Bukarester Gemeindeblatt, 1914 (Jahrgang 10, nr. 1-52)

1914-01-05 / nr. 1

RE Bukarester Gemeindeblatt * No.4, lezteren unserer Jugend zugänglich und begreiflich mache, ist eine der laut tönendsten Forderungen der modernen Soulwissenschaft. „Die Kunst dem Kinde !" rufen alle Jugendfreunde und bemühen sich mit voller Hingabe das Schönste und­­ Reizendste, was Malerei, Plastik und das moderne Kunsthandwerk bieten, den jungen Menschenfindern erreichbar zu machen. Schade, daß auf diesem Gebiete un­­sere Bukarester Schulen nicht weiter vorgeschritten sind. &s gibt doc jo wundervolle Nachbildungen der herrlichsten Gemälde, einzig schöne Photographien der unsterblichen Baudenkmäler aller Zeiten, prächtige Widergaben der un­­erschöpflichen Schäbe alter und moderner Plastik. Eine Auswahl vom Schönsten auf diesem reichbebauten Felde sollte der Jugend wirklich nicht vorenthalten werden. — Gewiß wird es auch hier manche Verächter geben, die sein Vertrauen haben zu den Segnungen der Kunst,­­ weil sie entweder über mühseligem Ringen nach dem täglichen Brot müde geworden sind, den Kopf zu heben­­­ oder auch, weil sie sich auf Falsschem Wege Kunstgenuß erhofften, dort enttäuscht wurden und nun flügellahm die Schwingen nicht mehr versuchen wollen. &3 ist nicht meine Sache für diese Seelen hier Wandel schaffen zu wollen ; aber bitten möchte ich alle diejenigen, welche heute ihre Kinder der Schule anvertraut haben: Laßt sie ihre Freude am wahren Schönen ruhen und finden und bewahrt sie nach Kräften vor den AE des Geschmachs, dem so viele zum Opfer fallen. Da denke ich vor allem an die Kinemato­­graphen, die ich nirgends so gestürmt werden sah wie hier. Mich schaudert, wenn ich die entsetzlichen Aushängeschilder sehe, mit denen sie die Besucher anzulegen vermögen. Und die marktschreierischen Titel der Darstellung ! Man möchte wirklich sich hinstellen vor diese Mordstätten des Schönen „und jedes Kind, jeden Jungen, der da hineingeht mit glühenden Wangen und sehnsüchtigen Augen, am Kragen paden und mit Gewalt zuzureißen. C8 mag ja auch ganz gute, sogar belehrende Darbietungen geben, aber diese sind leider stark in der Minderzahl.­­­ Würde unsere Jugend schöne Bilder die Fülle, kraftvolle Bildwerke und die Blütenlese des modernen Kunstgewerbes, wenn auch nur in Nachbildungen zu sehen bekommen, würde dafür Gesc­hmack und Sinn geweckt, so würde sie selbst empfinden, daß die oben genannten „schönen“ Unterhaltungen in Wirklichkeit Zerrbilder sind und würde selbst kein Ge­­fallen mehr daran finden können. Hier wäre ein frucht­­bares Feld für eine warmherzige Tätigkeit der Kunstvereine. Da wäre der Plan, an dem die Vereine „Jugendsc­hutz", „Volkstümliche Kunstpflege“, „Dürerbund“ und wie sie nach Dußenden in den Vereinskalendern stehen, einsetzen müßten. Hier ist aber auch ein Gebiet, auf dem die Schule das Ihrige tun muß, indem sie mit freundlicher Hand die Heranwachsenden hinführt zu dem Schönen, mit warmem Herzen auch auf den jugendlichen Geschmach ein­­geht und mit kurzem Wort belehrend neue Wege weist und so die Kunst dem strebenden Geiste näher bringt als ein Unterpfand der Hoffnung des Selbstschaffenkönnens. Ebenso wie die Kunst, ja noch mehr, ist die Natur der Born des Schönen. Freilich wenn die kahlen Mauern des Schulhauses