Temesvarer Zeitung, August 1926 (Jahrgang 76, nr. 171-196)
1926-08-01 / nr. 171
. 098% Wimrisoara ohne Zustellung 2 110, mit Zustelung im Einzelnummer Lei 5.- gen Glo ein sterben konnten. Von Karl Hell. Temesvor, 31. Juli. Das Jahre 1914! Greisenhafte Ruhmsucht und Hemmungsloser Ehrgeiz, papierene Begeisterung und bürokratischer Kampfgeist, gepaart mit tintenbeflecktem Blutdurst, irreleitende Phrasen und Schlagwörter, sträfliche Ahnungslosigkeit und Mangel an Beranftwortungsgefühl der Führer und gewissenlose Profitäter eines entmenschten Kapitalismus’ haben den Krieg entfacht. Und die Massen leisteten dem Rufe : „Bu den Waffen!“ nur zu willig Gefolgschaft. Stupende Unwissenheit und nationaler Ueberdünkel erwecten den Wahnglauben, daß Patriotismus gleichbedeutend mit .. Unmenschlichkeit sei und es hat ein Zeitalter der Vernichtung eingeseßt. Alle Europas, die großen in vorderster Reihe, haben Völker die blutigste, durch Menschenwillen verursachte T2000918 in der Menschheitsgeschichte an. Nun war Pe endlich glüclich, so glücklich, als es heute noch ist. Die glücklichsten waren aber jedenfalls jine Auserwählte der Menschheit, die fürs Vaterland .Die Ueberlebenden sind bei weitem sieht so glüclich, und unter ihnen sind die Invaliden am „allerwenigsten glücklich. "Die am 11. Juli unseres Glühjahres in Paris aufgezogenen zwanzigtausend Invaliden haben eher verzweiflungsvoll als alüdsvoll ausgesehen. Einst sind sie, da das Vaterland es verlangte, ausgezogen als Menschen, als Helden, als Halbgötter. Heute sind sie nur mehr den. Legionen des Grauens einst für den Hallomen- Feind, Heute für den Freund. Einst töteten sie die Leiber der Feinde und heute wollen sie die toten Herzen der Elten hat das Vaterland inhöchster Not sie zu Hilfe gerufen, heute rufen sie das Vaterland. — Sie krochen und taumelten, humpelden Straßen, von Paris dahinten und tappten diese Scharen des Elends, wie ein lebender Propaganda - Film ' „Nie-wieder-Krieg!“ Singend und sichtigend sind sie änst ausgezogen. — Heute schleppen sie sich" wie ein Leichenzug gräbesstill dahin. Ihr Ziel war einst der Sieg und heute ziehen sie 3 Siegessäule. Doch ist es kein Zug des See , sondern ein Bug, um Mitleid zu erwecken: Siegessäule angelangt, hielten sie einen Wi beim Grabe des „Namenlosen Ihm ward alles zuteil an was das Vaterland so überaus reich ist. Die Großen des Landes gaben ihm das Geleite. Herrliche Reden rührten die Herzen und Thränen des Mitleids flossen um die gefallenen Helden. Ex Das Deiden lebe Für das 3 bat’ das Vaterland Meinen Ruheplaß, 7 Heldentod. Es öffnet ihm seinen Gen: die Muttererde. Wilhelmine Köhler, 10 Jahre alt. Die Eltern eines Hausbesorgerpaares in einer Vorstadt Wiens. Das Kind erkrankte oft. Menschenfreundliche Obsorge hatte es jedesmal dem Leben gerettet, nur gewisse Nerveneffekte sind zurückgeblieben. Das Kind war nervös. Litt zeitweise an Sprechreiz. Stellte die Lehrerin eine Frage, antwortete die Kleine vorschnell, um der befragten Mitschülerin vorzukommen. Es gab wegen diesem und ähnlichen Schulvergehen Mahnungen und Rügen. Und im Schulzeugnis gab's aus sittlichem Betragen eine Zweiernote. Die Kleine ging mit dem Zeugnisse ihrer „Schuld“ nach Hause. Legte er auf den Tisch und ging fort zur Großmutter. Von der Großmutter ging sie zur Tante und von der Tante in die t. Dieser kleine Staatsanwalt verurteilt ich selbst zum Tode wegen eines kindlich. Heinen Vergehen. Und im Leben? Das Laster in allen seinen Arten, Abarten und Entartungen macht sich in den höchsten Stellungen breit. Die Höhen und Tiefen“ sind verderbt. Wohin sind unsere Ideale über Ehrllichkeit und Ehre verschwunden? Fallstaff kann Heute... wieder mit Recht fragen: „Ehre? Fst das etwas, was .. man essen kann?“Und in dieser Welt lebt in dem zerbrechlichen Körper eines Vorstadtkindes eine so große Seele, die das Leben wegwerfen will wegen einer Zweiernote im sittlichen Betragen. Was geltet heute den Grwachsenen Sitte und wem bangt es noch vor einer schlechten Note im sittlichen Betragen? Heute geltet nur mehr eine Note: die Banknote! + - # - g mem Soldaten“. Der schweigende Zug 3og. : Dunkel der Bergesß beit, von die) 2 tums gu „Ankle Donau. "Gerettet, liegt sie heute im Krankenhause. Wie schredlich ist doch diese Jugend. Den Tod im Herzen verläßt dieses Kind wortlos die Eltern. Spielt bei Großmutter und Tante kindlich und froh. Und geht dann fort, um zu sterben. Eine ganz anfaßliche, auch bei Erwachsenen grauenhafte Todesfreudigkeit. Wie kann ein Wesen, das das Leben noch.. nicht einmal gekannt, es so bitter verachten? Bon , woher der tragisce Zug der Lebensverneinung? Es kann nicht allein die Furcht vor dem elterlichen Strafgerichte das Kind zu diesem Entschlusse haben. — Wer erforscht die Geheimnisse der getrieben . Seele der, „Sie, eien, Be Dieser Kinder, .. . dann ' ur für den M A ee a nrnd an arm mean are : - geuilleton. "Der teldenhafte Bräutigam von Gisela v. Berger (Berlin). In dem Bankabteil der Straßenbahn saß die blonde, schöne Dame. Sie hatte zwei graublaue Märschenaugen, die mit dem Leben, wie es war, nie ganz zustande kamen, und in denen die träumend-rührende Frage lag: „Hätte es nicht auch ganz, ganz anders sein Tonnen?