Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1897. Oktober (Jahrgang 24, nr. 7234-7260)

1897-10-01 / nr. 7234

Seite 1024 Hermannstadt, Freitag Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt. 1. Oktober 1897. torden, Die Ueberlieferungen und Erinnerungen aus „alten, bessern” Tagen sind ja vornehmlich auch mit schuld daran, daß Botich in seiner verbliebenen Bäunerlicheit doch einen vornehmen Anstrich bewahrt hat auch äußerlich. Seine Gaffen sind breit und ausgedehnt, die Häuser treten ansehnlich ge­­mauert an die Straße. Sie machen an die Vorübergehenden mit ihren ges­wölbten Lauben einen gewissen Anspruch auf Beachtung. Holzhäuser sind nur an den Gaffenenden und dan in den Nebengassen zu sehen. Sst es ein Wunder, daß in solcher Umgebung mit solchen Erinnerungen einzelne Familien si wirtschaftlich emporschwangen, ihren Grundbefig doch Heirat und Ankauf vergrößerten und allgemach einer großen Anzahl von seinen Wirten und Armen gegenüberstanden. Diese Wandlung aber hat in mehrfacher Beziehung in Votfch recht schädlich gewirkt. Sie hat die Masse des Volkes allzusehr in die Gefolgschaft der wenigen Familien gebracht. Und da diese oft ein Amt nicht gemäß ihrer vorzüglichen Eigenschaften, sondern mehr aus Nachsichten der Leberlieferung überfamen, so blieb ein gut Teil kräftiger Botscher Lebensfrü­che gelähmt. Aur diesem Umstande schreibe ich­ zu, wenn so oft von früherer Gleichgiltigkeit im öffentlichen Leben in Botsch Erwähnung geschieht. Natürlich! Die oft nur aus Ehrsucht und Ueberlieferung an den Bügeln Stehenden waren bei ihrer sonstigen Behäbigkeit weniger thatkräftig, die Thatkräftigen hatten auf die Zügel wenig Einfluß. Aus­­ diesem Verhältnis konnte nur Gleichgiltigkeit reimen und mahnen. Aber je entschiedener die Gleichgiltigkeit zur Herrschaft kam, desto näher Fam Botih der Umwandlung zum Befjein. Die Not des Lebens, doch solche Zustände keineswegs verbannt, wuchs, denn die neue Zeit brachte neue Bedürfnisse, neue Pflichten, neue Abgaben, ohne zunächst neue Erwerbsquellen zu erschließen. Das Volk in Yotih, Hof und Nieder, fam in Unbehagen, und e83 war eine rettende That, daß man zur Dreifelder- Wirtschaft Überging. Das geschah vor wenigen Jahren und damit war der tote Punkt überwunden; Botth ging fortan bessern Zeiten entgegen. Die Dreifelder-Wirtschaft bedingte nun sofort mehr Arbeit und damit mehr Auf­­fit und Umsicht. Der Botiher mußte einen Teil der Mußestunden aufgeben und konnte nun auf der ungleich Heiner gewordenen Weide nicht mehr so uns gemessene Rast halten. Solches aber hat in Botih Ion merklich mehr Betriebsarkeit hervor­­gerufen. Dies war nur die Mittelstufe, darauf blieb man nicht stehen. Den großen Vorteil für Haus und Gemeinde, mehr Feldgrund unter fleißigen Händen zu wissen, hatte man kennen gelernt und diejenigen, die recht vielen Grund oder gut zureichenden Grund besaßen, erkannten zum großen Teile rasch, daß die volltändige Zusammenlegung dieses Grundes zu einem Relik­­tume ein bedeutsamer Vorteil für dessen Ausnübung und Ueberwachung sein werde. Vordenkende Männer scritten mit Entfriedenheit zur Kommafjation. Wir wissen angesichts derselben freilich nicht, was und die Zukunft verbirgt; aber man darf Hoffen, daß Botich zu neuer Blüte erwachen wird, und zwar wird diese neue Blüte mit dem Erstarken des kleinen Mannes beginnen. Die Zusammenlegung der oft minzigen, zerbiffelten Feldfuüde (Botich hatte bei 6633 Zoch geteilt