Pester Lloyd - Abendblatt, März 1859 (Jahrgang 6, nr. 48-73)

1859-03-31 / nr. 73

Abendblatt des pP 68 Donnerftag, 31. März. Nr. 78. R Wien, 30. März. Gestern Abends ist auf telegra­­phischen Wege die Nachricht aus Paris hier eingetroffen, daß Frankreich die von Oesterreich aufgestellten „K­­o­n­­greß“Bedingungen angenommen: Was die von England­ aufgestellten Bedingungen betrifft, so stimmen sie mit den österreichtsehen überein und beziehen sich vornehmlich auf die Aufrechthaltung der Verträge von 1815. Preußen hat si den englischerseits aufgestellten Bedingungen angeschlossen. Die Situation ist somit rar geworden. Die französischen und die österreichischen Forderungen sind jegt bestimmt formulirt, und Sache des Kongresses ist es, eine Vereinbarung zu Stande zu bringen. K. Belgrad, 28. März. Der provisorisch an der Stelle des Generalkonsuls Obersten 9. Miloshewitsch hier­­ weilende russische Konsul von Widdin, Spiolow, überbrachte gestern dem Fürsten Milosc nebst zwei Briefen von seiner Negierung anf den polnischen weißen Adlerorden erster Klasse m­it dem blauen Bande. Der Fürst übernahm in größter Galla in Gegenwart der Minister und Senatoren die Insignien des Ordens. Die Briefe sind vom Fürsten Cortshafoff im Auftrage des Kaisers von Rußland geschrieben ; der erste beantwortet das fürstliche Notifikationsschreiben und beglückwünscht in sehr freundlichen Worten zur Thronbesteigung; der zweite Brief dient als Einbegleitung zur Ordensverletzung und erwähnt die vielfachen­­­ Verdienste des greisen Fürsten. Beide Briefe aber sind rufsisch geschrieben. Politische Rundschau, 31. März. Lord Mal­­mesbury hat bekanntlich am Montag die Erklärung abgegeben, daß er som Gr. Cavour die Bersi­­dherung erhalten, Sardinien werde sich eines jeden Angriffs auf Oesterreich enthalten, und auf Dieses Ver­­sprechen füßte der englische Minister wahrscheinlich au­f eine Hoffnung, daß der Fried­em ungestört bleiben werde. Die Vereicherung des Gr. Capour,­­ wie er sie in einer vom 17. b. datirten Depesche an den Mar­­quis Vizeglio, fardinischen Gesandten in Lon­­don, ausgebracht, Liegt nun im heutigen „Nord“ voll­­ständig vor uns, und, — gestehen wir es offen, — Die Art und Weise in Der diese Versicherung gegeben wird, will uns als nichts weniger denn als eine Frie­­densbbürgschaft erscheinen. Der farbinische Premier ber­harrt bei seinen gewohnten Anklagen gegen Oesterreich; der größte Theil seiner Beweisführung beruht auch Dies­­mal­­ wieder auf einer nur zu augenscheinlichen Entstellung allbekannter Schatfaden. Die Depesche lautet, ihren we­­sentlichen Inhalte nach: Herr Marquis! Sir James Hudson hat mich — ín einer vom 14. b, batirten Note, von der Abschrift beiliegt — Na­­mens seiner Negierung gefragt, ob Sardinien geneigt wäre, demt Borgange Oesterreichs zu folgen und, so wie Graf Buol es in seiner Depesche vom 25. Februar an den Grafen Ap­­ponyi gethan, in formeller Weise zu erklären, daß es durchaus eine aggressiven Absichten gegen seinen mächtigen Nachbarn hege. Sin voller Würdigung der Gefühle, welche dem Kabi­­net von Gt. James diesen Schritt eingegeben haben, wollen wir nicht zögern, Ihn mit der vollständigsten Offenheit zu err­widern — gleich wie wir es vor wenigen Tagen gethan, als es uns ersuchte, in klarer und bestimmter Weise die Beschwer­­‚den Stal­end gegen Oesterreich zu formuliren und die Mittel ‚zur Abhilfe zu bezeichnen. Angesichts der aggressiven Akte Oesterreichs (denn wie anders soll man sie benennen ?), der Konzentrirung imposan­­ter, Truppenwaffen an der sardinischen Grenze, der Verlegung seiner italienischen Armee in Kriegsbereitschaft,­ der Errich­­tung und Oksupation neuer Befestigungswerte auf einem ihm nicht gehörigen Territorium, der zehnjährigen Osfupation der Le­­gationen, der Verlegung der