Neues Pester Journal, Februar 1877 (Jahrgang 6, nr. 32-59)
1877-02-26 / nr. 57
täglich, auch an Montagen. © . Abonnement: Ganzi. fl. 14, halbi. fl. 7, viertelj. fl. 3.50, monatlich fl. 120. Das „Neue Reiter Journal" erscheint Redaktion Montag, den 26. Tebruat. und Adininiftration: Leopoldft. Kirdenplat Nr. 2. Ginzelne Nummern 4 In Iuferatend anfliegendem arif, ster Journal, Budapefi, 25, Februar, Das Schwergewicht der Situation siegt heute unstreitig in den Entschließungen der österreichischen Minister und die Stellung, welche die ungarischen Minister diesen gegenüber einzunehmen gedenken. Im Klub der liberalen Partei waren heute Mittags Gerüchte verbreitet, wonach das österreichische Kabinet die Demission überreicht habe. Nachrichten, welche jedoch aus sehr glaubwürdiger Duelle im Laufe des Nachmittags eintrafen, melden, das österreichische Ministerium habe seine Bereitwilligkeit erfürt, für die Durhführung der den Banfausgleich betreffenden Stipulationen, einschließlich der Ernennung der Vizegouverneure, einzustehen. Anschließend an diese Meldung wird berichtet, daß morgen sowohl die Unterzeichnung des Schlußprotokolls in einer gemeinsamen Pinisterkonferenz unter Vorung des Königs stattfinden, als auch die Ernennung des ungarischen Kabinetts erfolgen sol, so daß das Iechtere in der Lage wäre, sich bereits in der für Dienstag anberaumten Neichstagsfigung dem Parlamente vorzustellen. Diese von unterrichteter Seite stammenden Mittheilungen wurden, wie bereits bemerkt, heute im Jub der liberalen Partei folportirt. Aus Wien direkt liegt und bis zur Stunde, wo wir viele Zeilen Schreiben, nur die eine Meldung vor, daß heute ein gemeinsamer Ministerrath stattgefunden habe. Diese Meldung aber scheint die oben erwähnten Meittheilungen zu bestätigen, da nur in dem Falle, wenn die österreichische Regierung zur Einbringung und parlamentarischen Vertretung der Angleichsvorlagen bereit ist der Anlak und die Nothwendigkeit einer gemeinsamen Konferenz geboten i. Darüber allerdings, ob die ungarische Regierung mit einer solchen Erklärung de österreichischen Ministerhumd zufrieden gestellt ist, wäre immerhin eine authentische Bestätigung erwünst. Denn findet Koloman Tipa in der Erklärung der österreichischen Regierung eine genügende Garantie, dann ist nicht gut abzusehen, warum er auf der Befragung der Verfassungspartei überhaupt bestanden hat. 931 dem Votum dieser [egzteren aber kann doch unmöglich irgend eine Garantie gefunden werden, denn dieses sagt ja ganz ausdrücklich, daß im die D Verfassungspartei in der wichtigsten Frage, nämlich jener der Bestellung der Vize Gouverneure, vollständig freie Hand behält. Dafür also, ob die Verfassungspartei die Ernennung der Vizegouvernenge acceptirt, sind heute, nach der Annahme der Herbitigen Resolution, nicht im mindesten stärkere Garantien geboten, als wenn die österreichische Negierung sich ohne Berührung mit ihrer Partei einfach für die Einbringung und Vertretung der Ausgleichsvorlagen bindend verpflichtet hätte. Doch mag Tipa sie in dieser Nichtung wie immer einscheiden, an der Stimmung, die er hier bei seiner Rückunft vorfinden wird, dürfte er kaum eine Uenperung herbeiführen. Die Details, welche die Debatten in den Neichsrathe Konferenzen zu Tage forsterten und noch mehr der Ton, der in jenen Konferenzen gegen Ungarn angeschlagen wurde, haben in den Abgeordnetenkreisen eine Hochgradige Aufregung und Verbitterung erzeugt. Abgeordnete, welche bisher blindlingd mit Tiba gingen, wollen sich zur Opposition gegen den Ausgleich entschließen ; abermals it von einer Secession im Lager der liberalen Partei die Nede! Der Stand der Dinge, Budapeft, 25. Februar, 65, mag vieleicht nicht mehr zum guten Ton gehören, über die Gortschakoff’sche Särkularnote noch weiter zu reden, aber sie steht einmal politisch noch auf der Tagesordnung und sie bildet, was man auch immer jagen mag, noch immer den Mittelpunkt der diplomatischen Diskussion.65 ist wohl richtig, daß Solch’ ein Diplomatisches Gerede, ob es im Tone [erbenswürdigen Entgegenkommens, ob es in artig ablehnender Form geführt wird, einen entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung der Ereignisse nicht auszuüben vermag und Diejenigen sind ganz um Rechte, die da behaupten, das St. Petersburger arbinet werde seine definitiven Beschlüsse nicht abhängig machen von der Antwort, die Die Mächte auf seine Anfrage erhheien. Aber andererseits sehen wir denn da, daß sich Rukland alle Mühe gibt, die Mächte zu einer ihm genehmen Erwiderung zu bestimmen. Von verläßlicher Seite wird und mit getheilt, daß derartige Bestrebungen in London für wohl wie in Berlin und Wien gleichzeitig hervorgetreten sind. Man möchte wohl für die beabsichtigte Aktion mindestens die moralische Unterfrügung, wenn Mhon der Ausbruck Mandat zu weit geht, Europa’s gewinnen. Aber es hat nicht den Anschein, als ob die Mächte auch nur darauf einzugehen Die geringste Neigung hätten. Bon England ist vielmehr erst in den jüngsten Tagen — umsere diesbezügliche Mitteilung stammt aus vorzüglicher Duelle — die Anregung gegeben worden, «… möchte in Anbetracht des von der Türkei begonnenen Reformwertes und in Anbetracht der mit Serbien und Montenegro schwebenden Friedensverhandlungen die Erwiderung auf die auffilderfeitd gesellte Anfrage noc weiter Hinausgehoben werden. 653 erweise sich dies um so ‚nothwendiger, da ohnedies eine in gegenwärtigen Augenblicke abgefaßte Antwort, wenn in St. Petersburg darauf bestanden werden sollte, nichts Anderes als die vorbezeichneten Erwägungen enthalten und zu dem Schluffe kommen mache, daß es räthlich sei, den weiteren Verlauf der Ereignisse abzuwarten, ehe man sich zu einem Entschluffe sammeln könne. Diese Anfhauung des Kabinets von St. Santes entspricht vollständig den Gesinmungen der übrigen dabei in Betracht kommenden Mächte und sie hat, was besonders hervorzuheben ist auch die Zustimmung der Berliner Negierung erlangt. Unter solchen Verhältnissen ist von dem weiteren diplomatischen WVerfehre seinerlei Weberraschung, keinerlei Entscheidung zu erwarten. Die Motive der Sektoren werden einzig und allein in dem Willen und in der Fähigkeit Nußlands zu suchen sein. In Wahrheit ist es unmöglich, heute ein recisives Wort darüber zur jagen. Den Kabinet von St. Petersburg sind heute noch alle Wege offen, der zum Kriege sowohl wieder zum Frieden, und es scheint Werth darauf zu legen, sich auff erner beide Wege offen zu halten. Die Mächte haben sie bemüht, dem Fürsten Gortscharoff den Gedanken nahezulegen, daß er, ohne die geringste Einbuße an Ansehen und Einfluß, die Aktion wieder in ihr friedliches Bett zurücleiten könne. Die Tendenz der Mächte ist rar: sie ist auf die Erhaltung des Friedens gerichtet und in Nukland wird sie wohl in diesem Sinne genommen. Will man jedoch eine Vorstellung von dem haben, was wirtlich ist, nicht von dem, was man wünscht und auf Grund dieser Vorstellung ein Bild skisziren heilen, was kommen kann, so muß man alle Umstände in Betrag ziehen. Mancherlei Andeutungen, die und zu kommen, deuten auf eine friedliche, manche andere auf eine kriegerische Wendung. Wir registriren hier vor Allen die und aus Berlin zusommende. Meldung, Daß eine ansehnliche Finanzgruppe dem russischen Gouvernement die Beschaffung eines sehr bedeutenden Ansehens proponirt und daß man in St. Petersburg dies Anbot zurückgewiesen habe. Die Finanzgruppe, von der die Offerte ausging, ist sehr ernst zu nehmen, sie ist geachtet und Frecitwürdig. In ihr selbst taut der Grund des Refus nicht gelegen sein,62 bleibt also nur die Alternative, daß Nußland im Augenblicke sein Geld braucht, oder daß er seinen Krieg will. Beide Voransiegungen klingen in der That nicht wahrscheinlich, aber das Faftun, das zu ihnen führt, ist unbestreitbar. Zu den friedlichen, wenn auch, wie das vorstehende Beispiel zeigt, mitunter unverständlichen Symptomen gehört auch die Mahnnegnung, daß die Vertreter Nußland’s an den verschiedenen Höfen — und von London liegt und diesbezüglich eine direkte Andeutung vor— noch immer die Friecheneliebe des Grafen betonen und noch immer mit allem Nachdruce davon Sprechen, daß Alexander 13. seine Sache von der Europa’ nicht trennen wolle, fürzich fon in diesen Blättern davon die Rede. Diesen in ihrer Wirkung allerdings keinewege besondere drastischen Beispielen stehen andere entgegen, welche die Kriegsbereitschaft und die Kriegsluft Rußland in der kräftigsten Weife flustieren. Ganz besonders sind es die Vorbereitungen, die in Numänien getroffen werden, welche die Absicht eines ungeheuren Transportes von Kriegsmaterial verrathen. 