gewesenen Besites 19.248 Parzellen) zu abgeschlossenem Heinen Befigtum entfacht vornehmlich im armen Besiter und Mittelbauern den Eifer und Drang zur besseren Gestaltung des Befigtums und des Lebens. Jo mehr dies gelingt, desto weiter führt die Arbeit. Damit aber rührt sich die Bequemlichkeit von der Herdstelle und läßt die Entschlossenheit ein. In den großen Wirtschaften vollzieht si derselbe Vorgang, nur nicht so unver­­mittelt wasch, weil dort der Knecht und Arbeiter traditionelles Hofrecht erlangt haben und der unwirtschaftliche Umschwung fürs erste diese zu lebhafterer Thätigkeit drängt. Aber der Wirt muß nach, mag er wollen oder nicht. Er bat nun mehr um ss zu bilden, Hat mehr zu denken, anzuordnen, herbeizus­chaffen; in dringenden Fällen, die nun alljährlich und häufiger wiederkehren, muß er auch rüstig in die R­eihen der Arbeiter treten, sonst geht er nicht recht vorwärts. Das erregt und bewegt und ehe ein Jahrzehnt vergeht, spürt man in Botsch an allen Eden und Enden das Anbrechen der neuen Zeit. Die alte Bedeutung wird Botjch nie wieder erobern, dazu ist es zu sehr abseits gelegen und vielleicht auch zu sehr irre gegangen, aber es wird eine innere Bedeutung auch für und alle erreichen künnen. E3 Tann mit feinem ansehnligen Besiß werden ein fähsischer Ort mit einer Bauernschaft, die zum erhärteten fähhsiichen Bewußtsein num die fleißige Arbeit gesellt und damit fi selbst erweitet vor dem minden Einschlummern im Gleichmut gegenüber vielen Fragen des Lebens, der inneren Gemeinschaft und des Bollstums. In Botih liegt viel Kraft geborgen, wirtschaftliche Kraft und In­­telligenz, und es ist eine Freude, nun hoffen zu dürfen, daß diese guten Geister im altehrwürdigen Dcte regsam werden und wieder zur rechten Ent­­faltung gedeihen sollen. Gelernt hat Botich ja wohl auch viel in den Tagen sich selbst überlassener Ruhe; nun möge er hervortreten in Arbeit und Eifer und werden ein stolzes Be­ichtum unseres Volkes. Er ist ganz seltsam und regt zu den traurigsten Gedanken an, wenn tci­ sehen müssen, wie im ungestörten Behagen viele und bedeutsame Dörfer unseres Gebietes in ihrer Willenskraft, im frischen Lebensmut gefunden sind und finden und dadurch Raum geben der bösen Gleichgiltigkeit auch in Heiligsten Dingen unseres Volkes. Wird dieser einschleichende Feind in unserem Volkstum zu bannen sein?! Wird die einzige Waffe, die Gott dem Menschen zur diesen Feindes Vernichtung gab — der zähe Arbeitreifer, der sich zur Thatkraft steigert und Pflichten gebiert, unserem Volle noch zur Hand liegen? Za! ich glaube daran! Es ist ein wundersam Wort das Sprichwort: Not lehrt beten ! Da, die Not wird aus Gemächlichkeit Behendigkeit, aus Gleichgiltigkeit Pflicht­­gefühl, aus Stumpfsinn Enttloffenheit schaffen. Die Not wird uns Schaffen lehren und das Wort zu jener Ehre emporführen, die es einst in seiner Jugendfraft si errungen Halte, Seit die Welt steht, Hat der Völker Not nur bannen können die That und nur die That kann und m wirb es sein, die auch unser Volk hinanführen wird in geschlosfener Gemeinschaft zu seiner Ehre im Vaterland. «­­ Politische Uebersicht. Hermannstadt, 30. September. Die Leitenden Persönlichkeiten der Nationalpartei haben in der Frage, ob die Delegationen vor Feststellung der Quote ihre Thätigkeit aufnehmen können oder nicht, in ausführlicher Weise ihre Ans­eit dahin ausgesprochen, man könne in die Verhandlungen des nächstjährigen gemeinsamen