Bukarester Gemeindeblatt, 1921 (Jahrgang 13, nr. 1-40)

1921-12-04 / nr. 37

Herbstfrömmigkeit. Des Herbstes müde Sonne wärmt gereiften Jahres milde Pracht. Von spätem Fliegenvolk umschwärmt, geniesst mit wohligem Bedacht meir. Hund die leichte laue Luit, um seine Nase zuckt ein Duft, er blinzelt schläfrig glücklich ein. Spinnweben ziehen, zart und fein; Ahorn- und Kirschlaub leuchten rot aus gelb und grünem Blättermeer, die nächsten Zweige sind schon leer. Wie süsser, schwerer, goldner Wein steigt um mich auf der grosse Tod und winkt mit seinem Schweigen her. Gott, sieh mich willig dem Gebot. Ich danke dir für deine Welt und ihrer Schönheit Ueberfluss. Noch ist das Leben mir Genuss in Haus und Büchern, Wald und Feld. Doch wem das Leben recht gefällt, dem ist der Tod willkommener Schluss in jeder Form als heiliges Muss. K. R. No. 37 Jahrgang XIII. Sonntag, 4. Dezember 1921 Bukarester Gremeiiideblatt Schriftleitung: ß. Ilönigbaigei’. ii Osscfclîfssiîlle:GeaisindeKanzlü, Str. Luther« 10 95. Der Gottesacker. Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben. Offenbarung Johannis 14,13. Hier liegen die Erwachsenen, Grab an Grab, dort liegen die Kinder, Hügel an Hügel. Die Trauer­weiden und Lebensbäume stehen zwischen den Grab­steinen, welke Blumen hängen an den Rändern, die letzten Blätter fallen auf den Weg, auf welchem di« Leichenzüge zu gehen pflegen, Es ist Totensonn­tag. Wieder ist ein Jahr dahin, und der Tod ist von Strasse zu Strasse gegangen. Er war manchmal ein langsamer Gast und manchmal ein schneller Räuber, er fragte nicht nach Wünschen und Bitten, er griff die Menschen und machte sie bleich, und nun liegen sie hier, briiderli h nebeneinander, einer so still wie der andere, die Saat der Auferstehung. Es ist lehrreich, auf den Gottesacker zu gehen, denn da lernt man die Menschen kennen. Dort redet alles, besonders die Inschriften. Das eine Mal heisst es „Hier ruht“, das andere Mal „Hier ruht in Gott“. Einmal steht da „Wiedersehtn“, ein anderes Mal „Auferstehn“. Das sind kleine Unterschiede, aber sie geben zu denken. Da steht eine schwarze Säule mit der kurzen Bemerkung „Unsere Clara — verlorenes Glück“, dort ein Kreuz „unser Otto — lasset die Kindlein zu mir kommen“. Die einen schreiben hin „Das arme Herz, vom Schmerz bewegt, kommt erst zur Ruh’, wenn’s nicht mehr schlägt“, und die anderen schreiben: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn“ Eine Mutter hat als Grabschrift: „Wer liebend wirkt, bis ihm die Kraft gebricht, und segnend stirbt, ach den vergisst man nicht“ und eine andere Mutter: „Das Leben aber, wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“. Ein Mann lässt von sich lesen: „Dem Verdienste seine Krone“ und ein anderer „Aus Gnaden seit ihr selig geworden, nicht durch euch“. Es gibt Gräber, über denen steht wie über Dante’s Hölle: „Lass jede Hoffnung fahren“ und Gräber, über denen steht: „Herr ich warte auf dein Heil“. So ist der Gottes­acker ein Buch mit vielen Blättern. Man muss Zeit haben wenn man ihn besuchen will, stille Ruhe zum Ueberiegen. Dann geht man zwischen den Abge­schiedenen, und die Steine der Toten fragen die Le­bendigen: Was glaubst denn Du? Was glaubst denn Du ? Glaubst Du wirklich, dass es mit dem Tode zu Ende sein wird? Dieser Glaube scheint sehr einfach, ist aber ungeheuer schwer. Denn wenn Du lebst, um zu sterben, wozu bist Du denn eigentlich da? Hat es einen Zweck, dass du lebst ? Ist nicht unser ganzes Leben nur ein Anfang ? Wir lernen einiges, erfahren etliches, schaf­fen etwas weniges, werden etwas tüchtiger und rei­fer und dann, wenn wir eben angefangen haben, da läutet es schon vom Turme. Was läutet es? Du sollst beerdigt werden! Nein! Ist es schon zu Ende ? Soll es keine Vollkommenheit geben ? Sind alle meine Hoffnungen nur Schaum und Rauch gewesen ? Gott sei Dank, der Tod ist nicht das Ende, sondern er ist „ein Durchgang zum Leben“. Hinter dem Tod öff­net sich das persönliche Fortleben in der Ewigkeit. Da wird die Seele. weiter wachsen, da werden die Früchte reifen. Selig ist, wer es durchlebt! Selig sind nicht alle Toten. Wer sich bis zu seinem Sterben von Gott entfremdet hat, der beginnt in der Todesstunde den Flug in die unendliche Got­tesferne. Er kommt in die Kälte der ewigen Lieblo­sigkeit, weil er aufgehört hat, die erwärmende Sonne der Seelen zu umkreisen. Wer aber sich zu Gott naht und Jesum Christum liebt, der wird der Wärme und dem Licht entgegeneilen, das in der Mitte der Welt lebenerweckend glüht. Zu Gott zu kommen, ist die Sehnsucht und die letzte Bitte der Erlösten. Mit Christus vereinigt zu sein, ist ihr Flehen. Sie wollen gerne sterben, und wer dann ihre Gräber besucht

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