Staatsverträge (2) , würde die Negierung des Königs, dem Völkerrechte zufolge (2) ber­­echtigt sein, für ihre Vertheidigung gegen Oesterreich, und sei, es selbst im Wege der Offensive, zu sorgen. England hat dies recht implicite anerkannt, als es vor noch nicht langer Zeit dur­ das Organ seines Ministers der auswärtigen An­­gelegenheiten konstattren­ntet, daß es Lediglich der großen Mäßigung, welche das sardinische Kabinet bewiesen, zu dan­­fen sei, wenn es gelungen sei, Die Gefahren eines Krieges zu beschwören, als Oesterreich die Güter sardinischer Unterthanen mit Sequester belegte. Da indes die britische, Regierung den anormalen Zustand Italien’s, anerkennt, und da sie Sardinien versprochen hat, sich um Abhilfe zu bemühen, so ist die sardi­­nische Regierung immerhin bereit, die Beriiherung zu geben,daß es niit in ihrer Absicht liegt, Defterreich anzugreifen — ,wobei sie jedoch Art nimmt von obigen Verpflichtungen des englischen Ministe­­riums und sich für den Fall, daß Defterreic­ sich auch In Zu­­kunft nicht enthalten sollte, aggressive Akte zu begehen, Frei­­heit des Handelns vorbehält. Die sardinische Regierung wil­­ligt demnach ein , in dieser Beziehung eine mit der, in der Eingangs zitirten Depesche des Grafen, Bus! — die übrigens in der That nichts ist, als ein langer und bitterer Anflagentt gegen Sardinien und die Politik des Kabinetes, dem zu prä­­fiviren ich die Ehre habe — enthaltenen Erklärung identische Deklaration abzugeben. Die von Oesterreich nacheinander ergriffenen militäri­­fen Maßregeln, von welchen ich mit Ihnen in meiner De­­refche von ". .. gesprochen habe, sind insgesammt jenen Arten der sardinischen Regierung vorangegangen (2), die ihnen (den militärischen Mairegeln)­ zur Rechtfertigung hätten dienen innen. Die Thronrede bei Eröffnung des Parlamentes in Turin wurde erst am 10. Jänner gesprochen, und seit dem 3. dieses Monats wurde plöglich ein neues­ Armerforps nach Italien gesendet. Unsere Anleihe erfolgte erst lange Zeit nachdem Oesterreich ein viel beträchtlicheres Darlehen in Lon­­don zu negozivem versuchte. Wenn wir endlich unsere Kon­­tingente unter die Waffen gerufen haben, unsere Reserven bein häuslichen Herde Yaffend, so geschah dies erst, nachdem Oester­­reich die­­ Verlegung der italienischen Armeekorps auf den solständigen S Kriegsfuß befreiirte, und mir uns überzeugten, daß wir uns bald im Angesichte der stärksten Armee befinden würden, melde je den italienischen Boden ü­bersch­wemmte. Diese Thatsachhen bilden einen sonderbaren Kommentar zu den friedlichen Protestationen, mit welchen die österreichische Depe­­sche endigt,­ und. es würde fchwer fallen sie mit­einander zu verfühnen, wenn man in demselben diplomatischen Aftenfu­che nicht den österreichischen Grundgedanken Über die ttaftentssche Trage aufgezeichnet fände. Nachdem Graf Bus! die Ereignisse, die sich fett 1848 gefolgt, von seinem Geftchtspunkte rasch Sftazirt hat, endigt er mit der Erklärung , daß, wenn Stalten tief bewegt sei, wenn die Bevölkerungen unzufrieden seien, wenn Die Regie­­rungen nichts gethan haben um den legitimen Münschen ihrer Unterthanen gerecht zu werden, so lege die Schuld in den Gefühlen und in dem aufrührerischen Geiste, welchen die Bret­­beit in Piemont entfalte, und um mich der Worte des Gra­­fen Buol zu bedienen : „in der Einführung von Intitutionen |­ er Lloyd. TEE­RN K =” eft, 1859. in diesem Lande, die nur dort bewunderungsunwiilig wirken, wo sie durt Jahrhunderte sich enttwicelten und zur Reife ges­­angten, die hingegen nicht gleichgeartet zu sein scheinen mit dem Geiste, den Ueberlieferungen und den sozialen Bedingun­­gen der Italiener.