Pester Lloyd, Juli 1910 (Jahrgang 57, nr. 168-181)
1910-07-16 / nr. 168
and: Ga 48 K., halb des Abendblattes vierteljährig 2 K. mehr. Für Wien auch durch Herm. Goldschmidt. Für das Ausland mit direkter Kreuzbandsendung vi ü d, Frankreich . England. und: alien bei der Zeitungsfirma Saarb News Exchange in Mainz. 57. Basegang "" MORGENBLATT . In Wien: bei Ed. Braun, J. Danneberg, M. Dukes, Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse, 4. Rafael, H. Schalek. Im Auslande: Berlin: Rudolf, Daube & Co.; Paris : John Fee Ve. Einzeln : Morgenblatt in Budapest 12 Heller, in der Provinz 14 Heller. Budapest 6 Heller, in der Provinz 8 Heller, Redaktion und Administration: V., Maria Valeria-utera 12. — Manuskripte werden in keinem Falle zurückgestellt. — Unfrankierte Briefe werden nicht angenommen. Sudapest, Samstag, 16. Juli 1910 bendblatt in Az. 168, Sudapest, 15. Juli. Mit einer Mehrheit von 228 Stimmen hat das englidhe " Unterhaus, das Flottenbudget.* des Ministeriums Asquith, gutgeheißen. » Es fand nur siebzig Gegner, die bzw .den irischen Nationalisten, den Arbeitervertretern und eigen Radikalen beigestellt wurden. Die Flottenvorlage wurde also, auch von der oppositionellen Spartei, von den Unionisten, angenommen. Das ist aber nicht das bei merfensiwerteste Ergebnis dieser Debatte, das vom, "internationaler ‚Tragweite: ist. Ueber den ferneren ‚Bestand des liberalen Kabinetts und seiner auf die Gefolgschaft der Iren Außenhelonen Majorität wird ‚die. Entscheidung erst später fallen, wenn die Schleier den, Verschwiegenheit.. zerflattert ‚sein. werden, die über der Parteienkonferenz ruhen, in" welcher; der. Einfluß des Oberhauses in Finanzangelegenheiten nun. normiert werden, soll. . Aber in dieser Debatte dürfte eine Klärung der englischen Anschauungen über den Zived der Flotte und damit eine Annäherung an ‚die maßgebende öffentliche Meinung Deutschlands. Herbeigeführt, worden sein, die, das, Entstehen einer ‚immer reineren Friedensatmosphäre zu bewirken, eine dauernde Annäherung ein inniges Berständnis g zwischen Dielen - zwei großen Nationen : zu zeitigen vermag. Die aufgeklärteren Kreise, in beiden Staaten ‚haben: zur Unschädlichmachung der Heberstimmen. ez ,sich seit, Jahren, angelegen sein lassen, einen je häufigeren und umfassenderen i ‚Verkehr zielihen Deutschen und Engländern zu arrangieren, damit man, da wie dort zur Erkenntnis gelange, daß den beiden Nationen nur die gegenseitige Freundschaft, nicht aber irgendeine Art Feindsgaft fromme, daß die „Einkreisung“, in die Deutschland gezwängt, Dag die deutsche Landung, die an der englischen Küste vorgenommen werden soll, nur ein bestwilliges und albernes Gerede sei. Diese Bestrebungen, haben schon manches, edle Ergebnis reifen lassen, aber wenn endlich ein Durchschlagender umd. dauernder Errfolg sich bald, zeigen sollte, dann Hat ihm die mächtige Wahrheitskraft gebracht, Die in der Rede,Aaquithe sich entfaltet hat. Nocnie bis heute. Darf man getioft bedienen, wurde Das politische Verhältnis Englands zu eutschland mit so viel Sachlichkeit, mit so viel Offenheit und Loyalität behandelt, wie in dieser Rede. Das it eigentlich ihr Fortbariter Inhalt,weil, er sich zu einer internationalen Friedensbürgschaft auszugestalten vermag. Er betonte sofort, daß Deutschland seine SSlottenrüstungen nur nach seinen eigenen Interessen, nur zum Chute seiner eigenen Sicherheit vornehme und vorzunehmen habe, und daß ihm das niemand verübeln, daß das niemand mißdeuten dürfe, am allerwenigsten England, das aus den gleichen, nationalen Pflichten entspringenden Berweggründen ebenso Handle - und stets - so handeln "werde. Diesen Standpunkt nahm Asquith ein gegenüber der Motion des Iren Dillon, der mit wunderlicher Rücksichtnahme auf Deutschland einen Abstrich von zwei Milionen forderte, und dem Rumoren des alten, brummigen Seebären Lord Beresford, der eine englische lotte "folchen Ausmaßes für unbedingt notwendig” hält: „Daß die ganze Welt einsehen müsse, es sei nublos, mit England