Budgets eingehen, ohne daß die Duote fon jecht festgestellt wäre, € 3 sei jedoch selbstverständlich, daß das definitive Schiefal, wie auch die endgültige Erledigung der Delegationsverhandlungen davon abhänge, ob das Ausgleichsprovisorium in den beiden Staaten der Monarchie bis Ende Dezember perfekt werde. Dasselbe gelte aus vom uotenprovisorium, denn wenn dasselbe nicht zu­stande komme, dann würde eine ganz neue Situation entstehen, im welcher selbst die staatsrechtlich diskutierten Fragen der Delega­­tionsverhandlungen und Delegationsbeschlüsse ihren Wert und ihre Aktualität ganz einbüßen würden, weil angesichts der dergestalt entstandenen neuen Situation viel größere Fragen von prinzipieller Bedeutung auftauchen würden und mit diesen müßte sich die Legislative befassen und über dieselben ent­­scheiden. „Magyarorkag” nimmt gegen den Standpunkt der Nationalpartei Stellung und führt aus, daß die Berufung auf die einschlägigen Gefege, speziell über die Delegationen und den Oisupationskredit den Standpunkt der Unab­­hängigkeitspartei noch befestige. Das „Neue Pester Journal“ erhält über die parlamentarische Lage in Ungarn aus Abgeordnetenkreisen u. a. folgende bemerkenswerten Ausführungen : „Wie auf ein Zauberwort hat fi mit einem Male die politische und parlamentarische Lage verändert. Das ganze innere Leben Ungarns steht unter dem Einflusse des Besuches und der Worte des deutschen Kaisers, sowie der hochherzigen Entschließung unseres Monarchen. Es sind erst einige Wochen seit der nach den Heftigsten Kämpfen erfolgten Befragung des Parlaments vertroffen. Damals sprachen alle Anzeichen dafür, daß die Fehde — wenn auch in anderer Form — im Herbste wieder ausbrechen werde. Sogar die der Regierung am nächsten stehenden Politiker, ja selbst die Mitglieder des Kabinett mit dem Baron Banffy an der Spike waren auf heiße parlamen­­tarische Kämpfe vorbereitet; die Herbst- und Wintersession des Reichstages versprach eine der stürmischesten zu werden. Der Krankheitsstoff, welcher die Uebel unseres­ Parlamentarismus und unseres öffentlichen‘ Lebens nährte, war vorhanden geblieben. Die Gehässigkeit und Leidenschaftlichkeit, die ihren An­­sturm auf das Kabinet Banffy und insbesondere auf­ den Ministerpräsidenten selbst richtete, hielt den Sommer über bloß einen Waffenstillstand, nach welchem nur ein noch heftigerer Kampf zu ge­wärtigen war. Andererseit wurden neue Ursachen zu Konflikten durch die österreichischen Verhältnisse geboten; in erster Reihe waren es staatsrechtliche Fragen, aus welchen man parlamentarische Gewitterstürme prophezeien durfte. Und siehe da, in einigen Tagen vollzog sich eine totale Umgestaltung der Lage; urpröglich wurden der Nebel innerer Howistigkeiten duch die aus der Hauptstadt ausströmenden­ Lichtstrahlen zerstreut und fast alle Faktoren der Verwirrung erlahmten infolge des Effektes der großen Ereignisse. Draußen in der Provinz ist der Einfluß und die praktische Wirkung der mächtigen Thatsachen vielleicht noch größer. Mit einem Schlage schien der Konfessionshader zu verstummen und es scheint an, als ob der Rationalitäten- und Rassenantagonismus für ewige Zeiten ausgeglichen wäre.