Kirchliche Blätter, 1900. Mai -1901. April (Jahrgang 5, nr. 1-52)

1900-05-02 / nr. 1

— 3 ER gering würde, daß er nicht mehr in die Wagschule Fiele. Nachdem die Mittelschullehrer fast ausnahmslos auch Theo­­­logen sind, die formell auch für die Pfarrei qualifiziert sind und durch jene formelle Qualifikation, die sie sich erwerben, der Kirche ein Anrecht geben, auch in der zweiten Eigenschaft auf sie rechnen zu dürfen, so dürfte der Nicht­­übergang ins Pfarramt nicht die Regel, sondern die Aus­­nahme sein. Jeder, der den Schritt von der Schule zur Kirche thut, tut ihn im Interesse des Ganzen und dient diesem. Er sei hiebei gestattet, an das ernste Wort zu er­­innern, das Bischof Teutsch bei Eröffnung der 14. Lander­­­kirchenversammlung 1891 sprach: „Eine neutaufsteigende dunkle Wolke bedroht unser Pfarramt mit schwererer Schä­­digung. In dem Organismus unserer Kirche bildet bekanntlich von jeher einen Grund- und Ecstein ihre innere Verbindung mit der Schule, die darin mit ihren tiefsten Ausdruck findet, daß das Pfarramt derselben in erster Reihe auf dem­­ Lehramt der Mittelschule sich ergänzt, dessen Träger eben darum nach den Bestimmungen der Kirchenverfassung für diesen Doppelberuf sich vorzubilden haben. &3 ist gewiß ein­prechendes Zeugnis des tiefen innern Zusammenhangs beider Berufe auf dem Boden des evangelischen K­irchen­­tums, daß nach der Erfahrung unserer Kirche seit der Reformation in der Regel ihre besten Mittelschullehrer ihre besten Pfarrer geworden und ihre besten, Pfarrer einst ihre besten Meittelschullehrer­ gewesen. „Aber jenes Gemeinschaftsbewußtsein, das lange Wien­­schenalter hindurch die fruchtbare Wurzel jener Verbindung gewesen, scheint in der jüngsten Zeit auf der einen Seite an Snnigkeit und Stärke zu verlieren. Es sind Zeichen da, daß ein gegen Kirche und geistliches Amt immer gleich­­gültigerer Individualismus in Meittelschullehrerkreisen nach Geltung singt, der wohl die Wohlthaten des Doppelbe­­rufes gerne genießt, doch nicht bloß der­ Leßten Pflicht, die er damit übernommen, sondern selbst den ersten, früher für eine Ehre gehaltenen Anforderungen desselben gegen­­über sich falt und ablehnend verhält. Wenn dieses Prinzip sich durchlegte, so drohte daraus untrerm kirchlichen und Kulturleben eine doppelte Gefahr: es künfte geschehen, daß die Lehrerkollegien unserer Meittelschulen in Gefahr kämen, sie in müde Veteranenkolonien zu verwandeln, so daß sie zeitweilig an einer Zahl von überlebten Kräften und an einem Mangel von frischem, jugendlichen, auf der Höhe der Wissenschaft stehendem Erlag schwer litten, — dann, daß eine Anzahl von Pfarrstellen sich jener tüchtigen Be­­wegung nicht mehr erfreuen konnte, durch die diesen bisher Heil widerfahren. In rebter Folge träte dann die Not­­wendigkeit einer Änderung jenes Organismus in der Ver­­fassung unserer Kirche ein, die dadurch grausam vor eine neue — niemand kann sich das verhehlen — außerordentlich schwer zu lösende Lebensfrage gestellt würde. Alle Ein­­sichtigen und Treuen unserer Kirche werden wohl thun, diese dunkeln Punkte in der gegenwärtigen Entwicklung derselben ernst ins Auge zu fassen, und rechtzeitig auf eine, den Bedingungen ihres Bestandes, ihrem innern Frieden und all’ ihren Kulturaufgaben entprechende Heilung vorzudenken, damit uns nicht, vielleicht zu spät, der schmerz­­liche Vorwurf des Propheten treffe: Perditio tua tu Israel !“ Aber wir haben nicht nur Mangel an akademischen Pfarramtskandidaten, sondern sehen auch einen verringerten Zuflug an Kandidaten des Wehr- und Pfarramts über­­haupt. Das ist vielleicht nicht so auffallend, als es auf den ersten Blick scheint, wenn erwogen wird, daß auch in andern Berufsarten über Mangel geklagt wird. Iun der Armee braucht man an 4000 neue Offiziere und erleichtert den Zufluß, unter den Juristen haben wir nicht Überfluß, ländliche Ärzte — evang. und sächliche — fehlen mehr als uns gut ist. Und doch ist es nicht ganz erklärlich, was den Zufluß der Studierenden für das akademische Schul- und Pfarramt geringer gemacht hat. Es ist doc eine auffallende Erscheinung, daß von den 245 sächsischen Hochschul-Studenten neben 60 Juristen, 53 Mediziner, 38 Techniker und ebensoviele Theologen sind! Die Be­­deutung des Lehr- und Pfarramtes, seine innere Hoheit und Schönheit ist nicht geringer geworden. Es ist ja eine abgewäste Phrase geworden, daß Schule und Kirche für uns größere Bedeutung habe als sonstwo; daraus folgt doch, daß wir Lehrer und Pfarrer noch nötiger haben als andere. Das it doch gewiß genug an idealem Beiweggrund, um befähigte Abiturienten auf diesen Weg zu ziehen. Auch ein anderes künnte mit ins Gewicht fallen: es giebt für seinen Beruf so viele Unterfragungen (Stipendien u. S. f.) wie für diesen! Und was die innere Befriedigung anbe­­langt, so ist sie nirgends schöner, nirgends mehr zu finden als in diesem Beruf, wenn auch von ihm natürlich der alte Berg gilt: ein jeder Stand hat feinen Frieden, ein jeder Stand hat feine Last; freilich auch der andere, der dazu gehört: genieße was dir Gott beschieden, entbehre gern, was du nicht Haft! Und wenn hie und da behauptet wird, daß das Entbehren gerade in diesem Stande ein größeres sei als sonstwo, daß die Anforderungen an Opferbereit­­schaft und Entsagen größer seien als in andern Ständen, so muß dem widersprochen werden. Kein idealer Beruf ist ohne solche Anforderungen denkbar, und sie sind hier — bei Lehrer und Pfarrer — nicht größer als sonst. Wenn unsere Lehrergehalte mit den staatlichen verglichen werden, so darf nicht übersehen werden: jene überragen die unfren zum Teil — wenigstens für den Anfang — nur auf dem Papier. Denn jahrelang wird der staatliche Lehrer als Supplent verwendet mit niederem Gehalt, und Die Sicherheit unsrer L­ehrer, nicht willkürlich verseßt werden zu künnen und unter den Wolfsgenossen zu leben, darf auch­ nicht gering angeschlagen werden. Eins ist sicher: mit dem Einkommen jener Stände, die seine feten Gehalte haben und bei denen der Erwerb bald unverhältnismäßig groß, bald ärmlich sein kann, — z. B. Advokaten, Ärzte — kann fi unter Lehrer und Pfarrer nicht messen, aber 7 *

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