grell im Sonnenglanz blenden, wenn nüchtern ein kahles Fenster neben dem andern wie ein hohles Auge auf einen öden Schulhof herunterstarrt, da ist nichts Schönes dabei. Aber wie leicht wäre dem abzuhelfen, wenn so köstliche Anre­­gungen, wie Herr Lehrer Binder in einem der Sommer­­hefte des Gemeindeblattes gab, nur angenommen würden. Das wäre nicht nur schön ; das wäre ein Stür Heimat hier im fremden Lande, wenn ein hübscher Garten die Jugend willkommen hieße, wenn ein grünumsponnenes Gebäude mit bunten Blumenfenstern weit ein gastliches Tor öffnen würde, wenn die Jugend, statt in dumpfheißstau­­bigen Schulzimmern schwitzend zu pauken, auch ein bißchen Blumenduft und Käfersummen zu genießen bekäme. Das wäre schön ! Und von der Schule aus würde gar manches diese Anregung mit nach Hause nehmen und wir hätten die reizendste Freude und Beschäftigung, die nicht nur Schönes Schafft und genießt, sondern obendrein noch ge­­sund ist. — Und wen das Käfersummen oder der leise Blumen- und Blätterduft bei der Arbeit stört . . . ei, so zopfige Philister gibt es hier ja gar nicht ! (Forts. folgt.) Weihnachtsfeiern. Das kirchliche Leben unserer Gemeinde mag in mancher Hinsicht nicht in einem Maße entwicklt sein, wie es wün­­schenswert wäre; in einer Richtung wird man ihr jedoch ein lobendes Zeugnis ausstellen dürfen: Es herrscht in ihr ein ausgeprägter Wohltätigkeitssinn, ein starker Drang nach Betätigung cristlicher Nächstenliebe. In keiner Zeit tritt das deutlicher hervor, als in den Tagen um Weih­­nachten. Freudig leisten die Gemeindemitglieder dem Auf­­rufe um Spenden für die Armenbescherung Folge, gerne und reichlich geben sie, jo oft unser Sammelbote an die Türen der Glaubensgenossen anklopft, ja auch ohne di­­rekte Aufforderung melden sich viele mit ihrem Schärflein. So können alljährlich viele Erwachsene und Kinder be­­schert werden, so kann auch in die ärmsten Häuser ein Fünklein Weihnachtsfreude hineingetragen werden. Auch das letzte Weihnachtsfest blieb in dieser Hinsicht hinter den frühern Feiern nicht zurück. Wieder stand die Armenpflege an der Spiße in ihrer werbenden Tätigkeit. Sie hatte mit möglichst weitherziger Bereitwilligkeit die zahlreichen Gesuche recherchiert und konnte so auch in diesem Jahre­­­ nachdem von ihr 16 Personen für die Bescherung im Palais empfohlen worden waren — in ihrer Haupt­­feier etwa 90 Erwachsene und 70 Kinder mit Geld, Le­­bensmitteln, Kleidungssitten und andern Gaben erfreuen. Die Reicherungsfeier fand Sonntag, den 22. Dezember statt. Bereits am Sonnabend waren die Vorbereitungen durch Mitglieder der Armenpflege sowie durch eine Anzahl von Damen, die sich zur Freude der Armenpflege vor Kurzem in Form einer freien Vereinigung als besondere Gruppe der Armenpflege angeschlossen haben, getroffen worden. Am Sonntag um *­, 3 Uhr fand sodann in der Kirche eine Andacht statt, bei welcher Herr Pfarrer R. Honigberger über das Weihnachtsevangelium predigte. Nach Beendigung des Gottesdienstes begab sich der lange Zug der­ Teilnehmer in die Turnhalle, wo sich bereits unter dem strahlenden Christbaume die Veranstalter der Besc­he­­rung mit ihren Helferinnen und die Zöglinge unseres Waisenhauses versammelt hatten. Gemeinsame Gesänge,­­

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