde, habn jene oppositionellen Abgeordneten, die an gemeinten Unternehmungen si­e betheiligen, deren Fortbestand von demjenigen der gegenwärtigen Zustände abhängt, von der Unhaltbarkeit dieser Zustände nicht so sehr überzeugt sein können, wie sie es sagen, so wären in diesem Falle auch viele seiner Ministerkollegen von der Beständigkeit des Badz und Schmerling­ Systems überzeugt gewesen, da sie damals an der Spike eben solcher Unternehmungen gestanden. Er widerspricht der Behauptung Eötvös, daß durch Annahme eines der oppositionellen Adreßentwürfe die Lösung der Reformfragen hinausgeschoben werde. Die schnellere und zweckmäßigere Durchführung der Reformen würde den Zeitverlust reichlich gut machen, welcher dur die Debattirung und­­ Verbesserung der staatsrechtlichen Frage, allenfalls verursacht werden könnte. Er antwortet nun dem Justizminister und bestrebt sich nachyuz­weifen, daß der geschlossene Ausgleich weder dem Konstitutionalismus Genüge geleistet, noch Diejenigen befriedigt habe, welche gewünsch hatten, daß gewisse Fragen für alle Fälle erledigt sein mögen. Wäre es nicht hesser gewesen, fragt er, die Beziehungen von gemeinschaftlic­hem Interesse ebenso zu ordnen, wie man den Handelsvertrag und das Mehrsystem geordnet hat ? Er übergeht sorann auf den, von der Minorität, 1866 ausgearbeite­­ten und später zurückgezogenen Entwurf, und bemüht sich barzuthan, um wie viel besser dieser gewesen wäre als der angenommene. Kerfapolyi habe behauptet, daß die Benennung „österreichisch-ungarische Monar­­chie" darum angenommen worden sei, weil die Opposition es in der Delegation so verlangt habe. Redner fordert ihn nun auf, ver Sade etwas eingehender auf den Grund zu kommen, denn sein Gedächtniß habe ihn vielesmal getäuscht. Wahr sei nur, daß Redner, weil im Rothbuche blos vom Kaiserthum Oesterreich die Rede gewesen sei, wer sagt habe,­­daß er an die Stelle dieser Bezeichnung mindestens den Titel „Oesterreich und Ungarn“ oder „österreichisch-ungarische Monar­­chie“ sehen möchte ; er berufe sich diesbezüglich auf den Ministerpräsi­­denten, denn er habe mit diesem in einer freundschaftlichen Konversa­­tion über diesen Gegenstand gesprochen und auf des Ministerpräsiden­­ten Wunsch mit Bleistift seine diesbezügliche Ansicht aufgeschrieben, wonach er nur „österreichische ungarische Monarchie” für eine­ richtige Bezeichnung halte, weil in diesem Titel ausgevrückt sei, daß die Mon­­archie eine Union bilde, während das Wort „Neic­“ die Bedeutung einer territorialen Verbindung habe. »«Kerkapoly1 habe es besorgnißerregend gefunden,daß nach dem Minoritätspotum "von 1866 die äußeren Angelegenheiten durch den Hausminister der Dynastie verwaltet werden sollen, und jebt fire er es nicht besorgnißerregend, daß diese auswärtigen Angelegenheiten ohne jede indetaillirte Anordnung thatsächlich vom Minister des kaiserlichen Hauses erledigt werden, wenn Beust sei Minister des kaiserlichen Haus­­es ! (Ministerpräsident Graf Anprasfy : Er leitet sie aber nicht in die­­ser Eigenschaft ) Wenn jemand den sch­warzen Frad ausziehe und den grünen Frad umnehme oder umgekehrt, so ändere dies nicht an dem Menschen selbst. a Neßner bet­­eift Bertápolyi gegenüber, daß das Herrenhaus des Neichsrathes den Antrag des Dr. Sturm, gegen welchen Beust sehen im Abgeordnetenhause stimmte, sich nicht angeeignet habe. Bezüglich der Wahlen bat er den Versuch, nachzumeisen, daßs die Regierung dieselben ungefeglich beeinflußt habe, worauf er auf die Rede des Lufligministers