“ Wer nur ein wenig mit den Parteiverhältnissen,vertraut ist, schreibt das „Neue Pester Souenal” an anderer Stelle, vermag, mit voller Gewißheit herauszusagen, daß es nicht so bald zu heftigen parlamentarischen Zusammen­­stößen kommen dürfte Der ganze mit Ex­plosion drohende Zündstoff ist aus der Parlamentsarena entfernt worden, und voraussichtlich werden auch die hellen Fragen unter verhältnismäßig geringer Aufregung der Parlamentarier ihre Erledigung finden. Wie wir früher fon mitgeteilt haben, haben vorgestern die jung­­tigeriischen Vertrauensmänner in Prag eine Versammlung abgehalten, für melche diesmal der pompöse Titel „Kongreß“ gewählt worden war. Das Präsidium der Versammlung, in welcher 167 B Vertrauensmänner und 62 Landtags und Reichsrats-Abgeordnete beimohnten, hat über dieselbe einen offiziellen Bericht ausgegeben, der, entgegen allen sonstigen jungtschechischen Kundgebungen, recht summarisch gehalten ist. Dafür ist die nach einem Referate Herolds gefaßte Resolution um­so breitspuriger. Wir geben hier gekürzt deren Inhalt wieder: „Die nationale freisinnige Partei beauftragt ihre Abgeordneten, auch in Zukunft mit aller Entschiedenheit die Realisierung der tichechischen Postulate sowahl der staatsrechtlichen und nationalen als der politischen und sozialen anzustreben. Die nationale freisinnige Partei billigt den Beitritt der tschechischen Reichsratsabgeordneten zu dem­­ Verbande der parlamentarischen Parteien­­ der Rechten auf Grund des Programms, das in der von der Ma­jorität akzeptierten Adresse dargelegt ist und billigt auch, daß die Vertreter des tibechischen Volkes solidarisch mit den anderen Parteien der Rechten wirken und vorgehen, insowweit diese entschlossen sind, energisch für die Ver­­twirklichung des gemeinsamen Programms, insbesondere der Forderung nach Landes-Autonomie und nach Durchführung des gleichen Rechtes aller Sprachen im Reiche einzutreten. In Erwägung der gegenwärtigen politiven Situation und mit Rücksicht auf die aggressiven Vorstöße der deutschen Destruktion gegen die Integrität und Einheit des Königreiches Böhmen, sowie gegen die Rechte des tschechischen Volkes und gegen die tiechische nationalen Minoritäten sielt das Landes- Vertrauensmänner-Kollegium den tschechischen Reichsratsabgeordneten die in diesem Kampfe notwendige taktische Freiheit anheim, von dem festen Vertrauen erfüllt, daß die Abgeordneten unter steter Nachsichtnahme zu den Haupt­­forderungen des tsbechischen Programms ihre Vorgehen im Parlament über­­haupt und der gegenwärtigen Regierung gegenüber im besonderen einrichten werden nach dem Interesse des Volkes, vornehmlich jedoch darnach), ob die Regierung des Grafen Badeni dur­chaten ihren Willen zeigen wird, etapen­­weise die tschechischen Forderungen zu erfüllen und ob sie sich nicht entschließen wird, im Geiste der nationalen Gerechtigkeit und der Autonomie der Länder zu regieren.“ Ueber die politische Situation in Oesterreic liegen im Momente seinerlei andere konkreten Nachrichten vor. Bemerkenswert ist eine Heußerung der „Narodni Listy“, welche aus den Stimmen der ungarischen und reichsdeutschen Regierungsblätter zu s­chließen vermeinen, daß weder Ungarn noch Deutschland gegen eine Vehfassungsänderung in Oesterreich etwas ein­­wenden würden. Graf Badeni könne si also nit mehr darauf berufen, daß er auf den deutschen Bundesgenossen Rücksicht nehmen müsse. Er habe daher nach beiden Seiten freie Hand, um die Dezemberverfassung im Geiste des Oktoberdiploms, der Autonomie und der Selbstverwaltung der Historischen Königreiche zu residieren. In Angelegenheit der heutigen Marinevorlage schreibt die „Rationalzeitung“ : Staatssekretär Tirpich hat, als er aus Ostasien eintraf, verschiedene