63 war das großartige technische Arrangements im Zuge sind, um bei der Station Igheni bei Jafiy, den Weitergang von den schmalspurigen auf die russischen breispurigen Schienen zu ermöglichen. Aus Wien wird gemeldet, daß immense Bestellungen auf Lotomotive und Waggons in Österreichischen und mehr noch) in deutischen Maschinenfabriken gemacht worden sind. 63 ist in diesen Meldungen von 165 80- fomotiven die Nede, eine Ziffer, die wohl übertrieben ist, die jedoch, wenn sie allcr zur Hälfte richtig it, ein Zeichen von der Absicht einer imposanten Entfaltung der Verfehrömittel ist. Daß in schwedischen Fabriken Mitrailfeuren für Rußland fabrizirt werden, ist eine bekannte Sache. Die beschungenen Sriften zur Ablieferung deuten darauf hin, daß man in Rußland darauf rechnet, ungefähr zu Ende des Monats März vollkommen bereit zu sein. Das sind die Symptome des Friedens, das die Symptome des Krieges, die vorliegen. Wir überlasfen es dem Leer, aus all’ diesen Momenten, aus all’ ‚diesen Kräfte-Entfaltungen das Netulterende zu ziehen und darnach sein Untheil zu schöpfen. Das unserige ist längst fertig. Wir halten nus nach wie vor überzeugt, daß Rußland den Krieg will und daß er ihm beginnen wird in dem Augenblicke, ii ae es fie fühig Halten wird, ihn wirksan zu ersöffnen. Parteikonferenz-Singen. Original Korrespondenz des „Neuen Bester Journal, Wien, 24 Februar, Die heutige Parteikonferenz, ihr Verlauf und iie Resultat sind wohl noch einiger Worte der Erwähnung werth, wen auch der Telegraph alles Meritorische volle ständig erschöpft haben dürfte. Es gibt jedoch Mancherlei, was der trodene Bericht nicht zu sagen vermag und was gleichwohl des Wiedererzählens würdig ist. Kann der trockene Bericht die Leidenschaften malen, die heftigen Szenen schiledern, die bewegten Auftritte, welche die Bartelkonferenz bearleiteten ? Ich kann es wohl an nicht, denn Manches entzieht sich der Schilderung und mancher Schilderung ist mein Talent nicht gewachsen, aber ich vermag immerhin anzugeben, daß dergleichen vorgenommen und daß uns die nahe Berührung mit Ungarn nun auch schon etwas von der parlamentarischen Lebhaftigkeit und Heftigkeit unserer Nachbarn eingeimpft hat. Den stärksten Angriffen war Herbst ausgelegt, in dem man mit Recht oder Unrecht, bleibe dahin gestellt — den geistigen Urheber jener Raritätsbestimmung vermuthete, über welche die Verfassungspartei heute ihr Votum abzugeben hatte. Die Herren „Jungen“ von der „Partei der Jungen“, wie die Fortschrittler früher zuweilen genannt wurden, waren stark in der Nadfichter losigfeit gegen längst erworbene parlamentarische Verdienste, die älter, viel älter sind, al die Opposition so manches Forifgrittleid. Da ist beispielsweise Herr Schaup, bis zur legten Session einer der entagirierten Ministeriellen, so zahm und mild, wie nur immer ein Soildmappe der Regierung sein kann, heute ein enragirter Oppositioneller, ein Feind des Ministeriums, ein Feind des Ausgleiches, ein Mitglied der regierungsfähigen Opposition. Da ist Graf Soronini, ein Mann von demselben Schlag und von derselben Wandlung, ein Mann, der Jugendgenosse des Kaisers gewesen und den man deshalb als Kandidaten für ein fünfziges Kabinet bezeichnet. Wenn er jedoch selbst etwa die Aspirationen teilt, die man ihm zumuthet, so hat er den allerverkehrtesten Weg, sie zu realisiren, gewählt, indem er sich an die Spiße Derjenigen gestellt, die das dualistische Band zu verreißen suchen. So viel sollte body jedem polizischen Kopfe in Oesterreich für sein, das die nächste Zukunft bei und nicht Denjenigen gehört, die voll Feindseligkeit gegen Ungarn sind und die diesem Stante jene Nechte nicht laffen wollen, um die er blutig gestritten und die er im 1867er Ausgleich geießlich errungen. Fon Stene und Hamijd Lei nicht die Rede, Ins . -