zu wetteifern‘. Darum könnte keinerlei Hebelwellen gegen Deutschlands : lebhafte Flottenvorführungen sich regen, die aber von England ebenso in Anbetracht gezogen werden müssen, wie wenn: Frankreich solche Vorkehrungen teufe, das, doch gewiß‘ mit: England Die aufrichtigste Freundschaft unterhalte. Von: Frankreich würde sie also England unter solchen Umständen gewiß nicht bedroht erachten, so wenig als das geringste Anzeichen Daft Spricht, daß Deutschland an einen Bedrohungsaft denke. Diese Inbetrachtnahme finde demnach nur darum statt, weil England umsichtig, die, eigerie, Stärke zu bemessen habe. Wobei freilich Asquith mit dem Geständnis nicht herausrücre, daß, was " die Slotte "betrifft, der » Zivei- Mäde-Standard den nationalen Glaubensartikel nahezu eines jeden Engländer« bilde. "Aber "Dieses Geständnis»ist ja völlig überflüssig; es war symbolisch genugsam gegeben mit den nicht lange verborgen gehaltenen Unterhandlungen mit Deutschland, durch die England sich die Kosten seines relativen Machtverhältnises billiger zu machen " suchte. Die seinerzeit «vom Fürsten Bülow und dem deutschen Marinestaatssekretär Tirpich gegebene Erwiderung, daß Deutschland niemandem zu Schaden und nur den eigenen Bedürfnissen entsprechend seine Flotte ausbaue, wird von Asquith mit voller Unbefangenheit gewürdigt. Und gebilligt, "weil England sich doch von denselben Gesichtspunkten leiten lassen müsse. "Deutschland sei eben eine große Kolonialmacht geworden und bedürfe zum sicheren Bestehe mit seinen überseeischen Gebieten und zu deren Ehuß, ganz ,so wie England zu dem gleichen Zwecke, einen ausreichenden Flotte: » Das Maß für, das ausreichende Lam fi aber, seine» Macht von einer andern vorschreiben lassen. Das ist freilich nur die selbstverständliche Anerkennung der Gleichberechtigung, : aber : begleitet ‘von echtem Wohlwollen. Es sind das eben nicht dieselben Anschauungen :und Empfindungen, mit denen man in früheren Jahren von den englischen »N Regierungsbäinken aus die Ausgestaltung des deutschem Flottenprogramms beurteilte und sentgegennahm. Die Tätigkeit des deutschen Reichsmarineamtes wurde in » Verbindung ı mit den wirtschaftlichen Bestrebungen der englischen Schußzöllner gebracht, die Deutschlands jähen ökonymischen Aufstieg nur mit Mißbehagen und, sogar mit Aengstlichkeit betrachteten. Jede Bereicherung Deutschlands an maritimen Verzehrsmitteln, zumal an Kriegsfahrzeugen, wurde als ein Anzeichen künftiger materieller Beeinträchtigung Englands und damit als ein an England in feindseligem Sinne begangenes Unrecht angesehen.. Nun anerkennt, Azquith, daß Deutschland nicht mehr tue, als was in voller Oeffentlichkeit der deutsche Reichstag für die Flotte zu tun als unausweichlich ‚beschlosen ‚hat, daß also nichts mehr geschieht, als die Durchführung des längst bekannten Flottenprogramms. Und da nimmt er auch, man muß sagen, mit vielem Takt die schon auf Stapel liegenden ‚oder exit noch zu beschliekenden . Dreadnoughts. der an‚deren ‚Dreibundstaaten in Rechnung, wobei er, um den sicheren Kalkül für Englands Schiffsbauten zu finden, von den freundschaftlichen Gefühlen dieser Staaten für England ganz absieht. Mit vollem Recht, nur gilt das aber auch für diese Staaten, die bei aller Freude an den bestmöglichen Beziehungen zu England sid doc in erster Linie von den eigenen Bedürfnissen und Interessen rettem lassen. Am allerwenigsten aber, wofür : weder in der Vergangenheit noch in der , Gegenwart ‘irgend ein Grund vorliegt: von einer Animosität gegen England. Er findet auch die einzig zutreffende Deutung. dafür, daß Deutschland den Ausbau der Kriegsflotte beschleunigt. Die Barzeit für ein ‚Schiff habe, sich eben; mit der Vervollkommenung der Technik erheblich vermindert, und das wichtigste sei, daß über dieses Schiffbauprogramm hinaus in Deutsschland nicht, gegangen wird. Diese Gewißheit habe er, aber auch, die, daß. Deutschland den Umfang desselben nicht vermindern werde., Die englische Regierung hat dementsprechend ihre Vorkehrungen