verschiedene Bemerkungen macht. Er schlieht unter lebhaftem Beifall der Linien und großer Unruhe der Rechten. Karl Kerkfapolpgi: Geehrted Haus! Ich war so frei, in einer­ persönlichen Angelegenheit um das Wort zu bitten. Der Ab­­geordnete der Stadt Debreczin hat mich aufgefordert, mich in Hinkunft besser zu orientiren,, weil mich mein Ged­ähtniß im Guidje gelassen habe. (Rufe von der Ay­a ist seine persönliche Angelegenheit ; Ort­­­in P­räsident: 349 bitte, dem Präsidenten ein Wort zu ges­atten, daß man nur in einer rein persönlichen Angelegenheit das Wort ver­­langen könne, nachdem dieses Recht dur die Hausordnung all jenen eingeräumt ist, deren Worte mißverstanden wurden. (Zustimmung:­ kertápolyi: 39 bin so frei, mic) auf die Aufzeichnun­­gen der Stenographen zu­­ berufen, und sie werden bestätigen, daß das, was ich angeführt, al wirklich gesagt worden ist. Ich möchte nur bemerken, daß mich mein Gedächtniß seineswigs in Stich gelassen hat ; ich konnte und kann nur unwissen, was öffentlich geschehen ist, und das habe ich getreulich zum Anspruch gebracht ; das Delegationspiarium . von der Rechten : Hört, Diejenigen Abgeordneten sind im Stetium , welche glauben, kann es bestätigen. Was in einem Privatkreise vorging, konnte­ ich nit wissen und konnte es daher auch nicht vergessen. Nicht meine Schul­dt es, wenn der geehrte Abgeordnete öffentlich und am betref­­fenden Orte nicht Dasjenige fordert, was er für gut hält, sondern ir­gend etwas Anderes. Das ist der eine Gegenstand, um dessen willen ich mir das Wort erbat. Auf einem muß ic noch eine Berichtigung beifügen. 34 habe nicht gesagt, es sei im Neichsrathe anerkannt wor­­den, daß unter dem Kaiserthbum Oesterreich nur die im Reichsrathe ver­­tretenen Länder zu verstehen seien, und ich mag auch nicht mit Bez­­timmtheit behaupten, daß mir etwas Nehnliches in die Schuhe geschobe­n wurde ; nachdem jedoch­­ die Worte des Herrn v. Tiba eine solche Aus­­legung zulassen, will ich denn doc bemerken, daß ich nur gesagt habe und an jecht noch sage, das Abgeordnetenhaus des Neicherathes sei bereit ge­wesen, durch seinen am 4. v. M. gelabten Beichluß­ anzuer­­kennen, daß es sein solches Kaisertribum Oesterreich gebe, dessen ergän­­zenden Theil Ungarn bilden würde. .­­Es sprichtn im Grab­ilius And’ro"«ssy,um­ seine mißdeu­­tschen Worte richtigzustellen.Wir theilen die Rede dem vollen Wort­­laute nach an anderer Stelle mit. Gabriel Barady nimmt nach ihm das Wort, ebenfalls in einer „persönlichen Angelegenheit”. Ciinisterpräsident Anprasiy hab ihm die Worte in ven Di und gelegt, daß „die Gelege über die Steuer » 7 » . s. x .. .- — ·- — ...-- —­­e . . . Pariser Briefe, N­ahp den Wahlen — Emileeellivier und der Te­legraphbenbote — Lorbeerbaum und Delbaum. — Die Statuen des Goncordeplaßes — Eine MWählerin.­­ Claude Bernard und Flourend. — Gehirn und Berdauung im Verhältniß zum Hei­ratleben. — Ein Konsilium — Die Meditamente Blanche v Antignys. — Strife der Modern — Louis XIII­ Paris, 29. Mai. — Die Wahlen sind gottlob so ziemlic vorüber und die Weberraschungen des Suffrage Universel ebenfalls. Die Aufregung und Spannung der Boulevards hat sich glücklich ge­­legt, ohne daß die massenhaft aufgebotenen Organe öffentlicher Sicher­­heit Gelegenheit erhalten hätten, die Sicherheit öffentlich zu sichern. Die oppositionelle Stimmung verrieth fi höchstens in der großen Ber­­griffenheit, deren sich die zahlreichen täglichen Auflagen der nicht offi­­zielen Journale an jenen Tagen erfreuten