“ Ihr gegenüber saß der geseßte, klug Herr, der ihr Bräutigam war. Um seine Mundwinkel lag ein selbstgenügsamer Zug und in seinen Augen ein befriedigt, vernünftiges Wissen, das sagte: Wie ich die Dinge anfasse, so sind sie, und so ist es richtig!” In dem angrenzenden Bankabteil, im Rücken der Blonden, schönen Dame, saß der betrunkene Kerl mit seinen zwei Kameraden. Er kam von einem Verbrüderungsfest, hatte in einigen Wirtshäusern gründlich Einkuhr gehalten, empfand sein vom Alkohol aufquol Jenes Ich als Teil einer weltgebietenden Macht und war von einem unruhigen Tatendrang geplagt. Die blonde schöne Dame, ganz achtlos und ahßrung 83l3 dieser nahen Nachbarschaft, tat eine zuarlige Wendung, die ihr Profil den hinter ihr sitzenden freigab. Das löste in den Betrunkenen die unklaren Gefühlsgruppen der Taten drangen: albern, Frech und ‚plöslich,. Er fuhr von seinem Sig empor, zog sich schwankend vor und berührte mit seiner schmußigen Hand Wange und Haar der blonden, schönen Dame. Die blonde, schöne Dame zudte zusammen, sah sich um, begriff nicht, hatte eine widerliche Empfindung und blickte hilflos und die Aufklärung suchend auf ihr Gegenüber. Irgendein kindliches Erwarten stand in den graublauen Märchenaugen von etwas Großem, das recht geschehen werde. Aber nicht Großes geschah. Der Bräutigam war ein kluger, geseßter Herr. Der selbstgenügsame Zug um seine Mundwinkel verstärkte sich zu betonter Ueberlegenheit. Nur eine gewisse Hast, mit der er sprach, verriet seine innere verlegene Bergerlichkeit, daß er zu dem Vorfall Stellung nehmen mußte. „Man kann da nichts machen“, sagte er in die graublauen Märchenaugen hinein. „Besonders nicht in der heutigen Welt. Man muß still sein und es hinnehmen. Uebrigens, war es Absicht? I< glaube nicht. Es war ein Zufall. Durch einen Ruck des Wagens, Es war Zufall, nicht wahr?“ Die mit den graublauen Märchenaugen verstand seine Absicht nicht und kam ihr nicht entgegen. In Hilfloser Ehrlichkeit schüttelte sie den Kopf. Er wurde noch sicherer und innerlich noch ärgerlicher. „Es war ein Zufall“, satte er mit einer leisen Gereiztheit im Ton. „Und wenn es selbst kein Zufall war, kann man doch nichts machen. Tritt man gegen solch einen Menschen auf, so gibt ein Wort das andere, E38 gibt Schimpfworte. Ja, e3 kann'noch Schlimmeres geben. I< Hoffe, du verstehst mich?“ E3 hätte gar nicht so vieler Worte bedurft. Die blonde, schöne Dante war ein zu verträumter Mensch, um sich für urteilsfähig zu halten. Sie hatte von jeher zu wenig Freiheit gekannt, um nicht an jede fremde Ueberlegenheit blindlings zu glauben. Selbst das Gefühl, durch das Verhalten ihres Bräutigams irgendwie entwertet zu sein, ließ sie nicht in sich aufkommen. Kaum nur, daß in den graublauen Märchenaugen die gewohnte, versonnen rührende Frage lag, nicht auch ganz, ganz anders sein können?“ „Hätte es Der betrunkene Kerl Hatte sich nach vollbrachter Tat zwischen seine beiden Kameraden verkrochen wie ein Hund, der einen Tritt erwartet. Der Tritt blieb aus, und das erschütterte, ihm selber unbewußt, seine Achtung vor der besseren Menschheit. Ein Heldengefühl griff in ihm Plak. Er war der Meister der Welt. Er war gut, daß der Lärm der Jahrt und die eigene Schwere der Zunge, die unerhörte Hemmungslosigkeit seiner Reden verschlang. So gelangte man an die Umsteigstelle zur Hauptlinie. Allen verließ den Wagen. Der gesetzte, Unge Herr geleitete mit einer pointierten Galanterie die blonde, schöne Dame zum Ausgang. Als er ihr die Hand zur Stüße reichen wollte, stand drunten schon der betrunkene Kerl. Er sprach ein paar Worte von krasser Unmöglichkeit und wollte mit einer verliebte Grimasse den Arm um die Hüfte der Dame legen, um sie vom Trittbrett zu heben. Die blonde, schöne Dame’ ‚zitete zurück. Der gefegte kluge Herr sah peinlich berührt und ängstlich beunruhigt aus. In diesem Augenblick stieg der schlanke, fremde Herr aus dem zweiten Wagen. Er hatte ein herbes,fühnes Gesicht, einen gütigen Mund und etwas tkraurige Augen. Sein linker Radärmel hing vom Ellbogen aus leer herab, ein Erinnerungsmal des Krieges. Der schlanke, fremde Herr übersah mit einem Blik die Situation. Er hörte auch die lezten Worte des bes