Der Nachbar, 1909 (Jahrgang 61, nr. 1-52)

1909-01-24 / nr. 4

Zum 3. Sonntag nach Spiphanias. Joh. 4, 14. Wer des Wassers trinken wird, das 34 ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürften, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillet, heißer Mittagsstunde ist der Herr Jesus, müde von seiner Wanderung, am Jakobsbrunnen. Da­­S kommt zu demselben Brunnen ein samaritisches Weib, Wasser zu schöpfen. Alsbald hält den Herrn weder seine Mündigkeit, noch die Rücksicht darauf, daß Juden und Samariter keine Gemeinschaft miteinander haben, davon zurück, mit der Samariterin jenes wunderbare Ge­­sprächh zu führen, welches anhebt mit der einfachen Bitte: Gib mir zu trinken — und hinan führt zu der Verkündigung der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit. In diesem Gespräch gibt der Herr die Verheißung, die wir jehr betrachten wollen, um auch an diesem Sonntag uns­ter Herrlichkeit des Herrn zu erfreuen; wir fragen aber: Wem gilt sie? und was verspricht sie? Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott­ heißt es in den Psalmen. Was Dürsten heißt, das weiß man in dem besonders zur beigen Sommerzeit marter­­armen Norgenlande noch viel besser als bet­rif­­ft vom Dürsten der Seele die Rede, so bezeichnet es ein Verlangen, das, wenn es nicht gestillt wird, zum Berich machten wird. Meine Seele dürstet — das heißt: meine Seele verlangt so sehnlich, daß sie fühlt, daß es sich für sie um Tod und Leben handelt. So dürstet sie nach Gott, und zwar nicht nach allerlei Lehren von Gott, sondern nach seiner lebendigen Offenbarung, weshalb es in jenem Palm auch weiter heißt: Wann werde ich dahin kommen, sag ich sein Ant­­li schaue? Solch einen Durst nach dem lebendigen Gott sollen wir alle in uns fühlen, denn unsere Seele ist Gottes bedürftig, wie ein frommer Weiser gesagt hat: Du, Gott, hast uns zu dir geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es ausruht in dir. Aber wie viele versuchen, den Durst ihrer Seele mit dem zu löschen, was nicht taugt, und führen damit ihren geistlichen Tod herbei, ohne Bild geredet: sie betäuben ihr Verlangen nach Gott durch den Genuß der Güter und Freuden dieser Welt, bis sie Gottes vergessen und damit das wahrhaftige Leben verloren haben. Sejus ist gekommen, zuerst um das Gefühl des Durstes wieder in den Menschen zu wecken, das Verlangen, das durch nichts anderes gestillt werden kann, als durch die Gemeinschaft mit Gott, wer­­ aber sein innerstes Bedürfnis erkannt hat,­ dem bietet er sich dar, es zu stillen, wie er spricht: 34 bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen. Gestehe dir darum ein, Lieber Christ, daß du ohne Streben bist, so lange du nicht in Gott deinen Bater er­­kennst, und daß du Gott nicht zum Bater haben ,kannst ohne seinen eingebornen Sohn. An ihn von Herzen glauben und daher sein Wort so in sich aufnehmen, mie einer, der vor Durst lechzt, das reine kühle Duellmaster in sich aufnimmt, daß sein Thon verschmachtender Körper wieder kräftig wird, wie die verdorrende Flur frisch wird nach erquickendem Regen, das heißt trinken von dem Wasser des Lebens, das Tefus darbietet; wer von diesem Wasser trinkt, dem gilt die V­erheiung, die der Herr hier gibt. Sonntag, an 1909 115 \

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