Ungarische Revue 1. (Budapest, 1881)

1881 / 1. heft - Literatur und Kunst - Gusztav Heinrich: Deutsch-ungarische Literatur

44 LITERATUR UND KUNST. wäre, nur das wirklich Hervorragende und Eigenartige seiner Dichtung der Welt vorzulegen ? Wir unsererseits theiten diese Besorgniss durchaus nicht. Petöfi’s Grösse ist eine so einzige, seine dichterische Individualität eine so charakteristische, selbständige, dass dieselbe durch Bekanntmachung seiner sümmtlichen, also auch seiner weniger glänzenden Dichtungen im Auslande so wenig erschüttert werden kann, als wir selbst ihn deshalb weniger hochlialten, weil wir wissen, dass auch er, wie die meisten dich­terischen Genien der Weltliteratur, sich allmählig, schrittweise auf die höchste Stufe seines Könnens emporgeschwungen hat; dass auch er oft, meist durch eiue äusserliclie oder gelegentliche Anregung veranlasst, und na­türlich besonders in seinen Erstlings]aliren, Gedichte von geringerm Werthe aufs Papier geworfen hat; dass auch er — ein gemeinsames Los aller grossen Lyriker — zuweilen Stimmungen von nur relativer Bedeutung dichterischen Ausdruck verliehen hat. Ja, die Sache verhält sich in ge­wisser Beziehung beinahe umgekehrt. Je grösser der Dichter, je bedeutender und eigenartiger sein Genie, um so mehr interessirt uns auch die kleinste und unbedeutendste Aeusserung seiner Schöpferkraft. Was wir bei Anderen, minder Grossen, nur mit dem absoluten Masstabe der aestlietisclien Kritik beurtheilen, wird bei ihm, als Zeugniss seiner geistigen und dichterischen Entwickelung, aus einem hohem Gesiclitspuncte empfangen und hoch­­geschätzt. Die gebildete Welt hat ein Beeilt, den ganzen Petőfi kennen zu lernen, und wir zweifeln nicht, dass die schwächeren Producte seiner Muse die Achtung vor seinem Talente nicht verringern, die Liebe zu dem Menschen und Dichter aber unstreitig steigern werden. Daher heissen wir den ersten Versuch einer vollständigen Petöfi- Uebertragung schon aus diesem Gesiclitspuncte, aber auch seines absoluten Werthes wegen, willkommen. An dieser Uebersetzung haben sich zahlreiche erprobte Kräfte betlieiligt; ausser dem Herausgeber selbst besonders Max Farkas, dem der Löwenantlieil der Mitwirkung zufiel, dann Moritz Strass­mann, Franz Gernertli, Moritz Kolbenheyer, Ladislaus Neugebauer, Adolf von der Haide, August Mohtor, Andor von Sponer, Faust Pachter und andere. Gewiss, es bedarf einer solchen Mitwirkung, zahlreicher verschieden beanlagter Kräfte, um das Unternehmen zu einem erfolgreichen zu gestalten, und der vorliegende erste Band des Werkes lässt uns in der That für das Gelingen des schwierigen Versuches das Beste hoffen. Die Anordnung der Gedichte ist eine sachliche und erst innerhalb der stofflichen Gruppen eine chronologische. So enthält der bisher er­schienene erste Band Petöfis Liebeslieder von den ersten Versuchen des jugendlichen Dichters bis zu den vollendeten Meisterliedern des zu voller künstlerischer Beife gelangten allzu früh dahingeschiedenen. Unstreitig hat diese Gruppirung ihre grossen Vortheile : sie lässt uns die Leistungen des Dichters auf den einzelnen Spezialgebieten der Lyrik überblicken und den überraschenden Fortschritt seiner Auffassung und Technik verfolgen. Der Nachtheil der Eintönigkeit, der wohl nicht geleugnet werden kann, ist jeder Sammlung von Liebesliedern eigen, kann aber ernstlich gar nicht in

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