Pläne der Flottenerneuerung vorgefunden, die er wesentlich reduzierte. Nach­­dem Ried in Webereinstimmung mit dem D­berkommando der Marine geschah, segte er sich mit dem Minister v. Miquel in Verbindung und erhielt dessen Zustimmung, sowie die der Reichsverwaltung. Die Grundzüge des Planes gehen über den Stand der Marine Anfangs der sechziger Jahre. Hinter dem wir lebt, vermöge der Verzögerung im Erlabe, wesentlich zurück sind, einiger­­maßen hinaus, da seitdem die Rücksichten auf die Kolonien und eine Steigerung der sonstigen überseeischen Interessen hinzugekommen sind. Das iel bleibt gleichwohl eine reine, aber leistungsfähige Flotte, die vermöge des Materiales und der Ausbildung auch zur See stärkeren Gegnern Reipert einflößen künne. Richtig ist, daß demgemäß für das nächte Etatjaher 50 Millionen, für die folgenden bis zum Jahre 1905 je 60 Millionen verlangt werden sollen. Von den Zahlen der Hellmann’schen Denks­chrift weicht die nur wenig ab. Der Durchschnitt der Verwendung der rechten Jahre ist allerdings nur et­wa 40 Millionen. Die Pforte sol beschlossen haben, nach Annahme des Präliminar­­friedensvertrages seitens Griechenlands zwei Drittel der Operationsarmee in Thessalien und Janina, also etwa 75.000 Mann Rechts, zu verabschieden, während etwa 40.000 Nizams bi auf weiteres noch in Thessalien verbleiben werden. Der Kriegsminister ist bereits mit der Vorbereitung dieser Maßregel beschäftigt. Die mohemedanischen Notabeln von Kreta richteten direkt an die Minister des Aeußern der Großmächte und der Türkei folgende Depeiche: „Unsere Lage wird unhaltbar. Der Winter naht Heran, mir sind 40.000 Familien ohne Lagerstätte, beinahe naht, von allem entblößt und nähren und einzig von Mehl, das die mohamedanische Wohlthätigkeit täglich spendet. Unsere christlichen Landsleute fahren fort, die Olivenhaine zu ver­­brennen, so daß die Insel bald gänzlich abgeholzt sein wird. Troß des Kordong, der ung­ersticht, rauben sie und die wenigen Herden, die uns geblieben sind. Die Saatzeit beginnt im Oktober;­­ wenn wir nicht heimkehren, wie werden wir bis zur nächsten Yussaat leben künnen? Die öffentlige Wohlthätigkeit hat bereits mehr als eine Million gespendet; nichts bürgt uns dafür, daß Nr. 7234 Theaterkritik. Morgen sol wieder einmal das deutsche Theater seinen Einzug halten. Es bildet erfreulicherweise einen so bedeutenden Faktor in unserem gesell­­schaftlichen Leben, interessiert so weite Kreise unserer Stadt und bildet Monate Hindurch einen so häufig aufgesuchten Mittelpunkt der gebildeten Einwohnerschaft Hermannstadts, daß es wohl am Plabe sein dürfte, einmal auch jene Seite und Auge zu fallen, die man gemeinhin mit dem Namen „Theaterkritit“ bezeichnet. Wenn in dieser knappen Skizze an vom Schreiber dieser Zeilen die Rede sein wird, der man seit fast einem Dezennium die Theaterberichterstattung in diesen Blättern besorgt, so bitte­ ich den Leser um Entschuldigung: er ges­­chieht nicht der Berfer zu­liebe, sondern dem Amt, da er vertritt. Der Einwand, daß die schauspielerischen Leistungen in unserem Blatt im allge­meinen zu mild beurteilt werden, ist nämlich in allen Tonarten von Freund und Feind so häufig und energisch gestelt worden, daß der Berichterstatter sehr von sich eingenommen sein müßte, wollte er seine Berechtigung kurzweg von der Hand weisen. E38 ist das wohl ein Lehrer, der jemandem, dem die Brende am Theater eine Art Mante geworden ist, so tief