Bukarester Gemeindeblatt, 1923 (Jahrgang 15, nr. 1-52)

1923-07-22 / nr. 29

Jahrgang X\7: Sonntag, den 22. Juli 1923. No. 29. Bukarester Gemeindeblatt. Schriftleitung R. Honigberger. Geschäftsstelle: Genieindekanzlei, Str. Lutherana 10. Minoritätentagung in Neusatz, Der Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen hielt in den Tagen vom 3. bis 6. Juli 1. J. in Neusatz eine Teiltagung ab, deren Zweck die Be­sprechung der Lage der Minderheiten in Ungarn, Jugo­slawien, Bulgarien und Rumänien war. Leider hinderte die politische Lage die bulgarischen Vertreter am Er­scheinen, doch waren' die Abgeordneten der anderen Länder fast vollzählig erschienen, und zwar nebst den Herren Dickinson und Ramsey aus England die Herren Bischof Ciric, Prof. Gcoigevici, Archimandrit Valerian, ferner die Senioren Wagner, Schuhmacher, Klepp und Horvath aus Jugoslawien, die Herren Bischöfe Rafay, Ravass, Josan sowie Herr Kurator Baxon Kaas aus Ungarn, endlich die Herren Staatssekretär Dr. Ispir, Prof. Demetrescu, Prof. Dr. Imre, Stadtpfarrer Honig­berger und Vizegespan i. P. Dr. Schaser aus Rumänien (die letzten beiden als Vertreter unserer siebenbürgisch­­sächsischen Kirche). Die Verhandlungssprachen waren: deutsch, serbisch und englisch. Eingeleitet wurde die Tagung durch Festgottesdienste in der orthodoxen (Ansprache: Bischof Ciric), in der ungarisch-reformiertcn (Bischof Ravass) und iri der lutherischen Kirche (Predigt: Stadtpfarrör Honigberger). Daran schloss sich eine Festsitzung im schönen Rathaus­saal, in welchem zunächst die offiziellen Begrüssungen seitens des Präfekten und des Bürgermeisters sowié des orthodoxen Bischofs entgegengenommen und erwidert wurden und sodann von den Herren Dickinson und Ramsey eingehende und packende Berichte über Ziele und Aufgaben des Weltbundes geboten wurden. Die Besprechung an den beiden folgenden Tagen, die Gelegenheit zu aufrichtiger und gründlicher Aussprache zwischen den Vertretern der Majoritäten und Minori­täten boten und an denen auch unsere sächsischen Ver­treter in klarer und eingehender Weise die Wünsche der rumänischen Minoritäten vertraten, trugen vertrau­lichen Charakter. Wir müssen uns deshalb hier auf die Wiedergabe der Resolution beschränken. Sie hatte fol­genden Wortlaut: «Die Konferenz erklärt, nachdem sie die Bestim­mungen der Friede ns vertrüge besprochen, welche die Angelegenheiten der Rassen, der religiösen und sprach­lichen Minderheiten behandeln, und nachdem sie die verschiedenen Standpunkte studiert hat, welche die Mit­glieder dieser Konferenz vorgetragen haben: 1. Die Durchführung dieser Bestimmungen in einem weitherzigen Sinne und mit der tatsächlichen Absicht, den berechtigten Wünschen der Minoritäten entgegen­zukommen, wird viel zur Zufriedenheit in diesen Ländern beitragen, und all dies ist eine Notwendigkeit für das Gedeihen der betreffenden Staaten und für den allge­meinen Frieden in Europa. 2. Daher wird es ernste Pflicht aller Landesausschüsse des Weltbundes sein, in ihren Ländern alles zu tun, was in ihrer Macht steht, damit die vollste und weitherzigste Beobachtung der Verträge von Seiten aller in Frage kommenden Faktoren herbeigeführt werde. 3. Deshalb sollen die Ausschüsse auch Repräsentanten aller wichtigen Minderheiten in sich zusammenfassen, damit diese Fragen in jeder Be­ziehung regelmässig in ihren Versammlungen verhandelt werden können. 4. Es ist daher ratsam, dass in not­wendigen Fällen die Ausschüsse mit dem Zweck Zusam­menkommen, um in gemeinsamer Bemühung eine güns­tige Lösung der betreffenden Fragen herbeizuführen. 5- Jeder Ausschuss soll bis zum 31. Dezember 1923 der Zentrale in London einen Bericht einreichen, in welchem über die in dieser Hinsicht vorgenommenen Aktionen die Einzelheiten mitgeteilt werden und auch Anregungen darüber gegeben werden, wie nach ihrer Ansicht der Weltbund weitere Hilfe leisten könne.» Obige Resolution wurde einstimmig angenommen, womit die Tagung ihr Ende erreichte. Naturgemäss ergab sich auch ausserhalb der Sitzungen mancher Anlass zu ein­gehender Aussprache über die Verhältnisse in den ver­schiedenen Ländern, besonders auch gelegentlich eines Automobilausfluges, den die Konferenzteilnehmer als Gäste des Bischofs in die reichen, wunderbar gelegenen orthodoxen Klöster der Fruska-Gora unternahmen. Man kam sich dabei auch innerlich näher und gewann den Ein­druck, dass es bei den führenden Männern der Majo­ritäten an Verständnis für die Wünsche der Minoritäten und an gutem Willen, ihnen entgegenzukommen, nicht fehle. Es darf besonders auch für unsere deutsch-evan­gelischen Brüder in Jugoslawien, deren Pfarrer sich eben im Zusammenhänge mit der Tagung des Weltbundes fast vollzählig (etwa 70 Herren] in Neusatz eingefunden hatten, um über eine feste kirchliche Organisation zu beraten, gehofft werden, dass ihre Beschwerden mehr und mehr abgestellt und ihre Wünsche freund­liche Berücksichtigung finden werden. Jedenfalls scheinen sie in den jugoslawischen Mitgliedern des Weltbundes einsichtige und energische Helfer gefunden zu haben. Sehr erfreulich war auch, was die ungarischen Vertreter über die jüngsten Gesetzesverfügungen Ungarns zugunsten der Minderheiten berichten konnten. In Rumänien, wo insbesondere die Karlsburger Beschlüsse gute Hoff­nungen geweckt hatten, hat sich leider der Kurs in letzter Zeit sehr zu Ungunsten der Minoritäten geändert. Es wird Aufgabe gerade auch unserer national-rumä­nischen Mitglieder des Weltbundes sein, ihren ganzen Einfluss aufzubieten, um an den massgebenden Stellen eine gerechte Lösung der“ schwebenden Fragen mit her­beiführen zu helfen. Sie werden damit dem Lande Ru­mänien einen wertvollen Dienst erweisen. R. H.

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