“ Zugleich bezeichnet Graf Bunt als vor­zügliches Heilmittel für diesen Zustand der Dinge, dessen Ernst er nicht verheimlicht, eine gemeinsame Aktion der Große machte, um Sardinien zur» Mo­di­fizirung seiner In­titutionen zu z­wingen ... dann erst würden die Staaten der Italienischen Halbinsel wieder ruhig werden. Ohne diesen Schluß zuzugeben, da wir vollkommen überzeugt sind, daß die Zerstörung der freien IInstitutionen Piemonts, anstatt den Frieden zurückzubringen., nur­ die Wirkung hätte, die zur Verzweiflung gebrachten Italiener auf die Bahnen der Resolution zurückzuschleudern, so nehmen mir nicht An­­fand anzuerkennen, daß in dem Gedanken, welcher diesen Theil der­ Depetche des österreichischen Ministers eingeflöst hat, viel Wahres enthalten. . . . Bisher ist es Oesterreich durch seine Spezialverträge mit Parma, Modena, und Toscana, durch die Diskupation der Romagna auf unbestimmte Zeit — eine Osfupation , die nach dem eigenen Eingeständnisse der Höfe von Wien­ und Rom durchaus noch nicht einem baldigen Ende entgegengeht — durch die beträchtlichen Fortifikationen, die es dort anlegt, ge­­fungen, fs zum that südlichen Gebieter der Staaten Mittel­italiens zu machen und Piemont mit einem eisernen Neffe zu umgeben. Gegen ‚diesen,. Durch die Wiener Verträge keines­­wegs gerechtfertigten Zustand hat Sardinien seit einer Reihe von Jahren nicht aufgehört zu protestiren, mohet es die Sin­­tersention und die Unterstügung der Großmächte anrief, die eben jene Verträge unterzeichnet. Dieser Zustand, der seit langer Zeit eine Drohung und eine Gefahr für Sardinien bildet — eine Gefahr, die neuerdings durch­ die außerordent­­­cen Rüstungen und die sonstigen aggressiven Afte Dester­­wetc­s verfehlimmert worden ist — er ist es , der die Regie­­rung des Königs gezwungen hat, Mafregeln der­­ Vertheidi­­gung zu ergreifen und die Kontingente unter die Waffen zu erufen. Dieser Zustand Höre­ aufs; die österreichliche­ Herrschaft in Italien beschränfe sich wieder auf diejenigen Grenzen, welche ihr durch positive Stipulationen angewiesen werden ; Oesterreich möge entwaffnen , und Sardinien wird — freilich ohne Das es darum aufhören sollte, das unglückliche o­ Der D Besdhferungen auf dem anderen Ufer des Teffin zu beklagen — ganz wie England es ihm so oft angerathen hat, seine An­­frengungen auf eine friedliche Propaganda beschränken, in der Absicht Die öffentliche Meinung Europa’s üiber die italie­­nische Frage mehr und mehr aufzuklären und so die Elemente für eine künftige Lösung vorzubereiten. Allein so lange unser Nachbar alle uns umgebenden Staaten Italiens um sich und gegen uns gruppiren Darf, so­lange es ihm freistehen wird, seine Truppen nach Belieben von den Ufern des Po bis auf den Gipfel der Apenninen marscheren zu lassen s: so lange er Piacenza, das in eine Festung ersten Ranges umgewandelt wie ein permanentes Dampflessehwert über unserer Grenze hängt, behalten wird : so lan­g wird es ung — wenn­ wir gleich Die In dem ersten Theile dieser Degess die abgegebene DBersicherung getreulich halten wollen . Doch unmöglich sein, die Waffen oder unser­gerechtes Mißtrauen gegen das gerüstete und her­­ausfordernde Oesterreich abzulegen. Graf Bavour hat, wie man sieht, wohl, jede Absicht eines Angriffe­s von Seite seiner Regierung abgelehnt ; gleichzeitig erklärt er aber, auf Fünfzig hin in der bisherigen bewaffneten Stellung bleiben zu müssen ! Die Stellung Sardiniens beim Kongresse scheint durch den Besuch Cavour’s in Paris Nichts gewonnen zu ha­­ben , gestern noch befürwortet Die „Tim­eg“ Die Aus­­schließ­ung Sardiniens vom Kongresse, wenn nicht allen italienischen Staaten das gleiche Recht der Betheiligung zuerkannt werde. — Was von einer „probenden Note” berichtet wurde, in welcher Oesterreich neuerdings von Piemont die Auslieferung seiner fahnenflüchtigen Solda­­ten verlangt haben sol, so eristert eine solche nicht . “

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