im Wesen Liegt, daß er kaum abzulegen sein wird. Entkräftet wird und sol also dieser Vorwurf seineswegs werden. Viel­­leicht gelingt aber der Versuch, ihn duch Anführung alles dessen abzuschwächen, das nach meiner Ansicht jedem Provinzrezensenten gebieterisch den Wahlspruch zuruft: Fortiter in re, suaviter in modo, Ein gefuilensprüchlein, die man weiß, aber eines der weitesten, die ich kenne, Seder, der ein warmes Herz für die Schaubühne hat und nur etwas Einblick in Theaterverhältnisse besigt, wird da gleich vor allem zugeben müssen, daß die Kleine Provinz von vorneherein mit den größten Schwierigkeiten zu sümpfen hat. Es ist immer von neuem erstaunlich, welche Summe von Arbeit eine solche Gesellchaft im allgemeinen und ihr einzelnes Mitglied im be« sondern zu leisten hat: bei dieser täglichen Hebjagd des stets wechselnden Spielplans, bei den unzureichenden Mitteln und der unbarmherzigen Grenze jede3 kleinen Privattheatern, dem geringen Budget. &3 steht so viel Achtung gebietende, Heiße und intensive Mühe in jeder einzelnen Vorstellung, so viel täglich wiederholte Gedanken- und Nervenarbeit, so viel Eintrag der ganzen Persönlichkeit, daß jener kalte, abweisende Stand» puntt kaum zu verstehen ist, der jeden Fehler nachgerechnet und jedes Ber­­iehen, jede Beträumnis aufgedeckt wissen will.­­­ählt man zu diesen allgemeinen Schwierigkeiten noch die Unmöglichkeit, eine 100 Meilen von der deutschen Kultur, aus dieser selbst zusammen­­­­gestellte Gesellschaft während ein- und derselben Spielzeit zu w­echseln oder einzelne ihrer Mitglieder durch bessere zu erregen, denkt man ferner daran, daß ein fortwährendes Nörgeln an Steinigkeiten den Eifer und die Hingabe der Darsteller nur Herabzufegen statt anzuregen geeignet ist, und giebt man endlich zu, daß ein Direktor in Hermannstadt unmöglich eine durchwegs aus vornehmen Kräften bestehende Truppe führen kann — so ergiebt sich von selbst, daß die auch in anderen Provinzstädten giltige Gepflogenheit, den viel­­zitierten Mantel der christlichen Nächstenliebe stets bereit zu Halten — eine voll berechtigte ist. Ebenso versteht es sich vom selbst — und wir haben das stets so ge­­halten — daß N Rücksichtslosgkeit gegen­ das Publitum, Mangel an Fleiß, Untalent oder Geschmacht­igkeit allemal auf das Schärfste gerügt werden müssen,. Man soll aber niemals den Maßstab der Großstadt an unser Theater und ebenso wenig an seine Beurteilung legen und muß si immer vor Augen Halten, daß bloß maßloser Ehrgeiz, stupender Fleiß und die reiche Konkurrenz es ermöglichen, daß mir troß alledem auch in seinen Städten noch anständiges deutsches Theater genießen. Daß übrigens die „Tageblatt“­­Berichte von seite der Beurteilten seinestwegs als zu mild angesehen werden, braucht wohl nicht erst versichert zu Werden und bei dem ausgeprägten Selbstbemußtsein — Efre den Ausnahmen! — der ausübenden Künstler von den weltbedeutenden Brettern kann dad­an nicht als Einwand unsererseits betrachtet werden. In Uber e3 dürfte Doch zur Beleuchtung der in Frage stehenden Verhält­­nisse dienen, wenn viesichert wird, daß aus den im Laufe der Jahre dem Rezensenten zugeganenen Episteln aus Schauspieler- und Leserkreisen ein wicer und fast durchweg s­ehr interessanter Band zusammengestellt werden könnte, der unsere Berichte keinestiegd als milde bezeichnen würde. Schmeiche­­leien und Drohungen, Grobheiten und erab­ierte Ausrufe wechseln da einander ab und das für