und allenfalls so in dem buchhändlerisch wichtigen Umstande, daß der eben erschienene zweite Band vor Louis Blanc’s Geschichte der französischen Revolution so­­gleich vergriffen wurde. Die Regierung mag demnach zufrieden sein. Die Opposition­ ist nur um wenige Stimmen stärker geworden, und daß unter diesen au die zweifelhafte Stimme des Herrn Ollivier sich befindet, wird sie hoffentlich nicht besonders beunruhigen. Herr Olivier it in Paris durchgefallen, dafür aber im Departement Bar gewählt worden, wo sein Gegenkandidat ein gewisser Laurier war. Wenn man weiß, hab ein französischer „olivier“ Delbaun, „laurier” aber Lorbeer bedeutet, wird man auch mit dem diesbezüglichen Eurfirenden Wiß ein­­verstanden sein, daß durch diesen Sieg des Delbaums über den Lorbeer der Friede­fieber eine neue Gewähr erhalten hat. Als Herr Di­ivier das Telegramm erhielt, das ihm seine Wahl fundgab, war er fieber­­haft erregt und zerriß mit zitternder Hand das Gouvert. Al er aber das Resultat gelesen hatte, athmete er so auf und war vor Freude so außer sich, daß er in die Tasche griff und dem Telegraphenboten z­wei Münzen in die Hand vdrüdte, und zwar ein silbernes Einfransen­­ftüd und ein goldenes Zwanzigfransenftüd Herr Olivier, der als großer Geizhals bekannt ist, hatte sich vermutlich in Folge der gleichen Größe beider Münzen geirrt und statt 2 Francs 21 Francs aus der Zafche genommen, so sehr überwog aber seine Freude über seinen Geiz, daß er dem Boten, der ihn auf den Steb­bum aufmerksam machte, die ewig denkwürdigen Worte zurief: „Behalten Sie es nur, die Nachricht ist 21 Francs werth.” Bezüglich der Wahlen bemerkt die „Times“ unter Anderem : „Die Städte Paris, Lyon, Marseille, Bordeaux und Nantes sind alle der Opposition zugethan. Eben diese fünf Städte sind es, die auf dem Goncorbiaplage in Paris nur große Erzstatuen repräsentirt sind. Wenn diese Statuen plöslich die Sprache erhielten, würden sie für­­wahr ihrer politischen Meinung wegen den Namen des Plakes (Ein­­trahtsplag) nicht Lügen trafen.“ Dieser Parlus gefällt von hiesigen Oppositionsblättern ungeheuer gut, nur meinen sie, der Eintrahtsplak habe auch einstens — N Revolutionzplas geheißen. — — In einer Sektion des Faubo­rg Saint-Honors präsentirte ich am Wahltage an ein junger Mann von weiblichen Allüren, frü­hem Teint und elasti­­schem Schritt, wohlbewaffnet mit einem unverfälschten Wahlzettel. Der Mahlpräses betrachtete ihn eine Weile aufmerksam und sagte dann sanft: „Sie scheinen mir­ noch etwas zu jung, um wählen zu kön­­nen. Sie sind nicht majorenn ?" — „Barbon, mein Herr,” entgegnete der junge Gemahl, „ich bin Mutter !" — „Ah!. . Aber Sie wissen wohl, daß das schöne Geflecht, wie sehr es an in der That eman­­zipirt sei, boch noch immer nicht hinreichend emanzipirt ist, um wählen zu können... ." — „Sa, Herr Präsident, aber heute trage ich die Hosen, denn mein Gemal ist genöthigt, das Zimmer zu hüten!” Dieser Fall zeigt beredt genug, wie eifrig diesmal die Wähler von Paris zu Gunsten ihrer O­pposition gearbeitet haben, leider aber genügten bei jener jungen Dame die Hosen nicht als Grundlage für das Stimme­n­recht ; sie mußte „ungestimmt” abziehen.