getroffen, und in dem für den deutschen Flottenbau bestimmten Wirtschlußjahr wird Engeland mit derselben , großen Mebermacht , an Kriegsfahrzeugen aller Art, zumal an Dreadnoughts dastehen, wie früher. Rsquith hat der Hoffnung Worte verliehen, daß, man „auf den Gipfel der Welle gelangt sei, daß sich von jenem Jahr ab vielleicht doch Vereinbarungen über Die Verminderung der Ausrüstungen treffen lassen, denn jeder Dreadnought verschiebt: ein 'dringendes soziales ‚Reformwerk, die in Fülle dem Bolte zu spenden Deutschland wie England, ja alle Kulturstaaten in gleicher Weise ss zu befleißen hätten. ». Mit diesen Ausführungen hat Asquith auch die Unionisten auf seine Seite gebracht,deren frühere Begehrheu er im Flottenbudget möglichst zu befriedigen gesucht hat. Diese Begehrens waren freilich auch darum gestellt,swgil.1iei der Regierung»die.mit,einer kostspieligen Wohlfahrtgesekgebung vor die Wählerhjntrast,Verlegenheiten,berreiten sollten.,Soweitgehende Sozialreformenz wie es Alters und Invaliditätsversorgung der«Arbeiter sind,.Und das neben auch eine so umfassende Schiffsbautätig skeittzdar hielt die Opposition finanziell für uner einbein Auf"dereinerkoder,der"anderen Seite sollte das Kabinett Asquith Fiasso machen, bevor. .noch die öffentliche ‚Meinung und die, Parlamentsparteien zur Dberhausfrage ‘entschieden Stellung genommen haben. Aber das Kabinett hat das finanzielle Wunderwerk vollbracht, hat einen sehr ‚guten Staatsvoranschlag vorgelegt, und noch einen besseren in Aussicht gestellt, wenn England die bestehende . Handels= Konjunktur und der, Freihandel erhalten bleibt. Nach innen, ist also, das Kabinett Asquith vorläufig wenigstens sieg«haft geblieben; fein . Premier aber hat mit seiner lechten Rede auch die Stimmung vorbereitet, aus, der in Tagen des Ständigen, Schiedsgerichtes und der fid. erweiternden Geltung internationaler Rechtsvereinbarungen fid. zum Segen und zum Fortschritt der Völker auf die Rüstungsfragen nicht lange mehr so stadelig und so unlösbar einweisen werden. So ganz aussichslos ist folgen Idealismus für die Kulturnationen) nicht mehr.»» | W - Feuilleton, Saisonschlaf,. Bon Dr. Ludivig YI. Abels. Und in diesem Rummel macht so eine Jahresausstellung den Gesamteindruck einer bedeutenden Leistung.. Wien, 183. 3ult. € s fcheint, daß hier, die, bildende Kunst von allen Saktoren des öffentlichen, Leben, die stärkste Ausdauer hat. Alles, andere ist seit zwei Wochen, tot, die Theater haben ausgespielt, die Schulen sind geschlossen, das Parlament it verabschiedet. Nur die Künstler machen noch von fr reden. Die Schulausstellung in Der Akademie der bildenden Künste, die heute eröffnet worden ist, wird immer von Hunderten Interessenten besucht. Es ist recht amüsant, Dieses, in Zimmern und Korridoren fuh d Drängende Publikum zu betrachten. Die jungen Herren ‚Aussteller, von denen der größere Zeil in den zerstrobelten Skluren und der saloppen Kleidung der Genies herumläuft und nur ein kleiner MBrozentral sich allernt oder unter Eleganz befleidigt, spielen die Führer und demonstrieren ihren Eltern, Geschwistern, Freunden oder gar einem Mäcenas die Bedeutung ihrer Leistungen. Recht, zahlreich sind all die Modelle, besonders die weiblichen, die bei solchen Anlässen mit Muke und Stolz die Resultate ihrer oft recht anstrengenden Tätigkeit betrachten können. Weiter sieht man eine Menge Halbwüchsiger, Burkheit, und Mädel, mit verlegenen Gesichtern sich vorbeibrüden; man merkt ihnen an, daß ihr Interesse ‚mehr am Sachlühen' als am Künstlerischen haftet, und daß besonders die vielen Artstudien in Kohle, Del und Gips ihnen die Akademie als eine Art Oratispanoptifum erscheinen lassen. Endlich findet man in der Menge ein paar Kritiker, Professoren und SKriftfreunde, besonders jene sparsamen Mäzene, die gern Meisterkverse (oder Werke künftiger Meister) um zehn bis zwanzig Kronen erwerben. Hinein kommt man mit der ‚sicheren Ueberzeugung, das die Akademie nichts taugt, daß alle Einrichtungen veraltet sind, daß