den Berichterstatter nicht jeder schmeichelhafte Fazit wü­rde etwa dahin lauten, daß er ein bohafter, intriganter­ Dummkopf sei, der „seinen Dunst vom Theater versteht" und diejenigen’ Schauspieler am meisten lobt, die ihn am freundlichsten grüßen. Ja, wenn er auch nur den Keinsten Teil der­ Prügel wirklich empfangen hätte, die ihm in anonymer Weise für den schnöden Mifbrauch seiner Amtsgewalt angedroht worden sind, er wäre wohl der geschlagenste Mann in Hermannstadt. Bei solchen Schreibe­­briefen liegen jedoch häufig auch eine­ Menge von Rettungsausschnitten — freilich sorgfältig ausgewählt! — die aber meistens beweisen, daß die ge­­frägten Kollegen in Klein-Schwechat, Erseg oder Lugos noch weit nachsichtiger zu urteilen pflege, als der „Zageblatt“referenz. Endlich darf man auch die Tragweite de gedruckten Wortes nicht vergessen. Die Worte des Tadel — und es kann mit gutem Gewissen be­­hauptet werden, daß am ihnen geeigneten Ortes niemald gespart worden it, müssen denn doch anders erwogen und anders gefaßt werden, wenn sie für die Oeffentlicheit bestimmt sind und unter der vollen alleinigen Ver­antwortung des Schreibers hinausgehen, al wenn man feiner­ Ueberzeugung am Biertu­ch oder im Kaffeekränzchen Ausdruck giebt. Da kann man ohne­ weiters feiner Laune, feiner Stimmung oder — wie häufig! — auch bloß feiner Antipathie freie Zügel lassen. Aber der Nezensent darf nicht grob werden, selbst wenn ihm die Nase der Primadonna oder die Grabe des Lieb­­habers nicht gefällt. Und wie verschieden fallen die Urteile je nach Geschmach, Temperament und Bildung aus! Von der Hellsten Begeisterung bs zur tiefsten Verachtung: über dieselbe Leistung, dieselbe Berson, dasselbe Stüd! E38 ist nun ganz unmöglich, daß ss jemandem, der seit 20 Jahren jeder Halbiwegd erreichbaren Th­eaterborstellung beigewohnt und jedes Theater­­buch, das ihm untergenommen, gelesen hat — es ist unmöglich, daß sich ihm nit — ganz ohne sein Verdienst — eine Menge Erfahrungen aufgedrängt und zu einem System verdichtet haben, die ihm über Schauspielerleistungen mit größerer Sicherheit ein allgemein giltiges Urteil erlauben dürften, als dem Theaterbesucher aus Plaifir, der dort bloß Verstreuung oder Anregung sucht und si meiter um nichts zu kümmern braucht. Das wird aber häufig nicht beachtet und der Referent hat oftmals von Leuten, die dom Theaterspielen so viel verstehen, wie ich vom Geiltanzen, stundenlange Belehrungen erhalten, wie er eigentlich über den und jenen hätte schreiben müsen, wenn er Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen wollte. Die verblüffende Naivetät, die in solchen Ratschlägen liegt, kan aber wieder nur der vollends beurteilen, dem sie so massenhaft und so­­ unendlich widersprechend erteilt werden, wie eben, wieder dem Nezensenten, mit dem jeder vom Theater sprechen zu müssen meint. Wollte er also — was er selbstverständlich niemals kann no will — den Versuch machen, auf den Grund solcher Meinungsverschiedenheiten eine Theaterbesprechung aufzubauen, so käme ein ungenießbares, stilloses Konglo­­merat von Widersprüchen heraus, wie allemal, wenn sich viele Höhe an dieselbe Suppe machen. Man möge also geneigtest bedenken, daß Geschmach und Ansichten auch in Theaterfahen ehr verschieden sind, daß aber ein Rezensent fi bloß nach einem einzigen Maßstab für seine Neferate richten fan: dem seiner eigenen Weberzeugung. 2),

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