­­ Auf der Speisekarte des Tages steht heute auch die feierliche Aufnahme des berühmten Physiologen Claude Bernard in die Aka­­demie.Die Aufnahme desselben muß eine sehr häleiche genannt wer­­den,denn der Akademiker,der ihn mit einer Lobrede zu­ empfangen hatte,war Heeratin,der nach Herrn Villemain,dem Präsidenten der Akademie,der Häßlichste unter allen vierzig Unsterblichen ist.Die Rede des Herrn Claude Bernard war ein förmliches materialistisches Glau­­bensbekenntniß,welches in der Ne­irung der Seele kulminirte.Weni­­ger radikal,beschränkte sich sein Begrüßer,Herr Patin,­auf die üb­­lichen Komplimente an die Adresse des todten Fleurens und des lebendigen. Bernard. Bernard’s Vorgänger, der ebenso berühmte Physiologe Flou­­rens, beschäftigte si wissenschaftlich am meisten mit dem Gehirn. Im Gehirn bewegte sich sein Lebelang seine Hauptthätigkeit, so zwar, daß er fon als Knabe sich damit anrusirte, vom Schädel der Thiere ver­­schiedene Partien abzutragen und dann die Mo­difikationen zu beob­­achten, welche diese velitaten Eingriffe in dem Organismus der Thiere hervorbrachten. Als wahrhafter „Gehirnmann” wendete er an, als er eine Frau nahm, seine phrenologischen und franiologischen Kennt­­nisse an und wählte nach den Fingerzeigen vieler Wissenschaften seine Ehehälfte. Und siehe da, die Wissenschaft hatte ihm gut bedient, er lebte mit seiner Frau in der ungetrübtesten, glücklichsten Ehe. . Claude Bernard hingegen erkennt die Hauptrolle im menschlichen Or­­ganismus nicht dem Kopfe, sondern dem Magen und den Eingeweiden Seiner Meinung nach hängen die Verschiedenheiten der Charaktere hauptsächlich von diesen Körpertheilen ab und ist schon die einfache Verdauung vom allergrößten Einfluß auf das moralische Befinden. Auch Claude Bernard heiratete und nahm seine Frau erst, nachdem er ihre Verdauungsverhältnisse vollklommen so befunden, wie sie nach sei­­nen wissenschaftlichen Prinzipien für eine glückliche Ehe nothwendig sein mußten. Aber ab, die Wissenschaft ließ ihn dabei vollständig im Stich, denn, im Gegenfas zu Flourens , führt Claude Bernard eben fest einen Scheidungsprozeß gegen seine in Hinsicht der Verdauung so tadellose Gattin. Die medizinische Wendung, welche dieses akademische Ereigniß meinem Briefe gegeben, möge mir entschuldigen, wenn ich hier einen ärztlien Fall einshhalte, der sich dieser Tage an einem Krankenlager ereignet hat. Zwei berühmte Aerzte werden zu einem Konsilium gela­­den. Sie erscheinen. Der Kranke ist in einem äußerst gefährlichen Zu­­stande. Der Hausarzt wird dur die Gegenwart der beiden Sterne am medizinischen Himmel natürlich total verdunkelt, trobbemn aber behaup­­tet er, ihrer Meinung zuwider, man müsse dem Kranken Bellavenna eingeben. Die beiden Sterne sehen sich gegenseitig an und pflegen eine Meile Rath. Endlich sagt Einer der Beiden im degagirierten Tone der Welt zum Andern „Meiner Treu! Seien wir Höflich und lassen wir den Herrn Hausarzt seine Belladonna eingeben.” Und der Kranke bekam richtig die Belladonna , troßdem die beiden Zelebritäten sie als verderblich betrachteten. Da sieht man doch gewiß, has die Franzosen das höflichste Wolf auf Erden sind; ob aber durch diese Höflichkeit viele Patienten Füh­rt werden, ist eine andere Frage. Das folgende Geschichtehen wird uns von der Medizin unver­­sehrt zum Theater hinüberführen. Lebten Donnerstag ging Fräulein Blanche d’Antigny nach Azindres, um bei Mile. Alphonsine zu binis­ten, wo viele Kollegen und Kolleginen beisammen waren. Als man zu­r Tische ging, plack­te Blanche neben ihren Teller eine Flasche, welche ihr Kutiher mit großer Behutsamkeit aus ihrem Wagen herbeiholte. „Das ist denn in dieser Flasche 2” Fragen alle Gäste neugierig. „Das, das ist Chinarindenun wein”, entgegnete Blanche, „mein Arzt hat mir ihn ordinirt." Allgemeines Ab! des Erstaunens. Blanche trank alsbald ein Gläschen ver Flüssigkeit und man fand das­ sehr natürlich vor der Suppe. Nach der Suppe aber trank Blanche ein zweites Gläsc­hen. „Schau, schau,” sagte da ihr Kollege Laffouche, „ich glaubte, man müsse von dieser Medizin nur ein Gläschen vor jeder Mahlzeit trinken.