nicht nur die schlechten Künstler unter den Lehrkräften, sondern auch die berühmteren Professoren infolge der oft erörterten Weberstände. Kaum das größte Genie zu einer wertvollen Leistung heranziehen können, geschweige denn . jene Masfe: unfähiger, oder, indolenter, von den Nimbus, des Stüntlertitels verlobter Jünglinge. Dann aber, inmitten: all der aufgeregten Gestalten, der ambitiösen Kunstjünger und der besorgten Mütter, schraubt man unwillfürlich den Maßstab immer weiter hinunter, man findet dort Phantasie, da Sinn für Farbenwerte, hier ernstes Studium der Natur, dort schalkhafte Einfälle, freilich, wenn man an Bari denkt — ! An die verschiedenen Schulen, der Academie Julian, wo die jungen Leute mit der Tapferkeit vordringender Soldaten der ‚Natur can Den, Leib rüden, ihre fühn die Geheimhilfe entreißen, zu Methode, Programmen, Eigenart vordringen, so daß man die Zukunft aus ‚Ddiesen Jugendarbeiten freudig heraustreten sieht; und wo erst der" Beruf, Der Erwerbskampf, die Geschmahlosigkeit des Publikums, des Auftraggebers, aus den jungen Feuerköpfen Salonmaler mahlt — Oder wenn man an Die Wirksamkeit der Meisterschulen in den früheren großen Epochen der Kunst denkt, dann wünschte man sehnlichht ein großes, großes Autodafe, Brände, die Hoch hinauf zum Himmel schlagen, die Leindwandfegen emporwirbeln und den ganzen Plunder vernichten ! — Der Gedanke, daß alle diese Unfähigkeitszeugnisse oder Entichdhungsiertümer pietätvoll aufgehoben, vielleicht sogar verkauft werden, Daß an drei’ Diübend Akademien ähnliche Resultates entstehen, und daß Diese wertlosen Bestände einst dem vielleicht wirklich Bedeutenden Luft und Licht vorweg nehmen, dieser Gedanke ist geradezu grauenhaft. Rechnet man hinzu, "was die Leute in Auktionen und bei Trödfern sich unter dem Borsvand der Billigkeit anhängen allen, dannı kommt man zu dem Schluß, daß, statt des „Vereins zur Erhaltung von Kunstdenkmalen" (oder neben demselben) ein „Verein zur Bet nichtung schlechter, Galeriebilder und wertlosen Kungerümpeln“ «gebildet werden müßte !*). Doch zurück zur Akademieausstellung.Neben Schuler wie die des Professors Griepenkerl,in denen nur veraltete und unbrauchbar gewordene Rezepte gelehrt werden(,,Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an!·«),z zeigen einzelne«Spezialschule11,wie die von Professor Lefler,Rumpler,Delug,Pochwalski,Schmutzer,dch auch kräftige Ansätze.Ich meine damit nicht die häufign Nachahmungen stilisierender Künstler wie Toorop oder Klimt,sondern wirklich ehrliche,eigenartig gesehene Arbeiten.Da ist bei Lefler zum Beispiel ein Schüler,dessen Name iich mit notierbalem Kolig.»Akte auf grünem,« hellblauem,rötlichem Hintergrund,besonders ein,famos studiertes sitzendes Kind,auch in der Farbe sehr interessant behandelt,zeugen von Begabung des Malers und Klugheit des Lehrers Bei Delug ist eine»Ruhe auf der Flucht««optxfci1ter,edler«Stimmung und»e»in farbig reizvolles Bild,,Judith und Holofernes"zu rühmen.Aber die letzteren sind zu schwere Aufgaben für junge Leute, und sie verleiten deshalb zum Mogele,zum Nachempfinden und Auswendigmacht.Ferdinand Schmutzer,der als Nachfolger William Ungers die gut beleumundete Wiener Radiererschule zulelbst hat,verlangt von seinen Leuten auch Malerarbeit;und gerade da,wo das Malen nur Nebenberuf und Mittel zum Zweck ist,gibt es viele versprechende Anfänge:von Stößel ein paar Kinder im flutenden Seitenlicht,gegenüber eine Gruppe von Auswanderern am Strande,die Figuren deutlich von Hodler beeinflußt, von geradezu architektonischem Aufbau. Von den übrigen Klassen.. hat in früheren Jahren die ‚Architekturschule des Oberbaurates Wagner so lebhaft interessiert, daß man lange Zeit eigene Purblisationen in Mappen herausgab, die auch im Auslande stark gekauft wurden. Es war das die Zeit, als Sofef Olbrich, Leopold Bauer, Otto Schönthal, Sofef PBleenit noch tudierten. -, *)' Der Vorschlag ist ernst gemeint. Anmeldungen von Mitgliedern nimmt der’ Berlasser des Feuilletons mit Freuden entgegen ! _