“ — „Für gewöhnlich ja, aber mein Arzt sagte mir, ic, Blanche d­’Antigny, könne davon trinken, so viel und so oft ich wolle.” — „Bab, gib mir doc an einen Tropfen davon !" — „Wozu? das Zeug ist bitter, wie jeder Chinarindenwein !" — „Trhut nichts, ich trinke ihn aus Galanterie gegen dich.” Und wie Mlle­, Blanche noch immer Schwierigkeiten machte,ergriff Lassouche die Flasche,goß sich ein Glas daraus voll und leerte es—aus ritterlicher Höflichkeit­ bis auf die Nagelprobe,ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.Diese Stand­­haftigkeit wurde vor­ der ganzen Gesellschaft höchlich bewundert,so lange Lassouche nicht verrieth,daß der sogenannte Chinarindenwein in Wirklichkeit ein ganz ausgezeichneter Nichtchinarindenwein war,den Mlle Blanchefsxr sich allein mitgebracht hatte!Man kann sich denken,ob da gelacht wurde,und ob Blanche noch einen Tropfen aus­ der Flasche bekam. Hoffentlich nimmt sich die Marguerite des „Heinen Faust“ von Hervé diese Weberliftung nicht allzusehr zu Herzen. Gibt es da andere Dinge, die ihr gegenwärtig Gram bereiten. Woher soll sie z. B. in diesem Momente ihre tägli neue Toilette nehmen, nachdem der größte Theil des Personals in den fashionabelsten Modewaarenetablissements fohnede genug Strife gemacht hat, so daß diese so außerordentlich wichtigen Läden zeitweilig ganz gesperrt werden mußten, so unter Anderen die „Ville St. Denis", die „Magazins du Louvre”, vie , Bille de yon”, der „Boin de Rue" u. s. w. Sämmtliche Sommis vieler Häuser haben ihre Arbeit eingestellt und ein Theil­ der eleganten Welt ist darob ebenso in Verzweiflung, wie die Chefs jener Firmen selber. Die Strifemacher aber befinden sich dabei sehr wohl, denn sie befoie­men sogar von auswärts Unterftügung. So hat das Syndikat der Pariser Modewaarenfommis­ eine telegraphische Depesche aus London erhalten, welche ihnen 100.000 Francs anbietet, wenn sie den Strife noch etwas länger aufrecht erhalten wollen. Die Londoner Modehänd­­ler sind pfiffige Leute; gewise Damen in Paris müssen jeden Tag neue Toiletten haben und London ist von Paris einen halben Tag entfernt. Unter solchen Verhältnissen können ihnen jene 100.000 Frı3. eine Million tragen. Die Pariser Chefs ergreifen natürlich auch ihrer­­seits Nepreflahen. So Fieß ein Chef, als seine Kommis, statt im Ges­­chäfte zu erscheinen, Alle in corpore aufs Land „ausflogen“, alle ihre Betten vollkommen demontiren, so daß die Herren Grrifemacher, als sie Nachts nach Hause kamen, sich genöthigt sahen, anderswo eine Sc­­lafstätte zu suchen. Augustine Brohan vom Theâtre Frangais scheint jedenfalls von dieser Kalamität nur wenig angegriffen zu sein, wenn sie hat ihre wilige Aber nicht verloren. Neulich Abends stand sie in einem Bric­­a-Brac-Kaden und musterte die tausend Dummbheiten desselben. „Neh­­men Sie, Madame“, sagte ihr ver Verkäufer, „dieses kleine Wunder­­werk da; es ist eine Lichtfeheere Louis XIII" — „Und was wollen Sie, daß ich mit ihr anfange ?" — „Ei, nun, was man mit Licht­fheeren in der Regel anzufangen pflegt.” — „So so, dann brauchte ich aber zu dieser Lichtseheere Louis ALL, auf eine Kerze Louis XIII." Der Kaufmann fuht noch immer, ob er eine findet. W. W-w — - - >

Next